Protokoll der Sitzung vom 04.05.2007

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, über den Niedriglohnbereich ist in den letzten Tagen, Wochen und Monaten zu Recht viel geschrieben und geredet worden. Neue Beschäftigungsfelder müssen entwickelt werden, damit die Menschen auch mit niedrigeren Einkommen einen Anreiz zum Arbeiten haben, die ihnen ein Einkommen für ein menschengerechtes und ein lebenswertes Leben erlauben.

Über das von Prof. Dr. Bofinger entwickelte Modell war und ist viel zu lesen und zu hören. Grundsätzlich wird es nach den Ansätzen von Prof. Dr. Bofinger für Transferbezieher wieder möglich, eine existenzsichernde Beschäftigung aufzunehmen. Wir alle wissen, dass ein solcher Vorschlag, wie von Prof. Dr. Bofinger formuliert, eines erheblichen Eingriffs in das deutsche Steuerrecht bedürfen würde. Die tatsächliche Funktionalität müsste sich in der Praxis durchsetzen, gegebenenfalls mit vielen anschließenden praktikableren Änderungen.

Aber ich frage: Warum sollten wir in NordrheinWestfalen das nicht modellhaft ausprobieren? Gerade Nordrhein-Westfalen mit dem von mir eben dargestellten großen Personenkreis der Langzeitarbeitslosen sollte ein solches Modell wagen. Anstelle der Steuergutschrift kann, wie in unserem Antrag dargestellt, ein Zuschuss zur Sozialversicherung durch die Agentur ein Mindesteinkommen sichern. Dies kann ein erster und wichtiger Schritt sein, um Arbeit auch in niedrigen Lohnkategorien wieder attraktiv zu machen. Der entsprechenden Zielgruppe wird somit ein nicht unwesentlicher Anreiz zur Aufnahme einer Beschäftigung gegeben. Wir sind uns alle einig: Zuschüsse, die ein höheres Nettoeinkommen garantieren, sind immer ein guter Anreiz.

Verschiedene Vergünstigungen und/oder Transfers könnten so von einem einzigen Instrument abgelöst werden. Das System wird somit wesentlich transparenter, überschaubarer und für jeden verständlich. Das Modell „Bonus für Arbeit“ kann ein Einstieg in eine umfassende Diskussion um

den Niedriglohnsektor sein. In diesem Bereich finden sich Widersprüche und Ungereimtheiten, die uns ordnungspolitisch und vor allem im Sinne der Betroffenen nicht ruhen lassen dürfen. Der „Bonus für Arbeit“ ist ein steuerbarer Einstieg. Lassen Sie uns diese Möglichkeit nutzen.

(Beifall von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, NordrheinWestfalen hat eine überdurchschnittliche Quote bei der Langzeitarbeitslosigkeit. Das darf dem Landtag, der Landesregierung und dem Arbeitsminister nicht egal sein. Wir dürfen nicht nur auf die Gesamtzahl der durchaus sinkenden Arbeitslosenzahlen schielen und in Zufriedenheit zerfließen. Wir müssen gerade in Verantwortung gegenüber den Menschen, die ich eben beschrieben habe, aktiv sein: Lösungen suchen, Modelle definieren und gegebenenfalls probeweise durchführen. Wir müssen neuen Instrumenten eine Chance geben, vielleicht eine so gute Chance, dass Nordrhein-Westfalen als Vorreiter für andere gelten kann. Das heißt, wir führen einen sozialen Arbeitsmarkt im Sinne der Arbeitslosen zum Erfolg und wir starten entsprechend unseres Antrags einen Probelauf zum „Bonus für Arbeit“. Das sind wir den Menschen, das sind wir den Arbeitslosen in diesem Land schuldig.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schmeltzer. – Für die CDU-Fraktion hat der Kollege Post das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Modelle, Versuche – das sind immer wieder die Themen, die bei den Argen, bei den Umsetzern vor Ort, ankommen. Die haben uns bescheinigt, dass sie endlich Verlässlichkeit und nicht noch weitere Modelle und Versuche wollen.

