Protokoll der Sitzung vom 25.10.2006

Diese gemeinsame Beschlussfassung – ich möchte das noch einmal betonen – war vor 28 Tagen, vor noch nicht einmal einem Monat. Und nun beantragen zwei dieser Fraktionen das Gleiche, was wir damals gemeinsam beschlossen haben, heute genauso bzw. sogar noch mit weniger Aspekten. Wie muss man so etwas nennen? Wie nennen Sie so etwas? Ich sage: Das ist nur als blanker Populismus zu bezeichnen, nichts weiter.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Was ist passiert zwischen dem 27. September, dem Tag der gemeinsamen Beschlussfassung, und dem heutigen Tag dieser wiederholten, unnötigen Antragstellung? In Bremen ist der kleine Kevin gestorben, er wurde vernachlässigt und getötet, wahrscheinlich, schrecklich genug, vom eigenen Vater. Das hat die Menschen und die Medien, das hat uns alle geschockt und verbittert.

Alle fragen: Wie konnte so etwas passieren? Es werden Blumen niedergelegt, es werden Gedenkgottesdienste gefeiert und es werden Problemlösungen gesucht. Dann kommen Sie, CDU und FDP, und beginnen, auf diesen Gefühlen von Wut und Trauer, auch von Hilflosigkeit Ihr eigenes parteipolitisches Süppchen zu kochen. Meine Damen und Herren, das ist unangemessen. So geht man mit einem solch wichtigen Thema nicht um.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Sie möchten mit Ihrem Antrag in der Debatte vorkommen. Sie möchten eine Schlagzeile haben. Sie möchten ein Interview, ein Statement, mehr nicht. Dann machen Sie genau das, was die Menschen hier im Lande an der Politik nervt, was sie politikverdrossen macht: Bei der Jagd nach der Überschrift beginnen Sie das Parteiengezänk, all das geht Ihnen vor die Problemlösung. Da sind Ihre Energien falsch investiert. Die Menschen im Lande erwarten von Ihnen Problemlösungen und dass wir auch in der Lage sind, gemeinsam zu Lösungen zu kommen. Das haben Sie in diesem wichtigen Punkt verspielt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich kann durchaus differenzieren. Im Vergleich zu den Fraktionen von CDU und FDP hebt sich die Landesregierung, vertreten durch Herrn Minister Laschet, ausnahmsweise einmal positiv ab. Dass Sie Ihre Position, Herr Laschet, auch ohne parteipolitische Rücksichtnahme öffentlich vertreten, verdient Anerkennung.

Sie haben auf die Aktivitäten der früheren rotgrünen Landesregierung verwiesen. Wesentliches Stichwort dabei ist: soziale Frühwarnsysteme. Sie

haben auf die vielen Städte aufmerksam gemacht, in denen es diese Frühwarnsysteme gibt. Das sind mehr als 34, die sich darum bemühen, durch diese Systeme Kinder zu schützen und vorbeugend aktiv zu werden. Und Sie haben sehr harsch die Bundesministerin, die Ihrer eigenen Partei angehört, Frau von der Leyen, kritisiert, die so tut, als gäbe es diese Modelle und Pilotprojekte im Lande überhaupt nicht.

Herr Laschet, Sie haben Recht mit dieser Kritik. Was wir brauchen, ist die landesweite Ausdehnung der sozialen Frühwarnsysteme, die Vernetzung der Jugendämter mit den öffentlichen Gesundheitsdiensten, mit den Hebammen, mit den geburtshilflichen Abteilungen und den niedergelassenen Ärzten.

Wir sind in NRW schon sehr weit, auch wenn Herr Henke von der CDU-Fraktion das nicht weiß, wie ich Ihrer Presseerklärung vom 17. Oktober entnehmen musste. Das ist ein ziemlich trauriges Dokument von Inkompetenz der CDU-Fraktion. Sie fordern ein Pilotprojekt „Soziale Frühwarnsysteme“ ein, während wir im Land hier schon 30 bis 40 Frühwarnsysteme haben, Herrn Henke. Peinlich ist das, mehr kann man dazu nicht sagen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Doch zurück zu Herrn Minister Laschet! Sie gehen den nächsten Schritt nicht, der sozusagen eine logische Folge dessen wäre, was Sie in den nächsten Medien fordern. Jetzt muss ich Sie leider doch wieder kritisieren. Sie sind nämlich als Mitglied der Landesregierung mit dafür verantwortlich, dass den Kommunen das Geld für die sozialpädagogischen Familienhilfen fehlt, dass die allgemeinen Sozialdienste hoffnungslos unterbesetzt sind, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendämter eine Unzahl von Fällen bearbeiten müssen.

