Protokoll der Sitzung vom 15.11.2006

Ich beantrage, die Forderungen 1 bis 3 und die Forderung 4 im Beschlussteil unseres BenQAntrag getrennt abzustimmen, weil die Forderung 4 das beinhaltet, was die Landesregierung als ihr Handeln dargestellt hat. Es wäre ein Signal an die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, an ihre Familien und damit auch an Siemens, BenQ und die Region, wenn wir alle der Forde

rung 4 gemeinsam zustimmen würden. – Danke schön.

(Beifall von CDU und GRÜNEN)

Danke schön, Frau Gödecke. – Gibt es dazu eine Gegenrede? – Das ist nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung. Ich lasse erstens über den Antrag der SPD-Fraktion Drucksache 14/2867 in der geforderten Art und Weise abstimmen.

Wer den Forderungen 1 bis 3 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit sind diese Forderungen mit den Stimmen von CDU und FDP gegen die Stimmen von SPD und Grünen abgelehnt.

Wer der Forderung 4 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. –

(Oh-Rufe von der SPD)

Wer ist dagegen? – Damit ist auch diese Forderung mit der Mehrheit der Regierungsfraktionen abgelehnt.

Ich komme zur Gesamtabstimmung über den Antrag Drucksache 14/2867. Wer ist dafür? – Wer ist dagegen? –

(Zuruf von der SPD: Nur noch peinlich!)

Damit ist der Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt.

Ich komme zweitens zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 14/2932. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? –

(Oh-Rufe von CDU und FDP)

Damit ist der Antrag mit großer Mehrheit angenommen.

Wir kommen drittens zur Überweisung des Antrags der Fraktion der SPD Drucksache 14/2869. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Wirtschaft, Mittelstand und Energie – federführend –, den Hauptausschuss sowie den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales zur Mitberatung. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dieser Überweisungsempfehlung folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? –

Damit ist die Überweisung mit großer Mehrheit beschlossen.

Ich rufe auf:

4 Gesetz zu dem Vertrag zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein – K.d.ö.R. –, dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe – K.d.ö.R. – und der Synagogen-Gemeinde Köln – K.d.ö.R.

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 14/2863

erste Lesung

Zur Einbringung des Gesetzentwurfs erteile ich für die Landesregierung Herrn Minister Breuer das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Als der Philosoph Ernst Bloch nach einer langen Flucht Ende der 30erJahre endlich in Amerika sicher war, schrieb er dort folgende berührenden und berühmten Worte:

„Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfasst und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“

Daran mussten wir denken, als wir vor wenigen Tagen den 60. Geburtstag unseres Landes gefeiert haben. Denn die Nordrhein-Westfalen sind solche arbeitenden und schaffenden Menschen und haben eine stabile Demokratie begründet. Deshalb ist Nordrhein-Westfalen über 18 Millionen Menschen – Einheimischen und Zugewanderten – Heimat geworden. Daher fühlen sie sich hier wohl und leben gerne hier.

60 Jahre NRW erinnert uns aber auch daran, der Existenz dieses demokratischen, stabilen und schönen Landes ging ein mörderischer Krieg und – viel schlimmer und beschämender – der millionenfache industriell betriebene Mord an Menschen jüdischen Glaubens voraus.

Diesem staatlich verordneten und von vielen Menschen bereitwillig mitgetragenen Zivilisationsbruch haben viel zu wenige etwas entgegenge

setzt. Zugleich hat der Holocaust das Bewusstsein dafür geschärft, wie eng das jüdische Leben im Besonderen und das Leben in Deutschland – und in Nordrhein-Westfalen – im Allgemeinen miteinander verbunden sind; denn Auschwitz steht für die Vernichtung des Judentums und dafür, dass von den Deutschen die gesamte europäische Kultur selbst radikal infrage gestellt, ja verneint wurde.

