Das hatte auch noch einen anderen Preis, der nicht verschwiegen werden darf. Es hat nicht nur einen menschlichen Preis gehabt. Ministerin Thoben hat gestern hier vermittelt, dass in den sub
ventionierten Steinkohlebergbau über die Zeitachse 126,8 Milliarden € insgesamt investiert worden seien. Das ist ein sehr hoher Preis. Sie, Frau Kraft, sind wie ich Ökonomin. Wir Ökonomen kennen den Begriff der Opportunitätskosten. Er besagt nämlich, dass ich das, was ich auf der einen Seite investiere, auf der anderen Seite nicht gleichzeitig ausgeben kann und dass ich beachten muss, dass das Geld da ausgegeben wird, wo es den höheren Nutzen stiftet.
Ich bin mir absolut sicher: Es hätte effektivere Möglichkeiten gerade in den letzten Jahren Ihrer Regierungsverantwortung gegeben, die Mittel sorgfältiger einzusetzen, hier auch zu helfen – Beispiel: 1997, als Sie gegen die damalige Bundesregierung arbeiteten. Dann wäre es nämlich rasch zu einem besseren Einsatz der Mittel gekommen, als es in Wirklichkeit erfolgt ist.
Dass der subventionierte Steinkohlebergbau in unserem Land wahrlich keine Zukunftschance hat, das wissen am besten die Bergleute und die Beschäftigten der Ruhrkohle AG.
Ich habe hohen Respekt vor der unglaublichen Organisationskraft der IG BCE. Es ist schon eine tolle logistische Leistung, wie die das immer wieder schaffen. Ich habe auch Respekt vor jedem, der dort demonstriert hat. Denn er hat für sich und seinen Arbeitsplatz, für seine Familie und deren Sicherheit demonstriert.
Diese Sicherheit ist durch den Kompromiss nunmehr gegeben. Jeder weiß Bescheid. Jeder hat Transparenz. Jeder hat Klarheit darüber, wie es in den nächsten zehn Jahren weitergehen wird und kann sich darauf einrichten. Heute Morgen hat ein Kollege unserer Fraktion, der von der Schließung eines Bergwerks betroffen sein wird, gesagt: Es ist schlimm, aber jetzt haben die Kumpel und das Unternehmen wenigstens Klarheit. Ich kann mit der Klarheit besser umgehen als mit der Ungewissheit, die bisher auf uns gelastet hat.
(Beifall von CDU und FDP – Rainer Schmelt- zer [SPD]: Aha, Sie wissen schon, welche geschlossen werden?)
„Kohle ist Zukunft“, haben Sie gesagt, Frau Kraft. Was haben Sie sich dabei gedacht? Es gibt zwei Varianten: a) gar nichts und b) Sie veräppeln die Leute. Aber die Leute haben ein langes, ein gutes Gedächtnis, und dieser Satz wird Ihnen nachgehen.
Es ist schon eine Sensation, dass die Menschen am vergangenen Donnerstag in der von der IG BCE organisierten Demonstration erstmals für einen sozialverträglichen Ausstieg aus dem Steinkohlebergbau demonstriert haben. Das heißt, dass die Kolleginnen und Kollegen der IG BCE, die dort waren, um Längen weiter sind, als Sie es sind.
Wir stehen – der Ministerpräsident hat es ausgeführt – in Nordrhein-Westfalen wie auch im Ruhrgebiet an der Schwelle einer neuen Epoche, einer Epoche qualifizierter Industrie, hoch organisierter Dienstleistungen und der Innovation. Wir nehmen aus der Geschichte des Ruhrgebietes in diese neue Epoche viel mit. Denn für diejenigen, die sinnbildlich die Kumpel, die Steiger waren, die so etwas wie ein Symbol dieses Landes geworden sind, war klar: Industrielle Produktion hat einen hohen Wert. Industrielle Produktion wird im Grundsatz nicht bekämpft, sondern industrielle Produktion wird gefördert.
Das, was die Menschen im Revier und darüber hinaus auszeichnet, ist: Anpacken, Pragmatismus, eine hohe Problemlösungskompetenz und das Füreinander-Einstehen. Das sind Tugenden. Das ist das wahre Erbe dieser Epoche, das wir pflegen müssen.
Das ist die beste Basis für die Zukunft, denn Basis für die Zukunft sind keine Subventionen aus irgendeinem Topf, ist nicht dieses Geld, sondern Basis sind die Menschen, und wir vertrauen den Menschen und ihrer Fähigkeit, den Wandel aktiv und offensiv zu gestalten.
Das ist auch notwendig. Wir haben in den großen Ruhrgebietsstädten immer noch eine mehr als doppelt so hohe Arbeitslosigkeit wie im Durchschnitt unseres Landes und in anderen Städten. Das ist nach 30 Jahren Strukturpolitik, die Sie für sich reklamieren, wahrlich kein Ausweis des Erfolgs Ihrer Politik – wahrlich kein Ausweis von Erfolg.
