Protokoll der Sitzung vom 25.10.2007

Vielen Dank, Herr Minister Pinkwart. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache zur Unterrichtung.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

2 Bundesverfassungsgericht deckt Widerspruch bei der Online-Durchsuchung auf – Landesregierung muss Anwendung der Norm aussetzen!

Antrag

der Fraktion der SPD und

der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 14/5227

Ich eröffne die Beratung und erteile Herrn Abgeordneten Dr. Rudolph für die SPD-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 10. Oktober hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Verfassungsbeschwerden gegen die OnlineDurchsuchung im Verfassungsschutzgesetz Nordrhein-Westfalens verhandelt – so jedenfalls lautete die auch vom Gericht verbreitete Überschrift der Pressemitteilung. Nach dieser Verhandlung haben wir ein vernichtendes Presseecho für die Landesregierung erlebt.

Die „NRZ“ vom 12. Oktober schreibt von einem Online-Blindflug der Landesregierung. Die „Ruhr Nachrichten“ vom selben Tag erleben den Auftritt dieser Landesregierung in Karlsruhe als Wolfs Waterloo. Die „Financial Times Deutschland“ vom 11. Oktober meint mitleidig – Zitat –: NRWVertreter verwirrt Gericht. Die „Süddeutsche Zeitung“ vom 11. Oktober urteilt über das NRWVerfassungsschutzgesetz kurz und bündig – ich zitiere –: Legislativer Murks des Jahres.

Wir brauchen aber nicht nur aus den Zeitungen zu zitieren, aus denen man noch einige Beispiele anfügen könnten, sondern wir können uns auch die Verhandlung in Erinnerung rufen, insbesondere die Minute, als dem Gerichtspräsidenten in der Verhandlung große Zweifel befielen, ob man eigentlich über das gleiche Gesetz spreche und das gleiche Gesetz vorliegen habe.

Der Prozessbevollmächtigte der Landesregierung gab in der Verhandlung zu, dass einige Formulierungen dieses Gesetzes – so die Zeitung – suboptimal seien. Der Gerichtspräsident versprach ihm daraufhin – Zitat aus „Welt kompakt“ vom 11. Oktober, also nicht aus „vorwärts“ –: „Wir werden uns bemühen, Ihnen zu helfen.“ Als das auch nicht gelingen wollte, riet der Gerichtspräsident dem Prozessbevollmächtigten der Landesregierung angesichts dessen Interpretationskünste, er müsse nicht weitersprechen.

Wir alle haben verstanden: Er meinte damit, er solle sich nicht um Kopf und Kragen reden und

das Ansehen Nordrhein-Westfalens nicht weiter beschädigen.

Als schließlich der verzweifelte Gerichtspräsident und das verzweifelte Gericht versuchten, den Willen des Landesgesetzgebers zu ergründen, versteckten sich dessen Vertreter im Gerichtssaal. Deshalb ist heute zu fragen: Wie konnte es passieren, das Nordrhein-Westfalen so blamabel vor dem höchsten deutschen Gericht und vor den Augen der gesamten Öffentlichkeit aufgetreten ist?

Ich glaube, die tiefere Ursache liegt – das wird Sie vielleicht nicht überraschen – im Wahlergebnis vom 22. Mai 2005. Denn damals haben viele Bürger geglaubt, CDU und FDP könnten unser Land regieren und repräsentieren. Hätte es noch eines Beweises bedurft, dass dies nicht stimmt, haben Sie, Herr Innenminister und Herr Ministerpräsident, der noch nicht anwesend ist, diesen Beweis in Karlsruhe erbracht.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Die nächste Ursache liegt darin, dass Sie, Herr Biesenbach, und Sie, Herr Papke, unsere wiederholten Angebote abgelehnt haben, eine derartig bedeutende politische und anspruchsvolle gesetzgeberische Aufgabe gemeinsam mit uns zu bewerkstelligen.

