Protokoll der Sitzung vom 15.11.2006

Danke schön, Frau Kollegin. – Herr Jostmeier hat nun für die CDU-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer hier im Landtag von Nordrhein-Westfalen! Das Wesentliche, was zur Begründung dieses Staatsvertrages und zur Zustimmung auch der CDU-Fraktion zu diesem Vertrag zu sagen wäre, ist bereits von Ihnen, Herr Minister, und auch von Ihnen, Frau Apel-Haefs, gesagt worden. Ich will auf Wiederholungen verzichten und mich auf Folgendes konzentrieren.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat sich mit Vertrag vom 1. Dezember im Jahre 1992 erstmalig verpflichtet, jüdische Kultusgemeinden in Nordrhein-Westfalen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen. Ich will noch einmal die Dimension deutlich machen, wie sich das jüdische Leben in Nordrhein-Westfalen in den letzten 15, 20 Jahren entwickelt hat: Vor 16 Jahren, Ende des Jahres 1990, wohnten hier 4.847 Mitglieder von jüdischen Gemeinden, während es heute – Sie, Herr Minister, haben es auch gesagt – weit mehr als 30.000 sind und jährlich etwa 1.200 hinzukommen.

Ich möchte an dieser Stelle sagen: Wir sollten dankbar dafür sein, dass sich nach dem, was wir in der deutschen Geschichte erleben mussten, so viele Menschen gerade auch als Zuwanderer bei uns in Deutschland wieder ansiedeln und Heimat finden wollen. Wir sollten gemeinsam dazu beitragen, dass sie sich auch wohlfühlen dürfen und

wohlfühlen können. Das kann nicht oft genug betont, gerade vor dem Hintergrund dessen, was Sie, Frau Apel-Haefs eben in Bezug auf die NPD sagten.

Es kann auch nicht oft genug wiederholt werden, dass die Menschen wissen: Die deutsche und die europäische Kultur, die deutsche und die europäische Geschichte wären in den letzten 1.000 Jahren ohne die jüdische Kultur und Geschichte nicht denkbar. Sie war über Jahrhunderte auch ein Teil der deutschen Kultur.

Deshalb stimmt auch die CDU-Fraktion diesem Staatsvertrag mit den angepassten finanziellen Hilfen zu. In der Vergangenheit sind bereits im Jahre 1997 und dann im Jahre 2001 die finanziellen Leistungen des Landes Nordrhein-Westfalen angepasst worden. Vor allen Dingen vor dem Hintergrund der starken Zuwanderung – das ist bereits gesagt worden – wird jetzt eine erneute Anpassung auf 7 Millionen € vorgenommen, und zwar bereits mit Wirkung für das Jahr 2006.

Meine Damen und Herren, ein Punkt ist mir auch noch wichtig, weil das Problem in der Tagesdebatte häufig vorgetragen wird und wir uns damit zu beschäftigen haben: Die jüdischen Gemeinden in Nordrhein-Westfalen erbringen mit der Eingliederung der häufig noch nicht einmal Deutsch sprechenden Zuwanderer jüdischen Glaubens in den deutschen Kulturraum eine ganz besonders anerkennenswerte Integrationsleistung, die wir nicht hoch genug einschätzen können.

Zum Schluss möchte ich darauf hinweisen, meine Damen und Herren, dass auch die jüdischen Gemeinden trotz der Erhöhung einen Sparbeitrag zur notwendigen Haushaltskonsolidierung dadurch erbringen, dass sie sich demnächst an der Finanzierung und dem Kauf von Friedhofsflächen, bei der Übernahme von Kosten für das Sicherungspersonal der Gemeinden und bei den notwendigen Renovierungen für die Synagogen zu beteiligen haben. Das ist in den Protokollvermerken festgehalten worden.

