Protokoll der Sitzung vom 07.02.2007

Diese Finanzierung ist für Nordrhein-Westfalen außerordentlich riskant. Das Risiko liegt in Details. Ich bin sehr skeptisch. Ich schaue mir nachher gerne die Videoberichterstattung an, lese heute alle Tickermeldungen, aber bevor wir die Detailregelung nicht schwarz auf weiß haben, rate ich al

len dazu, vorsichtig zu sein; denn so etwas wie Sonntag vor einer Woche – abends wird die Einigung verkündet, man war erleichtert, dass der Sockel vom Tisch war und es einen Endpunkt gibt, weiß aber nicht, wie die Details sind – kann uns heute Nachmittag wieder genauso passieren.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Angela Freimuth)

Herr Finanzminister Dr. Linssen, wir beide waren am 23. November 2003 zusammen auf dem Deutschen Steinkohletag in Essen. Auch Herr Steinbrück, Herr Horstmann und andere waren dort. Ich habe es noch vor Augen – damit hat die Geschichte hier auch ein Stück weit angefangen –: Ministerpräsident Steinbrück redet. Auf einmal geht die Saaltür auf, die Bergmannskapelle spielt das Steigerlied, es gibt Applaus, und der Kanzler marschiert ein. Der Ministerpräsident hat das souverän gemeistert, er hat gesagt: Der Beifall gilt erkennbar nicht dem Redner. – Das, fand ich, war eine gute Reaktion.

Der Kanzler geht nach oben auf die Bühne, legt ihm die Hand auf die Schulter und sagt: Gegen einen echten Steiger hast du keine Chance. Dann hat der Ministerpräsident das Pult geräumt, und der Kanzler hat das Ergebnis seiner Überlegungen in Berlin verkündet. Er hat gesagt: 16 Milliarden € öffentliche Beihilfen für 2006 bis 2012 für 16 Millionen t 2012. Damit können 20.000 Mann gehalten werden. Der Prozess bis dahin ist sozialverträglich. Niemand fällt in die Arbeitslosigkeit. Wir können die anstehenden Schließungen vernünftig regeln. – Das war die Botschaft.

Jetzt haben wir innerhalb kürzester Zeit lernen müssen, dass diese Botschaft im Grunde ihrer Substanz eine unehrliche Botschaft war.

(Beifall von GRÜNEN, CDU und FDP)

Einige wussten damals schon, dass das nie für das reichen würde, was angesagt worden war. Es hat einen langen Prozess gegeben, aber erst in den letzten Tagen haben wir die Zahlen auf den Tisch bekommen: Allein für das abgelaufene Jahr 2006 – das war das erste Jahr, in dem diese Zusagen galten – reichen die 2,5 Milliarden €, die NRW und der Bund zur Verfügung stellen, bei Weitem nicht aus; die Kohle meldet einen Mehrbedarf von 433 Millionen € an. Das ist kein Pappenstiel, NRW ist sofort mit rund 90 Millionen € dabei.

Insofern ist gerade durch die Verhandlungen, die in Berlin gelaufen sind, klar, dass es nicht mehr um 16 Millionen t geht und das vom damaligen Bundeskanzler zugesagte Geld dafür nicht reicht. Man reduziert die Förderung um ein Viertel auf 12 Milli

onen t, und selbst dann werden 1,5 Milliarden € zusätzlich gebraucht.

Das heißt, jegliche Vereinbarung zur Kohle, gerade zu den finanziellen Details, ist mit großer Vorsicht zu betrachten und muss offen gelegt werden, damit man sie nachvollziehen kann; denn die Erfahrung lehrt: Es ist nicht ausreichend transparent.

(Beifall von GRÜNEN und CDU)

Weil diejenigen, die dabei in der Spitze handelten – die Parlamente sind getäuscht worden –, wussten, dass das nicht stimmte, haben sie nicht wie 1997 ein Steinkohlebeihilfegesetz gemacht – 1997 bis 2005 gesetzlich geregelt –, sondern nur Bewilligungsbescheide für drei Jahre ausgestellt.

