Protokoll der Sitzung vom 16.11.2006

Sie sind in der Regierung. Sie sind auch nicht mehr „die neue Regierung“. Sie sind eineinhalb Jahre dran. Sie haben mehr Verantwortung – ich nehme Frau Sommer ein wenig aus; das sage ich ganz ehrlich –, als Sie heute in den Debattenbeiträgen gezeigt haben. Deswegen kann das so nicht weitergehen.

(Vorsitz: Vizepräsident Edgar Moron)

Noch ein Wort zum ländlichen Raum, weil ich den Kollegen Dr. Hachen dort hinten sehe und weiß, meine Kollegin Frau Dr. Seidl hat ihre Kinder in seinem Kreis in der Gesamtschule und sagt immer wieder: eine hervorragende Schule. Für den ländlichen Raum ist eine Schule in der Form – wie Sie das Kind nennen, ist mir doch ganz egal – an vielen Stellen die einzige Chance, auf längere Sicht ein vernünftiges Angebot in Ortsnähe vorzuhalten.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ich habe, bevor ich nach Aachen zurückgegangen bin, in Kalletal in Lippe-Ostwestfalen gelebt. Wir haben darum gekämpft, überhaupt noch eine Realschule in der Gemeinde zu haben, weil alles abzog: nach Rinteln, nach Niedersachen, nach Lemgo. Vor diesem Hintergrund sind diese Schulen doch in einer kleineren Form eine Chance, ein Bildungsangebot für Kinder zur Verfügung zu stellen, ohne dass sie eine Stunde mit dem Bus hin- und eine Stunde zurückfahren müssen – und das bei zwölf Jahren Schulzeit.

Ich weiß doch, was meine Kinder leisten müssen. Ich habe den Eindruck, ihre Belastungen durch Schule – auch bei Abitur nach 13 Jahren; das trifft auf meine Kinder zu – sind heute höher als unsere früher,

(Heike Gebhard [SPD]: Das ist richtig!)

wenn ich sehe, wie viele Stunden die arbeiten müssen, und die Fahrstrecken im ländlichen Raum kommen hinzu. Deswegen ist die Schule dort eine Chance.

Ich kann nur an Sie alle appellieren: Lassen Sie uns schauen, dass wir aus diesen Schützengräben, die niemandem nützen, herauskommen und in eine Debatte eintreten! Die SPD soll auf Ihrem Parteitag Ergebnisse bringen. Dann treten Sie in den Wettbewerb ein. Laufen Sie nicht den Bildungstaliban der gelben Fraktion hinterher, sondern gehen Sie in einen vernünftigen Diskurs mit allen anderen!

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Priggen. – Für die FDP-Fraktion spricht der Abgeordnete Witzel.

(Ewald Groth [GRÜNE]: Jetzt kommt der Traumatisierte!)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was die Oppositionsfraktionen vortragen, ist schon ein biss

chen verrückte Welt. Wenn man in die Presselandschaft von gestern schaut, habe ich gerade exemplarisch einen Artikel in der „Westfalenpost“ gefunden:

„NRW-SPD will das gegliederte Schulsystem abschaffen. Parteichef Dieckmann: Ziel ist … Gesamtschule/Rüttgers: Keine neue Strukturdebatte.“

Das ist die Gefechtslage zwischen der Opposition und der Koalition der Erneuerung. Frau Beer unterlässt es bei keiner Gelegenheit – Sie haben es auch heute wieder getan –, bewusst eine Politik gegen Hauptschüler zu betreiben.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Quatsch!)

Hier und überall sonst sagen Sie öffentlich: Ihr habt sowieso keine Chance, wenn ihr euch dort anmeldet. Das ist der Weg in die Sackgasse. – Sie reden eine Schulform und die Schüler, die die Schule besuchen, schlecht, spielen sie gegen andere aus. Das ist nicht in Ordnung für das Klima und eine sachliche Debatte.

