Protokoll der Sitzung vom 04.05.2007

(Monika Düker [GRÜNE]: Das ist aus der Steinzeit!)

Nun sind die Grünen auf die rheinland-pfälzische Idee gekommen, Wahlkreise einzurichten. Aber wie ich vorhin schon dargelegt habe, sind diese Wahlkreise eben nicht mit den bisherigen Wahlbezirken zu vergleichen, wo es in der Regel eine enge Verbindung gibt zwischen den Repräsentanten und denen, die sie gewählt haben.

Der Vorteil – natürlich gibt es auch Vorteile des Kumulierens und Panaschierens –

(Monika Düker [GRÜNE]: Hört, hört!)

besteht in einem begrenzten Einfluss auf die personelle Zusammensetzung eines Rates. Mein Vorredner von der CDU hat gerade erläutert, wie die Chancen stehen, durch das Kumulieren um Plätze nach oben zu rücken.

Sonst profitieren davon nur populäre Honoratioren, kleinere Parteien und indirekt die Sonnenkönige unter den Bürgermeistern. Sehr schön zusammengefasst haben das die Kommunalwissenschaftler Löffler und Rogg aus Baden-Württemberg, veröffentlicht in einem Buch, herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg.

(Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

„Die Bürger haben zwar mehr personelle Wahlmöglichkeiten. In einem demokratietheoretischen Sinn ist das allerdings nicht deckungsgleich mit mehr politischer Mitwirkung.

Deshalb lehnt die SPD die Einführung von Kumulieren und Panaschieren in NRW ab und hält am bewährten Wahlsystem fest.

(Beifall von SPD und CDU)

Ich komme zu dem zweiten Punkt, den ich sowohl in dem Gesetzentwurf der Grünen als auch in dem Vorschlag der Landesregierung vermisse: die Einführung einer Sperrklausel.

Der Verfassungsgerichtshof NRW hat 1999 die 5%-Klausel nicht etwa generell für verfassungswidrig erklärt, sondern die Begründung für deren Beibehaltung als nicht hinreichend bewertet.

(Ralf Witzel [FDP]: Sie haben sie doch abge- schafft!)

Wir haben überhaupt nichts abgeschafft.

(Ralf Witzel [FDP]: Das ist doch Ihre Ent- scheidung gewesen!)

Dabei muss zwischen der Chancengleichheit der Parteien und der Funktionsfähigkeit der Räte natürlich sorgfältig abgewogen werden. Der Wegfall jeglicher Sperrklausel hat jedoch zu einer Zersplitterung der Räte und Kreistage geführt. Dabei sind zu unser aller Bedauern auch extremistische Parteien und Einzelbewerber eingezogen.

Bei wichtigen Themen wie der Verabschiedung der Haushalte oder der Wahl von Beigeordneten wird die Willensbildung in diesen Kommunalvertretungen dadurch behindert bzw. sogar von der Zustimmung extremistischer Vertreter abhängig. Daher gibt es sehr wohl Argumente für eine Wiedereinführung einer Sperrklausel, in welcher Höhe auch immer. Die SPD wird diesen wichtigen Punkt aufgreifen und im Rahmen der Gesetzesberatung vor allen Dingen bei den Anhörungen der Sachverständigen einbringen.

Mein dritter und letzter Aspekt ist die Stichwahl der Bürgermeister. Im Gesetzentwurf der Grünen wird an der Stichwahl festgehalten, und das ist auch gut so. Weder die etwas niedrigere Wahlbeteiligung noch das Abschneiden einer Partei bei den Stichwahlen rechtfertigt die Absicht der Landesregierung, diese abzuschaffen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Auch ist die Wahl zum kommunalen Spitzenamt mitnichten mit der Direktwahl der Bundestagsabgeordneten im Wahlkreis vergleichbar. Ohne Stichwahl sinkt die Legitimation der gewählten Bürgermeister. In Hagen wäre 2004 bei nur einem Wahlgang, also ohne Stichwahl, ein Oberbürgermeister von 18,5 % der Wahlberechtigten gewählt worden. In einer Stichwahl gehen die Stimmen der kleineren Parteien nicht verloren, sondern tragen im zweiten Wahlgang zur Entscheidung und höheren Legitimation bei.

(Beifall von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, ich konnte mit meinen Ausführungen auch etwas zur Versachlichung der Debatte beitragen, und freue mich schon auf die weiteren Beratungen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Prof. Dr. Bovermann. – Als nächster Redner hat nun für die Fraktion der FDP der Kollege Engel das Wort.

(Monika Düker [GRÜNE]: Umfaller!)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Landtag hat sich am 29. März 2007 mit zwei wichtigen Vorhaben der Koalition der Erneuerung befasst. Jedes dieser beiden Gesetzesvorhaben wird, wenn es endlich im Landesgesetzblatt steht, wichtige Weichenstellungen vor Ort entfalten. Es geht, wie Sie wissen, erstens um die Kommunalverfassung und zweitens um das Kommunalwahlgesetz.