Dadurch bewirken wir gleichzeitig, dass ein jahrelanger Streitpunkt zwischen den Kommunen und den jüdischen Gemeinden, wer denn nun für die Kosten der Sicherung der Gebäude aufzukommen habe, nicht nur entschärft, sondern bis zum Jahre 2012 keiner mehr sein wird. Die Regierungen haben sich in dem Staatsvertrag darauf verständigt, diese Regelung erst bis 2012 wirksam werden zu lassen, weil man dann jeweils flexibel auf die neuen Bedürfnisse, die dort stattfinden, reagieren kann.

Meine Damen und Herren, ich werbe gerne für diesen Staatsvertrag – nicht zuletzt deshalb, weil ich auch zweimal die Erfahrung machen durfte, dass ein Telefonanruf genügt hat, um jüdische Gemeinden in Nordrhein-Westfalen dazu zu bewegen, bestimmten sich in Not befindenden Gruppen – ich denke jetzt aber auch an einen konkret Fall von Studenten, die ein bestimmtes Projekt zu fördern hatten – auch finanziell unter die Arme zu greifen. Das heißt, man reagiert dort dankenswerterweise sehr flexibel.

Auf den gemeinsamen Antrag vom Juli 2003, meine Damen und Herren, ist von beiden Vorrednern bereits hingewiesen worden. Wir haben uns in diesem von allen vier Fraktionen getragenen Antrag damals verpflichtet, jüdisches Leben in Nordrhein-Westfalen wieder zur Normalität werden zu lassen und für diese Normalität werbend zu unterstützen. Wir tun mit diesem Staatsvertrag nichts anderes, als dieser Verpflichtung nachzukommen.

Wir stimmen selbstverständlich zu. – Herzlichen Dank.

(Beifall von CDU, FDP und GRÜNEN)

Danke schön, Herr Jostmeier. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Frau Löhrmann.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In der Tat, die Beiträge meiner Vorrednerinnen und Vorredner machen es deutlich: Es ist gute und auch richtige Tradition in diesem Hause, dass wir so wesentliche Fragen wie das jüdische Zusammenleben gemeinsam regeln. Auch wenn es in diesem Hause über vieles Streit gibt – das gehört zur Demokratie –, gibt es erfreulicherweise manchmal sehr großen Konsens. Dieses Thema zählt dazu.

Vor diesem Hintergrund überrascht es Sie nicht, dass auch meine Fraktion die Fortentwicklung des Staatsvertrages begrüßt, der das Miteinander zwischen dem Land und den jüdischen Gemeinden regelt, und es für angemessen hält, hier eine Fortentwicklung vorzunehmen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte wie Herr Jostmeier und Frau ApelHaefs sagen: Es ist wichtig, dass wir den interfraktionellen Antrag von 2003 haben, weil wir an solchen Beispielen immer wieder merken, wie wichtig es ist, uns unserer besonderen Verantwortung aufgrund dessen, was wir im letzten Jahr

hundert angerichtet haben, bewusst zu werden. Wir müssen immer wieder deutlich machen, dass uns der Holocaust dauerhafte Mahnung ist.

Dass wir das braune Gedankengut leider noch nicht verbannt und noch nicht überwunden haben durch Bildungsarbeit, durch geschichtliche Aufklärung, durch Austausch der Menschen, mahnen uns Erfolge rechtsextremer Parteien in den Landtagen. Das zeigt uns, dass das keine Aufgabe ist, wo man irgendwann sagen kann: Wir können jetzt zur Normalität übergehen.

Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass man das an solchen Tagen immer wieder festhält, und dass wir uns alle gemeinsam erinnern, wie notwendig es ist, hier die Gemeinsamkeit der Demokraten hochzuhalten und zu pflegen. Dazu gehört aus Sicht meiner Fraktion – auch von mir persönlich –, dass es diesen Konsens auch in Wahlkampfzeiten geben sollte und dass wir alle nicht auf Stimmenfang gehen sollten bezogen auf rechtsextreme Parteien, weil das ganz entscheidend ist für die Demokratie in unserem Land, die wir aufgerufen sind zu festigen.

