„Um den Grundbedarf in den Schulen decken zu können …, müssen deshalb für das Schuljahr 2005/2006 weitere 1.000 Lehrerstellen bereitgestellt werden.“
Sehr geehrte Frau Sommer, stellen Sie wirklich 1.000 zusätzliche Lehrkräfte ein, wie Sie es behaupten, oder stellen Sie mehr Lehrkräfte ein als bisher geplant, weil es schlicht mehr Schüler gibt als erwartet, wie es Ihr Finanzminister schreibt und wie Sie es nach dem Gesetz auch müssten? Dann allerdings machen Sie nicht mehr und nicht weniger als das, was jede andere Landesregierung auch machen müsste: Sie sorgen dafür, dass mehr Schüler auch mehr Lehrer bekommen. So oft Sie es auf Pressekonferenzen auch behaupten mögen, Fakt ist: Sie stellen keine zusätzlichen Lehrkräfte ein, sondern befriedigen nur den Grundbedarf der Schulen, was zwar durchaus ehrenhaft ist, aber Ihr Getöse, das Sie darum machen, nicht im Ansatz rechtfertigt.
Lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zum Einstellungsverfahren machen. In Ihrem Koalitionsvertrag schreiben Sie - ich zitiere -: „Schulen erhalten Stellen und ein Sachmittelbudget. Sie stellen ihre Lehrer selbst ein.“ - So weit die schwarz-gelbe Theorie. Auch Herr Kaiser sagte vorhin hier im Plenum: Schulen sollen endlich freier arbeiten können. Das, was Sie verkünden und aufgeschrieben haben, hört sich toll an, doch schauen wir uns einmal die Praxis an:
Während bislang unter rot-grüner Regierung in NRW über 90 % aller Lehrkräfte von den weiterführenden Schulen selbst ausgesucht wurden, haben Sie nun einen anderen Weg eingeschlagen. Statt schulscharfer Stellenbesetzung erfolgte das sogenannte Listenverfahren. „Sozialismus statt Freiheit“ könnte man dazu sagen - ein deutliches, wenn auch unerwartetes Signal der neuen Regierung; denn Sie handeln damit frei nach dem
planwirtschaftlichen Motto: "Dachziegel sind heute leider aus, nehmen Sie doch Zement." Anders ausgedrückt: Leider haben wir keinen Physiklehrer im Angebot, aber freu dich über den Deutschlehrer, sonst bekommst du gar keinen.
Ist das die neue Autonomie für Schulen, wie sie insbesondere der FDP für die nächsten Jahre vorschwebt? - Dann gute Nacht.
Ich möchte Ihnen die Situation vor Ort, damit Sie es verstehen können, an einem Fall verdeutlichen, der mir zu Ohren gekommen ist, meine Damen und Herren von der CDU und auch von der FDP: Ein Lehrer wurde im schulscharfen Einstellungsverfahren in den letzten beiden Jahren gleich zweimal wegen mangelnder Eignung an einer Schule abgelehnt. Nun bekommt diese Schule genau diesen Lehrer, der bereits mehrfach abgewiesen worden ist, zugewiesen. Ich bin mir sicher: Der ewige Dank dieser Schule wird Ihnen gewiss sein, Frau Sommer.
Was Sie hier praktizieren, ist unter dem Strich weder ein Erfolgsmodell noch ein guter Start. Wozu dann der ganze Aufwand? - Weil Sie, meine Damen und Herren von der Landesregierung, ein Theaterkabinett sind, das die Inszenierung liebt. Ihnen ging es nur darum, nach den Sommerferien mit einem Paukenschlag Hunderte von neuen Lehrern wie weiße Kaninchen aus dem Hut zu zaubern. Ganz egal, ob auch ein paar schwarze Hasen dabei sind, Hauptsache die 1.000 Stellen werden publikumswirksam besetzt. Darum ging es Ihnen, und zwar „zufällig“ pünktlich zum Ende der parlamentarischen Sommerpause, pünktlich vor der Bundestagswahl.