(Dietmar Brockes [FDP]: Hört, hört!)

Deswegen reden wir jetzt darüber. Diese Lüge über drei Jahre hatte so kurze Beine, dass der Offenbarungseid schon 2006 kam. Jetzt müssen wir mit dem Ergebnis leben. Weil die Handelnden damals wussten, dass das nicht reichen würde, haben sie in den konkreten Bewilligungsbescheid Bestimmungen hineingebracht, die nie durch ein Parlament gegangen sind, die uns jetzt aber viel Geld kosten.

Ich will nur zwei ansprechen. Erstens: die nachschüssige Auszahlung, die wir hier verkündet haben, von Rot-Grün vereinbart. Der Ministerpräsident hat erklärt: Wir sparen 11 Millionen € ein, weil wir das Geld immer erst im Januar des Folgejahres zahlen. Das ist im Bewilligungsbescheid von Clement und Eichel abgeräumt und stattdessen festgelegt worden: Das könnt ihr mit dem Eigenanteil der RAG verrechnen. – Ein 50-Millionen-€-Geschenk an die RAG!

Der zweite Punkt – das hat Bedeutung für heute –: Es ist eine Sprechklausel eingefügt worden – dieses Instrument kannte ich noch nicht –, die im Prinzip besagt: Wenn ihr mit dem Geld nicht auskommt, erhaltet ihr mehr.

Deswegen bin ich bei der Revisions- oder Optionsklausel so vorsichtig. Die politische Verabredung, 2012 noch einmal zu überlegen, ob die Entwicklung auf dem Weltmarkt Gründe liefert, anders zu handeln, als wir es jetzt nach Einbeziehung aller Fakten vereinbaren, kann man treffen. Alle Parlamente und auch die Unternehmen wären frei, wenn der Weltmarktpreis bei 600 €/t läge, Zechen aufzumachen. Insofern könnten wir das jederzeit machen. Aber um zu beurteilen, ob die Klausel wieder die Legitimation liefert, einen Sockelbergbau vorzubereiten, dazu möchte ich erst sehen, wie sie juristisch formuliert ist und wie sie

in andere Vereinbarungen eingebunden werden soll. Bei Klauseln im Steinkohlenbergbau kann ich nur warnen: Vorsicht an der Bahnsteigkante! Ganz vorsichtig herangehen!

(Beifall von GRÜNEN, CDU und FDP)

Seit Mitte 2006 wird verhandelt. Wir wissen, dass es deutlich mehr kostet, aber wir in den Parlamenten – das muss man kritisieren – kennen die Details dieser Verhandlungen nicht. Wir alle warten, was parallel in Berlin passiert. Es ist wie immer bei der Kohle: eine organisierte Intransparenz, bei der die Parlamente außen vor gehalten werden.

Man muss sich auch ansehen, was an Kosten ermittelt worden ist; wir haben es im Wirtschaftsausschuss beraten. Das KPMG-Gutachten ist nur in die öffentliche Debatte gekommen, weil wir als grüne Fraktion es vorgestellt haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sonst läge es nicht auf dem Tisch. Wir haben im Ausschuss erleben müssen, dass wichtige Elemente nicht vertreten sind. Diese spielen aber gerade für die Menschen, die im Hochwasserbereich leben, wo der Bergbau massive Einflüsse hinterlassen hat – ob am Rhein, an der Lippe oder an der Emscher –, eine wichtige Rolle. Ursprünglich hat es Deiche von 3 m Höhe gegeben, jetzt gibt es – bergbaubedingt – teilweise 15 m hohe Deiche. Das werden Ewigkeitslasten sein. Diese wie andere Sachen sind im KPMG-Gutachten nicht berücksichtigt.