Gerade diese Woche habe ich ein Gespräch mit dem Kinderschutzbund geführt. Dort hat man mir gesagt, dass auf drei Amtsvormünder 680 Kinder kommen. Das ist eine unverantwortliche Zahl, meine Damen und Herren. Bei einer solchen Konstellation kann sich niemand um den Einzelfall kümmern.

(Beifall von Horst Becker [GRÜNE])

Einen weiteren Schritt gehen Sie ebenfalls nicht; denn den Populismus, den Sie Frau von der Leyen vorwerfen, erleben wir heute im eigenen Landtag mit diesem Antrag, der so überflüssig wie ein Kropf ist.

Herr Minister, ich weiß, dass Sie diesen Antrag natürlich nicht so entlarven werden, wie Sie es

vielleicht gerne möchten; denn sonst wird es ziemlich einsam um Sie herum. Stattdessen werden Sie in alter Gewohnheit gleich wieder auf uns, die Opposition, eindreschen. Das sind die politischen Rituale. Damit wird das Thema Kindesvernachlässigung allerdings belastet.

(Minister Armin Laschet: Sie dreschen doch gerade!)

Meine Damen und Herren, wir alle wissen, dass es die Kommunen sind, die den Kinder- und Jugendschutz umsetzen müssen. Sie haben die Verantwortung zum Schutz der Kinder übertragen bekommen. Wir alle können in unseren Wahlkreisen dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen in unseren örtlichen Jugendämtern stimmen.

Wir sollten nicht immer über die Kostensteigerung bei den Hilfen zur Erziehung usw. klagen, sondern einmal hinterfragen, was dort eigentlich los ist. Eine wichtige Lehre, die wir aus Bremen und dem Tod von Kevin ziehen können, ist, dass es in Bremen Kürzungen im allgemeinen sozialen Dienst und Einsparvorgaben bei der Heimunterbringung gab, die unter anderem zu der Katastrophe geführt haben. Deshalb ist die zuständige Senatorin ja auch zurückgetreten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, begehen wir in Nordrhein-Westfalen nicht den gleichen Fehler! Wir müssen die Kürzungen bei der Kinderbetreuung, der Familienhilfe, der Familienbildung und der Finanzierung der Kommunen zurücknehmen; denn Familien brauchen heute nicht weniger, sondern mehr Unterstützung.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Wir müssen die Prävention ausbauen, damit es möglichst gar nicht erst zu dieser Schädigung der Kinder kommt.

Meine Damen und Herren, eine große Bitte: Lassen Sie uns hier im Landtag von NordrheinWestfalen zu einem rationalen Arbeitsstil zurückkehren – gerade bei diesen schwierigen Themen. Lassen Sie von CDU und FDP diese Shownummern sein!

Ich lege Ihnen ans Herz, diesen Antrag einfach zurückzuziehen. Wir brauchen ihn nicht. Alles, was darin steht, haben wir bereits in Auftrag gegeben. Wir haben es schon vor vier Wochen beschlossen. Lassen Sie uns an die Arbeit gehen. Als Nächstes ist erst einmal die Landesregierung am Zug, die uns ihre Ergebnisse vorlegen wird. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Asch. – Für die Landesregierung erhält jetzt Herr Minister Laschet das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Anlass ist ein ernster. Ich denke allerdings nicht, dass man es als blanken Populismus bezeichnen darf, wenn Fraktionen beantragen, dieses Thema im Landtag zu behandeln, selbst wenn der Landtag vor 28 Tagen schon einmal einen Beschluss dazu gefasst hat. Es ist meines Erachtens kein Populismus, wenn Fraktionen neue konkrete Forderungen einbringen und sagen: Der Landtag und die Ausschüsse müssen sich mit diesem Thema beschäftigen; wir müssen vielleicht noch schneller sein, als wir vor 28 Tagen beschlossen haben.

