Protokoll der Sitzung vom 16.11.2006

(Gisela Walsken [SPD]: Ihre Politik stimmt nicht, Frau Kollegin! Sie stimmt leider nicht!)

Man muss hier auch einmal feststellen dürfen, dass es einfach nicht seriös ist, jedes Jahr mehr Geld auszugeben, als man einnimmt. Die Ausgaben müssen sich vielmehr an den Einnahmen orientieren.

(Rüdiger Sagel [GRÜNE]: Dann machen Sie es doch! Ihr Haushalt ist verfassungswidrig!)

Ich bin schon ein bisschen enttäuscht darüber, dass in dieser Hinsicht die Realitätswahrnehmung so sehr selektiv ist. Dabei muss man innerhalb der Opposition auch tatsächlich unterscheiden. Denn von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sind Ansätze für eine Haushaltskonsolidierung gekommen, die man diskutieren kann. Zumindest leugnen sie den Sachverhalt nicht, dass man die Ausgaben auch an den Einnahmen orientieren muss.

Der Kollege Sagel hat hier gerade allerdings einige Äußerungen getätigt, die mich wiederum an seiner Realitätswahrnehmung zweifeln lassen. Denn dass ausgerechnet die FDP von Ihnen als Freund des subventionierten Steinkohlenbergbaus gescholten wird, überrascht mich schon. Wir sind von Ihnen in den letzten Jahren oft genug dafür beschimpft worden,

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

dass wir gegen den subventionierten Steinkohlenbergbau und gegen die immer weiter gehende Fortsetzung dieser Subventionen eingetreten sind. Ich sage das an dieser Stelle noch einmal unmissverständlich: Die FDP steht für den Ausstieg und das Auslaufen des subventionierten Steinkohlenbergbaus. Ich habe nichts gegen den Steinkohlenbergbau; wenn er seinen Markt findet und seine Technologien entwickelt, kann er munter weiter arbeiten. Nur kann es nicht sein, dass die Solidargemeinschaft der Steuerzahler dafür sämtliche Risiken trägt, und zwar sowohl die wirtschaftlichen Risiken als auch die Risiken der infolge dieser Abbautechnologie entstehenden Bergschäden, Altlasten und alles, was damit zusammenhängt.

(Ralf Witzel [FDP]: Ganz genau!)

Das muss ich an der Stelle klipp und klar sagen.

Wenn Sie dann davon sprechen, wir würden eine kinderfeindliche Politik betreiben, dann darf ich Sie doch darauf hinweisen, welche Investitionen – das ist jetzt natürlich der untechnische Investitionsbegriff – mit dem Haushalt 2006 in die Bereiche Ausbildung und Bildung unserer Kinder und Jugendlichen geflossen sind.

(Rüdiger Sagel [GRÜNE]: Rinder statt Kin- der!)

Ich würde Sie bitten, dass Sie über diesen Vorwurf noch einmal gründlich nachdenken.

(Rüdiger Sagel [GRÜNE]: Was ist denn mit der Landwirtschaftskammer?)

Sie haben nämlich in den zehn Jahren, in denen Bündnis 90/Die Grünen gemeinsam mit der SPD die Regierungsverantwortung getragen haben, zugelassen, dass das Bildungs- und Ausbildungsniveau unserer Kinder und Jugendlichen systematisch von Jahr zu Jahr heruntergegangen ist und wir heute erhebliche Defizite zu beklagen haben.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sagel zu?

Danke, im Augenblick nicht.

Ich will nur auf drei Aspekte hinweisen, was den eigentlichen Nachtragshaushalt angeht; denn viele Debatten haben wir ja an anderer Stelle schon geführt.

Mit diesem Nachtragshaushalt ist eine Verbesserung einer immer noch schwierigen Situation zu verzeichnen. Wir haben in der Tat Steuereinnahmen, die höher ausfallen, als sie prognostiziert worden sind und als sie in dem Einnahmetitel des von uns verabschiedeten Haushalts 2006 auch veranschlagt wurden.

Ich sage an dieser Stelle: Mir ist es allemal lieber so herum, als das zu erleben, was wir in den letzten Jahren Ihrer Regierungsverantwortung immer wieder zu verzeichnen hatten. Seinerzeit sind nämlich auch Nachtragshaushalte auf den Tisch dieses Hauses gelegt worden, bei denen allerdings regelmäßig weniger Steuereinnahmen zu verzeichnen waren und mehr Schulden beantragt wurden.