Meine Damen und Herren, ich will einen letzten Punkt ansprechen: das jüdische Leben. Es ist erfreulich, dass Synagogen neu entstehen. Ich habe die bewegende Einweihung der bergischen Synagoge miterlebt. Das ist ein Zeichen, dass jüdisches Leben wächst und wir von einer Renaissance des Judentums sprechen können. Auch dem trägt natürlich der fortzuentwickelnde Staatsvertrag Rechnung. Wir begrüßen das ausdrücklich. Das beschämende Element – darauf haben Sie auch hingewiesen –, wie viel Sicherheit erforderlich ist, zeigt, dass wir hier noch eine gewaltige Zukunftsaufgabe gemeinsam zu bewältigen haben. Meine Fraktion wird das positiv begleiten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Löhrmann. – Für die FDP spricht nun Frau Freimuth.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Viel Gutes und Richtiges ist zu diesem Gesetzentwurf zu dem Staatsvertrag gesagt worden. Es wird Sie sicherlich nicht verwundern, dass auch wir das begrüßen. Wir gehen noch in die Ausschussberatungen, aber wir werden dem selbstverständlich zustimmen.

Wir haben in diesem Haus in der Tat einen großen Konsens in dieser Frage gehabt. Ich habe

deswegen in der vergangenen Woche, als ich anlässlich der Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht die Ehre hatte, den Landtag von Nordrhein-Westfalen zu vertreten, gesagt: Jüdisches Leben ist in Nordrhein-Westfalen willkommen. Mit diesem Staatsvertrag setzen wir ein sehr deutliches Zeichen, dass dem tatsächlich so ist.

Vieles haben wir nach wie vor noch auf der Wegstrecke zu leisten. Die Umfrage der FriedrichEbert-Stiftung ist schon angesprochen worden. Es hat mich sehr betroffen gemacht, dass man in eine solche Umfrage überhaupt die Frage aufnimmt, ob jüdisches Leben in der Bundesrepublik Deutschland zu viel Einfluss hätte. Allein diese Frage fand ich erschreckend – aber noch mehr hat mich bestürzt, dass 18 % unserer Bevölkerung die Frage bejaht haben.

Da stimme ich den Vorrednerinnen und dem Vorredner ausdrücklich zu: Diese menschenverachtende, intolerante Gesinnung werden wir nicht mit Verboten verhindern und bekämpfen können, sondern da müssen wir als Demokraten insgesamt, vielleicht viel offensiver als wir das bisher getan haben, den politischen Diskurs suchen und auch nicht die Argumentation scheuen. Wir haben die besseren Argumente. Wir müssen uns mit Argumenten dieser dumpfen Angstmacherei, diesem Verunsicherung bringenden Dahergefasel und diesen platten Parolen entgegensetzen. Denn wir haben nach dem, was 1933 und in den Folgejahren und mehr noch nach 1938 passiert ist, sicherlich nicht davon ausgehen können, dass sich jüdisches Leben in der Bundesrepublik Deutschland so entwickeln würde, wie es sich Gott sei Dank entwickelt hat.

Das, was die jüdischen Gemeinden in NordrheinWestfalen und in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt an Leistungen, an gesellschaftlichem Beitrag geleistet haben – das Thema Integration der zugewanderten Menschen aus Osteuropa ist schon angesprochen worden –, ist eine enorme Herausforderung für diese jüdischen Gemeinden, weil sich die Sprachdefizite, die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe, aber auch massive soziale Friktionen in den Gemeinden ausgewirkt haben.

Das, was die jüdischen Gemeinden hier an Integrationsleistung zum Wohle unserer gesamten Gesellschaft erbracht haben, ist hoch achtenswert und hoch anerkennenswert. Deswegen finde ich es gut und richtig, dass wir diesen Weg gemeinsam bestreiten und begehen. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen und darauf, dass wir als Parlament in Nordrhein-Westfalen ganz deutlich

das Zeichen setzen: Jüdisches Leben ist in Nordrhein-Westfalen willkommen. – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Danke schön, Frau Kollegin. – Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 14/2863 an den Hauptausschuss. Wer diesem zustimmen mag, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist das einstimmig so beschlossen.

