Protokoll der Sitzung vom 15.11.2007

Auf der anderen Seite ist es bei der Frage, wo die Studierenden das Geld für ihren Lebensunterhalt hernehmen sollen, plötzlich mit der Eigenständigkeit vorbei. Hier werden die Studierenden nach wie vor als unmündige Kinder ihrer Eltern behandelt, die die direkten und indirekten staatlichen Transferleistungen erhalten und entscheiden, was damit passieren soll. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das finde ich nach wie vor unsinnig und widersprüchlich.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Genau an diese Frage nach der Elternunabhängigkeit wollte die Große Koalition auch diesmal wieder nicht herangehen – leider, sage ich nur. Dabei wäre es nicht nur sinnvoller und ehrlicher gewesen, das Kindergeld, die Steuervorteile und auch andere Transferleistungen in die Studienfinanzierung einzuspeisen und den Studierenden direkt zur Verfügung zu stellen. Ich bin der festen Überzeugung, dass ein solches System transparenter wäre und einen wichtigen Beitrag zum Abbau von Bürokratie im undurchschaubaren Dickicht der Steuergesetze leisten würde. Die jetzige Reform springt aus unserer Sicht zu kurz und zeigt nur, dass diese Bundesregierung zu wirklich grundlegenden Reformen nicht die Kraft hat.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das zeigt im Übrigen auch das unsägliche Gezerre, das im Vorfeld des BAföG-Beschlusses stattgefunden hat. Ich erinnere nur an den höchst peinlichen Antrag, den die Koalitionsfraktionen im Bundestag im Januar dieses Jahres eingebracht haben. Die Große Koalition erläutert ausführlich den bestehenden Reformbedarf beim BAföG, um dann im gleichen Atemzug bedauernd zu verkünden – ich zitiere –:

„Angesichts der nach wie vor angespannten Haushaltslage kann derzeit eine Anpassung der Freibeträge, Bedarfssätze, Vomhundertsätze und Höchstbeträge nicht erfolgen.“

Dass es genau diese Anpassung nun doch geben soll, belegt mehr als deutlich, wie sehr die Große Koalition zum Jagen getragen werden musste. Offensichtlich hat es viel gutes Zureden und noch mehr öffentlichen Druck gebraucht, bis Ihre Kolleginnen und Kollegen das verstanden und umgesetzt haben, was Sie hier heute abfeiern.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das muss man leider auch sagen dürfen, Herr Schultheis: Es war mit Finanzminister Steinbrück ein Sozialdemokrat und noch dazu einer aus Nordrhein-Westfalen, der mit am heftigsten auf die Bremse getreten hat.

(Demonstrativer Beifall von CDU und FDP – Christian Lindner [FDP]: So ist das!)

Ja, so ist es nun mal. Da muss man dann auch ehrlich sein.

Sosehr die Einigung über die längst überfällige BAföG-Erhöhung zu begrüßen ist: Es besteht wirklich kein Anlass, heute in Euphorie zu verfallen. Lassen Sie uns einmal gemeinsam etwas genauer hinsehen.

Punkt 1. Ja, die Regelsätze für das BAföG werden erhöht. Viele mögen denken, 10 % klingen im Vergleich zu dem, was es ansonsten an Einkommensverbesserungen gibt, wenn man einmal von den Vorstandsetagen absieht, erst einmal ganz ordentlich. Eine Erhöhung um 10 % wäre auch sicher in Ordnung, wenn sie denn sofort käme und nicht erst im Oktober 2008. Die Empfehlung des BAföG-Beirates der Bundesregierung bezog sich ausdrücklich auf das Jahr 2007. Unter Einbeziehung der weiteren Steigerungen bei den Lebenshaltungskosten in 2007 und 2008 wäre also eigentlich, wenn man ehrlich ist, eine Erhöhung um mindestens 12 % notwendig, um wieder auf den Stand nach der rot-grünen Erhöhung von 2002 zu kommen.

Punkt 2. Ja, es wird künftig einen Kinderzuschlag für Studierende mit Kindern geben. Auch das ist zu begrüßen. Es ist ebenfalls zu begrüßen, dass sich gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf jetzt auch bei CDU und SPD die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass es ein Unterschied ist, ob man ein Kind oder zwei oder drei Kinder erzieht. Schwer nachzuvollziehen ist aber, warum Ihnen nicht alle Kinder gleich viel wert sind und es für das erste Kind 113 € und für alle weiteren Kinder nur 85 € geben soll.

