Protokoll der Sitzung vom 20.12.2006

lege Engel in der zweiten Lesung, die Wohnraumüberwachung solle nur für absolute Notfälle im Gesetz verbleiben. Also kann sie anscheinend doch angewendet werden. Der Innenminister, der Verfassungsschutzminister, räumt immerhin ein – ich zitiere aus dem Protokoll der zweiten Lesung –, „dass es an dieser Stelle rechtliche Zweifel gibt“.

Weiter hat er uns im Plenum gesagt: „Wir sind aber noch nicht fähig und bereit, eine Vorschrift zu kreieren, die den Anforderungen tatsächlich genügt.“ Das ist es: Sie sind weder fähig noch bereit.

(Beifall von der SPD)

Das nenne ich nach wie vor liberale Innenpolitik auf Kreisliganiveau.

(Ralf Jäger [SPD]: Kreisliga 3!)

Damit stellen Sie sich das vierte politische Armutszeugnis in diesem Zusammenhang aus.

Meine Damen und Herren, der internationale Terrorismus ist und bleibt eine ernsthafte Bedrohung. Wir wollen ihn wirksam und nachhaltig bekämpfen. Aber nicht jedes Mittel ist uns recht. Zweck und Mittel stehen dann nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis, wenn die Freiheit dem Terrorismus scheibchenweise geopfert wird. Wenn dieses Gesetz Wirklichkeit wird, hat die sozialliberale Tradition des liberalen Rechtsstaats in Nordrhein-Westfalen eine ihrer wichtigsten Heimatländer verloren. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Schönen Dank, Herr Dr. Rudolph. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Frau Düker.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich zitiere aus der „taz“ von heute:

„Ich wehre mich gegen diese OnlineSchnüffelei. Das ist ein Graubereich zwischen Lauschangriff und Hausdurchsuchung. Es ist ein erheblicher Eingriff, wenn jemand sieht, welche Seiten ich angucke, welche Briefe ich geschrieben habe. Das ist nicht mit dem Rechtsstaat vereinbar.“

(Beifall von den GRÜNEN)

„Ingo Wolf tut hier in NRW etwas, was wir auf Bundesebene kritisieren.“

Das hat Gisela Piltz gesagt, Vorsitzende der Landesgruppe der nordrhein-westfälischen FDPBundestagsabgeordneten in Berlin.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Zweites Zitat:

„Wir sind nicht glücklich mit dem Gesetz. Die zusätzlichen Kompetenzen des Verfassungsschutzes, zum Beispiel auch zur Überwachung von Banken, halten wir für schlecht. Dass auch Privat-PCs durchsucht werden sollen, finde ich absolut nicht nachvollziehbar. Das ist keine liberale Politik – und kann den Terrorismus nicht bekämpfen. Ingo Wolf sollte dieses Gesetz so nicht verabschieden.“

(Beifall von den GRÜNEN)

Das hat Marcel Hafke gesagt, Vorsitzender der Jungen Liberalen in NRW.

Drittes Zitat:

„Das Gesetz ist weitgehender als der Lauschangriff. Über den Computer erfährt der Verfassungsschutz alles – über meine E-Mails, welche Internetseiten ich besucht habe, bei welcher Bank ich was buche. NRW schafft damit als erstes Land eine unglaubliche Ermächtigungsgrundlage für den Verfassungsschutz – und beachtet meines Erachtens nicht das Grundgesetz. Ingo Wolf sollte dieses Gesetz noch einmal überarbeiten. Sonst muss hinterher wieder das Bundesverfassungsgericht die Reißleine ziehen.“

So Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesjustizministerin a. D.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Nächstes Zitat:

„Es ist ein Fehler, dem Verfassungsschutz den Einblick in die Internetdateien eines Bürgers zu erlauben. Was Menschen am Computer aufschreiben, ist in vielen Fällen mit einem Tagebuch gleichzusetzen, das voller persönlicher Daten ist. Ich kann mir kaum vorstellen, dass ein Gesetz gelingt, das in diesem Punkt vor dem Verfassungsgericht Bestand hat. Ich rate Ingo Wolf sehr, seinen Vorschlag noch einmal zu überdenken.“

So Gerhart Baum, Bundesinnenminister a. D.