Umso mehr freut es mich, dass jüdisches Leben wieder seinen festen Platz in Nordrhein-Westfalen hat. Wir können uns noch sehr gut daran erinnern, dass die CDU-Fraktion im Jahr 2003 einen Antrag in den Landtag eingebracht hat mit dem Ziel, das jüdische Leben stärker zu unterstützen. Es ist erfreulich, wenn wir sehen, wie sich die jüdischen Gemeinden allein in den vergangenen 16 Jahren entwickelt haben. Damals, im Jahr 1990, zählten die jüdischen Gemeinden nämlich knapp 5.000 Mitglieder. Heute sind es mehr als 31.000. Wir haben starke, lebendige jüdische Gemeinden. Sie sind aus unserem Land nicht mehr wegzudenken.

Als Paul Spiegel im September vergangenen Jahres Herrn Ministerpräsident Rüttgers das alles berichtete, konnte dieser seine Freude darüber spüren. Doch spielte auch die Sorge eine Rolle in seinen Gedanken, denn mit den Gemeinden wachsen auch die Herausforderungen. Die meisten neuen Mitglieder sind Zuwanderer, sprechen häufig kein Deutsch und tun sich, nicht zuletzt weil sie häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen sind, oftmals schwer mit ihrer Integration oder der ihrer Kinder.

Wir halten es deshalb für eine Selbstverständlichkeit, dass wir trotz der schwierigen Haushaltslage unsere Leistungen an die jüdischen Gemeinden deutlich erhöhen werden. Wir entsprechen damit auch einer Bitte von Paul Spiegel. Es freut uns, dass wir mit diesem Staatsvertrag die jüdischen Gemeinden auf ihrem Weg zu mehr Selbstständigkeit unterstützen können.

Wir stehen aber noch vor einer zweiten, ungleich größeren Aufgabe. Ich halte es für einen lange Zeit nicht vorstellbaren Vertrauensbeweis für unser Land, dass Menschen jüdischen Glaubens nach Deutschland – nach Nordrhein-Westfalen – einwandern, um hier ihre Heimat zu finden. Ich finde, das sollte uns freuen. Aber unsere Geschichte müssen wir weiterhin als Verpflichtung begreifen, und diese Verpflichtung müssen wir weitergeben.

Unser Land ist sich dessen bewusst. Wie kein Ministerpräsident vor ihm hat sich Johannes Rau für den jüdisch-christlichen Dialog stark gemacht. Wir

werden dieses Erbe hochhalten und leisten mit diesem Staatsvertrag einen wichtigen Beitrag. Wir werden damit hoffentlich dazu beitragen, dass möglichst viele Mitglieder der jüdischen Gemeinden die Erfahrung machen können, die sich Ernst Bloch so sehr gewünscht hat, nämlich Heimat zu erfahren.

Mit dieser Bitte verbinde ich auch den Wunsch auf eine schöne, fundamentierte und wirklich breit getragene Debatte über diesen Staatsvertrag. Ich bedanke mich dafür, dass wir diese Debatte in den Ausschüssen fortsetzen können. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Allgemeiner Beifall)

Danke schön, Herr Minister Breuer. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Frau Apel-Haefs.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es vorweg zu sagen: Die SPDFraktion wird dem Gesetzentwurf zu dem Gesetz zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und den jüdischen Kultusgemeinden in Nordrhein-Westfalen zustimmen, selbst wenn er heute erst in erster Lesung beraten wird. Wir bewegen uns dabei in der Tradition unserer Zustimmung zu dem Grundvertrag aus dem Jahre 1992 und zu seinen Veränderungen in den Jahren 1997 und 2001. Auch die finanzielle Unterstützung der jüdischen Kultusgemeinden ist Teil der politischen Zusammenarbeit und der sonstigen vielfältigen kulturellen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Beziehungen, die seit vielen Jahren, ganz besonders seit der Zeit von Johannes Rau, das gute, vertrauensvolle Verhältnis zwischen NordrheinWestfalen und Israel prägen.

Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal daran erinnern, dass 1987 der Landtag als erstes Länderparlament die Deutsch-Israelische Parlamentarische Gesellschaft gründete und 1988 eine Resolution für die weitere Unterstützung von Israels Aufbauleistungen unterzeichnete.

