Protokoll der Sitzung vom 13.06.2007

Sie werden verstehen, dass meine Bewertung ein bisschen anders aussieht als die gerade vorgetragene seitens der Opposition. Unserer Meinung nach finden sich in dem Gesetzentwurf deutlich unsere politischen Vorstellungen wieder, die wir ja bereits im Koalitionsvertrag festgelegt hatten.

(Zuruf von der SPD: Erfahrungsresistent!)

Ich möchte mit dem Titel anfangen. Er lautet Kinderbildungsgesetz. Damit sehen wir vor, dass die Schwerpunkte im frühkindlichen Betreuungsbereich, in den frühkindlichen Einrichtungen auf die Bildung gelegt werden sollen. Es läge ja nahe, alle möglichen Aspekte des Gesetzentwurfes in einer langen ausführlichen Rede zu beleuchten, aber ich möchte mich heute auf vier Punkte beschränken.

Erster Vorteil für uns ist, dass der Ausbau der Betreuungsangebote und der Einrichtungsangebote für Kinder unter drei Jahren festgeschrieben wird. In Bezug auf die 2,8 %, die häufig genug beschrieben worden sind, die wir im Jahr 2008 übernommen haben,

(Zuruf von der SPD: 2008?)

Entschuldigung, 2005 –

legen wir mit dem neuen Gesetzentwurf fest, dass wir bis 2010 für 20 % der unter Dreijährigen Plätze zur Verfügung stellen wollen. Wir wollen die rote Laterne, die wir von Ihnen, meine Damen und Herren, übernommen haben, damit endgültig an andere Bundesländer weitergeben.

(Beifall von der CDU)

Das Kinderbildungsgesetz wird durch das hohe Angebot an Tagesbetreuungsplätzen für Kinder

unter drei Jahren für mehr Wahlfreiheit in den Familien sorgen.

Zweitens. Das neue Gesetz soll den Bildungs- und Erziehungsauftrag stärken. Ich verweise auch hier auf das Thema Sprachförderung. Egal, wie viel wir an dem Verfahren noch ändern müssen, sollen, dürfen – ich sage das ganz deutlich –: Dieses Verfahren der Sprachförderung bedeutet ein Mehr an Chancen für Kinder, die aus Elternhäusern kommen, wo sie wenig Förderung in Sprache erhalten.

(Beifall von der CDU)

Ich sage ganz deutlich: Auch wenn wir optimieren müssen – der Anfang ist gemacht. Auf diesem Anfang können wir aufbauen.

Und wenn ich das Gejammere höre „340 Euro sind nicht genug“, dann muss ich sagen: Es ist mehr als vorher, und es ist demnächst eine verlässliche Größe, weil jedes Kind, das Sprachförderungsbedarf hat, gefördert wird – nicht mehr wie früher, als es nach dem Windhundverfahren ging.

Im Übrigen gehe ich davon aus, dass gerade im Sinne der Bildung die im Gesetz festgeschriebene Zusammenarbeit zwischen Tageseinrichtungen und Schulen von großem Vorteil ist.

Drittens. Das neue Gesetz leitet eine aktive Unterstützung der Familien ein und sorgt für mehr Flexibilität. Aktive Unterstützung ist für mich mit dem Stichwort Familienzentren gegeben. Bei der Veranstaltung in Duisburg in der letzten Woche, als das Gütesiegel für die Piloteinrichtung verliehen wurde, habe ich festgestellt, wie sinnvoll und notwendig dieses Projekt ist. Mit großer Kreativität werden im ganzen Land nicht nur Kinder in den Mittelpunkt gestellt, sondern die Tageseinrichtungen arbeiten sozusagen im gesamten Umfeld, und Familien erfahren eine deutliche Unterstützung.

Das KiBiz wird auch mehr Wahlmöglichkeiten für Eltern bei der Betreuungszeit eröffnen. Eltern können sich künftig deutlicher entscheiden. Das wird in Zusammenarbeit mit den Trägern sicherlich auch so umgesetzt werden; da bin ich mir ganz sicher. Ich bin darüber hinaus sehr froh darüber, dass wir mit dem neuen Gesetz endlich davon wegkommen, Kleinkindern Ganztagsplätze zu verordnen. Wir halten es immer noch für eine Zumutung, wenn Kinder im ersten Schuljahr mehr als 20 Stunden unterrichtet werden; im Krippenalter war es hingegen fast selbstverständlich, Ganztagsplätze vorzuhalten.