Es gibt in Zukunft neben den genannten Problemen durchaus das große Problem, das uns alle miteinander umtreibt: Wie wird die demografische Entwicklung verlaufen? Wie kriegen wir die
Die Voraussetzungen, um offensiv vorzugehen, sind besser, als sie je waren. Der Ministerpräsident hat sie genannt: Sie reichen von der Kulturhauptstadt bis hin zur Chance der RuhrUniversität Bochum, als Exzellenzhochschule an der weiteren Entwicklung in Wissenschaft und Forschung in Deutschland an erster Stelle teilzuhaben. Hinweise darauf sind aber auch, dass beispielsweise der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Herr Kleiner, aus Dortmund, aus einer Ruhrgebietshochschule, kommt. Dies zeigt auch, dass viel, viel mehr in Bewegung ist, als Sie uns hier Glauben machen wollen.
Ich frage zum Abschluss: Warum stehen Sie der Zukunft, warum stehen Sie den Menschen im Ruhrgebiet und in Nordrhein-Westfalen generell mit soviel Misstrauen gegenüber?
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Misstrauen in diesen Ministerpräsidenten! Er spielt mit den Menschen! – Weitere Zurufe von der SPD)
Was mir bei Ihrem Beitrag auffiel – bei aller Wertschätzung und in der ganzen Breite der Diskussion, die wir heute führen –, ist: Die Menschen außerhalb des Ruhrgebietes, die auch eine Menge für das Ruhrgebiet getan haben, die haben Sie überhaupt nicht erwähnt.
(Hannelore Kraft [SPD]: Ach ja? – Rainer Schmeltzer [SPD]: Wieder einmal nicht zu- gehört! Das zeichnet Sie aus!)
Das dokumentiert, wie eng Sie in Ihrem Politikansatz fahren. Es reicht nicht aus, nur das Ruhrgebiet zu sehen. Wir müssen das ganze Land sehen, ganz Nordrhein-Westfalen, mit allen Teilen, mit allen Regionen. Das brauchen wir, wenn wir wirklich vorankommen wollen.
Wir setzen Vertrauen in die Stärken der Menschen. Wir wissen, dass die letzte Lore „Hanne“ heißt, und wir freuen uns auf den Wahlkampf 2010.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Stahl. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Vorsitzende Frau Löhrmann das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In der Tat ist dies eine historische Stunde
im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Das Ruhrgebiet und damit auch das ganze Land stehen vor einer Zeitenwende. Sie hat aber schon lange angefangen. Sie beginnt nicht erst heute.
Die Bergleute haben Klarheit, die Kommunen haben Klarheit, und die Unternehmen haben Klarheit. Jetzt können die notwendigen Erneuerungsprozesse umso beherzter angepackt werden.
Herr Ministerpräsident, Sie haben darum geworben, dass wir uns daran beteiligen. Dass wir Grünen daran konstruktiv mitwirken, versteht sich von selbst. Das haben wir in den vergangenen Jahren gerade bezogen auf diese Frage auch immer getan. Das finden wir auch nach wie vor richtig.
Ja, meine Damen und Herren, es ist gut, dass der Ausstieg beschlossen ist und damit eine jahrhundertealte Industriegeschichte in NordrheinWestfalen sozialverträglich beendet wird – ohne betriebsbedingte Kündigungen. Wir Grüne haben einen sozialverträglichen Ausstieg immer gewollt. Auch wenn wir ihn schon für 2015 für möglich gehalten hätten, ist es gut, dass es jetzt überhaupt zu der getroffenen Entscheidung gekommen ist.
Angesichts der Ausgangslagen von CDU und SPD, angesichts der unterschiedlichen Gegebenheiten in Nordrhein-Westfalen und im Bund ist der gestern beschlossene Kompromiss im Grunde folgerichtig. Gut ist allerdings auch, dass sich die FDP mit ihrer Forderung nach einem Brachialausstieg nicht durchsetzen konnte.
Denn das hätte für die Menschen in unserem Land massive soziale Verwerfungen bedeutet. Das wissen auch die Kolleginnen und Kollegen von der CDU.
Sie sollten aber anerkennen, dass dieser Prozess für die SPD aufgrund ihrer Geschichte und der damit verbundenen Verdienste schmerzhaft ist. Dafür haben wir jedenfalls Verständnis. Häme ist hier aus unserer Sicht völlig fehl am Platze, meine Damen und Herren.
Herr Ministerpräsident, Sie haben der SPD in dem ganzen Geschehen parteipolitisches Agieren vorgeworfen. Vor diesem Hintergrund war es wirklich
wichtig, dass Sie heute hier erklärt haben, dass Sie und Ihre Partei völlig frei davon sind, dass das, was Sie so treiben, irgendetwas mit Parteipolitik zu tun hätte.