Protokoll der Sitzung vom 01.09.2005

(Beifall von der FDP)

Wir haben keine Zeit zu verlieren. Deshalb will ich sicherstellen, dass sich die Schulen schon zum kommenden Schulhalbjahr, also zum Februar 2006, um diesen Zuschlag bewerben können. Gerade heute habe ich aus Ihren Reihen gehört, dass es in den Hauptschulen Stimmen gibt, die deutlich sagen: Wenn das kommt, machen wir gerne mit.

Das Angebot richtet sich nicht nur an die sogenannten Halbtagsschulen, sondern auch an die bestehenden Ganztagshauptschulen, vor allem an die, die mit schwierigen Standortbedingungen konfrontiert werden.

Das ist eine Richtungsentscheidung. Natürlich - Sie fragen immer gern schon zu diesem Zeitpunkt nach Konzeptionen - sind noch nicht alle Details geklärt. Nach neun Wochen kann man sie auch noch nicht geklärt haben. Aber Schulen und Eltern sollen wissen, was unser Ziel ist.

Meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, Sie legen in Ihrem Antrag dar, Ihnen gehe diese Perspektive nicht weit genug. Sie möchten alle Schulformen in der Sekundarstufe I in den Ausbau des Ganztagsangebots einbeziehen.

Damit ignorieren Sie aber den vorhandenen dringenden Handlungsbedarf an unseren Hauptschulen. Gerade dort haben wir einen erheblichen Korrekturbedarf. Die Pisa-Studie hat ganz deutlich gezeigt, dass die soziale Herkunft - ich habe es

eben erwähnt, aber ich möchte es noch einmal sagen - den Bildungserfolg immer noch bestimmt, gerade bei uns in Nordrhein-Westfalen.

Das Ergebnis davon können wir jeden Tag im Schulalltag sehen. Es sind vor allem diejenigen Schülerinnen und Schüler, deren Eltern arbeitslos sind, die bisher von der Sozialhilfe leben mussten oder einen Migrationshintergrund haben. Untersuchungen sprechen von rund 25 % der Hauptschüler, die kaum einen Einstieg in eine berufliche Zukunft finden. Gerade diese Jugendlichen dürfen wir nicht alleine lassen. Wir müssen ihnen eine verlässliche Berufsperspektive eröffnen.

Für die Probleme gibt es mehrere Ursachen: die mangelnde Beherrschung der deutschen Sprache, viel zu geringe individuelle Förderung im frühen Kindesalter, das Aufwachsen in sozial belasteten Verhältnissen. All dies sind Indikatoren, die die Bildungsmotivation von Schülerinnen und Schülern reduzieren und die Arbeit von Lehrkräften belasten.

Diese Perspektivlosigkeit ist nicht mehr hinnehmbar. Die Landesregierung hat sich bewusst - anders als bei der Grundschule - für eine schulische Lösung der Ganztagshauptschule entschieden. Im Vordergrund steht die Aufwertung der Hauptschule zu einer qualifizierten Bildungsinstitution. Es geht vor allem um den Besuch von Förderkursen, zum Beispiel im Lesen, Schreiben und Rechnen,

(Beifall von Ingrid Pieper-von Heiden [FDP])

von Arbeitsgemeinschaften oder auch der Hausaufgabenhilfe. Dies bedeutet aber nicht den Verzicht auf Öffnung von Schule. Die Schule soll ergänzend mit der örtlichen Jugendhilfe, dem Sport, der Kultur und anderen außerschulischen Partnern zusammenwirken.

Meine Damen und Herren, wir wollen die Ausweitung der Fördermittel für Ganztagsangebote um jährlich 120 Millionen € bis 2010 für die Qualitätsverbesserung des Ganztags in der Grundschule und für das neue Angebot in der Hauptschule verwenden.

Mit dem vorliegenden Antrag, dieses Angebot auf alle Schulen der Sekundarstufe I auszudehnen, fordert die SPD sicherlich etwas Wünschenswertes, was derzeit finanziell aber überhaupt nicht umsetzbar sein wird.

Langfristig wird es sicherlich einer Gleichbehandlung aller Schulformen bedürfen. Zunächst einmal müssen wir uns aber auf das Machbare konzentrieren und Prioritäten setzen. Das, meine Damen und Herren, ist die Hauptschule. Sehr geehrte Frau Beer, Sie sagten eben - ich zitiere wörtlich -:

„Sie glauben“ - und Sie meinten damit uns als Regierungspartei -, „mit diesem Modell die Hauptschule retten zu können.“

Sind Sie sich bewusst, was Sie damit gesagt haben? Sie stellen damit fest, dass die Hauptschule fast zu einem leblosen Gebilde geworden ist, wenn Sie sie retten wollen.