Eine weitere Ursache liegt darin, dass Sie die Kritik nahezu sämtlicher Sachverständiger bei unserer Anhörung in den Wind geschlagen haben. Das liegt daran, dass Sie offenbar in der Vorstellung leben: Mehrheit ist Mehrheit und Macht ist Macht. Aber Demokratie ist auf Zeit geliehene Macht. Eine Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht ist eben kein Kinderforum, auf dem man sich die Fragen vorher einreichen lässt und nach einem vorher besprochenen und vorbereiteten Drehbuch auftritt und spricht.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das ist übrigens auch dieses Parlament nicht – weder das Plenum, noch die Ausschüsse. Insofern freuen wir uns auf die Beratung dieses Vorgangs in der anschließenden Ausschusssitzung; das will ich Ihnen nur schon einmal sagen.

Denn ich halte es für skandalös, dass Sie in Düsseldorf anders sprechen als in Karlsruhe. Denn natürlich hatten wir alle auch im Plenum gehört, dass Sie dem Verfassungsschutz die Befugnis zur Onlinedurchsuchung und nicht nur zu einer Überwachung der Telekommunikation via Internet geben wollen.

Genau so hat man das auch in Karlsruhe verstanden – aber auch in Berlin, in der Bundesregie

rung, in den Bundestagsfraktionen unserer Parteien und auch bei den Bundesbehörden, etwa beim Bundesamt für Verfassungsschutz oder beim Bundesnachrichtendienst. Deswegen waren all die Herren – in der Regel waren es Herren –, die diese Behörden und Institutionen in Karlsruhe mitvertreten haben, genauso von der Verhandlungsführung überrascht wie der nordrheinwestfälische Landtag insgesamt.

Skandalös ist der Vorgang aber nicht nur deshalb, weil Sie in Düsseldorf anders reden als in Karlsruhe, sondern er ist auch deswegen skandalös, weil gesetzestreue Bürgerinnen und Bürger nicht mehr wissen, woran sie sind, wenn Sie Gesetzesnormen willkürlich uminterpretieren.

Ich sage Ihnen deutlich: Anders als in gelenkten Demokratien gilt im Rechtstaat der Buchstabe des Gesetzes und nicht eine nachträgliche Spezialinterpretation der Regierung, auch nicht ein Entschließungsantrag und auch nicht eine geändert Gesetzesbegründung.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

In Karlsruhe wurde ein Gesetz verhandelt. Der rechtstreue Bürger und die rechtstreue Bürgerin müssen wissen können, dass der Buchstabe des Gesetzes gilt. Nur dann sind sie auf der richtigen Seite.

Ich sage Ihnen auch deutlich: Wir beobachten mit großer Sorge Ihren gesetzgeberischen Dilettantismus, weil die offenbar verfassungswidrige Regelung der Onlinedurchsuchung in Ihrem Verfassungsschutzgesetz nicht allein steht. Wir haben mehrfach darauf hingewiesen, dass auch die Regelungen über die akustische Wohnraumüberwachung im Verfassungsschutz- und Polizeigesetz, wie Sie selber eingeräumt haben, verfassungswidrig sind.

Deshalb haben Sie erklärt, Sie wendeten diese verfassungswidrigen Regeln nicht an, und eben deshalb findet eine effektive rechtsstaatliche Terrorismusbekämpfung unter Ausschluss der nordrhein-westfälischen Behörden statt, weil Sie nicht imstande sind, unseren Behörden die effektiven und rechtsstaatlich einwandfreien Mittel an die Hand zu geben, die sie brauchen, um den Terrorismus effektiv zu bekämpfen. Deswegen sind Sie bei solchen Situation wie im Sauerland gezwungen, auf die Amtshilfe des Bundes zurückzugreifen.

Ich weiß nicht, Herr Innenminister, ob Ihnen das klar ist, denn in der Praxis tragen Sie so den Föderalismus zu Grabe. Sie sind einer der ersten, der in der Reihe der Totengräber an der Schüppe

steht. Das ist derselbe freidemokratische Innenminister, der noch im Zusammenhang mit der Föderalismuskommission I Papiere geschrieben hat, in denen er darauf hingewiesen hat, wie gefährlich es sei, wenn zunehmend Landeskompetenzen bei der Terror- und bei der Verbrechensbekämpfung von den Ländern auf den Bund abwandern.

Sie sorgen mit Ihrer Politik und mit Ihrem Dilettantismus dafür, dass wir praktisch einen schleichenden Verfassungswandel erleben, durch den das größte Bundesland Deutschlands nicht imstande ist, wichtige Aufgaben bei der Terrorbekämpfung zu übernehmen. Deshalb muss das Land wie zum Beispiel im Sauerland Bundesbehörden bitten, eine entsprechende Überwachung der mutmaßlichen Terroristen vorzunehmen.

