Protokoll der Sitzung vom 09.03.2007

Jetzt komme ich auf die Delikte zu sprechen, für die diese PKS überhaupt keine Aussagefähigkeit hinsichtlich der tatsächlichen Kriminalitätsentwicklung hat. Das sind die Delikte, in denen wir eine Hell- und Dunkelfeldproblematik haben. Da wissen wir nicht wirklich, wie sich die Kriminalitätsentwicklung darstellt, weil das Anzeigeverhalten

der Menschen nicht konstant ist. Das betrifft insbesondere den Bereich der Gewaltkriminalität. Natürlich ist es besorgniserregend, dass wir hier eine Steigerung von 2,3 % haben.

Wir wissen auch – das wissen wir aber auch ohne die PKS –, dass Gewalt a) männlich und b) jung ist. Das ist der Typus Gewalttäter, der am häufigsten auftritt. Das ist in der Tat besorgniserregend. Aber: Die Information, die wir aus der PKS erhalten, ist die registrierte Jugendkriminalität. Sie ist keinesfalls mit der wirklichen Jugendkriminalität gleichzusetzen.

Was beeinflusst denn die Zahlen?

Erstens: das Anzeigeverhalten. Allein dadurch, dass in vielen Behörden jetzt die Möglichkeit der Online-Anzeige besteht – das steht auch in der PKS –, ändert sich das Anzeigeverhalten. Delikte, die früher nicht angezeigt wurden, werden jetzt angezeigt.

Zweitens: die Kontrolldichte der Polizei. Steigende Zahlen kann man mit guter Polizeiarbeit belegen, aber nicht mit wachsender Kriminalität – das nur unter Umständen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Drittens: neue gesetzliche Grundlagen. Wir wissen doch, dass die Anzahl der Delikte im Gewaltbereich durch das Gewaltschutzgesetz für Frauen, die Änderungen des Polizeigesetzes mit den Wegweisungsrechten für gewalttätige Männer sprunghaft angestiegen ist, weil wir durch neue Möglichkeiten für die Frauen, durch neue Gesetze ein Dunkelfeld erhellt haben. Auch diese steigenden Zahlen zeigen eigentlich nur, dass sich etwas mit dem Hell- und Dunkelfeld verändert.

(Beifall von den GRÜNEN)

Im Ausland geht man ganz andere Wege, um sich ein Bild von der Kriminalität zu schaffen. In England hat man Befragungen von Opfern über ihr Anzeigeverhalten und über die Situation durchgeführt. Innerhalb von zehn Jahren hat sich gerade im Gewaltdeliktsbereich die Anzahl der angezeigten Delikte von 31 % auf 43 % gesteigert. Allein das veränderte Anzeigeverhalten zeigt ganz klar, dass wir mit diesen statistischen Zahlen sehr vorsichtig umgehen müssen, um daraus Politik zu machen. Das tun Sie immer wieder, Herr Engel. Das geht mir, ehrlich gesagt, langsam auf die Nerven.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Welche Hausaufgaben haben wir als Politik außerhalb der Statistik zu erledigen? Da ist die

Feststellung, dass die Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft besorgniserregend ist, auf einem hohen Niveau ist und wir dagegen etwas tun müssen.

Und was macht die CDU? Herr Wüst, ich sage nur: Nomen est omen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Herr Wüst hat ein paar ganz klasse Ideen. Was brauchen wir zur Bekämpfung der Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen? Geschlossene Unterbringung, Anwendung des Erwachsenenstrafrechts, überall Videoüberwachung, Ausweisung von jugendlichen ausländischen Straftätern – das ist die Antwort der CDU. Meine Damen und Herren von der CDU, ich spreche Ihnen mit diesen platten Popolismen die Problemlösungskompetenz im Bereich der Jugendkriminalität ab.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Die spreche ich Ihnen in der Tat ab; denn für all diese Maßnahmen, die ich gerade zitiert habe – das wissen Sie auch, Sie haben genug Juristen in der Fraktion –, gibt es bereits gesetzliche Grundlagen.