Eine weitere Wahlmöglichkeit für Eltern wird das Betreuungsangebot der Tagespflege sein. Wir werden es zum ersten Mal im Gesetz verankern. Frau Asch, vielleicht schauen Sie sich das Gesetz einmal genau an: Die 725 € sind nicht die Entlohnung der Tagesmütter oder Tagesväter, sondern sind für Weiterbildung, Qualifizierung und Versicherung gedacht. Wir halten die Tagespflege nach wie vor für eine gute Betreuungsform gerade für kleine Kinder, weil sie der Familienbetreuung am ähnlichsten ist.

Es wird auch mehr Flexibilität für Träger geben. Die Kindpauschalen sind zwar als Kindpauschalen formuliert; aber sie sind auf der Basis von Gruppenzusammensetzungen errechnet worden. Und die legt das neue Gesetz genau fest. Die Träger können in Absprache mit den Jugendhilfeträgern vor Ort sehr selbstständig verfahren. Sie sind nicht mehr so fest an Gruppen gebunden wie früher. Ich glaube, dass sich das auch nach anfänglichen Unsicherheiten als gut und richtig erweisen wird.

(Svenja Schulze [SPD]: Dies sind doch Pa- rallelwelten!)

Lassen Sie mich noch auf einige Kritikpunkte eingehen, die immer wieder von Ihrer und auch von anderer Seite kommen. Man behauptet, dieses Gesetz sei ein Spargesetz und ein Arbeitsplatzbedrohungsgesetz; das ist hier schon mehrfach erwähnt worden. In diesem Gesetz wird nicht gespart. Und auch wenn Sie es noch so oft wiederholen, wird es nicht besser.

Wir haben kein Geld aus dem System genommen. Wir haben auf der Basis der Vorgängerregierung gewirtschaftet. Wir werden mit dem neuen Gesetz mehr Geld ins System bringen. Wir werden zudem einen Teil der Kürzungen etwa bei der Sachkostenpauschale zurückführen.

Wir werden mehr Erzieherinnen brauchen. Um das auszurechnen, benötigt man nur fünf Finger.

(Zuruf von Rüdiger Sagel [GRÜNE])

Wir haben nicht mehr Kinder, Herr Sagel, sondern wir haben weniger Kinder. Das mögen Sie bitte einmal festhalten. Auf Dauer haben wir zumindest weniger Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren. Für die Kinder, die wir bekommen, benötigen wir gerade die personalintensiven Plätze.

Die Befürchtung, dass die Qualität bei den neuen Tagesbetreuungseinrichtungen sinkt, teile ich selbstverständlich nicht. Die Kindpauschalen, die im Übrigen nicht wir errechnet haben, sondern die gemeinsam mit den Konsenspartnern ermittelt

worden sind, sichern Fachkräfte ab und halten nicht nur das bisherige hohe Niveau, sondern verbessern es zum Teil. Ich erwähne hier als Beispiel nur die normale Kindergartengruppe, wenn sie in den Ganztag geht. Wir brauchen uns auch vor einem Vergleich mit anderen europäischen Ländern nicht zu scheuen.

Über die Kindpauschalen hinaus gibt es noch die Möglichkeit zusätzlicher Zuschüsse, beispielsweise bei sozialen Problemlagen oder bei den eingruppigen Einrichtungen.

Nur so, indem sehr differenziert hingesehen worden ist, ist es überhaupt gelungen, eine plurale Trägerlandschaft zu erhalten. Deshalb, denke ich, gehen wir mit diesem Gesetz den richtigen Weg.

Ich habe die Stellungnahme der Freien Wohlfahrtspflege gestern mit großer Verwunderung zur Kenntnis genommen. Der Konsens bezog sich doch auf die Finanzstruktur, die Kindpauschalen, die Trägeranteile, die Personalausstattung, die Höhe der zur Verfügung stehenden Mittel und die Gruppenformen des zukünftigen Kindergartens. All das war im Konsens enthalten und findet sich auch genau so im Gesetzentwurf wieder. Nach der ersten Kritik am Referentenentwurf gab es noch einmal Gespräche; die Partner haben danach weiter zum Konsens gestanden. Da hat sich vom Referentenentwurf bis zum Gesetzentwurf nichts verändert.

Wir haben mit den Wohlfahrtsverbänden gesprochen. Es gab dort keinen Hinweis auf eine solche Entscheidung. Noch in der letzten Woche habe ich mit zwei sehr unterschiedlichen Vertretern aus dem Kreise der Wohlfahrtsverbände gesprochen. Beide haben mir versichert, dass sie zum Konsens stehen. Deshalb hat mich diese Stellungnahme sehr gewundert. Wir werden darüber in den nächsten Tagen sicherlich noch zu reden haben.

Für meine Fraktion kann ich sagen, dass wir alle Anregungen und die Kritik ernst nehmen. Wir werden die zu dem Gesetzentwurf sicher stattfindende Anhörung auswerten und auf dieser Basis dann in der Fraktion und im Ausschuss diskutieren.