In den nordrhein-westfälischen Zeitungen war von Wolfs Waterloo die Rede. Ich habe das gerade zitiert. Aber ich würde sagen: Damit tut man Napoleon unrecht.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD)

Denn anders als Wolf hatte Napoleon ein klares Ziel vor sich und er hat an seinem Comeback gearbeitet. Das Bild jedoch, das Sie, Herr Wolf, zusammen mit Ihrem Staatssekretär Brendel abgeben, der bei der Verhandlung in Karlsruhe zugegen war, ist das blamabelste Bild, seit der einsame Ritter Don Quichotte und sein treuer Knappe Sancho Pansa im Roman von Cervantes gegen Windmühlen anritten, die sie für Riesen hielten.

Deswegen ist mein Rat: Steigen Sie ab von Rosinante und Rocio und wenden Sie sich der Realität zu! Und die Realität besteht darin, den Terrorismus ebenso effektiv wie rechtsstaatlich einwandfrei zu bekämpfen. Wir wollen doch den mutmaßlichen Attentäter treffen und nicht den unbescholtenen Bürger.

(Beifall von der SPD)

Zum Schluss sage ich Ihnen: Wenn Sie weiterhin an diesem Gesetz festhalten wollen, haben die Landesregierung und die Koalitionsfraktionen in Deutschland etwas Einzigartiges vollbracht, das genauso blamabel ist, denn damit bilden Sie ein Sicherheitsrisiko für die Terrorismusbekämpfung und ein Freiheitsrisiko für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. – Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Rudolph. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Düker das Wort.

(Frank Sichau [SPD]: Deswegen: Nicht erst nach Elba, sondern gleich nach St. Helena!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns heute mit einem ungeheuerlichen Vorgang. Es ist ein außergewöhnliches Schauspiel, das einer klassischen Tragikkomödie in fünf Akten gleicht. Sehen wir uns die Geschichte an.

Erster Akt: der Gesetzentwurf. Eine Landesregierung bringt einen Gesetzentwurf ein, mit dem sie Neuland betritt. Sie will mehr Kompetenzen für den Verfassungsschutz und den Zugriff auf die Computer. – So weit, so gut.

Zweiter Akt: das parlamentarische Verfahren. Vor dem Hintergrund der bundespolitischen Debatte zum Thema Onlinedurchsuchung tritt ein Streitpunkt unter sehr vielen – das muss man dazusagen – in den Vordergrund. Bei der Onlinedurchsuchung stellte sich die Frage: Ist der Schutz der Privatsphäre, der Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung, auf den jeder Bürger und jede Bürgerin in unserem Land einen verfassungsrechtlichen Anspruch hat, insbesondere beim Zugriff auf den Computer und beim Zugriff auf gespeicherte Daten gewährleistet?

Fazit: Die Mehrheit der Sachverständigen hat enorme verfassungsrechtliche Bedenken. Sie sieht den Schutz der Privatheit gefährdet. Das bedeutet einen Bruch mit rechtsstaatlichen Prinzipien.

(Beifall von den GRÜNEN)

Denn Sachverständige haben angemerkt, dass die Schnüffelsoftware, die auf dem Computer installiert werden muss, nicht so schlau ist, zwischen Bombenbauanleitungen und Urlaubsfotos, zwischen einem Drohbrief oder einem Liebesbrief zu unterscheiden. Der durch die Menschenwürde in Art. 1 des Grundgesetzes garantierte Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensführung ist durch diese Netzangriffe gefährdet. Das ist das Fazit der Anhörung.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Dritter Akt: Man würde meinen, dass sich daraus Konsequenzen ergeben würden. Nein, das Motto zum Beschluss in der zweiten und dritten Lesung heißt: Augen zu und durch! – Der zweite Akt wird zur Farce erklärt. Die Haltung von CDU und FDP gegenüber allen verfassungsrechtlichen Bedenken lautet: Wir ziehen das durch ohne Änderung.

Es folgt der vierte Akt – jetzt wird es spannend –: Es gibt einen Kulissen- bzw. Ortswechsel hin zum