Protokoll der Sitzung vom 14.07.2005

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Aber das Paddel verfängt sich!)

- Genau, das Paddel verfängt sich!

Wieso haben Sie denn jahrelang die Projekt Ruhr GmbH bekämpft, obwohl Sie jetzt eine „Initiative Zukunft Ruhr“ ins Leben rufen?

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Genau!)

Das ist wirklich merkwürdig.

Da, wo Abbau bürokratischer Übermöblierung wirklich Sinn macht, kneifen Sie aus Rücksicht auf Lobbyinteressen. Ich warte auf Ihre Initiativen zur Liberalisierung der Handwerksordnung, zur Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft bei den Kammern, zur Durchforstung der kostspieligen Ärzte- und anderer Standesorganisationen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ich sage Ihnen etwas: Die Steigerung heißt Slalom, Zickzack, Rüttgers!

Meine Damen und Herren, Herr Ministerpräsident, Sie haben im Wahlkampf eine nachhaltige Haushaltspolitik versprochen. Gestern haben Sie sie auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben.

Es ist schon erstaunlich, mit welcher Chuzpe die Koalition wie aus heiterem Himmel die Haushaltslage entdeckt haben will - so, als wären Sie die letzten Jahre nicht im Landtag gewesen. Ja, leider ist Ihr Finanzpolitiker Diegel nicht mehr dabei, was Sie offensichtlich eher freut; denn so können Sie ungeniert Dummheiten und Nichtwissen vortäuschen.

(Zurufe von der CDU: Na, na, na!)

Seriös ist es jedenfalls nicht, wenn Sie zum zentralen Punkt der Haushaltskonsolidierung die bis zu 20-prozentige Kürzung der Förderprogramme des Landes erklären.

Ich sage es noch einmal: Diese Programme summieren sich insgesamt auf ca. 500 Milli

onen €. Abgesehen davon, dass CDU und FDP die diesbezüglichen konkreten Vorschläge, die wir im Haushalt hatten und die uns das Leben schwer gemacht haben, in der Vergangenheit immer skandalisiert und bekämpft haben, können wir damit höchstens 100 Millionen € erreichen. Und dieses Geld spendieren Sie gleichzeitig dem Kulturhaushalt. Das würde uns vom Grundsatz her freuen, aber damit bleibt unterm Strich: Konsolidierungseffekt? - Keiner!

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Die rhetorische Aufrüstung „Alle müssen Opfer bringen“, die wir seit Monaten hören, ist nicht sonderlich mutig, solange es die Koalition vermeidet, konkret zu nennen, wer denn welche Opfer bringen muss. Ich fürchte, dass Sie sich bis zum Wahltag ordentlich Zeit damit lassen werden, hier die Karten auf den Tisch zu legen. Wir gehen davon aus, dass wir bis dahin nichts Konkretes hören.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Und wer die Spendierhosen anhat, wer Geld für die Wiedereinführung einer Reiterstaffel hat, wer plötzlich zusätzliche Millionen für den Weltjugendtag geben will und viele andere Gaben, vor denen Ihre Regierungserklärung nur so strotzt, bereit hält, der kann nicht meinen, dass alle Opfer bringen müssen.

Auch gestern kamen nur neue Versprechungen. Immer wenn es bei Ihnen konkret wird, kostet dies Geld und wird teuer - für andere. Das Sanierungsziel haben Sie doch längst aufgegeben. Die Mehrwertsteuererhöhung ist schon eingerechnet und gleich mehrfach verfrühstückt, meine Damen und Herren.

Mehr Chancen für Kinder haben Sie versprochen. Die Tatsache, dass die entwickelten Industrienationen auf dem Weg in die Wissensgesellschaft sind, ist ein Schlagwort, das jeder von uns Abgeordneten draufhat - genau wie das Schlagwort „lebenslanges Lernen“ und manches mehr. Aber was heißt das? - Wenn man es ganz hart ausdrückt, heißt das für die Menschen: Ohne gute Bildung kein Job, ohne gute Bildung keine Teilhabe. - Johannes Rau hat Recht: Bildung ist der beste Schutz vor Armut.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Wenn wir das erreichen wollen, dann muss doch eines völlig klar sein: Wer in der Schule einen Einheitsbrei über die Kinder gießt, wird scheitern. Wir brauchen mehr Vielfalt, wir brauchen individuelle Förderung, und zwar in den Kindertagesstätten, in jeder einzelnen Schule, in jeder einzelnen

Lerngruppe. Wir brauchen klare Ziele, die für alle Bildungsinstitutionen gelten müssen, aber wir brauchen dann die Vielfalt, die Freiheit der Wege. Denn jedes Kind ist anders. Was wir aber überhaupt nicht brauchen können, ist der Versuch, Kinder in vermeintlich richtige Schubladen einzusortieren. Ich bleibe dabei, dass aus diesem Grund Deutschland - ich betone: Deutschland - bei Pisa international nicht Anschluss finden wird.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wer Vielfalt wegsortiert, kann nur in Einfalt landen. Wer meint, die Schule sei richtig, nur das Kind sei falsch, der produziert systematisch Versager.

