Anstatt uns dafür zu kritisieren, sollten Sie uns loben, aber zumindest die Chance nutzen, in eine produktive Debatte darüber einzutreten. – Ich bedanke mich.
(Beifall von CDU und FDP – Barbara Stef- fens [GRÜNE]: Dann sagen Sie, wem Sie das Geld wegnehmen wollen!)
(Minister Eckhard Uhlenberg: Das kann der ja! – Gegenruf von Rainer Schmeltzer [SPD]: Sagen Sie das mal laut!)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Uhlenberg, vielen Dank für die Bemerkung „Das kann er ja!“ – Das stimmt.
„Deutschland. Ein Sommermärchen“ ist ein super Film von Sönke Wortmann mit guter Regie und erstklassigen Schauspielern, weil sie eine Inszenierung ehrlich darstellen.
Derzeit steht dagegen im Programm: Ein Sozialphantom geht in Deutschland um – von und mit Jürgen Rüttgers,
ein Drama, eine Komödie oder doch nur ein schlechtes Schauspiel, um eventuell einen der vielen Preise zu erhaschen.
Erfahrene Kritiker sprechen schon von einer denkbar schlechten Inszenierung – so unter anderem die Herren Alt und Rürup. In einer Ihrer letzten Nebenrollen hier im Haus im Jahre 2002, Herr Rüttgers,
stellten Sie einmal ein Zehn-Punkte-Programm auf. Da lasen wir unter fünftens: geringere Lohnanhebungen. – Spricht so ein sich zur Tarifautonomie bekennender Arbeiterführer?
Unter siebtens stand: Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenlegen. – Da hatten Sie wohl Ihre realpolitische Phase.
Auch wenn ich die Reihenfolge durchbreche, lasen wir unter sechstens: Arbeitslosengeld auf zwölf Monate befristen, um die Anreize zur Arbeitsaufnahme zu erhöhen.
Im Rahmen der Hartz-IV-Gesetzgebung kamen die uns allen bekannten „Rollen Rüttgers“: Ja zu Hartz IV, Nein zu Hartz IV, Änderungen bei Hartz IV. Auf Bundesebene waren Sie eher ruhig und sagten erst einmal Ja, um dann sofort nach der Entscheidung auf einmal eine Generalrevision zu fordern. Die Kameras und die Zeitungsmacher waren Ihnen dankbar: Endlich gab es einmal einen Aufmüpfigen in der Union, auch wenn es Ihnen nur um die Schlagzeile ging.
Aber wie sahen denn diese Schlagzeilen aus? Der kalkuliert Unscharfe; „Kölner Stadtanzeiger“ vom 09.12.2004: „Der Zauderer vom Rhein“; „Rheinische Post“ vom 10.08.2004: „Rückzieher, dein Name ist Rüttgers“, um hier nur einige zu zitieren. Das gelingt Ihnen. Aber am Ende werden Sie den Deckel für das Sauerbier bezahlen, das Sie den Menschen auftischen. Die Menschen erkennen Sie, sie erkennen die „Rolle Rüttgers“.
Ihre Populismusstrategie ist zu offensichtlich: Sie wollen diejenigen mit längeren Arbeitslosengeld-IZahlungen belohnen, die sehr lange und ununterbrochen eingezahlt haben. Dann kam Ihr Generalsekretär mit den Parteifreunden aus Berlin, Stuttgart und Hannover im Schlepptau und sagte: Wenn es denn sein muss, dann aber kostenneutral. – Es kostet aber sehr wohl – Kollegin Löhrmann ist bereits darauf eingegangen –, nämlich
1,2 Milliarden €: 700 Millionen € für die Ausweitung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I und weitere 500 Millionen € durch die Anhebung des Schonvermögens. 1,2 Milliarden € mindestens – die Bundesagentur rechnet sogar mit rund 1,5 Milliarden € zusätzlich. Sie, Herr Ministerpräsident, wollen mit diesen Vorschlägen eine enorme Bürokratie aufbauen. Was Sie vorschlagen, ist ein Gerechtigkeitsabbau- und ein enormes Bürokratieaufbaugesetz.
1,2 Milliarden € Umschichtung bedeutet: Sie müssen abkassieren bei den jungen Arbeitslosen, bei den unter 50-Jährigen, bei Frauen, die wegen der Kindererziehung oder der Pflege von Angehörigen ihre Erwerbstätigkeit unterbrochen haben, bei Beschäftigten im Saisonarbeitsbereich, bei Arbeitnehmern, die einmal oder mehrmals ihren Job verloren haben, bei denen, die einmal als Freiberufler gearbeitet haben, bei denjenigen, die einmal einen Minijob hatten, bei denen, die einmal umgeschult haben, bei denjenigen, deren Betrieb pleitegegangen ist. Dazu schweigen Sie, Herr Ministerpräsident. Das geht auch Ihren Unionskollegen mittlerweile auf die Nerven, die sich für Ihre populistische Politik rechtfertigen müssen.
