Protokoll der Sitzung vom 16.11.2006

Das werfe ich Ihnen nach wie vor vor. Es ist nicht in Ordnung. Es ist unredliche Politik.

(Hannelore Kraft [SPD]: Warum haben Sie es in anderthalb Jahren nicht geschafft, das zu lösen?)

Es macht vielleicht Sinn, dass wir uns ansehen, welchen großen politischen Wurf die SPD jetzt auf ihrem Parteitag am Samstag anvisiert.

Vorab möchte ich sagen, was für uns wichtig ist. Ich halte wenig davon, es wie Frau Beer zu ma

chen, nämlich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Gesamtschulen zu glorifizieren und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Hauptschulen regelmäßig zu denunzieren und zu diffamieren.

(Beifall von CDU und FDP)

Das ist nicht in Ordnung, Frau Beer. Es ist eigentlich auch nicht Ihr Stil.

Unser Ziel ist – das sage ich ganz deutlich, da gibt es auch keinen Zweifel –: Die Gesamtschule ist Teil unseres mehrgliedrigen Schulsystems. Sie ist als ergänzende Schulform anerkannt. Wir wollen nicht, dass sie ersetzende Schulform für das gesamte Schulsystem ist.

Da unterscheiden wir uns offensichtlich von der SPD, die sagt: Wir schaffen die Hauptschulen ab. Wir schaffen die Realschulen ab, wir schaffen die Gymnasien ab. Nachweislich gibt es nur eine Schulform, die Sie von der SPD behalten möchten. Das ist die Gesamtschule. Das Verrückte dabei ist, dass Sie offensichtlich der Schulform die Zukunft zubilligen, die die schwächsten Leistungsergebnisse bringt. Das ist das Verrückte, was ich nicht verstehe.

(Beifall von der CDU)

Im übertragenen Sinne heißt das: Sie versuchen, mit dem lahmsten Gaul im Stall das Pferderennen zu gewinnen. Das wird nicht gelingen, meine Damen und Herren.

Wenn wir im Bildungswettbewerb in Deutschland versuchen, einen Spitzenplatz zu bekommen, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: Wir müssen besser werden, was die Leistungen angeht, um unseren jungen Menschen bessere Berufschancen zu geben; und wir müssen sozialer werden. Beides haben das bisherige System und 39 Jahre Rot beziehungsweise Rot-Grün nicht gebracht.

Wenn Sie künftig nur noch auf die Zerstörung des dreigliedrigen Systems und die Beibehaltung des Gesamtschulsystems setzen, dann – das prognostiziere ich Ihnen – werden Sie dieses Ziel nicht erreichen. Nebenbei: Damit werden Sie auch keine Wahlen gewinnen. Aber das müssen Sie selber erleben. Das ist mir egal.

Um eine moderne Schulpolitik zu gestalten – um es noch einmal zu betonen –,

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Enttäuschend, enttäuschend, Herr Kaiser!)

hilft es nicht, wenn wir die 60er- oder 70er-Jahre glorifizieren und fordern: Dahin müssen wir zurück. Das wird uns nicht weiterführen.

Das Konzept für eine moderne Schulpolitik ist das Konzept der individuellen Förderung. In Spuren wurde es ja sogar in den Ausführungen von Herrn Link deutlich. Herr Link hat ja einen richtigen Satz gesagt – hierin unterstütze ich ihn ausdrücklich. Er hat gesagt: Es gibt gute und schlechte Gesamtschulen, es gibt gute und schlechte Gymnasien. – Deshalb verstehe ich nicht, dass Sie überall von einem differenzierten Ansatz sprechen, aber bei der Gesamtschule pauschal alles als gut bezeichnen. Das ist ein Irrweg und eine ideologische Scheuklappe, die Sie nicht voranbringen werden.

(Beifall von CDU und FDP)

Wir brauchen klare Verantwortlichkeiten in der Bildungspolitik. Auch das formuliert die SPD ja in Ansätzen. Es ist ja richtig, die kommunalen Ebenen stärker einzubeziehen. Aber wir können nicht die Kommunen die Verantwortung in der Bildungspolitik übernehmen lassen. Das wäre ein Ignorieren der Verantwortlichkeit. Wir als Land sind dafür verantwortlich, dass unsere Schulen gut sind. Hier brauchen wir die Kommunen als guten Partner, aber wir können ihnen nicht den schwarzen Peter zuspielen. Das machen Sie aber mit Ihrem Ansatz.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Es ist wichtig, dass wir klare Verantwortlichkeiten haben und damit deutlich machen, dass wir als Land für die Qualität zuständig sind.

Wenn wir das umsetzen, was Sie fordern, dann werden wir ein riesiges Investitionsprogramm in den Kommunen auslösen. Aber diese Investitionen gehen in die falsche Richtung. Sie werden nämlich in Beton und nicht in Köpfe investieren, und das machen eben nur Betonköpfe. – Schönen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kaiser. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen für die Aktuelle Stunde mehr vor. Damit schließe ich die Aktuelle Stunde.

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, muss ich leider wieder einen unangenehmen Vorgang zur Sprache bringen. Der Abgeordnete Jäger hat in der gestrigen Debatte zur Bleiberechtsregelung im Redebeitrag des Ministers Laschet einen Zwischenruf getätigt. Der Abgeordnete Jäger hat auf die Ablehnung des Ministers La

schet, eine Zwischenfrage zuzulassen, „Feigling“ gerufen.

(Zuruf von der CDU: Pfui!)

