Protokoll der Sitzung vom 04.05.2007

Die dargestellte Fokussierung auf Persönlichkeitsmerkmale der Kandidaten kann in Großstäd

ten mit Hunderten von Bewerbern nicht funktionieren. Am Beispiel der Stadt Düsseldorf will ich dies einmal darstellen. Der dortige Rat hat 82 Mitglieder. Ausgehend von derzeit acht im Rat vertretenen Parteien oder Wählergruppen könnte nach § 13 Abs. 3 des vorliegenden Gesetzentwurfes von Bündnis 90/Die Grünen der zukünftige Stimmzettel sage und schreibe 1.312 Kandidaten enthalten. Es kann nämlich nach dem Willen der Grünen jeder Wahlvorschlag maximal doppelt so viele Bewerber enthalten, wie Vertreter im Wahlgebiet zu wählen sind. Bei acht Gruppen und 82 Ratssitzen sind das in Düsseldorf, wie ich bereits sagte, 164 mal acht mögliche Einzelkandidaten.

Ein Weiteres: Die Auswertung der letzten Kommunalwahl in Hessen hat in einer 600.000Einwohner-Stadt mit mehr als 600 Bewerbern gezeigt, dass die Wahlbeteiligung deutlich unter 50 % lag und die Möglichkeit von Kumulieren und Panaschieren durch die Wähler nur wenig angenommen wurde. Zusammenfassend ist zu sagen, dass dieses Wahlsystem allenfalls in kleinen überschaubaren Kommunen sinnvoll sein könnte. Für die vielen Großstädte in Nordrhein-Westfalen ist das System daher eher ungeeignet und bringt den Bürgern keinerlei Vorteile.

Diese Überlegungen werden auch durch die Erfahrungen bei der Kommunalwahl in SachsenAnhalt gestützt. Die äußerst niedrige Wahlbeteiligung von rund einem Drittel lässt auf eine Überforderung der Wähler durch das dortige sehr komplizierte Wahlrecht schließen. Hier haben Kumulieren und Panaschieren offensichtlich die Wahlverdrossenheit der Bürger nicht beeinflussen können.

Zudem erstaunt auch im Rückblick auf die gestern in diesem Hause geführte Diskussion, dass sich der Gesetzentwurf der Grünen mit einer unabwendbaren Folge der vorgeschlagenen Wahlrechtsänderung kaum befasst. Ich meine hier den enormen zusätzlichen Verwaltungsaufwand und die damit verbundenen zusätzlichen Kosten für die Durchführung der Wahl. Diese Kosten sind von den Gemeinden bzw. Kreisen zu tragen und belasten demzufolge zusätzlich die kommunalen Haushalte. Wie von den Grünen selbst in ihrer Begründung ausgeführt, dürften sich die Kosten in etwa verdoppeln. Das ist – so meine ich, und so meint meine Fraktion – dem Bürger nicht zu vermitteln.

Schließlich wird bei der komplizierten Auszählung der abgegebenen Stimmen das Wahlergebnis in größeren Städten lange auf sich warten lassen. Die ehrenamtlich tätigen Wahlhelfer werden sich dieser Tortur allenfalls einmal unterziehen und für

zukünftige Wahlen nicht mehr zur Verfügung stehen.

(Zuruf von Monika Düker [GRÜNE])

Abgesehen davon wird es den meisten Wahlhelfern auch aus beruflichen Gründen nicht möglich sein, über den Abend des Wahlsonntags hinaus, etwa am Montag, noch für die Stimmenauszählung bereitzustehen.

Ferner fehlt gegenüber dem Entwurf der Landesregierung eine wesentliche Änderung, nämlich der Wegfall des Stichentscheides für die Bürgermeisterwahl nach § 46 c Abs. 2 Satz 2 Kommunalwahlgesetz. Danach ist der Bewerber gewählt, der in einem Wahlgang die meisten Stimmen auf sich vereinigt. Dies entspricht der Regelung für die Bewerber im Wahlbezirk.

Für die Abschaffung der Stichwahl spricht einiges, zum einen die Reduzierung der Anzahl der Wahlen. Dies ist im Hinblick auf die Wahlmüdigkeit vieler Bürger von nicht unerheblicher Bedeutung.

(Horst Becker [GRÜNE]: Deswegen entkop- pelt ihr!)

