Protokoll der Sitzung vom 03.05.2007

Ich will als eine der Forderungen die „Vorschau auf die zu erwartenden Effekte auf einzelne Dienstleistungsbranchen in Nordrhein-Westfalen“ nennen. Es müsste doch auch in Ihrem Interesse sein, so etwas im Vorfeld zu überprüfen, um zu entscheiden: Hat es wirklich so viele positive Effekte für die Dienstleistungsanbieter, die im Ausland davon profitieren? Hat es Nachteile für diejenigen, die in NRW anbieten? Muss man vielleicht an der einen oder anderen Stelle korrigieren?

Ich glaube zwar nicht, dass eine solche Studie wirklich alles grundlegend verändern oder Defizite beheben kann, aber schaden wird es auf keinen Fall. Es wird vielleicht mehr Transparenz in manche Bereiche bringen. Deswegen ist mir nicht nachvollziehbar, dass Sie sich dagegen sperren. Ich denke, es hat Politik noch nie geschadet, im Vorhinein im Planspiel zu versuchen herauszufinden: Was heißt das, was wir machen, letztendlich in der politischen Konsequenz und in der Umsetzung? Ich empfinde es als mit einem Brett vor dem Kopf herumzulaufen und nicht sehen zu wollen, was passiert.

Wir bedauern nach wie vor – das möchte ich noch einmal festhalten, weil Sie gerade so wunderbar den Kompromiss gelobt haben –, dass nicht das Herkunftslandprinzip beim Marktzugang und das Bestimmungslandprinzip bei der Marktausübung gilt. Das hätte wirklich Rechtsklarheit bedeutet und wäre eine eindeutige Regelung gewesen. Stattdessen soll jetzt das Prinzip des freien Dienstleistungsverkehrs gelten. Das wird viele Unklarheiten mit sich bringen. Danach dürfen nämlich wahrscheinlich auch einige Dienstleistungsanbieter hier Dienstleistungen anbieten, die sie in ihrem Herkunftsland nicht anbieten dürfen.

Dieses Prinzip wird eine Menge Probleme aufwerfen. Auch da würde es mit Sicherheit sinnvoll sein, einmal über den Tellerrand hinauszusehen.

Wir bedauern auch – auch das bezieht sich auf Ihre Aussage, es wäre alles so wunderbar –, dass der Geltungsvorbehalt hinsichtlich der Nichtanwendbarkeit der Richtlinie bezüglich ganz wesentlicher Bereiche verankert worden ist, nämlich zum Arbeitsrecht, zu den vertraglichen Bestimmungen über Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, zur Sicherheit am Arbeitsplatz, zur sozialen Sicherheit und zu den Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Dieser Geltungsvorbehalt bedeutet letztendlich, dass dann wieder unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts diese Bereiche ausgeklammert werden. In dem Moment, wo das Gemeinschaftsrecht nicht gewahrt ist oder man einen solchen Verdacht haben könnte, gilt diese Nichtanwendbarkeit nicht. In dem Augenblick haben wir dann wieder die Probleme beim Beihilferecht und auch bei vielen anderen Punkten. Was das bedeutet, brauche ich hier nicht breit auszuführen. Damit müsste man sich auch noch einmal hinsichtlich der Frage auseinandersetzen, was das konkret für NordrheinWestfalen heißen kann und was wir an welchen Stellen wie vollziehen wollen.

Unabhängig von der Studie – dazu habe ich von Ihnen auch nur gehört, dass Sie das Ganze mit Zuversicht betrachten und alles gut werden wird – müssen wir uns gerade zu der Frage der einheitlichen Ansprechpartner/Ansprechpartnerinnen vor Augen führen, welche Rolle Nordrhein-Westfalen dabei spielt und wie das ausgestaltet werden soll. Was wird unter „einheitlich“ wirklich verstanden? Für uns heißt „einheitlich“ nämlich nicht, eine Person für alle, sondern das heißt, ein Dienstleister müsste die Tätigkeitsaufnahme und Tätigkeitsdurchführung in einer Hand haben. Man muss überlegen, wie man das in Nordrhein-Westfalen organisiert. Man muss überlegen, auf welche Weise die Kommunen einbezogen werden, wer das wie ausübt. Das sind wesentliche Fragen, die zu klären sind.

Es sind aber auch noch andere Fragen zu klären, bei denen man eine Folgenabschätzung braucht. Ich nenne das Stichwort Inländerdiskriminierung, worüber auch in vielen anderen Zusammenhängen diskutiert wird. Man muss darüber nachdenken, was das in diesem Bereich heißt.