Deswegen wird es wichtig sein, ganz genau hinzuschauen, denn es ist klar: Wenn nicht geregelt ist, dass es zu den Ewigkeitslasten kommt, bleibt es nachher an den Menschen hängen, die hinter den Deichen wohnen, die die Kosten ohne den Bergbau nicht hätten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der entscheidende Punkt ist aus meiner Sicht die zukünftige Lastenaufteilung und Haftung. Ich bin von der Sache her der Auffassung: Wir könnten 2015 sozialverträglich ohne Entlassungen aus dem Bergbau herauskommen. Wir könnten den Kollegen garantieren, dass sie eine Beschäftigung haben und von da aus mit den üblichen Mitteln – Frühverrentung und anderem – ihr Arbeitsleben beenden. Aber die zwei Jahre mehr oder weniger, über die geredet wird, sind kein Dogma; das ist nicht der Punkt. Der entscheidende Punkt ist die Lastenverteilung.

Man muss ehrlicherweise sagen: Bis 1997 hat es den Kohlepfennig gegeben. Dieser ist 1994 durch das Bundesverfassungsgericht gekippt worden.

Bis 1997 sind über eine bundesweite Umlage 100 % der Kohlefinanzierung mit einem definierten nationalen Interesse geregelt worden. Seit 1997 hat es in dem Beihilfegesetz eine degressive Vereinbarung gegeben, wonach am Anfang der Bund 90 % und NRW 10 % trugen. Jetzt sind wir bei etwa 22 % für NRW und 78 % für den Bund.

Dann kann man sich aber nicht, wenn es über die ganze Zeit eine Verteilung gegeben hat, bei der über 90 % vom Bund getragen worden sind, in Berlin auf ein Datum einigen und das Risiko, wenn es nicht reicht, NRW überlassen mit dem Argument, es hätte die Zechen irgendwann genehmigt.

(Beifall von GRÜNEN, CDU und FDP)

Wenn Berlin zu diesem Ergebnis kommt, wäre das eine zutiefst unanständige Haltung. Dann war die Intervention des Ministerpräsidenten sozusagen last exit, um deutlich zu machen, dass NRW nicht allein auf diesen Kosten hängenbleiben dürfe.

(Beifall von GRÜNEN, CDU und FDP)

Ich will einen weiteren Punkt anführen, der für mich noch nicht klar ist, wie nämlich die genaue Konstruktion der Stiftung aussieht. Das ist schon ein ganz merkwürdiges Instrument. Nach der Grundkonditionierung soll der weiße Bereich der RAG, also Steag, Degussa, der Immobilienbereich, an die Börse gehen und der andere Bereich den Bergbau sozialverträglich vernünftig abwickeln. Die Überlegung ist ja richtig, aber die Konstruktion der Stiftung, was sie machen kann, wer genau dafür haftet und wer in dieser Stiftung entscheidet, ist für uns alle doch völlig undurchsichtig.

Es kann doch nicht sein, dass die Eigentümer der RAG – Eon, RWE und Thyssen; dass sind ja alles keine armen Verwandten – aus der Haftung entlassen werden, die nun das Land übernimmt, aber das Land in der Stiftung nicht darüber entscheidet, wo sie wirtschaftlich aktiv wird. Das kann doch kein Konstrukt sein, das man vernünftigerweise akzeptiert.

(Beifall von GRÜNEN und CDU)

Insofern muss völlig unzweifelhaft sein: In dieser Stiftung müssen diejenigen entscheiden, die die Haftung übernehmen müssen, und das Gefüge muss auch ganz klar die Mehrheitsrelationen widerspiegeln. Anders kann ich mir das nicht vorstellen. Wenn das so geregelt ist, dann soll die Stiftung wirken.

