Protokoll der Sitzung vom 19.09.2007

Drucksache 14/4980

zweite Lesung

Ich eröffne die Beratung und gebe das Wort dem Kollegen Wilp von der CDU-Fraktion. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beschließen heute in zweiter Lesung die Änderung des Kommunalwahlgesetzes. Im Zusammenhang mit der beabsichtigten Änderung des Kommunalwahlgesetzes sind vor allem zwei Themen intensiv diskutiert worden: zum einen die Problematik einer Sperrklausel bzw. eines Grundmandates und zum anderen der Verzicht auf die Stichwahl. Für die CDU-Fraktion wird Herr Jarzombek nachher zu der Thematik der Sperrklausel und zu dem Auszählverfahren Stellung nehmen. Ich beziehe mich zunächst auf den Verzicht auf die Stichwahl bei der Wahl der hauptamtlichen Bürgermeister, Oberbürgermeister bzw. Landräte.

Bei aller Unterschiedlichkeit der Standpunkte, die es sowohl in diesem Hause als auch draußen gibt, bleibt festzustellen, was Prof. Oebbecke bei der Anhörung gesagt hat – ich zitiere –:

„Verfassungsrechtlich halte ich das“

damit meint er den Verzicht auf die Stichwahl –

„für ganz unproblematisch. Es sprechen auch gute Gründe dafür und dagegen.“

Man kann also durchaus unterschiedlicher Meinung sein, es reicht aber nicht für gegenseitige Diffamierungen.

Die Regierungsfraktionen haben sich für die Aufhebung der Stichwahl entschieden. Gewählt ist damit, wer in einem Wahlgang die meisten Stimmen auf sich vereinigt.

Bei den bisherigen Stichwahlen lag die Wahlbeteiligung durchweg 10 bis 15 Prozentpunkte niedriger als im ersten Wahlgang. Selbst wenn bei der Nachwahl eines Bürgermeisters, Oberbürgermeisters bzw. Landrates ausschließlich über einen neuen Amtsinhaber zu entscheiden war, gab es eine niedrigere Wahlbeteiligung. So ist durchaus nachweisbar, dass der Wahlsieger bei der Stichwahl im zweiten Wahlgang in absoluten Zahlen weniger Stimmen auf sich vereinigen konnte als der sogenannte Spitzenkandidat aus dem ersten Wahlgang.

Bei der durchweg geringeren Wahlbeteiligung im zweiten Wahlgang von häufig weit unter 50 % erreichte die per Stimmabgabe ausgesprochene Zustimmung der Wählerinnen und Wähler leider nur einen mäßigen Wert. Den Beweis dafür haben wir bei der letzten Wahl, die stattgefunden hat, bekommen. Es geht um die Landratswahl im Kreis Soest. Dort hat es bei der ersten Wahl am 27. August eine Wahlbeteiligung von 27,1 % gegeben.

(Zuruf von der SPD: Entkoppeln!)

Die Kandidatin an erster Stelle hatte 29.887 Stimmen. Die zweite Kandidatin für die Stichwahl hatte 19.427 Stimmen. Bei der Stichwahl, in die es dann ging, gab es eine Wahlbeteiligung von nur noch 19,1 %. Die Siegerin, die CDU-Kandidatin, hat in absoluten Zahlen 27.804 Stimmen bekommen, also 2.000 weniger als im ersten Wahlgang. Selbst die Verliererin, die unterlegene Kandidatin, hatte in der Stichwahl nur 18.450 Stimmen, während sie im ersten Wahlgang noch 19.427 Stimmen hatte.

Was ich eben gesagt habe, ist also durchaus nachweisbar. Daher bringen Stichwahlen – bezogen auf die auf den Wahlsieger abgegebenen Stimmen – nicht unbedingt ein Mehr an demokratischer Legitimation. Daher gilt: Wer in nur einem Wahlgang die meisten Stimmen erhält, kann sich ohne Wenn und Aber als legitim gewählt betrachten. So werden es die Koalitionsfraktionen festlegen.

(Zurufe von Frank Sichau [SPD] und Horst Becker [GRÜNE])

Ich will nun noch auf einige andere Punkte der Änderung des Kommunalwahlgesetzes eingehen, die durchaus Bedeutung haben. Zunächst geht es um die Reduzierung der Höchstabweichungsgrenze von 33 % auf 25 % bei der Einteilung der Wahlbezirke. Faktisch bedeutet das eine Verringerung der maximalen Abweichungsgröße von 100 % – bislang war zwischen dem kleinsten Wahlkreis und dem größten Wahlkreis eine Differenz von 100 % möglich – auf 66 %. Das gibt noch Spielraum, damit gerade Gemeinden mit eigenständigen kleinen Ortschaften diesen eigene Wahlkreise zuordnen können, wohingegen es auf der anderen Seite eine größere Gerechtigkeit innerhalb der Wahlbezirke schafft.

