Protokoll der Sitzung vom 01.09.2005

dass sie jetzt endlich wieder frei arbeiten dürfen. Vielleicht hätte es der SPD nach 39 Jahren Verantwortung in der Schulpolitik gut getan, zunächst einmal zuzuhören, in welche Richtung die Entwicklungen gehen.

(Zuruf von Hannelore Kraft [SPD])

Versuchen wir, einfach sachlich zu bleiben. Als Schlussbilanz der rot-grünen Schulpolitik bleibt festzuhalten: In keinem anderen Bundesland ist der Schulerfolg stärker vom sozialen Hintergrund der Eltern abhängig als in Nordrhein-Westfalen.

Mit dem Antrag, den die SPD eingebracht und den Frau Schäfer umfangreich begründet hat, werden eben keine neuen Wege gegangen, sondern man glaubt mit Denkverboten weiterzukommen. Das ist aber irrig.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Denkverbote haben Sie!)

Der Antrag ist inhaltlich schwach und handwerklich schlecht gemacht. Wer für die Beibehaltung von Schulbezirken argumentiert und sagt, dass

dann die Kinder allein beziehungsweise mit anderen Schülerinnen und Schülern den Schulweg selbstständig beschreiten können, der hat meines Erachtens schlichtweg die Realität der Grundschulen nicht mehr im Blick.

Wir müssen uns vor Augen führen, was die Koalition vereinbart hat. CDU und FDP sehen den Wegfall der Schuleinzugsbezirke als Ende eines Prozesses an. Deshalb haben wir als Zeitpunkt das Jahr 2008 vereinbart. Deshalb gibt es von uns auch keinen parlamentarischen Schnellschuss. Wir bereiten diesen Prozess gut und differenziert vor und leisten somit einen Beitrag zur Lösung der anstehenden Herausforderungen im Grundschulbereich.

Die Probleme an den Grundschulen machen eine Diskussion um die Schulbezirke notwendig. Es ist eine Illusion zu glauben, man käme im Grundschulbereich in den nächsten zehn Jahren über die Runden, ohne über die Schulbezirke zu reden. Da gibt es klaren Handlungsbedarf.

(Hannelore Kraft [SPD]: Wo denn?)

Das wird deutlich, wenn man sich die Herausforderungen klar macht.

Erstens. Die demographische Entwicklung bedroht eine Vielzahl unserer Grundschulen, gerade auch im ländlichen Bereich.

Zweitens. Die Probleme der Segregation sind vor allem in Ballungsgebieten, aber nicht nur da eine große gesamtgesellschaftliche Herausforderung, die insbesondere auch im Grundschulbereich Handlungskonzepte erfordert.

Drittens. Die Ergebnisse der Pisa-Studien verlangen weitere Qualitätsverbesserung auch im Bereich der Grundschule, die nicht zuletzt durch mehr Wettbewerb erreicht werden wird.

Viertens. Wir brauchen verbesserte unterrichtliche und außerunterrichtliche Angebote für alle Schülerinnen und Schüler durch inhaltlich verschieden profilierte Grundschulen.

Fünftens. Die verbesserte individuelle Förderung in allen Schulformen ist die Voraussetzung für mehr Chancengerechtigkeit in NordrheinWestfalen.

Sechstens - das ist auf den Städte- und Gemeindebund bezogen -: Wir wollen keine Reformen zulasten der Kommunen.

Um diese Zielsetzungen zu erreichen, wird die Aufhebung der Schulbezirke ein sehr hilfreiches Steuerungselement sein.

(Zuruf von Hannelore Kraft [SPD])

- Glauben Sie, ich bin 25 Jahre in der Kommunalpolitik. Da bin ich relativ gut zu Hause. Sie können mir nichts mehr beibringen, was man da lernen kann. Da bin ich ziemlich sicher.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Dann können Sie ja aufhören!)

- Ich komme gleich darauf. - Wenn wir selbstständige und profilierte Schulen wollen, dann ist es sinnvoll, dass Grundschulen auch zusätzliche Angebote in den Schwerpunkten ihres Angebots machen. Viele Eltern hätten sich gefreut, wenn sie ihr Kind zum Beispiel in einer Grundschule hätten anmelden können, in der etwa das Theaterspiel, die Musik, der Sport, die Sprache oder die Rechtschreibung einen besonderen Schwerpunkt bildet.

Um einen Wettbewerb zu ermöglichen, brauchen wir den produktiven Wettbewerb. Wir müssen die Suche nach einer möglichst schülergerechten Schule aufnehmen. Durch Profilbildung gibt es so die Chance für besonders engagierte Schulen, den Fortgang und den Fortbestand der eigenen Schule auch vor dem Hintergrund zurückgehender Schülerzahlen abzusichern.

Jetzt werde ich einmal kommunalpolitisch: Es gibt im ländlichen Bereich für manches Dorf nur die Möglichkeit, die Schule auf Dauer vor Ort zu halten, wenn sie besonders attraktiv ist, damit auch Kinder von anderen Ortsteilen hinzukommen.

(Zuruf von der SPD)

Das ist das, was wir mit den kommunalen Spitzenverbänden in Ruhe erörtern möchten. Man regelt das doch nicht über Schuleinzugsbezirke. Dadurch begünstigt man einen Verdrängungswettbewerb. Stattdessen müssen wir produktiv vorgehen.

(Hannelore Kraft [SPD]: Dann müssen die Kinder noch weiter fahren! Was ist das für eine Logik?)

- Frau Kraft, Sie versuchen, Lautstärke als Konzept zu verkaufen. Das hilft nicht. Laut ist nicht besser. Das gilt auch für die Schulpolitik.