Wir kommen zu:

5 Bleiberechtsregelung: Endlich Rechtssicherheit für langjährig geduldete Flüchtlinge schaffen!

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 14/2717

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses Drucksache 14/2879

Wir beraten in Verbindung damit den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP, der mit Drucksache 14/2784 vorliegt.

Der Antrag wurde einschließlich des Entschließungsantrages gemäß § 79 Abs. 2 b vom Plenum an den Innenausschuss überwiesen mit der Bestimmung, dass eine Beratung und Abstimmung erst nach Vorlage einer Beschlussempfehlung erfolgt. Diese Beschlussempfehlung des Innenausschusses liegt nun mit Drucksache 14/2879 vor.

Ich eröffne die Beratung und gebe dem Herrn Kollegen Rudolph von der SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden heute nicht zum ersten Mal über dieses Thema. Es beschäftigt uns, muss man ja schon sagen, seit vielen Jahren. Deswegen muss man, wenn man über dieses Thema spricht, zuerst einmal selbstkritisch sein, weil sich die Politik vom Zuwanderungsgesetz ja feste Regelungen versprochen hat, transparente Regeln, die offensichtlich nicht funktioniert haben. Es liegt an den Parteien und vor allen Dingen auch an einer gewissen Blockade in der Innenministerkonferenz, dass wir bis heute keine

Altfallregelung haben, aber sie hoffentlich dann morgen bekommen.

Ich möchte zunächst einmal den Flüchtlingsinitiativen in unserem Land danken. Denn bei den vielen konkreten Fällen, die wir als Abgeordnete ja miterlebt haben, sind wir auch vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern – teilweise hauptamtlichen Helfern – in der Flüchtlingsberatung begegnet. Ohne das unglaublich große Engagement dieser Menschen, die sich wirklich sehr eingesetzt haben und zum Glück dabei fast immer das Rückgrat der Kirchen hinter sich hatten – deswegen will ich den Kirchen auch danken –, wäre nicht so viel für den gesellschaftlichen Frieden und für die innere Sicherheit in unserem Land erreicht worden, wie es eigentlich hätte möglich sein müssen,

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

wenn die Politik zu klaren Regelungen gekommen wäre.

Die Ausländerbehörden haben den teilweise etwas unklaren Regeln hilflos gegenübergestanden. Vielen kommunalen Ausländerbehörden kann man nur Dank zollen für die viele Arbeit und auch manchmal dafür, dass sie bestimmte Regeln im Sinne der Humanität ausgelegt haben. Auch deshalb gilt mein Dank den Ausländerbehörden, die sich hier anständig verhalten haben.

Ich habe – wie einige Kollegen vielleicht auch – vorgestern einen Brief aus der Justizvollzugsanstalt Büren bekommen. Da schreibt uns jemand, er sei seit dem 6. Juli 2006 in der Bürener Abschiebehaft inhaftiert, also inzwischen seit einigen Monaten. Er schreibt weiter – ich zitiere aus dem Brief –: Ich bin 20 Jahre alt und lebe seit meinem zweiten Lebensjahr in Deutschland. Meine Eltern stammen aus dem Libanon. Ich habe mich hier in Deutschland gut integrieren können, habe erfolgreich die Schule beendet und bin natürlich nicht vorbestraft.

Der sitzt in der Abschiebehaft in Büren. Für ihn kommt offensichtlich, wenn man nicht aufpasst, die Regelung, die morgen oder übermorgen hoffentlich beschlossen wird, zu spät. Für mich ist es deswegen völlig unverständlich, dass sich ein Innenministerium in Nordrhein-Westfalen, geführt von einem sogenannten liberalen Innenminister,