Für die Landtagswahl haben wir diese Höchstabweichungsgrenze sogar auf 20 % festgesetzt. Wir wollen mit der neuen Größenordnung für die Kommunen erst einmal Erfahrungen sammeln. Ich denke, dass wir in diesem Punkt weitestgehend übereinstimmen.

Ein weiterer Punkt im neuen Kommunalwahlgesetz verschafft Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes größere Chancen zu kandidieren, da die Unvereinbarkeit von Amt und Mandat stark reduziert wird. Mit dieser Neuregelung führen nur noch solche Tätigkeiten zur Inkompatibilität, bei denen eine direkte Aufsichtsfunktion ausgeübt wird. Zukünftig können zum Beispiel Bedienstete eines Kreises gleichzeitig Mitglied des Rates einer kreisangehörigen Gemeinde desselben Kreises sein. Ebenso können Bedienstete der Finanzämter, der Polizei oder Lehrer an Hochschulen in den Rat bzw. Kreistag gewählt werden.

Aber auch die Rechte der Wählerinnen und Wähler werden gestärkt. Die Sperrfrist für die Ausübung des aktiven Wahlrechtes wird von drei Monaten auf 15 Tage verkürzt. Damit haben die Bürger bei einem Wohnungswechsel viel länger die Chance, ihr Wahlrecht auszuüben. In der Vergangenheit war das so nicht möglich, was häufig Unverständnis ausgelöst hat. Die jetzige Lösung ist in jedem Fall bürgerfreundlicher und daher zu begrüßen.

Ich will es zunächst bei der Bewertung dieser konkreten Änderungen belassen. Das Kommunalwahlgesetz ist in vielen Gremien, Ausschüssen und im Plenum selbst intensiv diskutiert worden. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die vorgelegte Novellierung des Kommunalwahlgesetzes der veränderten kommunalen Ausgangslage gerecht wird, richtungweisende Lösungen an

bietet, mehr Freiheit gibt und im Ergebnis sachgerecht und gut ist. Daher werden die Koalitionsfraktionen diesem Gesetz zustimmen. Wie gesagt: Zu einigen weiteren Punkten wird nachher Herr Jarzombek Stellung nehmen. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Wilp. – Für die SPD-Fraktion erhält der Kollege Dr. Bovermann das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wahlen sind trotz der weit verbreiteten Politikverdrossenheit immer noch die Form der Politikbeteiligung, die von den meisten Bürgern regelmäßig praktiziert wird.

Wahlen haben zentrale Bedeutung für die Beschaffung von Legitimation und das Funktionieren von Demokratie. Weil sie so wichtig sind, müssen hohe Maßstäbe an Wahlsysteme angelegt werden. Reformvorschläge – auch Ihre Reformvorschläge – müssen sich daran messen lassen, ob diese Maßstäbe auch berücksichtigt werden. Darüber hinaus wäre es politisch klug, Veränderungen des Wahlsystems im Konsens der demokratischen Parteien vorzunehmen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

All dies scheint die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen jedoch nicht zu kümmern. Sie haben das Thema Wahlen entdeckt, um in erster Linie Machtsicherungspolitik zu betreiben.

(Zurufe von der CDU: Ui!)

Dabei werden Konflikte zwischen den Koalitionsparteien ausgetragen, wird häufiger mal die Richtung gewechselt und insgesamt durchaus Schaden für die kommunale Demokratie billigend in Kauf genommen.

Ich will ähnlich wie der Kollege zuvor die verschiedenen Elemente dieses Kommunalwahlgesetzes durchgehen und beschränke mich auch auf einige Schwerpunkte.

Unproblematisch erscheint zunächst einmal das neue Verfahren zur Stimmenverrechnung. Das Divisorverfahren mit Standardrundung wird uns von den Experten allenthalben empfohlen, da es den gleichen Erfolgswert der Stimmen nahezu optimal sichert. Es bevorzugt weder kleine noch große Parteien. Deshalb können, denke ich, auch alle damit leben und zufrieden sein.

Allerdings sind manche Formulierungen im Gesetzentwurf sehr kompliziert geraten und bleiben unklar. Ich meine damit die Rundungsregeln und das Vorschreiben von vier Stellen hinter dem Komma oder auch das Verfahren zur Bestimmung der Ausgleichsmandate. Also: Handwerklich wäre dieser Gesetzentwurf noch verbesserungswürdig.

Strittig ist schon eher die Einführung eines sogenannten Zusatzmandates für den Fall, dass eine Partei über 50 % der gültigen Stimmen erhalten hat, aber nicht mehr als die Hälfte der Sitze zugeteilt bekommt. Schon die Bezeichnung „Zusatzmandat“ ist irreführend und sollte aus dem Gesetzentwurf wieder verschwinden.