(Beifall von CDU und FDP)

Ich rufe Ihnen zu: Ja, wir wollen die Hauptschule retten. Wir wollen sie zu neuem Leben erwecken. - Ich rufe Ihnen zum letzten Mal an diesem Tag zu - und freue mich nochmals, dass die Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion dies so nett aufgenommen und zu einem gemeinsamen Spruch gemacht haben -: Das Maß aller Dinge ist das Wohl des Kindes.

(Beifall von CDU und FDP)

Frau Ministerin Sommer, möchten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Beer beantworten?

Ja.

Bitte.

Frau Ministerin, ich frage Sie: Wie bewerten Sie nach Ihren Ausführungen den Befund der Pisa-Studien, die konstatieren, dass wir ein besonderes Problem in den Hauptschulen dadurch haben, dass wir es mit sozial differenziellen Lernmilieus zu tun haben? Und wie bewerten Sie das Problem der mangelnden Durchlässigkeit? Denn wir wissen, dass in unserem Schulwesen von 100 Schülerinnen und Schülern, die sich dort bewegen, genau sechs im Schulsystem aufsteigen und 94 absteigen.

Zu Ihrer ersten Frage: Ich möchte deutlich machen, dass mich das Problem der sozialen Herkunft mit Blick auf die Bildung, die ein Schüler erreichen kann, sehr bedrückt. Ich denke, dass ist bei Ihnen genauso. Dieses Problem ist nicht hinnehmbar, und unsere Antwort darauf ist die Ganztagshauptschule.

Das Problem der Durchlässigkeit möchte ich so beantworten - das ist ein anderes Problem, es hat nichts mit dem Thema zu tun, das ich Ihnen gerade vorgestellt habe -: Wir möchten entsprechende Abschlüsse an allen Schulformen zum Beispiel ab Klasse 10 gewährleisten. Da ist eine große Durchlässigkeit vorhanden. Wenn wir entsprechende

Aufgaben in der Hauptschule, in der Realschule, im Gymnasium stellen, dann wird sich das Problem der Durchlässigkeit als ein geringeres erweisen. Zumindest baue ich darauf. Wir arbeiten daran. - Ich danke Ihnen.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Als nächste Rednerin hat für die SPD-Fraktion Kollegin Stotz das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte mit einem Zitat aus der jüngsten Zeit zu unserem Antrag „Offenen Ganztag an allen Schulformen der Sekundarstufe I einrichten“ beginnen und damit neben dem bildungspolitischen Aspekt, den wir schon breit diskutiert haben, einen weiteren wichtigen Aspekt ansprechen, nämlich den Aspekt der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin den Ministerpräsidenten, der in seiner ersten Regierungserklärung am 13. Juli hier im Hause sagte:

„Wir müssen die Rahmenbedingungen für Familien so verbessern, dass die Menschen wieder mehr Mut haben, ihre Kinderwünsche zu verwirklichen. Die Devise ‚Lieber kinderlos als arbeitslos’ darf nirgendwo mehr gelten.“

Dem kann ich natürlich zustimmen. Wir alle wissen: Unsere Geburtenrate ist weltweit eine der schlechtesten. Während lange Zeit das Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ vor allem unter sozialpolitischen Gesichtspunkten diskutiert wurde, stellt sich diese Frage heute mehr denn je auch unter ökonomischen Aspekten, und zwar deshalb, weil zum einen die Menschen Gott sei Dank immer älter werden und zum anderen die Bevölkerungszahl - und somit auch die Zahl der Fachkräfte - abnimmt.

Nach Berechnungen des Wirtschaftsinstituts Prognos wird der Anteil der Erwerbspersonen unter 50 Jahren von derzeit 77 % bis 2015 auf 68 % sinken. Fachkräftemangel ist also schon jetzt vorprogrammiert.

Trotz erfolgreicher Frauenfördermaßnahmen in den letzten Jahren ist unsere Frauenerwerbsquote bislang im internationalen Vergleich in keiner Weise zufriedenstellend. Es besteht also weiterhin dringender Handlungsbedarf.

Wir haben die bestausgebildete Frauengeneration aller Zeiten. Wir wollen es daher entsprechend unserer bisherigen sozialdemokratischen Politik

und unserer Vision von einer tatsächlich emanzipierten Gesellschaft nicht hinnehmen, dass Frauen mit exzellenten Ausbildungsergebnissen aufgrund fehlender Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder ihre Kenntnisse und Fähigkeiten nicht in unsere Volkswirtschaft einbringen können. Dies wird unserer Gesellschaft auf Dauer - wie wir von Prognos wissen - großen Schaden zufügen.