Nach nunmehr knapp zwei Regierungsjahren setzen wir damit zentrale Themen aus unserem Koalitionsvertrag um. Die im Gesetzentwurf der Landesregierung vorgesehene Novellierung des Kommunalwahlgesetzes soll zur Stärkung der Rechte für aktive und passive Wahlberechtigte führen. Auch Sie von den Grünen, Herr Becker, zeigen mit der Vorlage Ihres eigenen Gesetzentwurfs, dass Sie Änderungsbedarf am bestehenden Kommunalwahlgesetz erkennen. Es bleibt also bei diesem Konsens nur die Frage offen, was geändert werden soll und wie man es verändert.

Ihre eigenen Vorstellungen haben Sie in dem hier zu diskutierenden Entwurf dargelegt. Sie wissen auch, Herr Becker, dass wir in zentralen Fragen anderer Ansicht sind. Ihr Entwurf muss sich somit an dem inhaltlich überzeugenden, schlüssigen und sorgfältig erarbeiteten Regierungsentwurf messen lassen, und das ist nicht leicht. Sie werden sich sicherlich an die 12. und 13. Legislaturperiode und an die Gesetzentwürfe der Opposition erinnern. Also, so einfach gelingt das nicht. Der Gesetzentwurf der Landesregierung ist unsere Richtmarke, und Ihr Entwurf muss dem Vergleich mit diesem Entwurf letztendlich standhalten.

Ich möchte, bevor ich inhaltlich darauf eingehe, meinen geschätzten Kollegen Lindner zitieren. Er hat hier einmal im Plenum gesagt – ich finde den Satz gut –: Das Gute an dem Entwurf ist nicht neu, und das Neue an dem Entwurf ist nicht gut. – So müssen wir das in der Zusammenfassung heute auch bewerten. Würde ein Lehrer den Gesetzentwurf einmal zu würdigen haben, würde in der Bewertung Folgendes stehen: Es wurde sich redlich bemüht, das Arbeitsergebnis weist jedoch gravierende Mängel auf. Zum Teil wurde bloß abgeschrieben – leider ist das so –, wobei sinnverfälschende Flüchtigkeitsfehler auftraten. Die selbstangefertigten Abschnitte weisen handwerkliche Fehler auf und lassen erkennen, dass sich der Verfasser nur unzureichend mit der einzelnen Thematik beschäftigt hat. Insbesondere wurden die konkreten Auswirkungen der vorgeschlagenen Regelungen nicht hinreichend bedacht. – Dies vorweg.

Da sich meine Vorredner, also der Kollege Prof. Bovermann, aber auch Sie, Herr Becker, sehr ausführlich mit Kumulieren und Panaschieren befasst haben, möchte ich meinen Beitrag heute komplett kürzen und nur auf diesen Punkt eingehen.

Sie haben, Herr Becker, zu Beginn gesagt, wir hätten uns einmal vor Ort schlau machen sollen, und Sie verweisen auf den Prüfauftrag in unserem Koalitionsvertrag. Ich darf Ihnen sagen: Wir waren in Wetzlar, in Reutlingen und in Stuttgart und haben uns die Dinge im Detail angesehen. Das, was Sie, Herr Prof. Bovermann, zu Kumulieren und Panaschieren vorgetragen haben, ist genau so richtig; das kann ich unterschreiben.

Ich trage für Herrn Becker und für die Kolleginnen und Kollegen eines noch nach: Wenn Sie Hessen mit 6,07 Millionen Einwohnern mit NordrheinWestfalen zu vergleichen versuchen, werden Sie feststellen: Das ist von der Einwohnerzahl her rund ein Drittel. Hessen hat aber 426 Kommunen; wir haben 396 und 31 Kreise. Allein aus dem Verhältnis von 6 Millionen Einwohnern dort und 18 Millionen Einwohnern hier bei jeweils rund 400 Kommunen, werden sie schließen können, dass die Kommunen dort deutlich kleiner sein müssen.

Extremer, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist es noch in Baden-Württemberg. BadenWürttemberg hat 10,7 Millionen Einwohner, also knapp 11 Millionen, und sage und schreibe 1.108 Kommunen. Da gibt es viele kleine, ich sage einmal: feine und auch putzige Kommunen. Da kann man tatsächlich kumulieren und panaschieren. Da gewinnt – und das hat Kollege Bovermann sehr schön herausgearbeitet – tatsächlich der Bäcker im Dorf, den man kennt. Herr Bovermann hat von den Honoratioren gesprochen.

Wenn Sie jetzt versuchen, dieses süddeutsche Modell auf Nordrhein-Westfalen zu übertragen, werden Sie feststellen, dass es an allen Ecken und Enden kneift. Wir haben unsere Schularbeiten, die wir uns im Koalitionsvertrag auferlegt haben, also durchaus gemacht und das geprüft. Sie haben gesagt: im stillen Kämmerlein. Das Ergebnis ist nach erteiltem Prüfauftrag und gemachter Prüfung auf jeden Fall gewesen: Das passt nicht für Nordrhein-Westfalen.