So hatte auch der Staatsvertrag von 1992, über dessen Änderung wir heute in erster Lesung beraten, das Ziel, die jüdischen Gemeinden in Nordrhein-Westfalen bei der Betreuung und Eingliederung ihrer besonders nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ständig wachsenden Zahl von Gemeindemitgliedern zu unterstützen. Es ist schon gesagt worden: Heute leben über 30.000 Juden in Nordrhein-Westfalen. Das ist fast ein Drittel aller in Deutschland lebenden Juden. Neue

Synagogen sind entstanden – auch ein Stück alltägliche Normalität.

Dennoch darf ich an dieser Stelle Bundespräsident Horst Köhler zitieren:

„Es gibt Worte, an denen scheiden sich die Geister, wenn sie auf das jüdische Leben in unserem Land bezogen werden – das Wort ‚Normalität’ zum Beispiel oder ‚Selbstverständlichkeit’.“

Dieses Zitat stammt aus einer Rede anlässlich der Eröffnung der neuen Synagoge in München, die auch als weiterer Schritt in Richtung Normalität gefeiert wurde. Aber 1.500 Polizisten waren aufgeboten worden, um den Festakt, an dem 250 Gäste teilnahmen, zu sichern. Auch das eine normale Vorsichtsmaßnahme – war doch ein geplanter Anschlag anlässlich der Grundsteinlegung vor drei Jahren gerade noch rechtzeitig verhindert worden.

Der gestiegene Finanzbedarf der jüdischen Gemeinden, dem der vorliegende Gesetzentwurf mit zusätzlichen 2 Millionen € Rechnung trägt, ist mitnichten nur der steigenden Anzahl von Gemeindemitgliedern geschuldet, sondern vor allem auch den zunehmenden Kosten für Sicherheitsmaßnahmen, die die jüdischen Gemeinden demnächst selbst aus diesem Budget zu finanzieren haben.

Meine Damen und Herren, erst letztes Wochenende hat die NPD provozierend selbstbewusst in Berlin – in „ihrer Reichshauptstadt“ – getagt. Seitdem überschlagen sich wieder die Überlegungen, auf welchem Wege man doch noch ein Verbot dieser Partei erreichen könne. Egal zu welchen Ergebnissen diese Überlegungen gelangen, eines ist klar: Gesinnung lässt sich weder verordnen noch verbieten. Die jüngste Studie der FriedrichEbert-Stiftung zum Thema Rechtsradikalismus macht erschreckend deutlich, dass gerade eine rechtsextreme Gesinnung weit über rechtsextremistisch identifizierbare Parteien und Bewegungen hinaus in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen ist – in Ostdeutschland besonders, aber nicht nur dort.

Tiefgreifende soziale Umbrüche, zunehmender Vertrauensverlust in demokratische Institutionen und Partizipationsdefizite sind nur einige, aber entscheidende Ursachen dafür. So können wir uns auch in Nordrhein-Westfalen nicht mit dem Hinweis darauf beruhigt zurücklehnen, dass rechtsextremistische Parteien bei uns meilenweit von der parlamentarischen Beteiligung entfernt sind. Grundlagen für rechtsextremes Gedankengut gibt es auch hier. Die Tendenz rechtsextremistisch motivierter Straftaten ist steigend.

Meine Damen und Herren, im Jahre 2003 haben alle Fraktionen des Landtags einen gemeinsamen Entschließungsantrag verabschiedet – „Jüdisches Leben in Nordrhein-Westfalen – Mehr Wissen, mehr Vertrauen“ –, in dem sie sich verpflichtet haben, dem jüdischen Leben in NordrheinWestfalen wieder zur Normalität zu verhelfen. Die, wie ich finde, beeindruckende Diskussion, die damals stattgefunden hat, muss weitergeführt sowie Erreichtes und Nichterreichtes daraufhin überprüft werden, was zu verbessern ist.

Ich bin überzeugt davon, dass die Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf wiederum in großer Einmütigkeit der Parteien erfolgen wird, und ich wünsche mir das ebenso bei zukünftigen Diskussionen über Rechtsextremismus und die Sicherung jüdischen Lebens in NordrheinWestfalen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Danke schön, Frau Kollegin. – Herr Jostmeier hat nun für die CDU-Fraktion das Wort.