Protokoll der Sitzung vom 29.03.2007

Lassen Sie mich noch einen Blick in die Realität von Kindern werfen. 50 % kommen ohne Essen, ohne Frühstück in die Schule. Viele haben noch nicht einmal getrunken, wenn sie in die Schule kommen. Getränke werden in den Schulen nicht vorgehalten. Auch die Frage des Trinkens haben wir bisher nicht ausreichend dimensioniert. Jedes sechste Kind in Deutschland ist übergewichtig. Die Schulkioske sind ernährungsphysiologisch nicht ausreichend mit Essen versorgt. Nur ein Drittel der Kinder isst überhaupt noch regelmäßig frisches Obst und Gemüse. Viele Kinder wissen gar nicht mehr, wie ein gekochtes Essen schmeckt. Ich erlebe in meinem Schullandheim Kinder, die mir sagen, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben ein gekochtes Essen in einem Schullandheim erleben. Auch das ist gesellschaftliche Realität in unserem Land.

Das alles macht klar, wie wichtig die zunehmende Bedeutung einer guten Schulverpflegung ist. Wir haben Sonderschulen in diesem Land, die ihr Essen von der „Tafel“ beziehen, weil die Eltern das Essen nicht bezahlen können. Es geht also darum, endlich allen Schulen die Möglichkeit zu geben, sich zu einer pädagogisch gestalteten Ganztagsschule weiterzuentwickeln und nicht einige sozusagen davon profitieren zu lassen und andere davon auszuklammern.

Es wäre die Aufgabe einer verantwortlichen Politik, die Kommunen in die Lage zu versetzen, vor Ort den bedarfsgerechten Ausbau mit Ganztag vorzunehmen und den Kindern ein Essen anzubieten.

(Zuruf von der CDU: Das ist ja wohl unglaub- lich!)

Viele Eltern sind bereit, dieses Essen zu finanzieren. Aber für die Kinder, deren Eltern das nicht können, müssen wir Lösungen vor Ort finden.

(Beifall von den GRÜNEN)

„Jedem Kind ein Instrument“, lautet ein Landesprogramm. Frau Löhrmann hat es bereits gesagt. Das ist eine unterstützenswerte Initiative. Aber was mache ich, wenn diese Kinder, die das Instrument spielen könnten, nichts zu essen haben? Schon die alten Römer wussten: „Mens sana in corpore sano“- ein gesunder Geist in einem gesunden Körper. Oder anders gesagt: Ein voller Bauch studiert nicht gern, ein leerer kann es gar nicht.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Dazu gehört allerdings mehr als nur ein Schaufensterantrag, meine lieben Kollegen von den Grünen. Wir gehen in vielen Dingen mit Ihnen konform. Wir brauchen aber ein Investitionsprogramm für das Land. Daran sollten wir arbeiten, und dabei haben Sie uns an Ihrer Seite. – Ich bedanke mich.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Hendricks. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Löttgen.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wünschenswert ist in unserem Land vieles. So kann auch dem Anliegen der Grünen und damit der Intention des Antrages der Status „wünschenswert“ bescheinigt werden.

(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Ich habe von der Intention des Antrages gesprochen, Frau Löhrmann. – Machbar ist aber aufgrund der – der rot-grünen Regierungszeit geschuldeten – Finanzschwäche in NordrheinWestfalen all das Wünschenswerte leider nicht mehr.

Mit der Forderung nach einem gesetzlich verankerten Recht auf eine warme Mahlzeit für alle nordrhein-westfälischen Schülerinnen und Schüler schütten die Grünen im Landtag das Kind, ein unschuldiges allzumal, mit dem Bade aus. Anstelle bedarfsgerechter Lösungen und regional flexibler, individuell auf die Nachfrage ausgerichteter Angebote – sowohl Herr Recker als auch Frau Ministerin Sommer haben zu Recht darauf hingewiesen – muss es wieder einmal die allumfassende große Lösung sein. Sie bedienen damit – Frau Löhr

mann, hören Sie gut zu! – einen Reflex aus vergangenen Regierungstagen: Zuerst wird bestellt, will heißen, der Landtag beschließt einen Rechtsanspruch, und anschließend unterhalten wir uns darüber, wie das Bestellte bezahlt werden soll. Diese Denkweise gehört Gott sei Dank der Vergangenheit an.

(Beifall von der CDU – Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Der erste Schritt ist wichtig!)

Auch Ihnen, Frau Löhrmann, Frau Beer, die nach mir sprechen wird, ist doch bekannt, dass der vorliegende Antrag in hohem Maße die Städte und Gemeinden unseres Landes betrifft. Die Kommunen – Frau Ministerin Sommer hat dankenswerterweise darauf hingewiesen – sind es, die als Verantwortliche für die Schulinfrastruktur mit den Investitionen in Mensen und Küchen die Voraussetzungen schaffen müssen, damit ein adäquates Schulessen überhaupt möglich wird. 143 kreisangehörige Kommunen, 19 Großstädte und einige Landkreise befinden sich in der sogenannten Haushaltssicherung; 84 Städte und Gemeinden müssen mit dem sogenannten Nothaushaltsrecht leben. Das ist im Übrigen eine beschämende Bilanz Ihrer Politik.

