„Zum Beispiel haben auch die USA und Italien, die bei Pisa nicht gut abschneiden, Gesamtschulen. Eine Debatte über die Gesamtschule drängt vielmehr die Themen in den Hintergrund, über die nach Pisa gesprochen werden muss: den Unterricht, die Lehrerbildung, die Leseförderung.“
„Mir fehlen einfach die Belege dafür, dass nur ein anderes Schulsystem Besserung und mehr Gerechtigkeit bringt.“
Das hat Herr Prenzel im August vergangenen Jahres in einem Interview der „Zeit“ gesagt. Guter Unterricht, meine Damen und Herren, ist also der Schlüssel. So ist es fast schon zu einem Running Gag geworden, dass man Bildungsreformen allein damit in Gang bringt, indem man ein Türschild an einer Schule verändert.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Aktuelle Stunde hat ein schönes Thema und einen schönen Titel. Aber für die CDU und die FDP steht nach den bisherigen Wortbeiträgen offensichtlich ein anderer Aspekt im Vordergrund: der Leistungsunterschied zwischen Schülern an Gesamtschulen und Schülern an Gymnasien.
Tatsächlich gibt es diesen Unterschied – und zwar nicht erst seit gestern. Bereits 1998 hat die damalige Landesregierung Maßnahmen zur Qualitätssicherung eingeführt und gehandelt
und den Landtag sowie die Schulöffentlichkeit entsprechend informiert. Offensichtlich greifen diese und andere Maßnahmen der damaligen Landesregierung mittlerweile,
denn die Qualitätsunterschiede zwischen Gesamtschülern und Gymnasiasten sind bei den aktuellen Probeklausuren gering: Sie liegen im Bereich von knapp einem Punkt, also einer Drittelnote, zwischen Befriedigend minus an Gymnasien und Ausreichend plus bei Gesamtschulen. Einigen Vertretern von CDU und vor allem von der FDP scheint dieses Ergebnis jedoch nicht in den Kram zu passen.
Anders kann ich mir die Reaktion auf die Pressekonferenz des Ministeriums jedenfalls nicht erklären. Ich kann mir gut vorstellen, dass Ihnen speziell dieses Ergebnis nicht in den politischen Kram passt.
Denn dass Gesamtschulen gute Leistungen bringen könnten, ist offensichtlich speziell für die FDP ideologisch völlig ausgeschlossen. Aber wer die ideologische Brille ständig auf hat, verliert eben ab und an den Blick für die Realität.
Für die Abteilung Ideologie von CDU und FDP kommt es noch dicker: Die Unterschiede zwischen Gesamtschülern und Gymnasiasten sind nicht etwa nur gering; sie sind nach Ansicht des Ministeriums sogar nachvollziehbar und erklärbar.
Meine Damen und Herren, es gibt so unstreitig gute und schlechte Gesamtschulen, wie es gute und schlechte Gymnasien gibt.
Aber es gibt keinen Grund, pauschal und beständig Gesamtschulen abzuwerten, wie Sie es immer wieder machen.
Ganz im Gegenteil: Trotz der Zusammensetzung der Schülerschaft der Gesamtschulen, der um den Faktor drei höhere Anteil von Migrantenkindern an Gesamtschulen im Vergleich zu Gymnasien und der bewussten Absage an die Philosophie des Abschulens erreichen die Gesamtschulen – vielleicht aber auch gerade wegen dieser Aspekte – einen Notenschnitt, der nur gering von dem Ihrer Freunde an Gymnasien abweicht. Nehmen Sie das bitte doch endlich einmal zur Kenntnis.
Im Übrigen sind die Ergebnisse der Probeklausuren kein Einzelfall. Auch die Ergebnisse der Abiturnoten weisen nur geringfügige Unterschiede auf, liegen zum Beispiel beim Abitur 2005 zwischen 2,64 Durchschnittsnote an Gymnasien und 2,84 Durchschnittsnote an Gesamtschulen.
Selbst wenn man also die Qualität einer Schule nur an den Notenschnitten messen wollte, das von Ihnen politisch gewünschte Ergebnis kommt dabei jedenfalls nicht heraus.
Denn was bedeuten die festgestellten Notenunterschiede? Ist die Schule die beste, in der die besten Ergebnisse im Abitur erreicht werden? Ist das katholische Hildegardis-Gymnasium für Mädchen das beste Gymnasium in Duisburg, während das Gymnasium in einem sozial problematischen Stadtteil in Duisburg das schlechteste ist? Abiturschnitt 2,46 im Vergleich zu 2,96. Ist eine solche verengte Betrachtung der Leistung von Schulen gerecht? – Ich denke, nein.
