Ich will an dieser Stelle auch noch einmal auf die 150.000 Stunden Unterrichtsausfall anspielen. Sie gebärden sich hier wie ein Bademeister, der am Rand eines Beckens steht, in dem sich Nichtschwimmer befinden, die noch Schwimmhilfen – und zwar Förderunterricht – brauchen. Wenn dann neue Nichtschwimmer dazukommen, sagen Sie den anderen: „Gebt mir bitte die Schwimmhilfen zurück; die müssen wir jetzt den Neuen geben“, obwohl sie selbst noch nicht schwimmen können und gegebenenfalls untergehen werden.
Dass Sie hier eine Vermischung vornehmen und den Ausfall von Förderunterricht für diejenigen, die ihn am dringendsten nötig haben, mit der angeblichen Notwendigkeit der Sprachstandserhebung rechtfertigen, obwohl es auch anders gegangen wäre, ist empörend.
Sie hätten die notwendigen Ressourcen in das System hineingeben müssen. Sie können das nicht übergießen und sagen, Sie täten ja wenigstens etwas. Wenn man es so macht, beschädigt man das ganze Unternehmen, und dann kommt wirklich nur Murks dabei heraus.
Daher müssen wir auf allen Ebenen neu ansetzen. Das werden wir in einer Anhörung tun. Wir müssen schonungslos darüber reden, damit unser gemeinsames Anliegen nach vorne gebracht werden kann.
Auf Ihre Art und Weise hat es leider sehr viel Beschädigung gegeben. Aus der politischen Verantwortung dafür kommen Sie nicht mehr heraus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man kann sich über die Ausführungen, die die Opposition hier in Selbstgefälligkeit zu diesem Thema tätigt, nur sehr wundern – insbesondere dann, wenn man sich das anschaut, was Sie nach zehn Jahren Rot-Grün hier hinterlassen haben.
Sie haben das selektivste Bildungssystem von ganz Deutschland hinterlassen; denn die Kinder, die aus sozial schwachen Elternhäusern kommen, bleiben weit hinter ihren intellektuellen Möglichkeiten zurück. Damit sind junge Menschen jahrelang um ihre Zukunftschancen betrogen worden. Das ist das Bildungssystem, das Sie hinterlassen haben und für das Sie abgewählt worden sind!
Deshalb, meine Damen und Herren, gibt es auch nicht genügend Zeit zum Aussitzen und Zuwarten. Es muss jetzt gehandelt werden, damit NordrheinWestfalen im Bereich von Bildung und Erziehung endlich nach vorne kommt.
Wenn man sich anhört, was die Opposition hier vorträgt, kann man sich nur vorstellen, dass Sie in einer anderen Welt leben. Das Bildungssystem, das Sie hinterlassen haben, beginnt mit der Sortierung von Schülern hausnummernweise nach Grundschulbezirken, wo Kinder, die im sozialen Brennpunkt geboren werden, die nächsten Jahre dort weiter beschult werden.
Der Grund, warum wir in Nordrhein-Westfalen einen so besonders engen Zusammenhang zwischen Bildungschancen und sozialer Herkunft haben, ist nach Ihren Feststellungen – von Ihrer früheren Bildungsministerin Ute Schäfer kurz vor Ihrer Abwahl öffentlich eingeräumt und in Landtagsdrucksachen zugestanden – die zu geringe Sprachkompetenz von Jugendlichen gewesen. Das ist der Grund für die soziale Selektivität, die Sie hinterlassen.
Wir als Koalition der Erneuerung sagen: Das nehmen wir nicht so hin. Das ist kein Zustand, mit dem wir auf Dauer in einem zukunftsfähigen Nordrhein-Westfalen leben wollen. Deshalb werden wir nicht weitere Jahre verschlafen – auch wenn Sie sich das als Opposition wünschen –, sondern jetzt handeln. Nordrhein-Westfalen braucht Tempo, und in kaum einem anderen Politikfeld ist der Aufholbedarf so groß wie hier.