(Beifall von der CDU)

Dazu zählt auch der Investitionsstau, den Frau Hendricks angesprochen hat. In Ihrem Antrag berücksichtigen Sie dies jedoch in keiner Weise. Der Kommunalrundbrief der Grünen im Landtag vom 7. März 2007 spricht da schon eine deutlichere Sprache:

„Den meisten Kommunen“,

so steht dort zu lesen,

„fehlen die Mittel, ihre Schulen mit den notwendigen Küchen und Mensen auszustatten.“

Warum haben Sie das nicht in Ihren Antrag geschrieben?

(Vorsitz: Vizepräsidentin Angela Freimuth)

Statt einer Lösung dieser Problematik bieten Sie Ihren Kommunalpolitikern lieber Musterpresseerklärungen und Musteranfragen mit ungedeckten Wechseln auf die Zukunft. Ich befürchte, liebe Frau Löhrmann, die Protestschreiben Ihrer Fraktionsvorsitzenden sind Ihnen sicher.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Die ziehen alle mit mir an einem Strang!)

Ist das wahr?

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Ja!)

Das ist ja sehr schön für Sie.

Als Mitglied des kommunalpolitischen Ausschusses halte ich es für dringend geboten, zwei Dinge noch einmal klarzustellen. Die Belastungen der Städte und Gemeinden dürfen nicht weiter steigen, und die Übertragung zusätzlicher Aufgaben kann nur unter strikter Wahrung der Konnexität erfolgen. Will heißen: Wer eine Aufgabe an die Kommunen überträgt, meine sehr geehrten Damen und Herren, der muss auch für die finanzielle Ausstattung sorgen. Anträge wie der hier vorliegende, dessen Chancen auf eine Realisierung in eigener Regierungsverantwortung wegen der Unfinanzierbarkeit des Vorhabens gescheitert wären, bezeichnet man üblicherweise als „Anträge für die Galerie“. Im Landtagswahlprogramm der Grünen findet sich daher zu diesem Thema auch nichts Belastbares. Dennoch will ich dem Antrag wegen der Ernsthaftigkeit dieses Themas diesen Stempel nicht aufdrücken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen haben in den 22 Monaten ihrer Regierungsverantwortung mehr für den Ganztagsbereich getan als die heutige Opposition in den Jahrzehnten ihrer Regierungszeit.

(Beifall von der CDU – Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Das stimmt nicht! Wir haben den offenen Ganztag doch erst möglich ge- macht!)

Allerdings verlieren wir dabei die Leitlinie der Haushaltskonsolidierung nicht aus den Augen. CDU und FDP richten sich dabei nach dem zugegebenermaßen nicht sehr populären Leitsatz, das Machbare und nicht das Wünschenswerte zu verwirklichen.

In diesem Sinne – mein Kollege Bernhard Recker und Frau Ministerin Sommer haben es angesprochen – sind wir im Gespräch mit allen Beteiligten und bemühen uns, tragfähige Lösungen zu erarbeiten, gerade dort, wo Eltern nicht in der Lage sind, diesen Beitrag zu leisten.

Daher abschließend in Richtung der Fraktion der Grünen: Der Kluge kann sich zwar irren und Fehler machen, ist aber auch zur Einsicht und Korrektur fähig.

Das lässt mich hoffen, sehr geehrte Frau Löhrmann, dass auch Ihre weiteren Vorschläge – wie es bei CDU und FDP üblich ist – eine stets notwendige und ebenso verbindliche wie realistische strukturelle Finanzplanung beinhalten werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU – Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Schönen Gruß an Frau von der Leyen!)

Vielen Dank, Herr Kollege Löttgen. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Beer das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Recht auf ein Essen für Kinder, das Recht auf Gesundheitsvorsorge und auf Bildungsfähigkeit zur Bürokratie zu erklären, das ist wahrhaftig eine Meisterleistung der Liberalen in NRW.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das Recht brauchen wir, damit es nicht der Beliebigkeit und der Finanzlage der einzelnen Kommunen und auch nicht der Privatinitiative obliegt, ob ein Schulessen garantiert wird, sondern das muss vom Land aus geregelt werden.

Wenn Sie unseren Antrag lesen, dann erkennen Sie darin den Auftrag zur Entwicklung eines differenzierten Finanzierungskonzeptes gemeinsam mit den Kommunen.

(Bodo Löttgen [CDU]: Machen Sie es doch erst mal!)

Die Ministerin hat sich an der Stelle ja problembewusst gezeigt und hat auch Sensibilität eingefordert im Umgang mit der Problematik. Liebe Frau Sommer, ich bitte Sie, auch Ihren Pressesprecher auf die entsprechende Sensibilität hinzuweisen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn er sich schon in der Manier eines Sozialschnösels mit diesem Ausspruch „Mehr Lehrer, mehr Essen“ äußert, tut es ihm vielleicht gut, mal in einer Schulküche anstatt im Ministerium eine Woche Dienst zu tun.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dann würde er erleben, dass es nicht reicht, Stunde um Stunde abzuhalten,

(Zuruf von Johannes Remmel [GRÜNE])

egal, in welcher Verfassung Kinder im Unterricht sitzen, dass es nicht reicht, ein Ganztagsangebot zu haben, wenn sich Eltern das für Kinder nicht leisten können. Er meint, es gehe ihn als Pressesprecher des Ministeriums vielleicht gar nichts an und es sei vor allem ein Problem, das in Nordrhein-Westfalen marginal ist.