(Zuruf von Bodo Wißen [SPD])

Richtig ist, dass ein Mandat umverteilt wird. Also: Einer Partei wird ein weiteres Mandat zugeteilt, einer anderen Partei wird es abgesprochen. Das heißt aber, dass Sie die Erfolgswertegleichheit der Stimmen verletzen. Das, was Sie mit dem Verfahren nach Sainte Laguё erreichen wollen, ein möglichst optimales System, konterkarieren Sie also im nächsten Schritt, indem Sie ein solches Zusatzmandat oder Verteilungsmandat einfügen.

Am Ende erreichen Sie dann nicht einmal Ihr Ziel einer klareren Mehrheitsbildung. Denn im Unterschied zur Bundesebene, wo dieses System durchaus Verbreitung findet, ist auf der kommunalen Ebene als weiteres Ratsmitglied der Bürgermeister, der Oberbürgermeister oder der Landrat verankert. Das kann natürlich dazu führen, dass mit deren Stimme ganz andere Mehrheitsverhältnisse in einem Rat zustande kommen.

Kommen wir jetzt zum Mindestsitzanteil! Hier geht es um die Erlangung des ersten Mandates und den dafür erforderlichen Zahlenbruchteil im Rahmen des Divisorverfahrens. Das Problem – das räume ich ein – ist von CDU und FDP durchaus richtig erkannt worden. Wir alle wissen: Seit dem Wegfall der Fünfprozentklausel hat eine zunehmende Zersplitterung der Kommunalparlamente stattgefunden. Acht Gruppierungen und mehr sind in einem Rat gerade in den Großstädten im Ruhrgebiet keine Seltenheit mehr. In Essen, Bochum und Gelsenkirchen finden wir solche stark fragmentarischen Räte. Darunter – das wissen wir alle – befinden sich Einzelbewerber, Splitter- und Kleinstgruppen und leider auch extremistische Gruppierungen. Ich erinnere nur daran, wie eindrucksvoll vom Landrat aus dem Rhein-Sieg-Kreis in der Anhörung der schwierige Umgang mit diesen extremistischen Gruppen geschildert worden ist.

Allerdings wird dieses Problem, das Sie richtig erkannt haben, mit höchst untauglichen Mitteln an

gegangen. Zunächst war als Grenze ein Zahlenbruchteil von 0,75 – nicht etwa Prozent, wie einige Abgeordnete fälschlicherweise immer noch behaupten – vorgesehen. Nun ist uns ein Änderungsantrag präsentiert worden, wo dieser Zahlenbruchteil auf 1,0 für den ersten Sitz heraufgesetzt wurde. Das wurde auch in den Medien als der ganz große Kompromiss verkauft.

Das Problem bleibt aber ungelöst, denn der Mindestsitzanteil ist abhängig von der Größe der Vertretung und der Zahl der abgegebenen Stimmen. Das heißt, in den kleinen Räten existiert ohnehin eine faktische Sperrklausel. Ich brauche einen relativ hohen Stimmanteil, um überhaupt das erste Mandat zu erreichen. Dort wirkt also ein solcher Mindestsitzanteil überhaupt nicht. Und dort, wo man ihn gebrauchen könnte, nämlich in den größeren Städten, ist die Hürde von 1,0 viel zu schwach ausgeprägt, um überhaupt etwas zu bewirken.

(Beifall von der SPD)

Es trifft vielleicht den ein oder anderen Einzelbewerber – es gibt Beispiele, wo sich das nachweisen lässt –, aber es geht immer noch um den ersten Sitz. Die Kleinstgruppen werden hier offensichtlich bewusst geschont. Sie lösen also die Probleme dort, wo sie gar nicht bestehen.

Die SPD kommt Ihnen nun zur Hilfe und bietet Ihnen eine echte Lösung an, nämlich eine Sperrklausel bezogen auf die Anzahl der gültigen Stimmen. Die Experten haben uns in den Anhörungen deutlich gemacht, dass eine solche Sperrklausel nicht etwa generell verfassungswidrig ist. Sie haben uns sogar Hinweise gegeben, wie man gegenüber dem Verfassungsgerichtshof argumentieren muss, wie man auf die Funktions- und Arbeitsfähigkeit der Räte abstellen muss.

Wir hätten jetzt also die Chance, gemeinsam – alle demokratischen Parteien hier im Landtag – eine solche Sperrklausel einzuführen. Aber offensichtlich hat die FDP kalte Füße bekommen. Wahrscheinlich sieht sie sich als Betroffene einer solchen Sperrklausel.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Nur so ist es für mich zu erklären, dass hier von CDU und FDP keine echte Lösung präsentiert wird. Aber Sie haben die Chance, nachher dem Änderungsantrag der SPD zuzustimmen.

(Zuruf von der SPD: Jawohl!)

Der eigentliche Knackpunkt des Kommunalwahlgesetzes – das hat Kollege Wilp gerade auch angesprochen – ist natürlich die Abschaffung der

Stichwahl, auf die ich jetzt etwas kürzer eingehe, weil dazu nachher noch der Kollege Jäger Ausführungen machen wird.

(Christian Weisbrich [CDU]: Auch das noch!)