Frau Asch, Sie haben die Menschen im Lande beschrieben. Sie haben gesagt, in einem solchen Moment gebe es viele Gefühle; es würden Blumen niedergelegt; gerade in diesem Moment wollten die Menschen solche Anträge nicht. – Ich glaube, dass die Menschen gerade dann wollen, dass sich die Politik diesem Thema intensiver widmet, als sie es nach ihrem Eindruck bisher getan hat. Die Menschen erwarten nicht, dass die Politik dann nur Blumen niederlegt und Reden hält, anstatt an konkreten Themen zu arbeiten. – Das war die erste Bemerkung.

Zweite Bemerkung: Man sollte sich nicht hierhin stellen und sagen, wir sind eigentlich ganz toll; die anderen, die beiden Antragsteller, missbrauchen das Thema. – Ich will Ihnen weitere Ausführungen dazu ersparen, weil die Debatte über dieses Thema nicht zu Polemik Anlass gibt.

Allerdings waren beispielsweise die Erklärungen, die Frau Altenkamp abgegeben hat, bevor der Landtag sich überhaupt mit diesem Thema beschäftigt hat, schon sehr populistisch.

(Britta Altenkamp [SPD]: Ich habe nicht da- mit angefangen!)

Sie hat der Öffentlichkeit zum Beispiel gesagt, die neue Landesregierung habe bei Amtsübernahme die sechs von der alten Regierung gestarteten Projekte eingestellt. Damit ist in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt worden, diese Landesregierung nähme dieses Thema nicht mehr so wichtig.

Das Gegenteil ist aber der Fall. In Bezug auf die sechs Projekte, die gut waren – ich lobe sie auch allenthalben; sogar bei Frau von der Leyen habe ich gelobt, dass die alte Regierung sie initiiert hat –, haben wir gesagt: Wir müssen sie an den

34 Standorten fortsetzen und das sogar flächendeckend machen.

(Beifall von der CDU)

Wenn dann die Überschrift lautet, Schwarz-Gelb habe Frühwarnsysteme eingestellt, ist das ein viel schlimmerer Populismus – zumal es falsch ist – als das, was wir heute hier diskutieren.

Ein weiterer Punkt: Frau Kraft verkündet der Öffentlichkeit, jetzt müssten wir den Familien das Kindergeld kürzen. In diesem Zusammenhang nimmt sie das finnische Beispiel. Allerdings müsste auch eine Fraktionsvorsitzende einer Oppositionsfraktion des Landtages wissen, welcher Unterschied zwischen Finnland und Deutschland besteht. Bei uns kann man das Kindergeld nun einmal nicht so leicht kürzen und einfach sagen: Bevor das Kindergeld ausgezahlt wird, musst du bitte dein Vorsorgeuntersuchungsheft vorlegen!

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Altenkamp?

Ja. Nachdem ich diesen Gedanken mit dem Kindergeld zu Ende gebracht habe, kann Frau Altenkamp fragen.

Gut. Geben Sie mir dann bitte einen Hinweis.

So funktioniert das bei uns eben nicht. Unser Kindergeld ist an das Steuersystem geknüpft. Bei uns bekommen diejenigen, die keinen Steuervorteil haben, als Ausgleich ein Kindergeld ausgezahlt. Die hier betroffenen Familien bekommen übrigens in der Regel nicht einmal Kindergeld, sondern Sozialgeld. Dort müsste man wiederum andere Mechanismen einsetzen.

An dieser Stelle lautet meine Frage an Frau Kraft, ob sie meint, dass jeder, der sein Hartz-IV-Geld abholt, demnächst mit dem Vorsorgeheft kommen soll, damit man prüfen kann, dieses Sozialgeld den Familien, die die Vorsorgeuntersuchungen nicht wahrnehmen, zu kürzen. Wollen Sie das wirklich?

Solche populistischen Vorschläge gibt es – auch in Unionsreihen. Von einer Oppositionsführerin im nordrhein-westfälischen Landtag, die vor 28 Tagen noch mit beschlossen hat, einen anderen Weg zu gehen, könnte man allerdings etwas mehr Seriosität erwarten – auch in einem Moment, in

dem so schreckliche Ereignisse wie in Bremen passiert sind.

(Beifall von der CDU)

Gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage?

Ja.

Bitte schön, Frau Altenkamp.