Jetzt müssen Sie sich doch fragen, warum die nicht genutzt werden, Herr Wüst. Warum wird denn von der Polizei an Kriminalitätsbrennpunkten im ganzen Land nur viermal die Möglichkeit der Videoüberwachung genutzt? Warum denn? Weil sie weiß, dass der Polizist auf der Straße für die Gewaltprävention viel wirksamer ist als eine Kamera.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Weil die Polizei schlauer ist als die CDU!)

Reden Sie einmal mit den Polizeipräsidenten.

Anwendung von Erwachsenenstrafrecht bei Heranwachsenden – auch das ist schon jetzt möglich, Herr Wüst. Sie können sich hier doch nicht für eine Abschaffung des Jugendstrafrechts aussprechen, wenn wir gerade darüber diskutieren, beim Jugendstrafrecht den Erziehungsgedanken für junge Menschen mehr in den Vordergrund zu rücken und ihn nicht abzuschaffen. Die Debatte geht doch in eine ganz andere Richtung. Wo leben Sie denn?

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Die Ausweisung von jugendlichen ausländischen Straftätern ist mein letzter Punkt, da meine Redezeit zu Ende geht, auch wenn ich das noch fortsetzen könnte. Straftäter abschieben – das ist Ihre Antwort. Auch hier gibt es gesetzliche Grundlagen; das wissen Sie. Mit einem bestimmten Straf

tatenkatalog können ausländische Jugendliche ausgewiesen werden. Aber Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass diese Form der Jugendkriminalität der zweiten oder dritten Einwanderergeneration kein ausländisches Problem ist, das man abschieben kann. Es ist ein hausgemachtes, ein deutsches Problem. Die Probleme müssen wir auch hier lösen. Das, was Sie dazu vorschlagen, ist alles, aber nicht sehr wirksam.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Danke schön, Frau Düker. – Die Landesregierung wird jetzt von Herrn Innenminister Dr. Wolf vertreten. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Kriminalstatistik des letzten Jahres bietet viel Licht und wenig Schatten. Ich glaube, wir sollten nicht allzu viel Zeit darauf verwenden, die Frage der Glaubhaftigkeit der Statistik in den Vordergrund zu stellen.

Wir alle wissen, dass gerade auch die SPD, als sie noch den Innenminister stellte, diese Statistik immer zum Maßstab ihrer Erfolge gemacht hat. Deswegen können Sie jetzt, wenn Positives da ist, nicht sagen: Die Statistik ist falsch.

(Monika Düker [GRÜNE]: Das hat er nicht gemacht! – Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Das ist doch falsch! Beweisen Sie das! – Weitere Zurufe von der SPD)

Ich denke, wir haben eine gute Tendenz. Die Zahl der Straftaten insgesamt nimmt ab, und die Aufklärungsquote nimmt zu.

(Frank Sichau [SPD]: Seit Jahren!)

Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle sehr deutlich sagen, dass uns trotz der vielen guten Botschaften, die der Kollege Kruse genannt hat, die Verlagerungen und der Anstieg von Kriminalität natürlich auch Sorge bereiten.

Ich möchte die Internetkriminalität ansprechen, weil sie in der Tat erkennen lässt, dass aus traditionellen Straftaten heute eher eine Kriminalität in diesem Bereich aufwächst. Allerdings haben wir dort eine Aufklärungsquote von 86 %. Deswegen sei jeder gewarnt: Es ist ein Trugschluss, zu glauben, dass dies ein nicht zu entdeckender Straftatbestand ist. Der Internetbetrug macht uns Sorgen.

Es ist bisher von allen Rednern deutlich gesagt worden – ich bin sehr dankbar, Frau Düker, dass Sie das heute auch sehr ausgewogen gemacht

haben –, dass uns alle das Problem der Gewaltkriminalität besorgt.