Diese Zitate, meine Damen und Herren, lassen sich fortsetzen. Vier Kronzeugen habe ich hier zitiert, deren Bewertung aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen ist.

Aber was sagt dies – und das ist eigentlich das Schlimme daran – über die Partei der FDP als Wächterin des Rechtsstaates aus? Meine Damen

und Herren, mit dieser Partei in der Regierung mache ich mir ernste Sorgen um den Rechtsstaat.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Lachen von FDP und CDU)

Die Bürgerrechte sind bei Ihnen eben nicht in guten Händen, Herr Innenminister. Der Rechtsstaat ist und bleibt in der Pflicht, Sicherheit und Freiheit gegeneinander abzuwägen und auch der Freiheit ihren Raum zu lassen. Genau diese Abwägung findet bei Ihnen nicht statt.

Kollege Rudolph hat von Liberalität auf Kreisliganiveau gesprochen. Ich finde da überhaupt keine Liberalität mehr.

(Zustimmung von Ewald Groth [GRÜNE])

Unsere Vorwürfe, die wir als Grüne in der ersten und in der zweiten Lesung definiert haben, halte ich weiter aufrecht:

Sie verletzen mit dem Hackerangriff den Kernbereichsschutz, die verfassungsrechtlich zugesicherte Privatsphäre.

Sie verletzen den Kernbereichsschutz und missachten die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, indem Sie den Lauschangriff nicht korrigieren und unverändert im Gesetz lassen.

Sie missachten die verfassungsrechtlich jedem Bürger zustehenden Verfahrensrechte, sich gegen Eingriffe des Staates zu wehren, indem Sie die Information der Betroffenen fast gar nicht mehr zulassen, sodass sie sich nicht dagegen wehren können.

Des Weiteren missachten Sie die drei Säulen unseres Rechtsstaates, die Gewaltenteilung, indem Sie eine justizielle Kontrolle, die bei Bürgerrechtseingriffen dieser Qualität notwendig ist, komplett ignorieren.

Wir halten unsere Vorwürfe aufrecht. Ich halte diesen Gesetzentwurf für verfassungswidrig und fordere Sie auf, wenigstens, wenn Sie schon nicht auf uns als Opposition hören, auf Ihre Parteifreunde zu hören, bei denen noch ein Funken von Liberalität im Kopf ist.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Danke schön, Frau Düker. – Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Engel.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Düker, Herr

Dr. Rudolph, Sie versuchen die Quadratur des Kreises.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Das versuchen doch Sie!)

Ich erinnere, Frau Düker, an die 13. Legislaturperiode. Da waren die Obleute des Innenausschusses in den USA. Wir haben uns dort – das war ein Schwerpunkt der Reise – speziell damit befasst, wie steganographische Nachrichten des internationalen islamistischen Terrorismus über das World Wide Web verbreitet werden, das heißt: wie Anweisungen, Befehle, Bauanleitungen etc. international, rund um den Erdball, kommuniziert werden.

(Monika Düker [GRÜNE]: Das geht nicht ü- ber das Internet, Herr Engel!)

Und dort haben wir auch gelernt, dass wir, um dieser asymmetrischen Bedrohung zu begegnen, sehender werden und auch für eine Lösung sorgen müssen. Nichts anderes machen wir. – Erste Bemerkung!

Sie beide ignorieren Experten, die in der Anhörung dezidiert gesagt haben: Der verfassungsrechtlich und obergerichtlich geschützte Wohnraum ist sakrosankt. Wörtlich: „Da hat der Staat nichts zu suchen.“ Wenn aber

(Zurufe von Dr. Karsten Rudolph [SPD] und Monika Düker [GRÜNE])

Frau Düker und Herr Rudolph, hören Sie doch einmal zu – dieser besonders geschützte Raum auch online – im World Wide Web – verlassen wird, greift der wirklich nicht mehr zu toppende Satz „Da hat der Staat im privaten Bereich nichts zu suchen“ nicht mehr. Dort haben Sie nämlich eine unbestimmte Öffentlichkeit.

(Monika Düker [GRÜNE]: Sie haben nichts verstanden! – Barbara Steffens [GRÜNE]: Nichts verstanden! – Zuruf von Dr. Karsten Rudolph [SPD])