Sie haben dann in voller Kenntnis einer konjunkturell schwierigen Situation Ihr Ausgabeverhalten nicht so angepasst, wie es notwendig gewesen wäre. Das ist sicherlich eine grundsätzliche Problematik unseres gesamten Haushaltsrechts; das will ich gerne eingestehen. Deswegen müssen wir an der Stelle auch darüber nachdenken, Veränderungen vorzunehmen. Wir haben nämlich, was das kamerale System der Ausgaben angeht, keine ausreichende Überwachung im Hinblick auf die Liquiditätsentwicklung.

Wir haben auch viele Problematiken, die sich erst durch nachgelagerte Abrechnungsverfahren – Länderfinanzausgleich, Gemeindefinanzierungsausgleich und diese Dinge – entwickeln und die es oft schwer machen, tatsächlich auf den einzelnen Euro zu beziffern, wie tatsächlich die Einnahmen sind.

Wenn hier vorhin angeführt wurde – die Kollegin Walsken hat darauf hingewiesen –, dass die Einnahmen zum 31.10.2006, wenn ich es richtig notiert habe, um 2 Milliarden € höher sind – ja, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, das sind in weiten Teilen Vorauszahlungen,

(Widerspruch von Gisela Walsken [SPD])

von denen wir noch nicht wissen, ob sie hinterher tatsächlich beim Fiskus verbleiben. Wir hatten doch vor einigen Jahren die Problematik in den Haushalten, dass wir aufgrund von Veränderungen auf Bundesebene Millionen Euro an Körperschaftsteuern an Unternehmen zurückerstatten mussten. Das hat sich in unserer Kasse dann mit zeitlicher Verzögerung ausgewirkt.

(Rüdiger Sagel [GRÜNE]: Eben!)

Das ist alles zugestanden. Aber das ist genau die Systematik, weshalb man an der Stelle nicht – das ist einfach nicht seriös und lauter – von den tatsächlichen Steuereinnahmen zum 31.10. ausgehen kann. Wir müssen damit rechnen, dass es in den verbleibenden Monaten immer noch Risiken gibt und sich aus Abrechnungen noch Probleme ergeben. Deswegen würde ich mich darüber freuen, wenn wir in diesem Hause den Konsens finden würden

(Rüdiger Sagel [GRÜNE] meldet sich zu ei- ner Zwischenfrage.)

Herr Kollege Sagel, ich sehe das wohl, möchte aber diesen Gedanken zu Ende führen –, die Einnahmen eher zurückhaltend und vorsichtig anzusetzen und uns nachher lieber im positiven Sinne überraschen zu lassen, dass wir weniger Kredite aufnehmen müssen, als wir an Kreditermächtigung haben, oder dass wir dahin kommen – das ist mein Ziel –, überhaupt keine Schulden aufzunehmen. Wir sollten uns eben nicht darüber Gedanken machen, wie wir das Geld, wenn wir es haben, unter den Fingern juckend, wieder ausgeben, sondern daran denken, dass wir Schulden abbauen müssen und wollen.

(Beifall von FDP und CDU)

Das halte ich für den wichtigsten Beitrag im Interesse von nachfolgenden Generationen, im Interesse von Generationengerechtigkeit und damit

auch im Hinblick auf eine Politik für unsere Kinder und Jugendlichen.

Ich darf Ihre Aufmerksamkeit noch auf einen weiteren Punkt lenken, die notwendigen Mehrausgaben des Landes Nordrhein-Westfalen. Wir haben mit dem Nachtragshaushalt 10 Millionen € notwendige Mehrausgaben für die Prozesskostenhilfe zu verzeichnen. Es ist eine Entwicklung, die wir seit vielen Jahren beobachten müssen, dass wir bei der Prozesskostenhilfe weiter steigende Ausgaben haben. Das Gleiche erleben wir bei den Betreuungskosten. Es lassen sich sicherlich auch noch einige andere Bereiche anführen. Aber ich möchte bei der Prozesskostenhilfe für eine Initiative der Landesregierung Nordrhein-Westfalen werben.