Ich mache darauf aufmerksam, dass Abgeordnete aller Fraktionen schon einmal Zwischenfragen nicht zugelassen haben. Ich würde Sie deshalb nicht alle als Feiglinge bezeichnen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie diesen Begriff nicht mehr verwenden würden. Er entspricht auch nicht der parlamentarischen Ordnung. Ich muss Sie deshalb rügen.

(Beifall von CDU und FDP)

Ich rufe auf:

2 Der Klimaschutz ist eine zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 14/2873

Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Grünen-Fraktion Herrn Priggen das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir haben mit unserem Antrag eine aus meiner Sicht sehr aktuelle Debatte aufgegriffen, die im Moment tagtäglich in allen Medien nachzuvollziehen ist, ob es der Bericht des früheren Chef-Ökonomen der Weltbank, Stern, für die englische Regierung, der von Tony Blair bekannt gemacht wurde, die laufende Klimaschutzkonferenz in Nairobi oder – das kann ich Ihnen als Lektüre nur empfehlen – die „Zeit“ von heute mit einem breiten Bericht über dieses Thema ist. Das heißt, dieses Thema wird überall diskutiert.

Ich begrüße den Antrag der SPD-Fraktion, weil er eine gute Grundlage für eine qualifizierte Debatte bietet, die wir im Wirtschafts- und im Umweltausschuss dazu führen können. Ich hoffe, dass von den Kollegen der CDU und FDP auch noch etwas kommt, damit wir die Debatte breit anlegen können.

Der Hintergrund ist ernst genug. Die Klimasituation spitzt sich zu. Als Beispiel nenne ich die ppmKonzentration. Als in Rio de Janeiro, damals noch von Kanzler Kohl, Zusagen gemacht worden sind, dass sich Deutschland beteiligt, hatten wir eine Konzentration von 355 ppm. 1997 in Kyoto – dort ist man zum ersten Mal zu einem Vertragswerk gekommen – waren es 364 ppm. Im Jahre 2006

liegen wir bei 380 ppm. Dies ist eine Entwicklung mit außerordentlich schnell steigender Tendenz.

Ich könnte Ihnen nun viele Argumente vortragen, will aber nur wenige Zitate nennen, und zwar auch in Richtung der leider weitestgehend nicht anwesenden Kollegen von der CDU-Fraktion. Wir ringen ja immer wieder darum, ob das Problem tatsächlich ernst genommen wird. Ich könnte Ihnen auch Zitate des Kollegen Ellerbrock bringen, der hier ja immer wieder angezweifelt hat, ob man dieses Problem tatsächlich real erlebt. In einem Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD vom 8. November 2006, eingebracht im Deutsche Bundestag, steht – ich zitiere –:

„Es gibt keinen Zweifel mehr: Der vom Menschen gemachte Klimawandel findet unübersehbar statt und er beschleunigt sich. In den vergangenen beiden Jahren sind die CO²Emissionen weltweit stark angestiegen; gegenüber 1990 liegen sie nun nahezu um 27 % höher.“

Das ist die Position beider großen Fraktionen in Berlin.

Ein zweites schönes Zitat, das ich Ihnen nicht ersparen möchte, lautet:

„Für den Ausbau der erneuerbaren Energien hat sich bereits heute das Erneuerbare-EnergienGesetz (EEG) als geeignetes Förderinstrument bewährt.“

(Beifall von den GRÜNEN)

Hierzu gibt es die Zustimmung der CDU/CSUFraktion im Deutschen Bundestag. Ich komme darauf noch einmal zurück.

Der Erkenntnisstand beim Bund hat sich ja wesentlich erhöht. Wir haben ja immer wieder gesagt, dass wir in Europa und in der Bundesrepublik Deutschland Vorreiter sind. Wir sind nicht schlecht unterwegs – es sind sieben Jahre gute Politik im Bund gewesen –, aber wir sind bei Weitem nicht gut genug. Hierfür möchte ich nur zwei Beispiele anführen.

Die Automobilindustrie hat sich verpflichtet, ihren CO²-Ausstoß bis 2008 auf 140 g/km zu limitieren. Wir sind weit davon entfernt. Diese freiwillige Selbstverpflichtung – wir haben viele in der Art erlebt – trägt nicht, ist eine Mogelpackung. Die aktuellen Werte, also im Jahre 2006, liegen für BMW bei 192 g/km. Es ist völlig illusionär, dass sie den Wert von 140 g/km, zu dem sie sich mit verpflichtet haben, erreichen. Bei Daimler-Chrysler liegt der Wert bei 185 g/km und bei Volkswagen bei

159 g/km. Auch diese werden es bei Weitem nicht schaffen.

Soweit zur freiwilligen Selbstverpflichtung der Autoindustrie und soweit eine Mahnung an die Politik, dieses Instrument nicht zu überschätzen, sondern zu klaren gesetzlichen Verpflichtungen und Vorgaben zu kommen, damit die Firmen dann im Wettbewerb laufen können.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das zweite Beispiel betrifft die Kraft-WärmeKoppelung. Hier gab es die Selbstverpflichtung der Industrie, bis 2010 über Kraft-WärmeKoppelung, was die effizienteste Art ist, Strom und Wärme herzustellen, 23 Millionen t CO² einzusparen. Die Realität ist ein Stillstand im Ausbau. Das Ziel wird weit verfehlt.

Das heißt, die CO²-Belastungen in Deutschland steigen. Den Effekt, den wir durch den Zusammenbruch der Industrie in Ostdeutschland während der Wiedervereinigung hatten, ist aufgefressen. Die Belastungen steigen aktuell vor allem in der Energiewirtschaft. Auf dieses Thema kommen wir heute Nachmittag noch einmal zu sprechen. Die Frage ist, was die Landesregierung tut, was ihre Positionen sind.