Was aber macht die neue Landesregierung? - Ihre Bildungspolitik ist vom kräftigen Sowohl-alsauch gekennzeichnet. Einerseits gehen Sie den von Rot-Grün entwickelten Weg der offenen Ganztagschule weiter; an diesem großen Erfolg konnten offensichtlich selbst Sie nicht vorbei. Andererseits entpuppt sich die groß angekündigte Selbstständigkeit der Schulen bei Ihnen als Freiheit hinter Gittern. Die eigenverantwortliche Bewirtschaftung von Landes- und Kommunalmitteln bejahen Sie, aber das Entscheidende, nämlich die pädagogische Freiheit, ist bei Ihnen Fehlanzeige.

Das beste Beispiel haben wir gestern erlebt: die Zwangsabschaffung des integrierten naturwissenschaftlichen Unterrichts. Selbst die Schulen, die das anders machen wollen, dürfen das nicht, obwohl es auch in anderen Bundesländern so gemacht wird.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Im Übrigen trieft die sogenannte pragmatische Schulpolitik der neuen Regierung vor Ideologie: Zu diesem Programm, das die erwiesene Selektivität unseres Schulsystems nicht mindern, sondern verschärfen wird, passt die geplante Einführung von Studiengebühren; Frau Kraft hat dazu schon das Notwendige gesagt. Auch wir Grüne wollen nicht, dass das Studium unserer jungen Menschen zukünftig vom Geldbeutel der Eltern abhängt. Wir wollen auch keine zusätzlichen Hürden aufbauen. Denn wir brauchen mehr und nicht weniger Studierende, meine Damen und Herren.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ihr Vorschlag ist nicht nur sozial ungerecht, sondern bedeutet auch mehr Bürokratie. Denn Sie müssen das alles ausklamüsern, Sie müssen Ausgleichseffekte zwischen den Universitäten schaffen, und Sie lassen die Universitäten mit

diesen schwierigen Entscheidungen alleine und stehlen sich aus der Verantwortung.

Die versprochenen 4.000 Lehrerstellen bis 2010 stehen unter doppeltem Vorbehalt - da hat der Finanzminister gut gearbeitet -, dem generellen Haushaltsvorbehalt, der für alles gilt - das ist immer so -, und der Erwirtschaftung bei den Stellen in der Landesverwaltung. An dieser Stelle wird die mangelnde Seriosität der neuen Koalitionen besonders augenfällig. So mittelfristig war ein Versprechen noch nie.

Meine Damen und Herren, Herr Ministerpräsident, Sie haben gestern gesagt: Die Menschen müssen gesünder leben. Wer unterschreibt den Satz nicht? Und was ist? Wenn wir uns den Ökologie- und Landwirtschaftsbereich ansehen, dann kann man nur zu dem Schluss kommen: Hier ist eine Koalition des Rückschritts am Werk.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Der Koalitionsvertrag ist ein Dokument des geplanten Abbaus von Umweltschutz in NRW. Wichtige Bereiche der internationalen aktuellen Umweltdiskussion kommen gar nicht erst vor: Nachhaltigkeit, Klimaschutz oder Umwelt und Gesundheit. Stattdessen lediglich ein Placebo-Satz nach dem Motto: Wir stehen zur Bewahrung der Schöpfung, um dann im Konfliktfall die Umweltpolitik anderen, vor allem kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen unterzuordnen. So sieht es aus.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Genau so sieht es aus.

Ganz übel sieht es in der Landwirtschaftspolitik aus. Sie würgen die bitter notwendige Agrarwende ab: Zurück marsch, marsch, in die naturverachtende großindustrielle Landwirtschaft! Dabei kennen wir doch die Folgen: tierquälerische Massentierhaltung,

(Minister Eckhard Uhlenberg: Immer noch die alten Sprüche!)

vor Hormonen strotzendes Fleisch und vergiftetes Gemüse, von Geschmack und Genuss keine Spur!

(Minister Eckhard Uhlenberg: Sie haben es nicht gelernt!)

- Herr Uhlenberg, auch Schweine brauchen ein Mindestmaß an Platz und Pflege. Hühner gehören unserer Auffassung nach nicht in Käfige.

(Beifall von den GRÜNEN)

Pflanzen müssen reifen. Aber davon - das merken wir; bei diesem Thema geht es immer hoch her -

wollen Sie nichts hören. Doch damit nicht genug: Mit Ihrer Kampagne für die Gentechnik in der Lebensmittelproduktion bürgen Sie uns allen ein unkalkulierbares Gesundheitsrisiko auf. Denn kein Mensch weiß, wie die Wechselwirkungen von Genfood sind. Bewahrung von Schöpfung muss man anders politisch umsetzen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Uhlenberg, wer soll das essen? Sie, Ihre Kinder? Ich sage Ihnen: Das Zeug will keiner haben. Auf Dauer ist das der Ruin der deutschen Landwirtschaft. Das hat die BSE-Krise doch bewiesen.

(Minister Eckhard Uhlenberg: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun!)

Beim ersten Skandal sind diese industriellen Höfe am Ende. Dann kommt der Ruf der Lobbyisten nach noch mehr Subventionen.