Weiterhin hat ja bereits Herr Minister Dr. Wolf in der letzten Plenardebatte die Argumente vorgetragen, die für die Abschaffung der Stichwahl sprechen. Sämtliche Mandate bei Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen können bereits jetzt mit einfacher Stimmenmehrheit gewonnen werden.

Das als Schreckgespenst an die Wand gemalte Bild, dass das ganze Land von Bürgermeistern besetzt wird, die mit geringen Prozentzahlen die relative Mehrheit errungen haben, ist abwegig. Bei den letzten Kommunalwahlen im Jahre 2004 – das sei deutlich gesagt – war nur in einem Viertel der Fälle ein Stichentscheid erforderlich, sodass 75 % aller Bürgermeister und Landräte mit absoluter Mehrheit aus dem ersten Wahlgang hervorgegangen sind.

Zudem zeigt die praktische Erfahrung, dass die Wahlbeteiligung bei Stichwahlen um 10 bis 15 Prozentpunkte unter der des ersten Wahlgangs liegt. Damit konnte es bisher zu dem durchaus fragwürdigen Ergebnis kommen, dass der Sieger der Stichwahl zwar die absolute Mehrheit, aber weniger Stimmen als der Gewinner der relativen Mehrheit im ersten Wahlgang errungen hat.

Lassen Sie mich zum Schluss noch auf eine weitere und ebenso bedeutsame Änderung eingehen, die ebenfalls nur im Gesetzentwurf der Landesregierung zu finden ist, nämlich die Neugestaltung

des Sitzberechnungsverfahrens. Das Divisorverfahren mit Standardrundung führt anerkanntermaßen zu einer noch besser austarierten Verteilung der Sitze. Es ist damit dem Verfahren der mathematischen Proportion nach Hare/Niemeyer, bei dem es der Entwurf der Grünen belassen will, eindeutig überlegen.

Zusammenfassend vermag ich nach alledem in dem Gesetzentwurf der Grünen gegenüber dem Gesetzentwurf der Landesregierung keine Vorteile für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zu erkennen. Insofern wird meine Fraktion diesen Gesetzentwurf nicht annehmen. Der Überweisung an die Fachausschüsse stimmen wir zu. – Ich bedanke mich für Ihr Zuhören.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Hüsken. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD der Kollege Prof. Dr. Bovermann das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf der Grünen verdient unser Interesse nicht so sehr aufgrund der Problemschilderung im ersten Teil – denn diese vermag in der Argumentation nicht ganz zu überzeugen –, sondern aufgrund der vorgeschlagenen Lösungen. Ich möchte nicht auf jedes Detail eingehen, sondern werde mich auf drei Aspekte beschränken.

Der erste Aspekt betrifft die Einführung des Kumulierens und Panaschierens bei Kommunalwahlen. Der Gesetzentwurf sieht vor, den Wählerinnen und Wählern so viele Stimmen zu geben, wie Vertreter in einen Kreistag oder Rat zu wählen sind, also 20 bis 90 Stimmen, je nach Größe der Kommune. Zugleich wird die Möglichkeit eingeräumt, Wahlkreise zu bilden, die man aber auf keinen Fall mit den bisherigen Wahlbezirken verwechseln darf. In Kreisen soll es möglich sein, nach Gemeindegrenzen zu differenzieren, in kreisfreien Städten nach den Stadtbezirksgrenzen. Im Unterschied zu den bisherigen Wahlbezirken werden in jedem dieser Wahlkreise mehrere Mandate vergeben, denn sonst wäre ein Kumulieren und Panaschieren ja gar nicht möglich.

Erlauben Sie mir zunächst einige Vorbemerkungen zum Kumulieren und Panaschieren, da dieses Verfahren in der Öffentlichkeit, aber auch von Partei- und Interessenvertretern immer wieder missverständlich als das demokratischere Verfahren präsentiert wird.

(Beifall von der SPD)

Die demokratische Qualität von Wahlen bemisst sich aber nach den in Art. 38 bzw. Art. 28 Grundgesetz festgelegten Wahlrechtsgrundsätzen allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl.

Demokratische Wahlsysteme gibt es viele: auf Bundesebene – dort kommt auch niemand auf die Idee, das als weniger demokratisch zu beurteilen –, in Nordrhein-Westfalen und natürlich auch in Baden-Württemberg. Kumulieren und Panaschieren sind ein technisches Verfahren der Stimmgebung bzw. Listenform neben anderen. Folglich haben Kumulieren und Panaschieren nichts mit mehr Demokratie und schon gar nichts mit direkter Demokratie zu tun.