Deshalb reihen wir uns nicht ein in die Schar von Berufsbedenkenträgern, die bei Erneuerungen, Reformen und zusätzlichen Förderungen die Chancen, die sich daraus ergeben, nicht erkennen, sondern immer nur alles schlechtreden wollen.
Jeder von uns, der ein Land reformieren will, weiß, dass es immer Besitzstandsbewahrer gibt, dass es immer einzelne gibt, die nicht einverstanden sind, wenn irgendetwas anders läuft, als es jahrzehntelang vorher gewesen ist. Aber das darf
Ich halte die einheitliche Sprachförderung, die einheitliche Sprachstandsfeststellung für alle Kinder in Nordrhein-Westfalen für eine der größten sozialen Wohltaten, die diese Landesregierung dem Land Nordrhein-Westfalen angedeihen lässt, meine Damen und Herren.
Deshalb: Erkennen Sie an, was hier passiert. Die Sprachstandsfeststellung wird auf einen Zeitpunkt vorgezogen, zu dem es möglich ist, die Sprachdefizite noch ohne Druck rechtzeitig genug vor dem ersten Schultag zu beheben, damit alle Kinder, wenn sie den ersten Schritt in die Schule setzen, auf Augenhöhe erfolgreich an den Start gehen können.
Als SPD und Grüne regierten, mussten die Kinder innerhalb von sechs Monaten in einer CrashkursMethode die Sprachkompetenz erwerben. Das hat die Bezeichnung „mit heißer Nadel gestrickt“ wahrlich verdient, nicht aber die von uns bewusst wissenschaftlich etablierte und fundierte Sprachstandsfeststellung.
Die größte Sorge der Grünen ist – wie Frau Asch es vorgetragen hat –, dass die Teilnahme an der zweiten Phase bei Kindern eine Defizitzuschreibung auslöst und sich negativ auf das Selbstbild des Kindes auswirkt. Sie spricht sogar von zukünftig negativen Folgen für die weitere Entwicklung von Kindern. Frau Professor Fried hat Ihnen, Frau Asch, hoffentlich diese Sorge genommen. Dennoch hört die Opposition nicht auf, in unverantwortlicher Weise Ängste zu schüren und von Kinderabitur zu reden. Wir als Koalition der Erneuerung verlangen im Abitur schon mehr, als nur die Sprache zu beherrschen. Vielleicht ist das in diesem Land ein Unterschied zwischen Rot-Grün früher und Schwarz-Gelb heute.
Aber, meine Damen und Herren, weil es natürlich bei jeder großflächigen Veränderung Rückfragen und Beratungsbedarfe gibt – was auch niemand bestreitet –, haben wir eine Hotline eingerichtet, die von Mitarbeitern der Universität Dortmund betreut wird und Fragen von Eltern, die mehr Informationen benötigen oder Beratung wünschen, ernst nimmt.
Im Übrigen frage ich mich, ob Rot-Grün sich solchen Fragen auch zu Zeiten ihrer früheren Regierungsverantwortung gestellt hat. Denn das früher von Ihnen bei Anmeldung in der Grundschule ver
anstaltete Miniprogrämmchen zur Sprachstandsförderung, bei dem längst nicht jeder – nicht einmal die, die wollten – ein Angebot bekommen hat, war sicherlich viel eher für Kinder als Test in einem unbekannten Umfeld zu verstehen als der Zoobesuch
und unsere spielerische Herangehensweise, bei der das Kind in seinem gewohnten Lebensumfeld verbleibt und sich im Kreise von Bekannten, Erziehungskräften und anderen Kindern aufhält.
Es handelt sich nicht um einen Test, bei dem man durchfallen kann. Vielmehr geht es darum herauszufinden, welches Kind welche spezifische, individuelle, besondere Förderung gegebenenfalls benötigt, um in der Schule erfolgreich starten zu können. Dass die Opposition das nicht versteht, ist bedauerlich, aber auch verständlich. Denn sie hat sich nicht der Mühe unterzogen, die Kinder mit Sprachförderbedarf – früher, als es in ihrer Verantwortung stand – zu identifizieren. Warum auch?