Deshalb sagt Ihr Kollege Oettinger zu Recht: „Linke Tasche, rechte Tasche“! – Kauder: „Keine ehrliche Debatte“! – Wulff: Man müsse der Union sagen, worauf es ankomme, und nicht sagen, was ankomme. – Jens Spahn, stellvertretender Vorsitzender der Jungen Gruppe in der CDU/CSUBundestagsfraktion: „Wenn wir eine Umverteilungspolitik zulasten der Jüngeren machen, ist das nicht meine Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit.“ – Ihr Kollege Wolfgang Böhmer: Jüngere gegen ältere Arbeitnehmer auszuspielen sei in seinen Augen nicht gerecht.
Und was, Herr Ministerpräsident, sagt die Wirtschaft? DIHK-Chef Braun äußert am 7. November in der „Rheinischen Post“ unter der passenden Überschrift „Rüttgers ist von gestern“ – Zitat –:
„Eine längere Auszahlungsdauer wird die Arbeitslosigkeit tendenziell erhöhen und die Praxis der Frühverrentung wieder aufleben lassen.“
Aber das alles, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition und Herr Ministerpräsident, interessiert Sie nicht. Sie interessiert nur die Schlagzeile. Sie machen den älteren Arbeitslosen Hoffnung, sie bekämen zukünftig länger Arbeitslosengeld. Fakt ist – wie es das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bereits ermittelt hat –, dass 17.000 Arbeitslose über 55 Einbußen hinnehmen müssen. Bereits heute hat über die Hälfte der Jobsuchenden über 55 einen Anspruch auf 18 Monate Arbeitslosengeld. Nach Ihrem Modell, das entsprechende Leistungen nach 25 Beitragsjahren vorsieht, würde der Kreis der Berechtigten auf 40 % zusammenschrumpfen. Das ist Gerechtigkeit, wie Sie sie definieren.
Die Finanzierung – das Thema des heutigen Tages! Herr Henke, Thema verfehlt! Sie haben dazu gar nichts gesagt. Herr Stahl sagt: Das Finanzierungskonzept liegt in der Schublade.
Dann legen Sie es doch offen, damit die Menschen endlich die ganze Wahrheit kennen lernen! Dazu sind Sie verpflichtet, Herr Ministerpräsident!
Es war in diesem Zusammenhang schon interessant, am letzten Sonntag „Westpol“ zu sehen. Auf die Frage von Herrn Brand „Wie wollen Sie das alles finanzieren?“ lautet die Antwort des Ministerpräsidenten – ich zitiere –: „Wir haben von Anfang an gesagt, dass die Geschichte aufkommensneutral diskutiert wird.“ Herr Ministerpräsident, auf die Frage nach dem Wie die Aufkommensneutralität als Blaupause zu nennen ist unredlich und gehört sich nicht für einen solchen Vorschlag!
Herr Ministerpräsident, legen Sie die Gegenfinanzierung offen! Oder haben Sie den Schlüssel für die von Herrn Stahl genannte Schublade schon verloren, oder ist er erst gar nicht da? Die Wahrheit ist doch: Sie wollen nicht sagen, wen es trifft.
Frau Präsidentin! Herr Schmeltzer, Sie haben von einem Stück, von einer Generalprobe gesprochen. Ich muss Ihnen sagen: Für Ihren Auftritt und für die Vorstellung, die Frau Kraft und Herr Dieckmann in den vergangenen Wochen abgeliefert haben, kann die SPD inzwischen Eintritt verlangen. Das war nämlich eine Tragikomödie.
Regen Sie sich doch nicht so auf! Ich habe doch noch gar nicht angefangen. – Da war zum einen die Debatte über die Unternehmensteuerreform.
Kommen Sie doch einmal zur Ruhe! – Da gibt es in Berlin nun zaghafte Schritte in Richtung einer Verbesserung der Standortbedingungen unserer Unternehmen. Zaghafte, zögerliche Schritte, die noch nicht einmal den Entlastungsimpuls bringen, den wir brauchen, um zu mehr Beschäftigung insbesondere im Mittelstand zu kommen! In diese Diskussion schaltet sich die NRW-SPD mit dem Hinweis ein, man dürfe angesichts fragwürdiger Entscheidungen einzelner Unternehmen insgesamt nicht zu einer Entlastung kommen. – War das nur Unverständnis, wie Herr Steinbrück vermutet hat? Oder war das nicht eher Populismus?