Ich wünsche mir, dass wir ein Gesetz auf den Weg bringen, das zeitgemäß zum Wohle der Kinder und ihrer Familien hier im Land NordrheinWestfalen wirken kann. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Frau Kastner. – Frau Asch spricht nun für Bündnis 90/Die Grünen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Der Kiebitz, das ist ein Kuckucksvogel, grau, nicht sehr hübsch, aber er hat eine bedeutsame Eigenschaft, die ihn auszeichnet. Der Kiebitz ist nämlich ein Vogel, der die Eigenschaft hat, sich im Sinkflug zu bewegen, sehr direkt auf den Boden zu, aber im letzten Moment die Kurve zu kriegen, sich wieder vom Boden abzuheben und aufzusteigen. Diese Kurve, Herr Minister, haben Sie mit Ihrem Gesetzentwurf leider nicht hinbekommen. Sie setzen Ihren Sinkflug für Eltern, Kinder und Erzieherinnen in unveränderter Form fort.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das Programm, das Sie sich vorgenommen haben, ist ja relativ eindeutig. In Ihrem Programm geht es um die Frage: Wie stricken wir ein Finanzierungssystem für die Kindertageseinrichtungen und für die Kindergärten, das einen gewissen Ausbau der Krippenplätze für die unter Dreijährigen ermöglicht – denn das wird gesellschaftlich jetzt eingefordert –, ohne mehr Geld in das System zu geben? Das war Ihre Aufgabe. Sie setzen das so um, dass es nicht auf den ersten Blick auffällt. Mit der Vorlage dieses Gesetzentwurfes haben Sie diese Aufgabe gelöst.

Dabei bleibt aber die Qualität in den Einrichtungen auf der Strecke. Sie haben das Programm umgesetzt: mehr Quantität auf Kosten der Qualität in den Kindertageseinrichtungen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das ist das, was wir in diesem Gesetzentwurf lesen müssen.

Ihre Rechtfertigungsversuche – Sie sind heute Morgen ja schon relativ kleinlaut gewesen –, Herr Minister Laschet und Frau Kastner, sind doch wie das Pfeifen im Wald. Sie haben gestern von den Wohlfahrtsverbänden, von allen Fachverbänden und von den Gewerkschaften eine schallende Ohrfeige für Ihren Gesetzentwurf bekommen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ich kann kurz aus der Stellungnahme der Wohlfahrtsverbände zitieren, die sich mit Ihnen sehr intensiv darum bemüht haben, mehr Qualität in diesen Gesetzentwurf hineinzubekommen, mit denen Sie ein halbes Jahr verhandelt haben. Dabei haben Sie zwar letztendlich einen Kompro

miss erzielt; aber noch nicht einmal den haben Sie in den Gesetzentwurf aufgenommen. Die Wohlfahrtsverbände schreiben:

„Wir befürchten bei unveränderter Übernahme des Gesetzesentwurfs Qualitätseinbußen, Arbeitsplatzabbau auf Kosten der Kinder, steigende Elternbeiträge und ungerechte Risiken für Träger und Einrichtungen.“

Das ist die Bewertung derjenigen, die die Realität vor Ort kennen, die die Einrichtungsträger sind. Da nützt Ihnen, Herr Minister, alles Schönreden nichts. Das ist die Realität, die bei Umsetzung Ihres Gesetzentwurfs vor Ort erzeugt werden wird.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ich möchte noch einmal kurz sagen, worum es geht, was wir brauchen. Wir brauchen ein Kindergartengesetz, das drei Anforderungen genügt.

Die erste Anforderung – das ist das Wichtigste – besteht darin, dass wir mehr Qualität in der Elementarerziehung brauchen. Das wissen wir alle. Diesen Anspruch formulieren Sie auch. Das ist die Aufgabe aufgrund der Ergebnisse von PISA.

Mit diesem Gesetzentwurf opfern Sie aber die Qualität der Quantität. Sie schaffen den guten Standard in den kleinen altersgemischten Gruppen ab. Diese wird es in Zukunft nicht mehr geben. Sie weigern sich, im Gesetz überhaupt jeglichen Qualitätsstandard zu formulieren. Sie sagen, das bräuchten wir nicht. Das bedeutet: Die Gruppengrößen können zukünftig frei gewählt werden und sind nach oben offen. Das heißt, die Gruppen können mit Kindern vollgestopft werden. Das ist das Gegenteil von Qualität, das ist bloße Verwahrung nach dem Motto: Sauber, satt und trocken. Diese Realität werden wir demnächst in den Kindertageseinrichtungen haben. Dadurch wird die individuelle Förderung der Kinder auf der Strecke bleiben, meine Damen und Herren.