Wir müssen jenseits einer solchen Folgenabschätzung, die mit Sicherheit Sinn machen kann, ganz konkret sagen, wie Nordrhein-Westfalen den Prozess ausgestalten wird. Daran sollte natürlich auch das Parlament beteiligt sein. Das Parlament

sollte intensiv mitdiskutieren können. Dazu wird es, so denke ich, eine Beratung im Ausschuss geben. Wahrscheinlich wird es heute auch nicht das letzte Mal gewesen sein, dass wir uns mit diesen Fragen im Plenum befassen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Steffens. – Als nächster Redner hat für die FDP-Fraktion der Kollege Brockes das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Schroeren sprach schon an, dass uns zu diesem Thema bereits vor anderthalb Jahren zwei Anträge der Oppositionsfraktionen vorlagen. Bedauerlicherweise, Herr Kollege Kuschke, scheint sich die SPD auch auf dem Politikfeld Europa seit diesem Zeitpunkt nicht mehr auf der Höhe der Zeit zu bewegen.

Ihre Forderungen im Antrag gleichen nahezu denen Ihres Antrages von vor anderthalb Jahren. Das allein ist noch nicht tragisch, auch wenn eine Forderung nicht dadurch richtig wird, dass man sie immer wiederholt.

Peinlich wird die Neuauflage eines eigenen Antrages nur, wenn sie verdeutlicht, dass sich die Antragstellerin augenscheinlich seit dem alten Antrag von vor anderthalb Jahren nicht mehr richtig mit diesem Thema auseinandergesetzt hat.

Ansonsten würden Sie in Ihren Forderungen nicht ständig von „Richtlinienentwurf“ sprechen, obwohl die Richtlinie bereits in Kraft getreten ist. Außerdem wüssten Sie dann auch, wie der aktuelle Sachstand der EU-Richtlinie und ihrer Umsetzung in Deutschland aussieht.

Sie hätten dann auch erkannt, dass Ihre zentrale Forderung im Antrag unter Abschnitt V., die Landesregierung müsse eine wissenschaftliche Studie in Auftrag geben, die vor der Einführung der Dienstleistungsrichtlinie im Jahre 2008 Aussagen über deren Auswirkungen mache, schlicht falsch ist.

Auch Ihre Forderung unter Punkt 5 im Abschnitt VI. „Beschlüsse“ nach einer Untersuchung der Auswirkungen auf die Tarifstrukturen und Tarifhoheit in Deutschland und NRW verwundert vor dem Hintergrund, dass die Richtlinie selbst weder Arbeitsrecht, Beschäftigungsbedingungen noch das Tarifvertragsrecht betrifft.

Meine Damen und Herren, die EU-Dienstleistungsrichtlinie ist in der vom Europäischen Par

lament und vom Rat beschlossenen Fassung am 28. Dezember 2006 in Kraft getreten.

Herr Kollege Brockes, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kuschke?

Gern, bitte.

Bitte, Herr Kuschke.

Vielen Dank, Herr Kollege. Das gibt mir die Möglichkeit, den Ball aufzugreifen, den Sie zugespielt haben. Wir reden einmal in unserem Antrag von Entwurf, und zwar im richtigen Zusammenhang. Damals handelte es sich um einen Entwurf, den die Kommission in das Verfahren eingebracht hat. Das nur am Rande. Das ist aber im Antrag korrekt dargestellt.

Ich möchte vermeiden, dass etwas passiert, was schon bei dem Kollegen Schroeren geschehen ist. Es geht uns nicht um das, was in der Vergangenheit in Brüssel miteinander verhandelt worden ist. Wir kommen dabei zu differenzierten Betrachtungen, was die Bewertung des Ergebnisses anbelangt. Uns geht es vielmehr um die Umsetzungsphase. Unser Gefühl ist, dass wir, wenn …

Herr Kollege Kuschke, ich bitte Sie, eine Frage zu formulieren und kein Statement abzugeben.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Brockes, sind Sie aufgrund eines besseren Informationsflusses zwischen der Landesregierung und Ihnen in der Lage darzustellen, welche Umsetzungsschritte in Nordrhein-Westfalen in der Zwischenzeit gelaufen sind?

Lieber Herr Kollege Kuschke, ich werde in meinen Ausführungen noch darauf eingehen, wie das weitere Verfahren aussieht. Dann sehen Sie auch die Möglichkeiten, die das Land hat bzw. nicht hat, entsprechend Einfluss zu nehmen.

Frau Präsidentin, ich stelle mit etwas Verwunderung fest, dass meine Zeit schon wieder läuft, obwohl ich noch bei der Beantwortung der Frage bin.

Meine Damen und Herren, die EU-Dienstleistungsrichtlinie ist somit für alle Mitgliedstaaten bereits heute verbindlich und binnen drei Jahren so, wie sie ist, in nationales Recht umzusetzen.

Nachbesserungen an der Richtlinie selbst oder eine abweichende Umsetzung in nationales Recht sind im jetzigen Verfahren nicht möglich. Ansonsten droht Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren.

Regeln, die der Richtlinie widersprechen, dürfen bereits heute nicht mehr vom nationalen Gesetzgeber erlassen werden.

Meine Damen und Herren von der SPD, Sie gehen rückwärts gewandt noch einmal auf Fragen ein, die bereits bei den Verhandlungen zur Verabschiedung des Richtlinienentwurfs aufgeworfen und ausführlich und kontrovers diskutiert wurden. Sie sollten nicht die geeignete Umsetzung, sondern Inhalt und Sinnhaftigkeit einer Richtlinie diskutieren, die bereits in Kraft ist.