Insofern, meine sehr verehrten Damen und Herren, sehe ich mit Interesse der Beratung Ihres Gesetzentwurfes im Fachausschuss entgegen, empfehle Ihnen aber, weil viele handwerkliche Fehler darin enthalten sind – möglicherweise geht der Innenminister gleich noch darauf ein –, ihn zurückzuziehen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Engel. – Als Nächster spricht für die Landesregierung Herr Minister Dr. Wolf.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf enthält in der Tat dort einige handwerkliche Mängel, wo er sich an den Gesetzentwurf anlehnt, der bereits eingebracht worden ist:

Das bezieht sich erstens auf die Frage der Sperrfrist für die Ausübung des aktiven Wahlrechts. Dort wird nicht die Möglichkeit der doppelten Wahl desselben Wählers in der alten und in der neuen Gemeinde ausgeschlossen, wie wir das getan haben.

Sie haben zweitens bei dem Problem des Einblicks in das Wählerverzeichnis den Datenschutz vernachlässigt, indem Sie die öffentliche Auslegung zur allgemeinen Einsicht nach wie vor vorsehen.

Drittens ist Ihnen bei der Frage der Wählbarkeit von Arbeitern im allgemeinen Sinne ein Fehler unterlaufen, weil Sie damit die Inkompatibilitätsregelungen, die sich aus dem Grundgesetz herleiten, nicht hinreichend beachtet haben.

All dies, meine Damen und Herren, genügt schon, um diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Darüber hinaus haben Sie die Abschaffung der Stichwahl nicht vorgesehen. Von Herrn Hüsken und Herrn Engel ist schon angedeutet worden, dass wir hierzu anderer Auffassung sind. Die Frage der demokratischen Legitimation, die immer wieder angesprochen wird, muss man im Lichte der Realität sehen. Für Stadtrats-, Kreistags-, Landtags- und Bundestagswahlen reicht die relative Mehrheit aus, bei den Bürgermeistern gehen nur 25 % in den zweiten Wahlgang, und niemand wird im ersten Wahlgang, wenn es keine Stichwahl mehr gibt, mit 15 oder 20 % gewinnen. Es ist völlig klar, dass dies zu anderen Konstellationen führen wird.

Schließlich haben wir – das hat Herr Hüsken deutlich gemacht – im zweiten Wahlgang häufig dramatisch schlechte Wahlbeteiligungen, sodass die Legitimation am Ende sicherlich nicht größer ist als bei einer vernünftigen relativen Mehrheit im ersten Wahlgang.

Meine Damen und Herren, zur Frage des Kumulierens und Panaschierens ist schon sehr viel vorgetragen worden, ich will nur noch einige Nuancen hinzufügen: Das süddeutsche Modell ist ein schwieriger, um nicht zu sagen ein schlechter

Vorschlag für Nordrhein-Westfalen, wenn Sie sehen – das ist von einigen Kollegen schon gesagt worden –, wie viele Wahlvorschläge es hinterher geben wird. Bei der Kommunalwahl 2004 mit 15 Wahlvorschlägen wären es in Köln bis zu 2.700 Bewerber gewesen. Das ist eine Zahl, die nicht mehr vernünftig ist.

Das hat damit zu tun, meine Damen und Herren, dass die Struktur in Nordrhein-Westfalen komplett anders ist. In Bayern gibt es 2.000 Gemeinden mit durchschnittlich 6.250 Einwohnern, in RheinlandPfalz 2.300 Gemeinden mit durchschnittlich nur knapp 1.800 Einwohnern. In Nordrhein-Westfalen haben wir 396 Gemeinden mit einem rechnerischen Durchschnitt von über 45.000 Einwohnern. Das heißt, allein die Struktur ist völlig unterschiedlich. Der Anteil der groß- und mittelstädtischen Kommunen ist deutlich höher. Deswegen – das muss man sehr klar sagen – lässt sich dieses System vernünftigerweise so nicht übertragen.

Die Überlegung, ob man die von Herrn Bovermann vorgezeigten Wahlzettel insofern für den Bürger günstiger gestalten könnte, dass man ihm zumindest die vorherige Einsicht überlässt, könnte erwogen werden. Nur, Sie dürfen das nicht vorher ausfüllen, da das am Tag der Wahl vor Ort erfolgen muss. Also müssen die Bürger mit entsprechenden Gedächtnisstützen arbeiten, um überhaupt zu wissen, was sie wählen wollen.

Das führt auch zu der Gefahr, dass sehr viel mehr ungültige Stimmen abgegeben werden. Es ist schon vorgetragen worden, dass es hier deutliche Differenzen gibt: Bei der Kommunalwahl 2006 in Hessen waren es 5,2 %, in Nordrhein-Westfalen waren es im Jahr 2004 nur 1,5 %. Das heißt, auch bei diesem Punkt spricht einiges dagegen, das von den Grünen präferierte Modell für NordrheinWestfalen zu übernehmen.

Von der Länge der Auszählungsfristen und der Frustration derjenigen, die das vornehmen müssen, hat Herr Hüsken berichtet. Wir sehen für eine Übernahme dieses Gesetzentwurfs keine vernünftigen Gründe. – Ich danke Ihnen sehr herzlich.

(Beifall von FDP und CDU)