Es sollte auch nicht vergessen werden, dass es diesen Kinderzuschlag nicht einfach obendrauf gibt. Er wird letztlich durch die Streichung des Teilerlasses für Kindererziehungszeiten bei der Rückzahlung des Darlehens erkauft oder, anders formuliert, gegenfinanziert. Insgesamt findet also nur eine Verlagerung der Förderung von der Phase nach dem Studium ins Studium selbst statt.

Punkt 3. Sie erklären, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, in der Begründung zu der heutigen Aktuellen Stunde – ich zitiere noch einmal –:

„Insbesondere durch die höheren Freibeträge erhalten mehr junge Menschen erstmals einen BAföG-Anspruch.“

Das ist – verglichen mit dem heutigen Zustand – sicher richtig. Wenn man sich ansieht, wie sich die Einkommen seit der letzten der rot-grünen Erhöhung des BAföG im Jahr 2002 entwickelt haben, stellt man fest, dass letztlich jedoch nur diejenigen in den Kreis der Anspruchsberechtigten zurückkommen, die seitdem herausgefallen sind, weil die Freibeträge in den letzten Jahren nicht an die allgemeine Einkommensentwicklung angepasst worden sind.

Mein Fazit lautet: Es ist gut, dass das BAföG erhöht werden wird. Der große Wurf ist diese Erhöhung jedoch leider nicht. Sie erreichen lediglich den rot-grünen Stand von 2002 – nicht weniger, aber auch nicht mehr. Die längst überfällige strukturelle Reform ist ausgeblieben.

Nach dem unsäglichen Gezerre, das es um dieses Thema in den letzten Monaten gegeben hat, ist sicher auch nicht damit zu rechnen, dass diese sogenannte Große Koalition diese große Aufgabe auch in Zukunft meistern wird. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Dr. Seidl. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Pinkwart.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße, dass sich die Bundesregierung entschieden hat, das BAföG zu erhöhen – zwar nach zähem Ringen, aber darauf will ich gar nicht herumreiten.

Die Erhöhung der Sätze und Freibeträge zum nächsten Wintersemester: Das ist aus meiner Sicht eine gute Entscheidung. Das ist eine wichtige Verbesserung für die Studierenden in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen, für die sich die Bundesbildungsministerin, Frau Schavan, und ich in meiner Zuständigkeit in NRW eingesetzt haben.

Im Übrigen möchte ich darauf verweisen, dass ich bei wiederholten Anträgen, die bei uns im Landtag diskutiert worden sind, jeweils für die Landesregierung sagen konnte, dass wir uns, wie in der Vergangenheit üblich, an entsprechenden Empfehlungen der Bundesregierung, die als Hauptfinanzier zwei Drittel der BAföG-Finanzierung trägt, ausrichten und einer Erhöhung in vollem Umfange Rechnung tragen würden. Das habe ich nicht nur als Fachminister, sondern auch für die Landesregierung vorgetragen. Das heißt, ich habe es auch mit Zustimmung des Landesfinanzministers vorgetragen, und zwar von Anfang an und ohne irgendeine Limitierung. Ich hätte auch vortragen können: „aber nur bis zur Höhe von“. Nein, die nordrhein-westfälische Landesregierung hat anerkannt, dass hier Handlungsbedarf ist, und gesagt: Wenn der Bund handelt, sind wir wie immer mit dabei.

Wenn ich das noch richtig in Erinnerung habe, gab es vor allen Dingen in den Verhandlungen einen, der aus seiner Verantwortung für die Bundesfinanzen heraus abgeleitet hatte, dass man es möglicherweise noch nicht zu dem Zeitpunkt oder mindestens nicht in der Höhe gestalten sollte.

Ich meine unterm Strich: Die nordrheinwestfälische Landesregierung, die sie tragenden Fraktionen haben sich darauf gefreut, dass sich etwas ändert. Jetzt ist es da. Wir sollten uns für die Studierenden freuen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von CDU und FDP)

Herr Schultheis, Sie hatten argumentiert, hier würde man sich mehr um die Begabten statt um die Bedürftigen kümmern.