Wir werden nicht alles durch das Schulprogramm regeln können. Wir können nur - und das ist die Absicht - künftig Schulen vergleichen. Bei Schulen und Vergleich von Schulen gilt: Wir können nicht Äpfel mit Birnen vergleichen.

Wir haben heute eine stillschweigend geduldete Ungerechtigkeit im Grundschulbereich. Die vorherige Regierung hat nichts dagegen gemacht wie bei vielen anderen Entwicklungen auch.

(Hannelore Kraft [SPD]: Die Verhandlungen haben Sie eingebracht!)

Heute hat eine Grundschule mit einem sehr geringen Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund die gleiche Personalausstattung wie eine gleich große Grundschule mit mehr als 50 % oder einem noch höheren Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund oder Sprachproblemen. Beide Schulen können aber nicht Gleiches leisten.

Die Koalition sagt deshalb: Wir werden dafür sorgen, dass die Schule, die die schwierigeren Ausgangsbedingungen zu bewältigen hat, gleiche Chancen durch verbesserte Unterrichts- und Schulbedingungen bekommt. Dadurch kann die Schule in den Wettbewerb treten und ihn auch bestehen.

Das ist ein Thema, über das wir reden müssen. Es ist eine Illusion zu glauben, heute sei im Grundschulbereich alles Friede, Freude, Eierkuchen, alles in bester Ordnung. Wir haben doch extreme Unterschiede. Darauf muss man situationsgerecht und modern reagieren.

Dafür brauchen wir aber den Vorlauf bis 2008. Das unterscheidet uns nachdrücklich von Ihrer Politik, Frau Schäfer. Wir ersetzen Aktionismus und Leuchtturmprojekte durch nachhaltige Entwicklungsstrategien. Das wird dann zum Erfolg führen.

(Beifall von CDU und FDP)

Am Ende des Prozesses werden wir bessere und leistungsfähigere Grundschulen mit zufriedeneren Lehrerinnen und Lehrern und mit besseren Schülerinnen und Schülern haben. Wir werden die Aufhebung in enger Kooperation mit den Städten und Gemeinden machen.

Meine Damen und Herren von der SPD, es ist doch ganz klar, dass sich der Städte- und Gemeindebund derzeit gegen die Pläne der Landesregierung wendet. Die Städte und Gemeinden haben doch 39 Jahre Erfahrung mit der roten Landesregierung gemacht. Und dies war immer die gleiche: Wenn die in Düsseldorf beschließen, müssen die vor Ort zahlen. - Ich kann aus 25 Jahren Erfahrung in der Kommunalpolitik erzählen, wie sich das vor Ort immer darstellt.

Diese jahrzehntelange Erfahrung ist doch Resultat dessen, was vonseiten der Städte und Gemeinden vorgebracht wird. Es ist aber eben die neue Kultur unserer Politik, wenn wir sagen, dass die geplante Änderung nicht zulasten der Kommunen erfolgen wird. Im Gegenteil: Sie wird die Freiräume für die kommunalen Schulträger weiter erhöhen. Denn natürlich gilt, dass jede Schule eine

Höchstkapazität hat. Genauso, wie heute jede Schule in privater Trägerschaft oder viele Gymnasien mit Höchstzahlen arbeiten müssen, wird dies auch weiterhin für Grundschulen gelten.

Selbstverständlich wird man Kriterien finden, nach denen zunächst einmal Kinder aus dem direkten Wohnquartier einen Vorrang vor anderen Kindern haben; das wird sich wahrscheinlich auch in der Praxis wenig ändern. Ich bin mir sicher, dass wir gemeinsam mit den Städten und Gemeinden vernünftige Wege finden werden. Ich kann Ihnen heute schon Städte nennen, die gerne an der Spitze voranmarschieren würden,

(Hannelore Kraft [SPD]: Die kann ich Ihnen auch nennen!)

weil es eine große Chance für aktive und aufgeschlossene Schulträger ist, eine verbesserte und attraktivere Schullandschaft zu erhalten.

(Zuruf von der SPD: Ein Beispiel!)

Das hilft im Wettbewerb der Städte insbesondere vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung.

Meine Damen und Herren von der SPD, Ihr Antrag steht zur direkten Abstimmung. Das ist gut so. Denn für die Ausschussberatung gibt er wirklich nicht genug her. Wir können ihn hier nur ablehnen. Gleichzeitig freuen wir uns sehr auf den Dialog mit der Opposition, wenn wir unseren Vorschlag zur Auflösung der Schulbezirke als Bestandteil einer neuen und innovativen Schulpolitik vorlegen. - Herzlichen Dank.

(Beifall von CDU und FDP - Zuruf von der SPD: Darauf freuen wir uns!)

Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Frau Abgeordnete Beer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! CDUBürgermeister laufen Sturm. Die kommunalen Spitzenverbände formulieren lautstarken Protest und wehren sich. Und wogegen formiert sich der Widerstand? Welche rot-grünen Ansinnen müssen zurückgewiesen werden? - Nein, das ist die falsche Fährte. Der Blick muss in die entgegengesetzte Richtung gehen.

Es macht sich nämlich Ernüchterung über die Inhalte des schwarz-gelben Koalitionsvertrags breit. Schließlich verstößt der Plan, die Grundschulbezirke aufzulösen, gegen die wohlbegründeten frü

heren CDU-Positionen - Positionen, die, wie schon im Antrag erwähnt, mit Grünen, SPD und eben gemeinsam in der letzten Legislaturperiode gegen das Ansinnen der FDP, die Grundschulbezirke zu schleifen, gemeinsam bekundet und abgestimmt worden sind.