Gehen wir dieses Problem nicht weiterhin konsequent an, wird sich dies im Zuge der demographischen Entwicklung böse rächen. Besonders in den letzten fünf Jahren hat sich die alte Landesregierung deshalb konsequent dem Thema der Betreuung gewidmet. Die rot-grüne Bundesregierung unterstützt Nordrhein-Westfalen dabei mit rund 914 Millionen € aus dem 4-Milliarden-€Programm. Sie wissen, dies geschieht im Zusammenhang mit der Ganztagsgrundschule.

Wäre es nach dem Willen der CDU-geführten Bundesländer gegangen, dann hätten wir in Nordrhein-Westfalen wie alle anderen Bundesländer an dieser Stelle in die Röhre geguckt. Sie wissen, wie lange dort blockiert wurde; genauso war es später auch in der Debatte um das Tagesbetreuungsausbaugesetz.

Wir haben das Konzept der offenen Ganztagsgrundschule trotz des vehementen Widerstandes der damaligen Opposition an den Start gebracht, und wie wir heute sehen, hat es sich bestens bewährt. Mehr als 1.300 Grundschulen im Land bieten mittlerweile diesen wichtigen Baustein auch für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf an. Dies geschieht zur größten Zufriedenheit der Eltern. Das geht mancherorts sogar so weit - das sehe ich bei mir vor Ort -, dass junge Eltern die Entscheidung für einen Bauplatz davon abhängig machen, ob sich in der Nähe eine Ganztagsgrundschule befindet.

Mittlerweile ist festzustellen, dass auch die CDU im Wesentlichen unserem Konzept zustimmt, obwohl Sie hier heute wieder anfangen, das Ganze schlechtzureden. Im Übrigen finde ich es gegenüber denjenigen, die in der Ganztagsgrundschule mit großem Engagement arbeiten, wirklich nicht in Ordnung, dass Sie hier schlechtreden, was diese Personen an wertvoller Arbeit für das Wohl unserer Kinder vollbringen.

(Beifall von der SPD)

Deshalb bin ich auch wenig über die Tatsache erfreut, dass Sie sich jetzt allein auf die Hauptschule konzentrieren wollen, obwohl Sie doch in der letzten Legislaturperiode vehement gefordert haben - meine Kollegin hat es schon gesagt -, den Ganztag an allen Schulformen einzuführen. Jetzt, da

Sie kaum in der Verantwortung sind, verabschieden Sie sich davon ganz nach dem Motto: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern? - Wir halten das familien-, bildungs- und wirtschaftspolitisch für einen ganz fatalen Fehler.

Es darf zu keinem Bruch in der Betreuungskette kommen, wenn wir die bestausgebildeten Frauen in das berufliche Leben integrieren wollen. Wie Sie alle wissen, müssen wir dies auch tun.

Wir sind damit in der letzten Legislaturperiode gestartet und haben nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass wir das in dieser Legislaturperiode in den Sekundarstufen I und II aller Schulformen weiter ausbauen wollten. Insofern fordern wir Sie dazu auf, diesen Fehler nicht zu machen. Entwickeln Sie jetzt für alle Schulformen der Sekundarstufe I ein tragfähiges Konzept, damit die Eltern wissen, wie es weitergeht. Das können die Eltern in diesem Land von Ihnen erwarten. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Stotz. - Als nächste Rednerin hat Kollegin Kastner für die CDU-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Stotz hat uns gerade aufgefordert, einen Fehler nicht zu begehen, den Sie vielleicht in den letzten fünf Jahren gemacht haben. Aber ich sage ganz deutlich: Wir können in dieser Richtung gar keine Fehler machen, weil uns als Ziel vor Augen schwebt, Ganztagsangebote für alle Schulen einzurichten. Wir wissen allerdings genau, dass wir mit dem, was wir bisher übernommen haben, dieses Ziel nicht erreichen können.

Wir haben einen maroden Haushalt übernommen; wir haben heute sehr häufig darüber diskutiert. Sie müssten eigentlich wissen, was Sie uns hinterlassen haben. Von daher hat mich Ihr Antrag halb zum Lachen, halb zum Weinen gebracht.

Gerade Sie von Rot-Grün haben sich damals, als die Bundesregierung die Mittel zur Verfügung gestellt hat, ganz eindeutig nur für die eine Form entschieden, nämlich nur für die Förderung eines Ganztagsangebots in Grundschulen. Schon damals - und das ist richtig - haben wir sehr deutlich gesagt: Wir möchten es nicht nur in Grundschulen, wir möchten es in allen Schulen. - Ich bleibe auch dabei: Wir möchten es letztendlich in allen Schulen, aber da, wo kein Geld mehr zur Verfügung steht, muss man schauen, wie man mit dem umgeht, was man hat.