(Karl Schultheis [SPD]: So habe ich das nicht gesagt!)

Das so zu sehen, wäre falsch. Es ist genau umgekehrt.

(Karl Schultheis [SPD]: Man muss sich um beide kümmern!)

Das ist schon mal ein guter Ansatz.

(Weiterer Zuruf von Karl Schultheis [SPD])

Dann hätten Sie es doch sagen können! Das haben Sie aber nicht,

(Frank Sichau [SPD]: Hat er!)

sondern Sie haben versucht, die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen in ein Licht zu rücken, dass sie nur eine Gruppe im Blick hätten. Das ist aber nicht der Fall.

(Hannelore Kraft [SPD]: Sie haben dagegen gestimmt!)

Wir haben beide im Blick. Ich freue mich, wenn Sie jetzt sagen, dass das auch richtig ist.

Nur, wir müssen uns fragen: Stimmt auch unser Handeln, wenn wir diese Zielsetzung so teilen? Da muss man feststellen, dass das BAföG für etwa 17 % der Studierenden gegenwärtig eine Chance eröffnet, ein Studium wahrnehmen zu können. Nach Ausweis des Deutschen Studentenwerkes haben wir gerade einmal einen Anteil von knapp 2 % der Studierenden, die entsprechend ihrer Begabung eine Förderung für ihr Studium erhalten. Das heißt, hier ist nicht beides gleich im Blick, sondern hier gibt es – das ist sicherlich gut begründet – eine Vorrangstellung für die Bedürftigen.

Ich glaube aber, dass wir beides brauchen. Wir müssen allen Talenten in unserem Land eine Chance geben. Das bezieht sich auf jene, deren Eltern eine schwierige Einkommenssituation haben und die deswegen staatliche Unterstützung brauchen. Wir brauchen aber auch elterneinkommensunabhängig eine bessere Förderung von Begabten in unserem Land.

Deswegen setzen wir uns, wie der Ministerpräsident das gestern für die Landesregierung bekräftigt hat, auch dafür ein, dass wir ein nationales Stipendiensystem bekommen, an dem sich die Länder ähnlich wie beim BAföG beteiligen, damit wir unseren Hochschulen mehr Chancen eröffnen und den Begabten unabhängig von ihrer Herkunft und unabhängig davon, ob sie aus dem In- oder Ausland kommen,

(Zuruf von Karl Schultheis [SPD])

bessere Chancen für ein erfolgreiches Studium in Deutschland, hier in Nordrhein-Westfalen geben.

(Beifall von CDU und FDP)

Dann haben Sie – das haben Sie nicht so stark vorgetragen, aber das ist Teil des Antrags für die Aktuelle Stunde – das Thema Studienbeiträge wiederholt. Sie wollen die Studienbeiträge nicht, Sie wollen sie abschaffen.

(Karl Schultheis [SPD]: Ja, wegen der Belas- tung für die Studierenden!)

Sie haben eine andere Sichtweise. Die Antwort auf die Frage, wie Sie dann Qualitätsentwicklung betreiben wollen, sind Sie bislang schuldig geblieben. Sie haben, als Sie Verantwortung getragen haben, auch nicht an anderer Stelle oder durch andere Maßnahmen Qualitätsverbesserung betrieben. Im Gegenteil!

Wir haben einen solchen Ansatz vorgeschlagen, und wir sehen, dass er auch Wirkung entfaltet. Ich möchte das hier für die nordrhein-westfälische Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen noch einmal festhalten. Schauen Sie sich bitte alle anderen Bundesländer in Deutschland an, die Studienbeiträge eingeführt haben: Sie werden kein Bundesland finden, dass eine derart sozialverträgliche Ausgestaltung bei der Einführung von Studienbeiträgen vorgenommen hat wie das Land Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von CDU und FDP – Zuruf von Karl Schultheis [SPD])

Das bekommen Sie in allen Vergleichsstudien bestätigt. Wir haben nicht nur die Möglichkeit des Nachrangdarlehens, damit man den Beitrag erst dann zurückzahlen muss, wenn man ein geregeltes und bei Akademikern im Regelfall auch hohes Einkommen erzielt, sondern wir haben auch eine sehr großzügige Regelung dafür,