Ihre Strategie war es, die Mittel – im Übrigen nicht einmal die Hälfte der Summe, die wir jetzt für den Start bereits zur Verfügung stellen – an Kindertageseinrichtungen allein mit hohem Migrantenanteil zu verteilen. Wer nicht richtig Deutsch konnte und mit vielen Zuwandererkindern gemeinsam in den Kindergarten ging, hatte möglicherweise Glück. Wer einen Kindergarten mit weniger als 50 % Kinder mit Migrationshintergrund besuchte, musste stattdessen sehen, wo er bleibt. Das war Ihre Definition von sozialer Gerechtigkeit.
Wir von der Koalition der Erneuerung, meine Damen und Herren, wissen: So einfach, wie Sie schablonenhaft gehandelt haben, ist die Wahrheit nicht. Die Wirklichkeit ist manchmal anders, als Sie die Realität wahrnehmen. Es gibt bei allem besonderen Augenmerk auf Probleme des Migrationshintergrunds sehr wohl Sprachförderbedarf auch für andere Bevölkerungsteile, um die wir uns ebenfalls kümmern müssen. Deshalb freue ich mich, dass es uns mit unserem ganzheitlichen Ansatz geglückt ist, einen gesamten Jahrgang und damit auf Dauer eine zukünftige Schülergeneration neu zu befähigen und damit die Grundlagen zu schaffen, dass junge Menschen erfolgreich in der Schule starten können, dass es Integrationsperspektiven gibt, wo Sprache der wesentliche Schlüssel ist, und sich zukünftig Lebensperspektive und Erfolg einstellen können.
Um das Testverfahren weiterhin stetig zu optimieren – niemand will bestreiten, dass man Erkenntnisse und Erfahrungen reflektieren und für die Zu
kunft berücksichtigen sollte – und um die Anregungen aus der Praxis aufzunehmen und auszuwerten, werden von uns Evaluationsbögen verteilt, die die Universität Dortmund gegenwärtig wissenschaftlich auswertet. Frau Professor Fried wurde von Anfang an damit beauftragt, den Test im Jahre 2008 auf Grundlage der gesammelten Erfahrungen weiterzuentwickeln. Natürlich stecken wir in einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Das ist doch bei jedem Reformvorhaben selbstverständlich.
Deshalb komme ich zum Ende, Herr Präsident, mit meinem Appell, uns im Interesse der Kinder und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen zu unterstützen, um das Land NRW nach vorn zu bringen. Helfen Sie mit, jungen Menschen neue Chancen zu geben, an der Gesellschaft tatsächlich teilzuhaben, eigene neue Erfolge zu erlangen. Sorgen wir nicht künstlich für eine Verunsicherung, die dieses großflächige Förderprogramm mit Sicherheit nicht verdient hat. – Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Für die CDU-Fraktion hat – falls gewünscht – Frau Doppmeier das Wort.
Ich habe gehört, dass Frau Ministerin Sommer noch einmal reden will. Da die Landesregierung ihre Redezeit vollständig ausgeschöpft hat, bedeutet das, dass wir danach eine neue Runde aufmachen, wenn die Fraktionen das wünschen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach einer so langen Debatte wie dieser ist es sicherlich vernünftig, am Ende noch einmal O-Töne zu hören. Ich beschränke mich dabei nur auf zwei.
„Ich kann es nicht mehr hören (lesen), wie viele Leute – ohne dabei gewesen zu sein – immer wieder über die Sprachstandserhebung in NRW Horrorbotschaften absondern! Kann noch nicht
einmal bei dem Ziel Einigkeit erzielt werden, dass jedes Kind, das eine deutsche Schule besucht, auch den Lehrer verstehen können soll?“