(Beifall von Bodo Wißen [SPD])

Es ist auch – leider – kein Allheilmittel gegen Politikverdrossenheit. Vielmehr müssen wir Vor- und Nachteile genau abwägen, die Auswirkungen prüfen und dann überlegen, ob man dieses Verfahren in NRW einführen soll oder nicht.

Ein schwerwiegender Nachteil dieses Verfahrens liegt in der hohen Komplexität und Intransparenz des Wahlverfahrens.

(Der Redner hält einen Stimmzettel hoch.)

Deshalb habe ich Ihnen hier einmal den Stimmzettel zur Ratswahl der Stadt Frankfurt aus dem Jahr 2001 mitgebracht.

(Beifall von der SPD – Zuruf von der SPD: Oh, ist der groß!)

Ich kenne natürlich die Einwände, die an dieser Stelle kommen. Es wird gesagt: „In den anderen Ländern funktioniert das ja“, oder: „Die Wähler in Nordrhein-Westfalen sind doch nicht dümmer als die in Baden-Württemberg.“ Diesen Befürwortern halte ich allerdings entgegen – ich kann mich dabei auf empirische Befunde aus der Politikwissenschaft stützen, die uns zu denken geben sollten –:

Den meisten Wählern sind die Kandidaten, die sie ankreuzen können, überhaupt nicht bekannt, was natürlich vor allen Dingen in den größeren Kommunen gilt. Das ist allerdings eine wesentliche Voraussetzung, um zu kumulieren oder panaschieren.

Ein erheblicher Teil der Wähler nutzt die Stimmen nicht aus. Es werden nur wenige Kandidaten angekreuzt, aber dann wird vergessen, das Kreuz oben bei einer Liste zu machen. Damit werden automatisch Stimmen verschenkt.

Viele Wähler gehen irrtümlich davon aus, dass sie bei diesem System eine Person wählen. Tatsäch

lich ist es eine Verhältniswahl, bei der jede Stimme einer Partei, einer Liste zugeordnet wird. Das heißt, die Wählerinnen und Wähler verhelfen Parteien zu Mandaten, die sie gar nicht unterstützen wollen.

Der Anteil der ungültigen Stimmen bei der Kommunalwahl in Hessen im Jahr 2006 war doppelt so hoch wie in Nordrhein-Westfalen, und das trotz komplizierter Verfahren zur Heilung ungültiger Stimmen. Schauen Sie einmal in den § 27 des Gesetzentwurfes der Grünen.

Die Wahlbeteiligung in Hessen sank von 78 % im Jahr 1989 mit Einführung des Kumulierens und Panaschierens auf 53 % im Jahr 2001 und lag 2006 bei 46 %.

(Bodo Wißen [SPD]: Das ist Demokratie!)

Ich weiß natürlich, dass die Wahlbeteiligung auch in NRW rückläufig ist. Doch vergleichen wir die Zahlen: Während wir 1989 bei 66 % lagen – also ein niedrigeres Niveau als in Hessen –, sind wir jetzt 2004 bei 54 % gelandet, also bei einem besseren Ergebnis als in Hessen. Kumulieren und Panaschieren führen letztendlich also zu einer Verringerung der Partizipation.

(Beifall von der SPD)

Darüber hinaus ist dieses Verfahren für NRW aufgrund der spezifischen Gemeindestruktur mit relativ großen Kommunen nicht geeignet. Auch entspricht es nicht unserer politischen Kultur, die sich seit 1945 in diesem Land herausgebildet hat.

(Monika Düker [GRÜNE]: Ja, das stimmt!)

Sie ist gekennzeichnet durch eine starke Verankerung der Parteiendemokratie auf lokaler Ebene.

(Monika Düker [GRÜNE]: Das ist ja das Schlimme!)

Das ist nichts Schlimmes. Parteien sind nicht schlimm, denn sie wirken an der Willensbildung mit und stellen gerade in großen Städten eine wichtige Orientierung für die Wählerinnen und Wähler dar.

Mir hat noch niemand erläutern können, warum das Wählen nach Personen eine höhere demokratische Qualität haben soll als das Wählen nach Parteiprogrammen, nach Themen oder nach Parteibindung.

(Beifall von der SPD)

Das praktizierte Wahlsystem sichert die regionale Repräsentanz der Orts- und Stadtteile in den Räten.

(Monika Düker [GRÜNE]: Das ist aus der Steinzeit!)