Protokoll der Sitzung vom 07.03.2007

Die kommunalen Spitzenverbände – es gibt nicht nur CDU-Oberbürgermeister in den Präsidien, in den Vorständen des Städte- und Gemeindebundes oder des Städtetages –

(Britta Altenkamp [SPD]: Da ja!)

haben einstimmig in ihren Gremien beschlossen, ja zu diesem Papier zu sagen. Man muss doch anerkennen, dass auch sozialdemokratische Oberbürgermeister ja gesagt haben.

(Beifall von der CDU)

Die haben dann noch eigene weitere Wünsche geäußert – an denen werden wir auch arbeiten –, aber der Konsens beruht auf breiter Basis.

Irgendjemand hat vorhin behauptet, die Städte im Ruhrgebiet würden benachteiligt. – Die drei kommunalen Spitzenverbände hatten uns zehn Musterstädte genannt, für die wir jede einzelne Auswirkung des Modells nachgerechnet haben. Zu diesen Musterstädten gehören Essen, Köln und Recklinghausen.

(Britta Altenkamp [SPD]: Zu den Rechen- künsten meines Jugendamtsleiters kann ich Ihnen etwas sagen!)

Nein, das sind nicht die Rechenkünste Ihres Jugendamtsleiters, Frau Altenkamp. Das sind Kienbaum-Zahlen, errechnet aufgrund dessen, was das Landesamt für Statistik ermittelt, zusammen mit einer Expertin der kommunalen Spitzenverbände nachgerechnet. Das hat nicht Ihr Jugendamtsleiter gerechnet, sondern das haben die kommunalen Spitzenverbände gerechnet. Die haben für Essen errechnet, dass Essen durch das neue Gesetz ein Mehr von 4,37 % an Landeszuweisung erhält;

(Zurufe von der CDU)

das sind 1,130 Millionen €. Für die Stadt Köln gibt es ein Plus von 4,92 %; das sind 3,4 Millionen €. Für die Stadt Recklinghausen gibt es ein Plus von

20 % – da sitzt nicht Ihr Jugendamtsleiter, Frau Altenkamp –; das sind für den Haushalt der Stadt Recklinghausen 715.000 €.

(Zurufe von der CDU: Oh!)

Diese Größenordnung gilt vergleichbar. Wenn es in Essen und in Recklinghausen gilt, wird es in Duisburg und in Gelsenkirchen nicht viel anders sein. Wir können es für jede Stadt einzeln nachrechnen, aber vergleichbare Städte muss man auch als vergleichbar ansehen. Insofern ist das Ergebnis immer mit konkreten Zahlen der Jugendämter in den betroffenen Städten rückgekoppelt worden. Ich glaube, dass gerade die Städte mit sozialen Brennpunkten von dem System mehr profitieren werden, dadurch mehr Möglichkeiten haben werden als die Städte, die solche Probleme nicht haben.

Letzte Bemerkung zur Kindpauschale. Frau Asch hat eben gefragt: Wie kann die Förderung eigentlich steigen? Christian Lindner hat darauf die richtige Antwort gegeben. Die Realität im Lande war immer schon so, dass vorgegebene Gruppengrößen überschritten wurden, aber Sie haben nie das Geld für die dann zusätzlich benötigten Fachkräfte bereitgestellt. Wir geben jetzt für jedes Kind, um das die festgelegte Grenze überschritten wird, eine entsprechende Kindpauschale. Die absolute Grenze für das Kindeswohl findet sich im Sozialgesetzbuch VIII des Bundes. Das heißt: Man kann nach dem neuen System nicht 30 oder 35 Kinder in eine Gruppe stecken – das verbietet das Kindeswohl –, aber wir zahlen für jede Überschreitung, damit es mehr Personal gibt.

Das wirkt übrigens auch nach unten. Sie mussten früher, wenn Sie die Grenze unterschritten, eine Sondergenehmigung des Landesjugendamtes einholen, wollten Sie mit 17 oder 18 Kindern eine Einrichtung betreiben. Wir geben das heute nicht mehr vor, sondern wir sagen: Wenn 17 oder 16 Kinder eine Einrichtung besuchen, bekommt der Träger den siebzehnten oder sechzehnten Anteil der Gruppenpauschale. Will man etwa in bestimmten Landkreisen den Kindergarten im Ort halten, weil er aufgrund des demografischen Wandels vielleicht die einzige verbliebene Einrichtung in der Umgebung ist, kann die Gemeinde entscheiden: Okay, dann nehmen wir den sechzehnten Anteil für 16 Kinder, den Rest tun wir als Gemeinde selbst dazu. Das ist es uns wert, dass der Kindergarten hier bleibt.