Wie bei der Steinkohle befassen Sie sich lieber permanent mit der Vergangenheit, statt in die Zukunft zu schauen.

(Wolfram Kuschke [SPD]: Eben nicht!)

Das Ziel ist klar: Die einseitig auf Ängste abzielende und bewusst panikschürende Kampagne, die gerade auch von den Gewerkschaften geführt wurde, möchten Sie von der SPD wieder aufleben lassen. Ihrem durchschaubaren Ansinnen werden wir heute, aber auch in der weiteren Beratung eine klare Absage erteilen. Denn mit der Angst vor dem Wettbewerb und dem zunehmenden Wunsch der SPD, sich in eine Wagenburg zurückzuziehen, verspielen Sie sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch in Deutschland und in Europa unsere Chancen auf Wachstum und Beschäftigung.

Wer jetzt weiterhin gegen die Richtlinie wettert, Herr Kuschke, gibt damit zu erkennen, dass er die Dienstleistungsfreiheit als solche und damit eine der Grundfreiheiten des Binnenmarktes ablehnt. Die Richtlinie soll bürokratische Hindernisse abbauen, den grenzüberschreitenden Handel mit Dienstleistungen fördern und damit zur Verwirklichung des einheitlichen Binnenmarktes beitragen. Sie ist ein wichtiges Reformvorhaben bei der Umsetzung der Lissabon-Strategie.

Gerade Nordrhein-Westfalen, Frau Kollegin Steffens, wird von der Dienstleistungsrichtlinie in hohem Maße profitieren. Viele hochwettbewerbsfähige mittelständische Unternehmen wollen endlich die Wachstumschancen nutzen, die sich ihnen im großen europäischen Markt eröffnen. Die Dienstleistungsrichtlinie bietet eine sehr gute Grundlage, die wirkliche Dienstleistungsfreiheit zu schaffen.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Mit der Umsetzung der Richtlinie sind zahlreiche sachliche und organisatorische Aufgabenbereiche verbunden, die hier bereits von meinen Vorrednern angesprochen wurden. Die Umsetzung dieser Punkte wirft eine Vielzahl komplexer Fragen auf, die nun unter Einbeziehung der beteiligten Akteure geklärt werden müssen. Die Federführung nimmt hierbei auf Bundesebene grundsätzlich das Bundeswirtschaftsministerium wahr. Nach dem föderalen System Deutschlands kommt jedoch auch den Bundesländern in vielen Bereichen eine zentrale Umsetzungsrolle zu.

Herr Kollege, ich darf Sie bitten, zum Schluss zu kommen.

Frau Präsidentin, ich komme zum letzten Satz. – Die Bundesregierung steht deshalb nach ihrer Aussage bereits in engem Kontakt mit den zuständigen Ländern, um gemeinsame Eckpunkte für eine wirtschaftsfreundliche Umsetzung zu erarbeiten. Im Rahmen der Wirtschaftsministerkonferenz …

Herr Kollege!

… wurde bereits eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet, die gemeinsame Eckpunkte der Umsetzung erarbeitet. Darauf sollten wir uns konzentrieren, und wir sollten uns dabei entsprechend einbringen.

(Beifall von der FDP)

Herr Kollege, über die Nummerierung von Sätzen werden wir bei Gelegenheit sicherlich noch einmal sprechen. – Als nächste Rednerin hat nun Frau Ministerin Thoben für die Landesregierung das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kuschke, selbst wenn Sie reden, muss es mir möglich sein, dass ich mich zu einer kleinen Informationsfrage, die Ihre Rede betraf, für 20 Sekunden mit der zuständigen Referentin unterhalte. Daraus solch einen Terz zu machen, kann ich nicht nachvollziehen.

(Beifall von der CDU)

Die Fraktion der SPD fordert mit vorliegendem Antrag eine umfangreiche Studie. Sie soll einerseits eine Folgenabschätzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie, die sich mit den Auswirkungen auf einzelne Dienstleistungsbranchen in Nord

rhein-Westfalen – insbesondere Wirkungseffekte auf KMU, Tarifstrukturen und Tarifhoheit – befasst, zum Inhalt haben. Andererseits soll eine vollständige Kostenanalyse für die sich ergebenden Änderungen vorgenommen werden.

Übrigens soll diese Studie auch die Kompatibilität des Richtlinienentwurfs mit dem deutschen Rechtssystem untersuchen. Das ist reichlich spät, wenn man – das hat Herr Brockes zu Recht gesagt – bedenkt, dass diese Richtlinie bereits Ende letzten Jahres in Kraft getreten ist.

Das, was Sie als Beschlussvorschlag beschreiben, bleibt deshalb hinter den derzeit gültigen Sachverhalten zurück. Die Dienstleistungsrichtlinie befindet sich nämlich nicht mehr – so stellen Sie es dar – in der Entwurfsfassung. Also muss man hier jetzt nicht die Wünsche und Erwartungen vortragen, sondern an der Umsetzung arbeiten.