(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Dabei – Sie haben über Dunkelfeldforschung gesprochen – ist interessant, dass der Sicherheitsbericht der Bundesregierung, der die Kriminalität bis einschließlich 2005 beleuchtet, besagt – ich zitiere –:

„Soweit Dunkelfelddaten vorliegen, zeigen diese einmütig, dass den Hellfeldtrends der letzten Jahre – entgegen verbreiteten subjektiven Eindrücken und Verlautbarungen – keine generellen Anstiege der Gewalt in unserer Gesellschaft zugrunde liegen. Es ist vielmehr vorrangig zu vermehrten Registrierungen von in früheren Jahren nicht gemeldeten Vorfällen gekommen.“

Das ist in der Tat ein entscheidender Punkt.

Wir haben bei der Wahrnehmung der Frage „Gewalt in der Gesellschaft“ eine andere Sensibilität. Ich sehe es positiv, wenn Dinge auf den Tisch kommen, die früher unter den Tisch gekehrt worden sind. Als Beispiele nenne ich die Kriminalität in Schulen und die Kriminalität unter Jugendlichen. Vieles, was früher einfach verschämt nicht gesagt wurde, kommt heute an die Oberfläche. Und das ist auch gut so.

Diese Regierung sagt eindeutig: Wir wollen wissen, was in der Gesellschaft passiert, und wir wollen konzentriert die Ursachen dieser Gewalt bekämpfen. Es ist doch völlig klar, dass Polizei und Justiz alleine nicht als Reparaturbetriebe der Gesellschaft auftreten können.

(Beifall von der CDU)

Wir brauchen einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz zur Ächtung von Gewalt und zur Bekämpfung von Gewalt.

Wir als neue Landesregierung setzen auf bessere frühkindliche Betreuung. Wir wollen, gerade was die Jugendlichen anbetrifft, frühere Sprachprüfungen, Sprachförderung ab vier Jahren, Durchlässigkeit im Schulsystem. Alles das ist wichtig und richtig, um keine Verlierer zu produzieren. Denn die Jugendlichen, die mit 16, 17, 18 Jahren gewalttätig werden, hatten in frühester Kindheit häufig negative Erlebnisse. Da müssen wir ansetzen, um sie frühzeitig aus der Spirale „Ich erlebe Gewalt, und ich übe Gewalt aus“ herauszuholen.

Für uns ist das ein ganz entscheidender Aspekt, der durch gute polizeiliche Arbeit dort ergänzt werden muss, wo die Prävention fehlschlägt. Hier brauchen wir Repression; das ist klar. Da hat sich

die Polizei unter der neuen Landesregierung gerade in letzter Zeit noch besser aufgestellt. Wir haben im Herbst 2006 ein 20-Punkte-Programm „Stoppt Kinder- und Jugendkriminalität“ aufgelegt. Wir intensivieren Ordnungspartnerschaften. Wir unterstützen Kreispolizeibehörden durch Bereitschaftspolizei, um Präsenz zu zeigen. Wir bekämpfen die Kriminalität im Zusammenhang mit Fußballspielen. Wir haben ein Intensivtäterprojekt aufgelegt. Es gibt Gefährdeansprachen in der Familie. Die Polizei geht in die Familien und macht deutlich, was es heißt, wenn man sich an anderen vergeht, wenn man Gewalt ausübt.

Alle diese Punkte sind wichtig – bis hin zu dem Punkt, der auch in anderen Debatten angesprochen worden ist, dass Strafe gerade auch für Jugendliche auf dem Fuße folgen muss. Wenn sie sich falsch verhalten haben, muss auch das Dokument her, dass die Gesellschaft das nicht hinnehmen kann.

Diese Kombination aus einer guten Sozial- und Bildungspolitik verbunden mit einer konsequenten Repression durch die Polizei ist das beste Mittel, um auch in dem Bereich der Gewalttaten noch bessere Ergebnisse zu erzielen. Wir werden es jedenfalls nicht hinnehmen, dass junge Menschen andere terrorisieren, seien sie im gleichen Alter oder älter. Unser Ziel ist, die Statistik auch an dieser Stelle noch besser werden zu lassen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Herr Innenminister. – Für die SPD spricht noch einmal Herr Kutschaty.