Zu Ihrem Antrag: Die Arbeitslosigkeit in unserem Land ist spürbar zurückgegangen, soweit sie konjunkturbedingt war. Die strukturelle Arbeitslosigkeit aber – Herr Schmeltzer, da haben Sie Recht – hält noch eine große Zahl von Menschen – gerade von Langzeitarbeitslosen – gefangen. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Ein paar sind zu nennen, aber wenn man sie abschließend anführen wollte, wäre die Zeit längst gesprengt.

Bestimmte Arbeiten gibt es in Deutschland einfach nicht mehr. Diese Arbeiten und Arbeitsplätze wurden schlichtweg exportiert. Diese Arbeiten – besonders für Geringqualifizierte und Personen, die durch lange Arbeitslosigkeit Orientierung und

Struktur verlieren – sind nicht mehr im Angebot des Marktes.

Hochtechnologie hat in Deutschland zum Teil zum Wegfall einfacher Tätigkeiten beigetragen. Für Arbeitnehmer mit geringer Produktivität fehlt es deshalb an Beschäftigung.

Hohe Abgaben bremsen insbesondere Beschäftigungen am unteren Ende der Lohnskala, weil der wichtige Abstand zu den Transferleistungen zu gering wurde. Geringfügigere Teilzeitbeschäftigungen, Minijobs und Ähnliches verstärken dieses Zugangsproblem noch.

So weit ein paar Gründe für die strukturelle Arbeitslosigkeit!

Zu den Lösungen der Probleme schlägt der Antrag den sozialen Arbeitsmarkt vor. Beim sozialen Arbeitsmarkt geht es um Perspektiven für Langzeitarbeitslose mit besonderen Vermittlungshemmnissen, die meist mehrfach auftreten. Die Langzeitarbeitslosigkeit ist nicht allein in der mangelnden Qualifikation, sondern überdies oft in persönlichen Problemlagen, im Fehlen sozialer und kommunikativer Kompetenzen sowie in gesundheitlichen Angegriffenheiten begründet.

Das Angebot des sozialen Arbeitsmarktes soll sich nicht an Jugendliche oder Erwachsene bis 25 Jahre richten.

Durch diese Art des Arbeitsmarktes könnte in erster Linie eine zusätzliche Beschäftigung bei Trägern oder kommunalen Trägergesellschaften, Beschäftigungsgesellschaften und Ähnlichem entstehen. Das gilt in gleichem Maße für privatrechtlich geführte Integrationsunternehmen.

Wenn öffentliche Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik aufgewendet werden, dann ist aber auch Missbrauch möglich. Diesen von vornherein auszuschließen wäre sinnvoll und muss so weit wie möglich geschehen. Daher beschränkt sich der soziale Arbeitsmarkt klar auf eine von Ihnen definierte Zielgruppe. So weit – so gut. Die Expertenanhörung beim Bund hat allerdings gezeigt, dass einfache, nämlich eindimensionale Lösungsansätze, wie sie in Ihrem Antrag vorgestellt werden, für diese Zielgruppe absolut nicht ausreichen.

Schon heute bieten ESF-Mittel und Mittel, die aus dem SGB II kommen, viele Möglichkeiten. Es gibt bereits entsprechend anwendbare Konzepte. Deshalb bitte ich Sie dringend, davon abzusehen, noch mehr Modelle aufzubauen, die es dann wieder umzusetzen gilt. Unterhalten Sie sich mit den örtlichen Anwendern – die werden Ihnen das bestätigen.

Zu den einzelnen Forderungen: Sie fordern, „den Handlungsbedarf zum Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit in NRW zielgruppenscharf zu konkretisieren und die Kriterien der Betroffenen zur Berücksichtigung in einem sozialen Arbeitsmarkt zu definieren“. Diese Hausaufgaben, Herr Schmeltzer, sind schon häufig gemacht, auch mehrfach hier diskutiert worden und sind sogar schon in der Umsetzung. Es gibt Konzepte dafür. Dies muss unbedingt der Entrichter der Transferleistungen machen. Diese Untersuchungen gibt es; wir brauchen sie nicht neu zu erfinden.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Wäre besser!)