Das war früher nicht möglich. Dies ermöglicht das neue System. Insofern ist es ein System für die großen Städte, aber auch für die ländlichen Regionen in Nordrhein-Westfalen. Es ermöglicht mehr

Flexibilität, mehr Jugendhilfeverantwortung vor Ort, und genau das war die Absicht.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Minister Laschet. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Frau Altenkamp.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es gibt noch ein paar Dinge zu dieser Diskussion zu sagen. Wir wollen jetzt nicht in große Euphorie ausbrechen. Sie haben einen Konsens erzielt. Gut so, aber auf der anderen Seite habe ich mich gefragt: Wie, wenn nicht im Konsens, wollen Sie bei 70 % Einrichtungen in freier Trägerschaft hier im Land überhaupt ein neues Kindergartengesetz auflegen?

(Beifall von der SPD)

Vor diesem Hintergrund ist das für mich – wie soll ich es nennen? – State of the Art; das ist die Technik. Wenn Sie es nicht im Konsens machen, fliegt Ihnen dieser Frikadellenschuppen ohnehin um die Ohren. Es ist also Pflicht eines Ministeriums, das sich Kinder- und Jugendministerium nennt, den Konsens zu suchen.

(Beifall von der SPD)

Allerdings haben Sie den Konsens nicht mit uns als Opposition geschlossen. Deshalb wird uns Kritik erlaubt sein; das ist unsere parlamentarische Aufgabe.

Frau Asch hat an dem Verfahren, das ein wenig seltsam anmutet, Kritik geübt. Im ersten Haushaltsverfahren schaffen Sie den Ständigen Ausschuss ab, um sich dann im Prinzip mit genau dem gleichen Kreis zusammenzusetzen, dem Sie erst mal Eckpunkte „vor den Latz knallen“, um die Reaktion zu testen. Dann ziehen Sie die Eckpunkte weg, fangen ein Moderationsverfahren an und erzählen heute: Hurra, ich habe einen Konsens erzielt.

(Beifall von der SPD)

Das ist unter machiavellistischen Gesichtspunkten sicherlich ein kluges Vorgehen. Aber im Großen und Ganzen ist es an vielen Punkten kein demokratisches Verfahren in der Art und Weise, wie Sie es hier gerade dargestellt haben.

An den Eckpunkten ist – jedenfalls bis jetzt – an keiner Stelle erkennbar, wie die frühkindliche Bildung gestärkt werden soll. Es ist ein instrumentalistisches Darstellen genau dieser Punkte. Die frühkindliche Bildung – so stand es auf Ihrem Sprechzettel – soll dadurch verbessert werden.

Schade ist nur: Eine ganze Reihe von Fachleuten, die nicht alle der Sozialdemokratie oder den Grünen nahe stehen, wie Sie richtig festgestellt haben, sind der Auffassung, dass es in diesem Land an breiter Front zu einem Qualitätsabbau kommen wird.

(Beifall von der SPD)

Natürlich handelt es sich um stark generalisierte Regelungen. Das ist bei Eckpunkten auch nicht anders zu erwarten. Eines steht jedenfalls fest: Sie nennen es Kindpauschalen, schlagen aber Gruppenpauschalen vor. Kindspezifische Indikatoren sind nur bei der Sprachförderung und bei behinderten Kindern vorgesehen.

Ich habe mir im Ausschuss vorführen lassen, wie Sie den Pauschalbetrag bzw. das, was Sie ProKind-Förderung nennen, berechnen. Sie teilen den Pauschalbetrag durch die Anzahl der Kinder, zum Beispiel durch 20 oder 25. Nur: Das ist keine Kindpauschale, sondern Etikettenschwindel. Die Folgen einer reinen Kindpauschale, die ich nicht haben will, können Sie sich im Bayerischen Kindertagesstättengesetz – BayKiBiG – ansehen. Also: Wir sind froh, dass Sie mit dem Konsenspapier jedenfalls von Ihren Kindpauschalen oder Pro-Kopf-Pauschalen abgewichen sind.

Die Gruppenpauschalen, die vorgeschlagen werden, weisen nach unserer Auffassung grundsätzlich in die richtige Richtung. Aber für viele Träger sind aufgrund der generalisierten Darstellung noch viele Fragen offen, zum Beispiel die Frage: Was wird aus den heutigen kleinen altersgemischten Gruppen? – Denn Sie müssen doch sagen, dass in Zukunft einfach eine andere Entwicklung nötig ist.

Weitere ungeklärte Probleme sind:

Die Freistellung von Leitungen ist vielfach gegenüber der heutigen Situation nicht auskömmlich.