Die Gewährung des effektiven Rechtsschutzes auch durch das Instrumentarium der Prozesskostenhilfe ist gerade für uns Liberale unabdingbar. Wir wollen jedermann den gleichen Zugang zu den Gerichten ermöglichen. Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir müssen uns etwas intensiver mit der Frage auseinandersetzen, ob wir die Bedürftigkeitsprüfung gründlicher durchführen und hier auch zu anderen Kriterien kommen sollten. Wir müssen auch darüber nachdenken, ob wir nicht die Möglichkeit schaffen sollten, Ratenzahlungen, die es heute schon gibt, auch länger als 48 Monate laufen zu lassen.

Und wir müssen uns damit auseinandersetzen, ob wir nicht zu einer Veränderung der Mutwilligkeitsprüfung kommen sollten. Dabei sage ich ausdrücklich: Es geht nicht darum, den effektiven Rechtsschutz in irgendeiner Form einzuschränken.

Es gibt noch einen weiteren Punkt, mit dem wir uns intensiver auseinandersetzen müssen, nämlich ob wir dem Antragsteller der Prozesskostenhilfe insbesondere in Fällen des Teilobsiegens nicht zumuten können und müssen, das, was er im Prozess erworben hat, für die Deckung der Prozesskosten einzusetzen. Hier gibt es eine objektive Benachteiligung derjenigen Prozessführenden, die keine Prozesskostenhilfe beziehen, gegenüber den Prozesskostenhilfeempfängern. Hier müssen wir, glaube ich, auch nachjustieren.

Bei allem berechtigten Interesse an den Steuereinnahmen will ich darauf hinweisen, dass wir uns auch mit den Blöcken der permanent anfallenden notwendigen Mehrausgaben, die wir in jedem Nachtragshaushalt zu verzeichnen haben, etwas intensiver auseinandersetzen müssen und auch aus haushalterischer Sicht die Notwendigkeit von

materiellen Veränderungen brauchen. – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Für die Landesregierung hat Herr Dr. Linssen noch einmal das Wort. Bitte, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist hoch interessant, manchmal sogar amüsant, die Debatte zu verfolgen. Ich glaube, das geht vielen Kolleginnen und Kollegen auch so.

Herr Sagel, wenn ich mir die Deckungsvorschläge anschaue, die Sie eingebracht haben – Sie haben sich im Frühjahr darauf bezogen, dass Sie 300 zusätzliche Steuerprüfer einstellen und die Kohlesubventionen schneller herunterfahren wollen –, muss ich sagen: Solche Deckungsvorschläge sind einfach nicht seriös und nicht brauchbar. Sie wissen das ganz genau. Ich weiß zwar auch, welche Methoden eine Opposition gebrauchen muss, um vielleicht ein bisschen zurechtzukommen.

(Zuruf von der SPD: Ach was! – Carina Gö- decke [SPD]: Alles eigene Erfahrung!)

Aber überlegen Sie einmal, dass Sie diejenigen waren, die in der vorigen Koalition das schrödersche Modell der Kohlesubventionen bis 2012 festgezurrt haben, dass wir die Subventionen jetzt herunterfahren wollen und dass Sie auf einmal, seitdem Sie in der Opposition sind, befinden: Jetzt müssen wir viel schneller aus den Kohlesubventionen heraus und machen einen Deckungsvorschlag. – Herr Sagel, das nimmt Ihnen nun wirklich keiner mehr ab.

Die Zuschauer auf den Tribünen müssen bei Ihren Ausführungen ja kirre werden. Zuerst klagen Sie uns an, dass wir zu viele Schulden machen würden und der Haushalt nicht verfassungsgemäß sei.

(Rüdiger Sagel [GRÜNE]: Das ist so!)

Dann fordern Sie, dass wir möglichst überall Geld ausgeben sollten, weil irgendwo Interessengruppen und auch Bedürftige sagen: Wir könnten eigentlich mehr Geld aus dem Landeshaushalt gebrauchen.

(Rüdiger Sagel [GRÜNE]: Sie geben das Geld an den falschen Stellen aus!)

Das glaubt Ihnen keiner. Sie waren im Frühjahr auf einem guten Weg, als Sie Ihre Kommission

eingesetzt und gesagt haben: Wir wollen haushalts- und finanzpolitische Kompetenz zurückgewinnen. – Leider haben Sie den Weg um des billigen Populismus willen aufgegeben, hier eine Nummer abzureißen, wie Sie das gerade getan haben.

(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Was heißt „zu- rückgewinnen“? – Ralf Witzel [FDP]: Über- haupt erst gewinnen! – Gegenruf von Hans- Willi Körfges [SPD]: Sie dürfen auch im Ste- hen applaudieren!)