Sie fordern weiter, „umgehend mit den Arbeitsgemeinschaften und Optionskommunen eine Beteiligung an dem Konzept des sozialen Arbeitsmarktes zu vereinbaren und dessen Umsetzung sowohl fachpolitisch als auch finanziell mit EU- und eigenen Mitteln“ – des Landes und der Kommunen – „zu unterstützen“.

Sprechen Sie mit den Argen, sprechen Sie mit den Optionskommunen! Diese wären viel weiter, wenn die technischen Behinderungen durch das SGB II sie nicht immer wieder zurückwerfen würden. Wir müssen Flexibilität im SGB II schaffen. Dann kann vieles viel leichter angewandt werden und kommt bei den Leuten, die es vor Ort brauchen, auch an. Dafür können Sie ganz viel tun. Sprechen Sie mit Herrn Müntefering, dass er da endlich etwas stärker aufweicht.

„Sich dafür einzusetzen, dass zur Finanzierung des Programms die gegenseitige Deckungsfähigkeit von Transfer- und Eingliederungsmitteln nach SGB II möglich wird“, das ist eine vernünftige Forderung. Ich bin übrigens dankbar für die Übernahme dieser Forderung. Es ist nämlich eine schon vor zwei Jahren von mir hier vorgetragene Forderung der CDU. Ich bitte Sie herzlich: Sprechen Sie mit Herrn Müntefering, damit er endlich darangeht. Da ist was drin.

Im Vorgriff auf eine bundesweite Regelung sollen wir wieder einen Pilotversuch machen. – Herr Schmeltzer, in der Sache: Ja. Aber das ist noch ein Modell und noch ein Modell und noch ein Konzept, aber nichts Nachhaltiges, was wirklich bleibt.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Eins!)

Selbst der untersuchende Prof. Bofinger hat gesagt, dass nicht die Einzelheiten das Ergebnis bringen, sondern dass sieben bis acht Bereiche erfüllt sein müssen, damit das Konzept umsetzbar ist. Lesen Sie das insgesamt nach und nehmen

Sie nicht einen Punkt heraus, um diesen hier vorzuschlagen!

Ich bitte Sie herzlich, das noch einmal zu überdenken. Wir sind an Ihrer Seite. Mit dem Kombilohn NRW geht ganz vieles von dem, was Sie vorschlagen. Wir sind an Ihrer Seite, das umzusetzen. Helfen Sie uns im Bund mit, damit die rechtlichen Begleitungen da endlich möglich werden und wir nicht dauernd vor die Pumpe laufen. – Danke schön.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Post. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Steffens das Wort.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Wir sind uns alle so einig heute! – Minister Karl-Josef Lau- mann: Warten Sie mal ab!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen, dass dieser Antrag hier heute von der SPD eingebracht worden ist. Wir haben im letzten Jahr mit Datum 22. August 2006 zu derselben Problematik den Antrag „Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren – Langzeiterwerbslosen eine dauerhafte Perspektive für Arbeit und Beschäftigung schaffen“ eingebracht, den wir auch schon einmal diskutiert, aber bisher nicht zu einem positiven Abschluss gebracht haben. Von daher meine ich, dass man die Diskussion noch einmal mit den Ideen und Anregungen, die wir eingebracht haben, verknüpfen kann. – Das finde ich schon einmal hervorragend.

Ein Punkt hat mich in dem SPD-Antrag sehr gefreut, dass es nämlich eine klare Absage an den so formulierten Kombilohn gibt, was in der Vergangenheit nicht immer der Fall war. Das war immer ein Streit zwischen Herrn Schartau und mir. Ich finde es hervorragend, dass das nun klar formuliert ist. Von daher begrüßen wir diesen Antrag.

Herr Post, Sie haben klar und deutlich gesagt, dass das ein oder andere Problem von Ihnen auch so gesehen wird. Sie haben Ihre Rede vorhin mit Herrn Bofinger und seinem Gesamtpapier geschlossen. Ich fände es hervorragend, wenn wir uns im Ausschuss mit den Vorschlägen intensiv beschäftigen, zu dem Thema eine Anhörung machen, Herrn Bofinger einladen und uns ganz konkret damit auseinandersetzen würden, was für NRW sinnvoll wäre.