- Hören Sie zu. Wäre es Ihnen um die Sache gegangen, dann hätten Sie den Schulen die Wahl gelassen, welche Lehrkräfte sie einstellen und welche nicht. Nicht nur an dieser Stelle waren wir in NRW durchaus schon einmal weiter.
Lassen Sie mich abschließend noch etwas zum Wert von zentralen bildungspolitischen Aussagen von CDU und FDP sagen, die neue Landesregierung werde die Hauptschule stärker berücksichtigen und fördern; so hieß es zumindest bislang. Auf meine Nachfrage, wie viele von den sage und schreibe 31 neuen Lehrkräften, die wir in Duisburg überhaupt bekommen haben, künftig an einer Hauptschule unterrichten würden, erhielt ich die Antwort: kein einziger. Auch wir haben Hauptschulen, Frau Pieper, auch wenn Sie das vielleicht verwundert. Kein einziger Ihrer tollen neuen
- Warten Sie noch ein paar Sekunden, dann bin ich fertig. Mein Fazit der ganzen Geschichte: zusätzliche Lehrkräfte - Fehlanzeige, zusätzlicher Fachunterricht in Mangelfächern - Fehlanzeige, zusätzliche Freiheit für die Schulen - Fehlanzeige, zusätzliche Lehrkräfte - zumindest in Duisburg, was die Hauptschulen angeht, Fehlanzeige. Gut gemeint ist leider oftmals das Gegenteil von gut gemacht, so wohl auch hier. - Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Link. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Beer das Wort.
(Manfred Kuhmichel [CDU]: Eine historische Rede! - Sigrid Beer [GRÜNE]: Danke! - Man- fred Kuhmichel [CDU]: Nein, Ihr Vorgänger!)
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich für die Vorbemerkung des Kollegen - eine historische Rede. Ich möchte noch einmal als Zusammenfassung und Quintessenz aus der vorherigen Diskussion festhalten, und das ist historisch: Ab heute geht es für die Grundschulen in Nordrhein-Westfalen um das Überleben.
Aber zum jetzigen Thema: Ich möchte gleich zu Anfang vorausschicken, dass die Grünen die zügige Umsetzung des Vorhabens der Einstellung von 1.000 Lehrerinnen und Lehrern begrüßen.
Wir bleiben dabei, dass die Investitionen in Bildung Priorität haben müssen, dass es sinnvoller ist, in Bildung zu investieren, anstatt später teuer die Defizite zu reparieren. Die steigenden Schülerzahlen haben allerdings auch im letzten Jahr schon dazu geführt, dass 1.000 Stellen zusätzlich geschaffen werden mussten. Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihren Selbstbejubelungsantrag, den Sie uns vorgelegt haben, hätten Sie besser so nicht formuliert.
Ich frage mich ernsthaft, wie er einzuordnen ist. Handelt es sich hier etwa um einen klassischen Fall von Autosuggestion? Sie reden sich selbst etwas ein und machen sich vor, Sie hätten tat
gegen den bestehenden Unterrichtsausfall, aber auch für die Einrichtung der echten Ganztagsschule und kleinere Klassen, also 4.000 multifunktionale Lehrer und Lehrerinnen neu in den Landesdienst zu bekommen. Oder handelt es sich bei Ihren Ausführungen vielleicht, wie ich eben auch vermerkt habe, um eine Variante der bekannten Brutto-/Nettoschwäche, ausgedehnt auf die Berechnung von Lehrerstellen? Ich möchte eigentlich annehmen, dass es sich um Autosuggestion handelt; denn wenn das nicht so sein sollte, müsste ich Ihnen die Täuschung der Bürgerinnen und Bürgern allgemein, der Schulen und im Besonderen der Eltern vorwerfen. Nehmen Sie bitte deshalb das Wort Glaubwürdigkeit nicht allzu vorschnell in den Mund.