Wir wollen unideologisch, aber ehrlich diskutieren. Deshalb geht es uns nicht darum, eine Schulform abzuschaffen. Anders als in Ihren Medienveröffentlichungen finden Sie von niemandem in FDP oder CDU eine Aussage zur Abschaffung von Gesamtschulen, aber sehr wohl zur Reform im Interesse von Schülern, um zu höherer Leistung zu kommen und mehr Effizienz im System zu erreichen.

(Beifall von der FDP)

Deshalb muss die Frage erlaubt sein, meine Damen und Herren von der Oppositionsbank, warum sich bei verschiedensten Untersuchungen in Folge derartig schlechte Ergebnisse für die Schulform gezeigt haben, die über den höchsten Ressourceneinsatz verfügt, ob das fair ist, wenn man das mit anderen Schulformen – und ihren Schülern – vergleicht, und dem Wettbewerb dient.

Uns geht es um Fairness und Gleichberechtigung im Wettbewerb. Ziel einer Schule darf es nicht sein, eine Notenillusion zu verbreiten und sich daran messen zu lassen, wie viel Stücke Papier man verteilt, auf dem irgendetwas Schönes steht, sondern zu welcher Leistung die Absolventen befähigt werden, welche Chancen sie danach im Beruf haben und wie sie ihr weiteres Leben meistern können. Das sind die Anforderungen.

Wir müssen auch über Privilegien reden: das vorgezogene Anmeldeverfahren, das Ganztagsprivileg, der 20 %ige Stellenzuschlag für Gesamtschulen, oftmals einhergehend bei dieser noch jungen

Schulform mit der besten sächlichen Ausstattung, was die Gebäude anbelangt. Das sind viele Vorteile gegenüber anderen Schulformen, die in der Vergangenheit gerade nicht dafür gesorgt haben, dass auf Augenhöhe konkurriert wurde. Deshalb sagen wir als Koalition der Erneuerung: Die Rücknahme von Privilegien ist für sich genommen noch keine Benachteiligung, sondern eine Frage der Fairness gegenüber allen.

(Beifall von der FDP)

Sie haben, Frau Ministerin a. D. Schäfer, noch während Ihrer Amtszeit selber Entsprechendes bezüglich der Entwicklung der Stärken von Gesamtschuloberstufen einräumen müssen. In Ihrem Bericht steht dazu: Mehr als die Hälfte der Abiturjahrgänge an Gesamtschulen verfügt nicht mehr über die gesetzlich vorgeschriebene Schülerzahl von 42, um einen neuen Jahrgang zu eröffnen.

Deshalb hat sich auch der Landesrechnungshof dieses Themas angenommen und in einem bemerkenswerten Bericht aufgezeigt, wie Gesamtschulen mit Ressourcen überausgestattet sind, wie dort Funktionsstellen angesiedelt sind, ohne im Vergleich zu anderen Schulformen eine dem entsprechende Leistung zu bringen.

Das ist auch logisch, da nach Berichten, die uns noch Frau Ministerin a. D. Schäfer hinterlassen hat, die am häufigsten auftretende Stärke von Abiturjahrgängen an Gesamtschulen unter 30 Schülern pro Jahrgang beträgt, die zweithäufigste unter 40, die dritthäufigste unter 50. Wenn man das mit dem Gymnasium vergleicht, ist doch klar, wie wenig an Betreuung hier von Funktionsstellen, von Oberstufenkoordinatoren, in Relation zu anderen übernommen wird. Das ist im Wettbewerb nicht fair.

Deshalb sorgen wir dafür, dass alle Schulen mit den gleichen Ressourcen ausgestattet werden, um auf Augenhöhe agieren zu können, und wir damit den im letzten Bericht des Landesrechnungshofs formulierten Anforderungen Rechnung tragen.

Der Landesrechnungshofsbericht ist auch deshalb lesenswert, weil er die Antwort auf die Frage gibt, …

Herr Kollege.

… wie denn trotzdem all die Minikurse an Gesamtschulen erwirtschaftet worden sind. Das geschah, indem an Gesamtschulen in der Sekundarstufe I bei Stellen gekürzt wurde,

die eigentlich für die bessere Förderung von Kindern gedacht waren.

