Protokoll der Sitzung vom 24.05.2007

Meine Damen und Herren, beschreiben ist eine Sache.

Herr Kollege, bitte!

Handeln Sie konsequent! Das ist jetzt gefordert. – Danke schön.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Garbrecht. Das war gerade sehr großzügig. Ich weise darauf hin, dass die Fraktion der CDU noch 7:38 Minuten, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 9:31 Minuten, die Fraktion der FDP 3:36 Minuten und die Landesregierung noch zehn Minuten Redezeit haben. Das sage ich Ihnen zu der Bemerkung, die anderen hätten auch überzogen. Herr Kollege Garbrecht, das ist in dieser Form nicht zutreffend.

(Beifall von CDU und FDP – Zuruf von der SPD: Oh!)

Als Nächster hat nun Kollege Burkert von der Fraktion der CDU das Wort.

(Minister Karl-Josef Laumann: Er hat heute Geburtstag!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Sozialbericht NRW 2007 legt in schonungsloser Offenheit die Einkommensarmut von 2,5 Millionen Menschen in NRW dar. Darunter sind 815.000 Kinder und Jugendliche. Dabei ist das Armutsrisiko, wie im Bericht festgestellt, im Zeitraum von 2000 bis 2005 noch einmal leicht von 13,7 auf 14,3 % gestiegen.

Der Armutsbericht zeigt auch auf, dass sich die Situation in den Regionen in NRW unterschiedlich darstellt, wobei diese Situation in den Ballungsräumen, insbesondere im Ruhrgebiet, deutlicher zum Tragen kommt als in ländlichen Bereichen.

In diesem Bericht wird auch sehr deutlich, dass Bildung die zentrale Ressource für die Verwirklichung von Lebensträumen und Chancen ist. Hervorgehoben wird, dass die Menschen mit höherem Bildungsgrad seltener in den Armutsstrudel hineingeraten. Das ist das Zeugnis über die Arbeit der rot-grünen Landesregierung.

Der Sozialbericht weist darauf hin, dass nicht alle Bevölkerungsgruppen in gleichem Maße von der Einkommensarmut betroffen sind. Die Armutsrisikofaktoren sind Erwerbslosigkeit, geringe Qualifikation sowie die Zugehörigkeit zur Gruppe der Migrantinnen und Migranten. Ein überdurchschnittliches Armutsrisiko tragen laut Bericht Kinder und Jugendliche. Jedes vierte Kind im Alter unter 18 Jahren lebt in einem einkommensarmen Haushalt.

Eine der größten Ursachen für Armut ist die geringe Schulbildung. Die geringe Qualifikation endet in aller Regel in der Spirale der Einkommensarmut. Menschen ohne Schulabschluss bleiben zu 93,3 % ohne beruflichen Bildungsabschluss.

Daraus entwickeln sich weitere Probleme: zum einen die eben genannte statistische Einkommensarmut, die eintritt, sobald ein gewisses Einkommen unterschritten wird, und zum anderen die tatsächlich gefühlte Armut, die die Menschen durch Ausgrenzung und Diskriminierung, also durch fehlende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, erfahren. Deshalb meine ich: Der wichtigste Punkt der Armutsbekämpfung ist, dafür Sorge zu tragen, dass den Kindern eine optimale Schulausbildung zur Verfügung gestellt wird. Ein Großteil der Armut kann nur durch Bildung bekämpft werden. Das hat schon Nelson Mandela erkannt – ich zitiere –:

„Das größte Problem in der Welt ist Armut in Verbindung mit fehlender Bildung. Wir müssen dafür sorgen, dass Bildung alle erreicht.“

(Beifall von der CDU – Heike Gebhard [SPD]: Warum machen Sie das nicht? – Ge- genruf von Rudolf Henke [CDU]: Das ist eine freche Frage! – Weitere Zurufe)

Wir haben nach dem Nichtstun der alten Landesregierung – das Nichtstun bestätigt dieser Bericht – in die Bildung investiert. Hier sei nur genannt: Ganztagsbetrieb der Hauptschulen, zusätzliche Förderung in den Schulen, mehr Lehrer, weniger Unterrichtsausfall. Die Voraussetzung für eine erfolgreiche Schullaufbahn ist aber auch eine entsprechende Sprachschulung vor Beginn der Schulzeit. Deshalb legt die CDU/FDP-geführte Landesregierung auf die Spracherziehung großen Wert. Das ist unser Verständnis von Fordern und Fördern. Die Vorgängerregierung hat hier keine effektiven Maßnahmen ergriffen, kritisiert aber jede Maßnahme der jetzigen Landesregierung. Nur: Lassen Sie uns doch erst einmal machen!

(Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

Auch die erste Serie der Sprachtests hilft, die Sprachdefizite – besonders bei den Kindern ohne Kenntnisse – zu verbessern und die Kinder zu fördern. Insbesondere für Personen mit Migrationshintergrund sind diese Maßnahmen enorm wichtig. Sie unterliegen einem überdurchschnittlichen Armutsrisiko; bei den Migranten ohne deutsche Staatsangehörigkeit beträgt es sogar 38,4 %. Der Bericht stellt fest, dass in keinem anderen Staat Kinder mit Migrationshintergrund so geringe Chancen im Bildungssystem haben wie in Deutschland.

Dieser Bildungsnotstand, der durch den Armutsbericht verdeutlicht worden ist, wird durch eine erschreckende Zahl aufgezeigt. Allein 39,6 % der bei uns lebenden Personen mit türkischer Staatsangehörigkeit haben keinen Abschluss einer allgemeinbildenden Schule. Es wird deutlich: Eine geringere Qualifikation mindert die Erwerbschancen und raubt damit alle Möglichkeiten auf ein existenzsicherndes Einkommen.

Darüber hinaus haben die Maßnahmen der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen dazu geführt, dass Nordrhein-Westfalen 2006 zum Aufsteigerland Nummer eins in Deutschland wurde. Die Menschen haben wieder Vertrauen gefunden, die Menschen packen wieder an. In diesem Jahr sind wir das Mittelstandsland Nummer eins – sogar vor Bayern.

Das hat dazu geführt, dass wir 113.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze mehr und 170.000 Arbeitslose weniger haben. Wir haben nicht nur die Zunahme an Arbeitsplätzen, sondern haben auch im Bereich der Weiterbildung den Bildungscheck erfolgreich eingeführt, der Arbeitnehmern zusätzliche Qualifikation für den Arbeitsmarkt ermöglicht. Die Möglichkeiten der Weiterqualifizierung wirken nicht nur der Einkommensarmut entgegen, sie ermöglichen Teilhabe am Leben und unterstreichen die Notwendigkeit lebenslangen Lernens vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und wirken der Altersarmut entgegen.

Zur Verbesserung der Lebenssituation von Jugendlichen, die nicht sofort in das duale Ausbildungssystem einsteigen können, haben wir die Möglichkeiten über das Werkstattjahr, „Jugend in Arbeit“, Ausbildung zur Altenpflegehelferin mit staatlichem Abschluss, um nur einige zu erwähnen.

Ziel der schwarz-gelben Landesregierung ist es, allen Menschen die Möglichkeit zur Teilhabe am Leben zu geben. Das schließt die ca. 1,6 Millionen schwerbehinderten Menschen in Nordrhein-Westfalen natürlich ein, doch jüngere Behinderte haben in Nordrhein-Westfalen überdurchschnittlich oft keinen schulischen und beruflichen Abschluss. 42,2 % der erwerbsfähig behinderten Menschen gehen einer Arbeit nicht nach. Daher hat die Landesregierung das Programm „Teilhabe für alle“ mit über 40 Maßnahmen und Projekten in den Bereichen Arbeit, Bildung und Familie, Wohnen und Abbau von Barrieren auf den Weg gebracht.

Der Sozialbericht NRW 2007, der in aller Offenheit die soziale Situation in unserem Land darstellt, ist der Bericht der jetzigen Landesregierung, aber er ist das vernichtende Zeugnis der Politik von Rot-Grün, die in den Jahren 2000 bis 2005 für dieses Land verantwortlich waren.

(Beifall von der FDP)

Dieser Bericht ist der eindeutige Beweis für vertane Chancen, eine menschengerechte Teilhabe am Leben in Nordrhein-Westfalen zu erzielen. Wenn Frau Kraft heute Morgen gesagt hat, wir müssen mit Siebenmeilenstiefeln voranschreiten, kann ich nur sagen, Frau Kraft: Sie sind barfuß rückwärts gelaufen, und wenn Sie sich jetzt wenden, werden Sie mit Sicherheit schwindelig.

Dass wir heute im Plenum über diesen Bericht sprechen, zeigt, dass die CDU/FDP-geführte Landesregierung die Problematik erkannt hat, sie ernst nimmt und von Beginn an Lösungsstrategien

entwickelt hat und weiter daran arbeitet. Das, was wir vor der Wahl versprochen haben, haben wir umgesetzt und werden wir umsetzen. Die Erfolge in Bildung und in Arbeit zeigen die ersten positiven Ansätze.

Meine Damen und Herren, Nordrhein-Westfalen kann mit CDU und FDP auf eine gute Zukunft bauen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Burkert. Auch von dieser Stelle wünschen wir Ihnen im Namen aller Kolleginnen und Kollegen alles Gute zum Geburtstag.