Sie haben - das ist, wie gesagt, sehr begrüßenswert - ca. 1.000 Lehrer und Lehrerinnen eingestellt. Damit erreichen Sie, dass Sie bei gestiegenen Schülerzahlen die Vorgaben der SchülerLehrer-Relation einhalten. Sie erfüllen und erreichen damit den Status quo, und das ist gut so. Aber jetzt sind die 1.000 Stellen weg. Sie lassen sich leider nicht mehr auf andere Stellen und andere Felder anrechnen. Sie haben den Bürgerinnen und Bürgern und den Schulen darüber hinaus mindestens 4.000 zusätzliche Lehrer und Lehrerinnen versprochen.
- Herr Recker, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit. Dann können Sie den Rechenprozess nachvollziehen, dann können wir das gemeinsam machen.
Sie rechnen die 1.000 Stellen in Ihrer Antragsbegründung munter als erste Tranche dieser 4.000 Stellen an. Das ist doch in höchstem Grade unseriös.
Die Schulen und die Eltern werden sich auf den Arm genommen fühlen, wenn sich über die bestehende Situation hinaus nichts wirklich Substanzielles tut und wenn Sie nur in Rechenkünsten schwelgen.
Ich will diese 1.000 Stellen, die Sie eingebracht haben, aber noch einmal unter die Lupe nehmen und Ihnen dazu einige Fragen stellen.
Auf den Internetseiten des Bildungsportals, also den Seiten des Schulministeriums, sind die Zahlen der Prognosen zum Einstellungsbedarf für alle Schulformen nachzulesen. Das empfehle ich Ihnen. Der Mittelwert beträgt für die Jahre 2006 bis 2010 nach diesen Angaben insgesamt 7.000 Stellen. Dieser steigende Einstellungsbedarf speist sich natürlich auch aus den Kolleginnen und Kollegen, die aus dem Dienst ausscheiden.
Diese Tendenz zeichnet sich auch schon in den Zahlen der letzten Jahre ab. Am 3. September 2004 wurden in der Schuljahrespressekonferenz die folgenden Zahlen präsentiert: Im letzten Jahr wurden zu beiden Einstellungsterminen 5.543 Lehrer und Lehrerinnen eingestellt, zusätzlich 300 Lehrer und Lehrerinnen im Vertretungspool, 70 Werklehrer und Werklehrerinnen, 187 Sozialpädagogen und Sozialpädagoginnen, also insgesamt 6.100 Lehrer und Lehrerinnen.
Sehr geehrte Damen und Herren, die Zahlen der neuen Schulministerin geben leider keine Auskunft darüber, wie es in diesem Jahr mit der Deckung des Einstellungsbedarfs für alle ausgeschiedenen Kollegen und Kolleginnen insgesamt aussieht. Was ist davon zu halten? Wir haben hier einen Mehrbedarf von insgesamt 6.700 Stellen. Sie haben in Ihrer Konferenz selbst davon gesprochen, dass Sie 3.335 Einstellungen vorgenommen haben. Davon sind knapp 1.000 Stellen aus diesem Sonderpool. Die muss ich jetzt eigentlich von dem gesamten Einstellungsgrundbedarf abziehen. Sie haben also lediglich 2.399 Lehrer und Lehrerinnen eingestellt, um die ausscheidenden Kollegen und Kolleginnen zu ersetzen. Reicht das wirklich aus? Die Antwort darauf sind Sie uns bisher schuldig geblieben. Wir wissen nicht, ob der Bedarf wirklich abgedeckt ist.
Ist es außerdem richtig, dass von einzelnen Schulen schon Stellen zurückgerufen worden sind, weil der Vertretungspool jetzt quasi blankgezogen wurde?
Das heißt, wenn in Zukunft Krankheitsfälle oder Mutterschaftsvertretungen anstehen, dann haben die Schulen keinen Ersatz mehr. Wir produzieren also auf der anderen Seite munter weiter Unterrichtsausfall.
Sehr geehrte Damen und Herren, aus guten Gründen ist in den vergangenen Jahren das Verfahren der sogenannten schulscharfen Stellenausschreibung forciert und ausgeweitet worden. Was sagen Sie zur Kritik der Schulen, dass jetzt auch die Bewerber und Bewerberinnen in den Schuldienst gekommen sind, die von Schulen vorher aus guten Gründen, häufig unter Qualitätsaspekten abgelehnt worden sind?