Wie werden Vertretungen bei Krankheit und breitere Öffnungszeiten von 50 Stunden und mehr – die gibt es – geregelt?

Wie werden Kinder in der Sprachförderung zukünftig in den Kindertageseinrichtungen aufgenommen werden?

Die Frage der Schaffung von U3-Plätzen versuchen Sie aus dem System heraus zu beantworten. Wie sich das tatsächlich entwickelt, werden wir sehen. Darüber verhandeln wir miteinander, wenn das Gesetz vorliegt.

Sie schlagen gestaffelte Öffnungszeiten vor: 45 Stunden, 35 Stunden, 25 Stunden. Die 25 Stun

den werden nur eingeführt, weil die Eltern, die den erhöhten Elternbeitrag nicht aufbringen können, ihr Kind dann nicht ganz abmelden müssen. Ihr Kind kann wenigstens noch 25 Stunden – also fünf Stunden am Tag – eine Kita besuchen. Das ist wirklich eine tolle Lösung, die Sie da vorschlagen.

(Beifall von der SPD)

Wenn Sie mir das nicht glauben, dann schauen Sie sich einmal den Elternbeitragssatzungsentwurf der Stadt Essen an, der genau die 25Stunden-Lösung darstellt! Vor dem Hintergrund sage ich Ihnen: Die 25 Stunden haben überhaupt nichts damit zu tun, dass Sie dem Elternwillen in irgendeiner Form entgegenkommen wollen, sondern Sie versuchen dadurch auszumerzen, was Sie durch Ihre beiden Haushalte 2006 und 2007 ausgelöst haben, dass nämlich die Zahl der Kinder in den Einrichtungen gesunken ist.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Noch etwas zu dem Elternbeitrag: Wie man das von Ihnen so bezeichnete modernste Kindergartengesetz Deutschlands auflegen kann, darin aber bis 2011 auf jeden Fall einen Elternbeitragsanteil festschreiben kann, ist mir ein Rätsel. Eines steht auch fest: Ich sowie meine Kolleginnen und Kollegen finden es nach den beiden Diskussionen zu den Haushalten unverantwortlich, den Elternbeitragsanteil auf 19 % festzusetzen, obwohl Sie mittlerweile kommunenscharf wissen, welche Kommunen nicht in der Lage sind, überhaupt einen Elternbeitrag von 13 % zu erreichen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wie beim Schulgesetz wollen Sie in Zukunft auch beim Kindertagesstättengesetz den Geldbeutel der Eltern und die Himmelsrichtung, wo die Kinder groß werden, zur entscheidenden Grundlage machen. In diesem Konsenspapier steht nichts von Chancengleichheit. Es hat mit Chancengleichheit nichts mehr zu tun, wenn es auf Elternbeiträgen fußt.

(Beifall von der SPD)

Selbst wenn es bei Pauschalen immer Gewinner und Verlierer gibt – lassen Sie mich das noch sagen –, ist festzuhalten, dass die vorgeschlagenen Pauschalen, wenn sie tatsächlich besondere Lebenslagen abbilden sollen, an vielen Stellen nicht auskömmlich sein werden. Das, was Sie mir gerade für die beispielhaft genannten Städte vorgerechnet haben, glaube ich erst, wenn ich es zu Hause mit meinen örtlichen Rechenkünstlern – so will ich die mal bezeichnen – nachvollzogen habe.

Sie verankern die Tagespflege im Gesetz. Das ist nicht zu kritisieren, da sich das aus dem TAG ergibt. Aber eines steht auch fest: Ob ein Stundenlohn von 4 €, der am Ende rauskommen wird, die qualitative Betreuung und die qualitativen Betreuungspersonen hergeben wird, wird sich noch zeigen. Insofern wird das eine spannende Diskussion, und es bleibt bei unserer kritischen Haltung.

(Beifall von der SPD)

Sie senken die kirchlichen Trägeranteile auf 12 %. Aber – das ist auch richtig beschrieben worden – das bildet die Realität in den Kommunen in weiten Teilen schon ab. Viele Kommunen übernehmen schon heute die Trägeranteile der Kirchen ganz oder auf jeden Fall zu zwei Dritteln. Dabei verschweigen Sie jedoch, dass diese Absenkung des Trägeranteils schon den größten Teil Ihrer Haushaltserhöhung von 140 Millionen €, die Sie schildern und für die Sie sich feiern lassen, auffrisst, nämlich 85 Millionen €. Dann sind wir bei der wirklichen Erhöhung, die dieses Gesetz bringen soll, weil Sie mit den kirchlichen Trägeranteilen nichts anderes machen, als das System zu halten.