(Allgemeiner Beifall)

Als nächste Rednerin hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Löhrmann das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Schönen Dank, Frau Präsidentin. – Den guten Geburtstagswünschen schließe ich mich selbstverständlich gerne an. Ich freue mich, dass der Minister wieder an seinen Platz zurückgekehrt ist, sonst wäre es bei der Botschaft des Tages geblieben: Steffens vertreibt Laumann von der Regierungsbank!

(Beifall von den GRÜNEN)

Es ist Ihnen vielleicht noch eingefallen, dass Sie den Platz besser einnehmen, damit es nicht zu längerfristigen Folgen führt.

(Minister Karl-Josef Laumann: Das wäre auch schlecht für alle!)

Das aber nur am Rande. – Das Thema ist ernst genug, und ich finde es gut, dass wir hier und auch in den Ausschüssen diesen Sozialbericht ausführlich diskutieren und uns darüber austauschen. Die Erkenntnisse über die Befunde sind noch relativ einvernehmlich – auch manches, was Sie, Herr Kollege Burkert, beschrieben haben, kann ich teilen –, aber wir streiten darüber: Was sind die richtigen Antworten? Sind die Antworten, die Sie für sich gefunden haben und wo Sie beschwören, dass damit alles voranginge, richtig und zielführend?

Mir fällt auf, dass Sie aus meiner Sicht sehr technokratisch und mit Blick auf einzelne Dinge an die Sache herangehen und nicht die Zusammenhänge sehen – das will ich gleich an Beispielen noch deutlich machen – und dass Sie glauben, dass es, weil Sie einmal etwas aufgeschrieben haben und immer wieder herunterbeten, dadurch schon passiert.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das klassische Beispiel dafür ist: Wir sind uns einig in der Analyse der Notwendigkeit von Bildungspolitik und dass Bildung der beste Schutz vor Armut ist. Das ist übrigens einer der wichtigen Sätze, die Johannes Rau nicht müde wurde zu betonen.

Die individuelle Förderung in den Schulen geschieht nicht dadurch, dass es in einem Gesetz steht, sondern es hat etwas mit Rahmenbedingungen, Wirken, Qualifizierung und einer dahinterstehenden Philosophie zu tun, ob das überhaupt gelingen kann.

Herr Laumann, Sie sagen, es solle so früh wie möglich festgestellt werden, was Kinder können und wo man nachsteuern muss. Diese Auffassung teilen wir. Das war auch schon unter Rot-Grün so angelegt. Ich persönlich war die erste, die mit Frau Behler im Rahmen der Beratungen zum Haushaltsplan 2000 darüber verhandelt hat, dass Mittel zur Förderung von Kindern im vorschulischen Bereich bereitgestellt werden. Das waren – ich weiß es auswendig, denn wenn man so etwas verhandelt hat, dann merkt man sich die Zahlen – 1,2 Millionen DM. Wir haben den Betrag bis 2005 sukzessive auf 7,5 Millionen € gesteigert. Das waren sehr drastische Steigerungsraten. Wir begrüßen, dass Sie das jetzt fortsetzen. Das ist aber nicht von Ihnen vom Grundsatz her als Prinzip erfunden worden, sondern Sie knüpfen an etwas an.

Die offene Ganztagsgrundschule ist heute offensichtlich unstreitig, aber ich zitiere gerne Herrn Kufen aus dem Protokoll über die 55. Sitzung des Ausschusses für Kinder, Jugend und Familie vom 20. Januar 2005:

„Die offene Ganztagsgrundschule als Lösungsansatz der Regierung sei für ihn nicht die Antwort auf die über PISA offenbarten Probleme. Armut lasse sich so nicht beseitigen.“

(Ralf Witzel [FDP]: Völlig richtig! Das ist nicht die Antwort auf PISA! PISA sagt anderes!)

Das ist nicht die einzige Antwort. Ja, PISA sagt anderes. Aber gerade Sie sind ja federführend darin, die notwendigen Schlussfolgerungen, die man aus PISA ziehen sollte, eben nicht zu ziehen, weil Sie aus Ihren ideologischen Schützengräben nicht herauskommen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Herr Laumann, wir sind uns einig, dass wir Kinder früh erreichen müssen. Manches, was Sie eben gesagt haben, sprach dafür, im Kindergarten noch früher anzusetzen, damit wir gerade die Kinder

erreichen, denen im Familienzusammenhang nicht automatisch die Förderung zuteil wird, die sie brauchen. Diese Förderung ist nach Erfahrungen aus Kindergärten bei Kindern zwischen drei und sechs Jahren am besten dadurch zu gewährleisten, dass man den Eltern stellvertretend für ihre Kinder einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für die Betreuung, Bildung und Erziehung ihrer Kinder gibt. Das, was Sie eben gesagt haben, spricht eigentlich für das, was Sie bei der vorherigen Debatte abgelehnt haben.