Schließlich müssen wir uns den Stiftungszweck noch einmal genau anschauen. Die von der RAG formulierte Stiftungssatzung ist uns zur Verfügung gestellt worden. In dieser Stiftungssatzung taucht zum Beispiel die Sicherung der Rechte der Bergbaugeschädigten überhaupt nicht auf, also auch nicht derjenigen, die noch Jahrzehnte nach Beendigung des Bergbaus betroffen sein werden. Wir müssen neben den Bergleuten auch über die Menschen reden, die am Niederrhein, im Revier wie in Bottrop und sonstwo wohnen,

(Beifall von den GRÜNEN)

wo immer noch massive Schäden an Häusern, an Deichen usw. auftreten. Solche Schäden, die man geologisch nicht unbedingt verhindern kann, sind immer Ergebnis des Bergbaus. Es sollte aber sichergestellt werden, dass die berechtigten Ansprüche derer, die gar nichts vom Bergbau haben, aber seine Lasten mit ihrem Eigentum tragen, auch in Zukunft garantiert werden. Auch das gehört in die Zweckbestimmung der Stiftung. Es steht aber nicht drin – nach unserem Kenntnisstand jedenfalls bis jetzt nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aus unserer Sicht ist auch äußerst fraglich, ob die angedachte Operation sinnvoll ist. Es gibt einen Börsengang, und es gibt die Rückstellungen. Das zusammen soll nach dem Auslaufen des Bergbaus ausreichen, die Ewigkeitslasten zu finanzieren. Bei den Ewigkeitslasten reden wir nach KPMG über einen Sockel von jährlich 400 Millionen € – auf ewig! Anzunehmen, dass der Erlös aus dem Börsengang und die Rückstellungen dafür ausreichen, ist aus meiner Sicht hochriskant.

Ich habe die Deichunterhaltungskosten angesprochen. Das ist ein Punkt, der fehlt.

In dem Gutachten steht, dass die RAG allein 2.200 Schächte in ihrer Verantwortung hat, deren genaue Lage und Beschaffenheit sie nicht kennt. Diese Schächte sollen nach Gutachten für 440 Millionen € saniert werden. Dafür sind eindeutig keine Rückstellungen gebildet worden. Die Kosten für diese Sanierung gehören in die laufenden Betriebskosten entsprechend der Aufteilung.

Im Übrigen muss doch mit dieser Sanierung sofort begonnen werden. Ich kann doch nicht, wie es im Gutachten steht, vorschlagen: 20 Jahre nach Beendigung des Bergbaus wird die Sanierung abgeschlossen und begonnen wird erst mit Stilllegung des letzten Bergwerks. Es gibt doch Beschäftigungspotenzial für mindestens 440 Millionen €. Das heißt, ich kann doch auch Leute aus dem aktiven Betrieb nehmen und etwas machen lassen,

was sowieso gemacht werden muss und was wir sowieso bezahlen müssen,

(Beifall von GRÜNEN und CDU)

anstatt an einer anderen Stelle weiter zusätzliche Schäden zu organisieren. Das ist doch eine vernünftige Forderung, und das ist eines der Details, auf die man sich aus meiner Sicht durchaus verständigen kann.

Des Weiteren möchte ich die FDP noch einmal ansprechen. Wir Grüne haben zweimal im Landtag beantragt, einen nichtöffentlichen kleinen, zeitlich befristeten Sonderausschuss einzusetzen, der die Frage der Anschlussfinanzierung bei der Kohle bearbeitet. Wir hatten nach unseren Erfahrungen aus den letzten Verhandlungen guten Grund, dies zu tun, denn die jetzigen Verhandlungen laufen nach dem gleichen dynamischen Muster ab wie damals: alles intransparent, gewisse Instrumentalisierungen, und zum Schluss wird Druck auf den Kessel gegeben, sprich: diejenigen, die handeln müssen, werden unter Druck gesetzt.

Es wäre richtig gewesen, diesen kleinen, von mir aus mit vier oder fünf Personen besetzten Arbeitsausschuss ohne Beschlusskompetenz einzurichten, um die Anschlussfinanzierung bei der Kohle transparent zu begleiten. Das ist vor allen Dingen von der FDP abgelehnt worden und hat dazu geführt, dass das Parlament von all den Details und offenen Fragen im Prinzip überhaupt nichts weiß.

Und wenn wir Grüne das Thema Deiche nicht auf die Tagesordnung gebracht hätten, dann wüssten es nicht einmal die Kollegen, die in den betroffenen Gebieten wohnen, bis heute nicht.