(Minister Karl-Josef Laumann: Bofinger schlägt einen Mindestlohn von 4,50 € vor! Das ist nicht meine Politik!)

Wir können natürlich Vertreter der Argen und der BA einladen, um sie zu fragen, welche dieser Vorschläge sie für sinnvoll halten. Wenn es nach uns geht, brauchen wir kein Modell, sondern wir können am Ende auch eine flächendeckende Lösung für Nordrhein-Westfalen machen; denn es ist natürlich immer sinnvoller, flächendeckende, durchgängige Lösungen zu schaffen als Modelle.

Von daher: Wir sind gern dazu bereit, uns gemeinsam intensiv damit zu beschäftigen und zu einer Verständigung zu kommen. Wir haben dazu schon seit Langem Ideen.

(Minister Karl-Josef Laumann: Aber nicht 4,50 €!)

Herr Laumann, Sie dürfen gleich auch reden. Es ist wunderbar, dass Sie schon gelesen haben, was Herr Bofinger als Mindestlohn vorschlägt. Wir können gerne darüber diskutieren, ob seine Vorschläge Sinn machen. Immerhin schlägt er einen Mindestlohn vor.

(Minister Karl-Josef Laumann: Lohndrückerei schlägt er vor! – Rainer Schmeltzer [SPD]: Richtig!)

Ich finde, dass man in dem Zusammenhang natürlich über einen Mindestlohn diskutieren muss. Dazu hätte ich gleich ausgeführt, aber wenn Sie zu dem Stichwort gerne jetzt etwas hören wollen: Mindestlohn ist in diesem Zusammenhang mit Sicherheit wichtig und sinnvoll. Wenn wir uns nämlich der Personengruppe zuwenden, die auch im SPD-Antrag beschrieben worden ist – nicht nur der, die von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen ist, sondern auch der, die mit niedrigsten Einkommen klarkommen muss –, dann müssen wir uns auch mit einem Mindestlohn beschäftigen.

(Minister Karl-Josef Laumann: Aber nicht mit einem Mindestlohn von 4,50 €! – Gegenruf von Rainer Schmeltzer [SPD]: Heißt das, dass Sie einen Mindestlohn befürworten? – Gegenruf von Minister Karl-Josef Laumann: Zumindest nicht das, was Bofinger sagt!)

Wir müssen uns mit Sicherheit nicht auf einen Mindestlohn von 4,50 € verständigen. Wir könnten ja auch mal eine Runde per Zuruf machen, bei der jede Fraktion ihre Wunschgröße nennt. Sie sind schon einmal für mehr als 4,50 €. Das ist wunderbar. Das heißt, dahinter kann die CDU nicht mehr zurückfallen.

Aber zurück zum Thema! Wir haben im Moment folgende Entwicklung am Arbeitsmarkt: Wir haben auf der einen Seite einen Aufschwung, aber auf der anderen Seite werden die Langzeitarbeitslosen

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Herr Minister, schaffen Sie einen Mindestlohn von 8 €, und Sie sind der König!)

Gsch, gsch, gsch, Herr Kollege! – in NordrheinWestfalen in einem sehr hohen Maße nicht mitgenommen, es gibt für sie keine Perspektiven. Das heißt, wir müssen nach Angeboten für diese Personengruppen suchen.

Wir erleben, dass das, was vor Hartz IV diskutiert worden ist, nämlich die Warteschleifen zu beenden, die Maßnahmenkarrieren zu beenden, in vielen Kommunen wieder neu beginnt. Wir haben wieder eine Menge an Langzeitarbeitslosen, die in für sie sinnlose Warteschleifen geschickt werden. Das können wir so nicht akzeptieren. Wir brauchen genau deswegen eine dauerhafte Perspektive.

Wir hatten eine Lösung in Anlehnung an das Modell „Samhall“ vorgeschlagen. Sie schlagen nun Ihr Modell vor. Wir können darüber diskutieren, welches der sinnvolle Weg ist. Aber dass wir einen solchen Weg gehen müssen und dass wir ein dauerhaftes Angebot schaffen müssen, das ist wohl klar.