Meine letzte Bemerkung, Herr Präsident, um die Frage zu beantworten, welche Verheimlichungen wir kritisiert haben. An Verheimlichung haben wir kritisiert, dass Arbeiten und Analysen zum Abiturtermin 2004, die im Sommer und Herbst 2004 durchgeführt wurden, von Ihnen in den Ordnern der Ministerien mit dem Datum 25. Mai 2005 hinterlassen worden sind. Ich glaube, am 22. Mai gab es ein bestimmtes Ereignis. -Ich danke Ihnen.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Witzel. – Für die SPD-Fraktion bittet der Abgeordnete Große Brömer um das Wort.

(Zuruf: Landesregierung!)

Für die Landesregierung hat sich niemand gemeldet. – Herr Kollege, seien Sie so freundlich und nehmen Sie noch einen Augenblick Platz. Ich höre gerade, dass die Landesregierung noch einmal das Wort wünscht. Es wäre gut, wenn man uns das vorher ankündigen würde, damit wir dem entsprechen können.

Bitte schön, Frau Ministerin, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Die SPD will die Kinder länger gemeinsam lernen lassen. Dies hat ihr Landesvorsitzender, Herr Dieckmann, in diesen Tagen erklärt. Die SPD wisse nur noch nicht, wie.

Ein Modell hat meine Kollegin, Frau Schäfer, bereits vorgestellt. Dieses Schäfer-Modell sieht vor, dass die drei bisherigen weiterführenden Schulformen – vielleicht auch nur zwei Schulformen oder keine – unter einem Dach zusammengeführt werden. Ob und wie die Schulformen zusammengeführt werden, soll allen Ernstes jede einzelne Kommune für sich entscheiden.

(Hannelore Kraft [SPD]: Dass Sie damit nicht leben können, ist mir schon klar!)

Dann hätten wir in Bonn vielleicht nur noch Gesamtschulen und in Düsseldorf ein gegliedertes System. Dem Schulgesetz sei Dank, dass ich als Mutter eines Grundschulkindes die Schule noch frei wählen kann.

(Hannelore Kraft [SPD]: Als Mutter können Sie gar nichts wählen!)

Wie ist es denn aber, wenn ich einen Umzug plane? Kann ich dann noch damit rechnen, dass

mein Kind kontinuierlich in derselben Schulform gefördert wird?

Entschiede sich die Stadt Dortmund dafür, die bisherigen Schulformen jeweils unter einem Dach zusammenzuführen, müssten alle Schulgebäude umgebaut werden. Die dadurch nötigen Mammutschulen haben wir bislang nicht. Wir bekämen mit dem Schäfer-Modell also ein gewaltiges Bauprogramm, über das sich die Bauwirtschaft sicher freuen würde. Wir bekämen mit dem SchäferModell darüber hinaus ein gigantisches SchülerUmzugsprogramm, um die Kinder neu auf die Schulen zu verteilen. Die Schülerinnen und Schüler hätten davon aber nichts. Sie hätten deshalb keine einzige bessere Unterrichtsstunde.

Offenbar hält auch Herr Dieckmann das SchäferModell für etwas wirr. Er hat jedenfalls eine andere Alternative benannt: die Gesamtschule.

Sehr geehrter Herr Priggen, sehr geehrte Frau Beer, ich möchte an dieser Stelle betonen: Die Gesamtschule ist ein in Nordrhein-Westfalen eingeführtes Angebot. Dabei bleibt es. Ich bin verantwortlich und ich fühle mich verantwortlich.

Wie bei allen anderen Schulformen gibt es gute und weniger gute Schulen. Das gilt auch für den Gesamtschulbereich. Im Durchschnitt ist die Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen jedoch nicht auf einem Leistungsniveau, mit dem sie als Modell für die anderen Schulformen herhalten kann. Das hat Herr Witzel in seinem Beitrag deutlich betont.

(Beifall von CDU und FDP)