Jeder Fachmann weiß: Kinder aus bildungsfernen Schichten zu höheren Schulabschlüssen zu führen, ist eine schwierige Aufgabe. Wir sollten diesen Schulen, und zwar allen, dankbar sein, dass sie diese schwierige Aufgabe übernehmen und ganz oft mit viel Engagement und Herz ausfüllen.
Die durchschnittliche Abiturnote ist sicherlich ein wichtiger Indikator für die Leistungsfähigkeit von Schulen. Das ist keine Frage. Aber es gibt noch weitere Indikatoren. Aspekte wie die Zusammensetzung der Schülerschaft, der Anteil bildungsferner Elternhäuser oder des lokalen Umfelds nehmen neben dem Notenschnitt eine wichtige Rolle bei der Bewertung einer Schule ein. Für uns Sozialdemokraten ist die beste Schule die, die ihre Kinder und Jugendlichen am besten fördert, und nicht automatisch die, die sich aus einem großen Kuchen die besten Rosinen aussucht.
Kommen wir am Schluss zu den angeblichen Privilegien der Gesamtschulen. Darüber haben wir heute schon einiges gehört. Deshalb will ich das nur in Kurzform ansprechen.
Die Ausstattung der Oberstufen an Gesamtschulen und Gymnasien ist identisch. In der Sekundarstufe I haben wir unterschiedliche Ausstattungen, und zwar aufgrund von Bestimmungen der KMK.
Bei den Klassenfrequenzwerten hat die Gesamtschule das Privileg der höchsten Frequenzen. Die Klassenfrequenz liegt dort im Durchschnitt bei 28,2. Im Vergleich dazu liegt sie bei den Gymnasien bei 28,1, bei den Realschulen bei 27,7 und bei den Hauptschulen bei 22,4.
Über die Schulleitungsentlastungen haben wir gestern mehrfach diskutiert. Auch wenn Sie es noch so oft und noch so dreist behaupten, Schulleitungen an Gesamtschulen werden nicht übermäßig von ihrer Unterrichtsverpflichtung befreit. Ich habe gestern schon darauf hingewiesen: Bei den Hauptschulen gibt es 3,18 % Entlastungsstunden, an den Realschulen 2,96 % und bei den Gymnasien 2,27 %. Die Gesamtschule liegt mit 2,70 % der Lehrerwochenstunden genau in der Mitte. Damit ist diese Argumentation sicherlich hinfällig geworden. Dabei muss man aber zugestehen, dass die Berufskollegs mit 1,80 % aus dem Rahmen fallen. Hier wäre es geboten zu handeln, nicht aber bei den Gesamtschulen.
Ich möchte noch einen Satz sagen zu dem Verhalten des leider jetzt abwesenden Finanzministers in der gestrigen Fragestunde. Das war ein
Verhalten, das aus meiner Sicht unverschämt und eine Brüskierung des Parlaments war. Wer sich hier hinstellt und erklärt, es wäre ausreichend, wenn die Öffentlichkeit über Medien über die Sparpläne der Landesregierung informiert wird, der verkennt die Informationspflicht der Landesregierung gegenüber dem Parlament und die Stellung des Landtags als Haushaltsgesetzgeber.
Mit keinem Satz geht die Landesregierung auf die anstehenden Kürzungen im Bereich der Gesamtschulen ein, weder im Haushaltsentwurf noch im Erläuterungsband. Das ist ein ganz klarer Verstoß gegen den Grundsatz von Haushaltswahrheit und -klarheit. Vor diesem Hintergrund war das Verhalten des Finanzministers Linssen gestern einfach nur unwürdig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Diskussion heute Vormittag miterlebt hat, wenn man gestern bei der Fragestunde dabei war, wenn man die Schulausschusssitzung der letzten Woche erlebt hat und wenn man die vielen Diskussionen in der Öffentlichkeit verfolgt hat, hat man den Eindruck, als läge heute eine Vorlage auf dem Tisch, die die Abschaffung aller Gesamtschulen zum 1. Advent vorsieht, die Versetzung des kompletten Personals an die städtische Müllabfuhr und die rückwirkende Aberkennung aller Gesamtschulabschlüsse der letzten 25 Jahre.
Meine Damen und Herren, das ist aber doch wirklich nicht das, worum es hier geht. Wir reden über eine Aktuelle Stunde, wir sprechen über das Thema „Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen – Für Qualitätsverbesserungen in einem fairen Wettbewerb aller Schulformen!“.