Protokoll der Sitzung vom 15.11.2007

wir setzen auf die Entscheidung in der Familie, wie sie leben und wie sie ihre Kinder erziehen will, und das nicht erst seit gestern.

Gestatten Sie mir einen kleinen Ausflug in die Vergangenheit.

(Britta Altenkamp [SPD]: Da kennen Sie sich am besten aus!)

Es gab eine Zeit, da galt der Spruch: Man vernichte die Lehrerinnen, indem man sie heirate. Männer bestimmten, wo ihre Frauen lebten und ob sie überhaupt erwerbstätig sein durften. Das Weltbild war trotz harter Trümmerfrauenarbeit in der Nachkriegszeit von der Vorstellung geprägt, dass der Mann die Familie ernähre und die Frau im Haus schalte und walte.

All das scheint uns lange her zu sein. Aber ich stelle immer wieder fest, dass Sie in der SPD dieses Frauenbild verinnerlicht haben und es immer der CDU unterschieben. Dabei müssten Sie eigentlich durch unsere Parteigeschichte eines Besseren belehrt worden sein. Wir waren 1985 die erste Partei, die die Essener Leitsätze für eine neue Partnerschaft zwischen Mann und Frau und damit auch die Wahlfreiheit festgeschrieben hat. Die SPD war etliche Monate später dran.

Wir gestalten die Wahlfreiheit derzeit mit Anerkennung von Erziehungszeiten im Rentenrecht, durch Erziehungszeiten und durch Erziehungsgeld. Etliche Bundesländer haben es sich damals erlaubt, bei der Einführung des Erziehungsgeldes auf Bundesebene auch ein Landeserziehungsgeld zu zahlen. Ich kann mich erinnern, dass das in Nordrhein-Westfalen unter einer SPD-Landesregierung nicht der Fall war, sondern dass man hier zur gleichen Zeit eine Stiftung für Weißstörche einführte.

Wir haben in der Gegenwart viele Schritte unternommen, um die Wahlfreiheit abzusichern, um Familie und Beruf unter einen Hut bringen zu können und vor allen Dingen um Frauen beispielsweise den Widereinstieg zu ermöglichen.

Wir unterstützen etwa hier im Hause durch unseren Antrag „Familienfreundlicher Landtag“ Möglichkeiten, wie man so etwas machen kann, und wir werben seit langer Zeit bei uns für familienfreundliche Arbeitsplätze mit Arbeitszeiten, die es Männern und Frauen erlauben, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren.

Wahlfreiheit hier im Land muss nach vielen Jahren SPD/Grünen-Regierung erst einmal hergestellt werden. Die Familien suchen Betreuungsplätze – möglichst viele und möglichst schnell. Dazu haben wir die richtigen Maßnahmen einge

leitet, und wir werden bereits für 2010/2011 einen Rechtsanspruch anpeilen.

(Beifall von der CDU)

Ich möchte aber betonen, es gibt Familien in unserem Land, die sich immer noch für eine andere Familienkonstellation entscheiden wollen – auch Frau Meurer hat es vorhin angedeutet – und zugunsten von Familie und Kindern auf die Erwerbstätigkeit von einem der beiden Partner verzichten wollen, ganz oder vor allen Dingen zeitweise.

Sie entscheiden sich heute im Gegensatz zu früher sehr viel bewusster. Denn sie wissen, dass sie das vor dem Hintergrund geringerer Finanzen tun. Sie wissen, dass sie damit eventuell Renteneinbußen erleben. Sie wissen auch, dass sie nach dem neuen Unterhaltsrecht Schwierigkeiten bekommen. Sie wissen auch, dass sie möglicherweise Schwierigkeiten haben, wieder in den Beruf einzusteigen. Und sie tun es trotzdem. Sie tun es, weil sie das Gefühl haben und die Notwendigkeit sehen, sich um ihre Kinder selbst kümmern zu müssen. Diese Eltern, die das so bewusst entscheiden, sind auch die, die sich wirklich um ihre Kinder kümmern.

Natürlich kenne auch ich die anderen, über die Frau Meurer geredet hat und die sagen: Mit dem Geld können wir etwas Besseres anfangen und es für uns oder irgendetwas anderes ausgeben. Aber ich erinnere an die Ausführungen von Frau von der Leyen zu ihrem Gesetzentwurf. Sie hat deutlich gemacht, wenn das Erziehungsgeld oder das Betreuungsgeld kommt, müssen wir das ausschließen. Es ist ja überhaupt noch nicht klar, wie es aussehen kann, wie es aussehen soll und ob es kommt. Wir reden – das muss man auch einmal sagen – im Jahre 2007 über das Jahr 2013. Das heißt, wir haben vorher viele Aufgaben abgearbeitet, danach werden wir uns vielleicht über diese Möglichkeit unterhalten, und dann wird sichergestellt sein, dass Missbrauch ausgeschlossen ist.

Mit Ihrem Antrag dagegen, meine Damen und Herren von der SPD, tun Sie etwas ganz anderes. Sie verbieten letztendlich sich selber und anderen eine Diskussion über diesen Punkt, wie wir die Erziehungsleistung von Familien anerkennen können.

(Beifall von der CDU)

Diese Diskussion führen wir nicht nur hier. Wir führen sie in Thüringen, weil sie dort schon ein Erziehungsgeld haben. Die sind bald dabei, das abzuschaffen.

(Britta Altenkamp [SPD]: Das sind unter- schiedliche Dinge! Erziehungsgeld ist etwas anderes!)

In Thüringen wird unter anderem über ein Betreuungsgeld geredet, und sie diskutieren dort heftig.

(Britta Altenkamp [SPD]: Ja, eben! Sie haben wieder Erziehungsgeld gesagt!)

Sie diskutieren in Norwegen, dass sie es abschaffen wollen, und sie diskutieren in Schweden, ob sie es einführen wollen. Das heißt, es gibt viele Argumente dafür, es gibt auch viele Argumente dagegen. Deshalb lassen wir uns Zeit für diese Diskussion.

(Britta Altenkamp [SPD]: Es gibt auch immer noch eine Rabenmutter-Diskussion in Deutsch- land! Du liebe Güte!)

Frau Altenkamp, ich habe hier mehrfach gesagt, dass ich diese ideologische Sache nicht gut finde und ich es für ausgesprochen sinnvoll finde, eine Diskussion ohne diese Ideologie zu führen, weil es darum geht, eine Erziehungsleistung, die Eltern erbringen, anzuerkennen und eventuell zu fördern. Deshalb werden Sie verstehen, dass wir dem SPD-Antrag heute nicht zustimmen werden.

(Beifall von CDU und FDP – Britta Alten- kamp [SPD]: Das hätte mich auch schwer gewundert!)

Vielen Dank, Frau Kollegin Kastner. – Für die FDP-Fraktion hat Kollege Lindner das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollegin Kastner hat gerade völlig zutreffend darauf hingewiesen, dass wir eine ideologiefreie Diskussion in der Familienpolitik brauchen. Der Staat darf nicht Zensor privater Lebensentwürfe werden. Er darf nicht in die privaten Lebensentwürfe eingreifen, indem er über seine Systeme und über seine Förderung bestimmte Familienbilder privilegiert.

Wir brauchen Wahlfreiheit, übrigens auch auf einer Werteebene. Viel zu oft ist es so, dass die junge Frau, die sich entscheidet, bei ihren Kindern zu bleiben, als weniger emanzipiert dargestellt wird. Andererseits – dann von anderen politischen Kräften – werden diejenigen jungen Männer und Frauen, die Familie und Beruf vereinbaren wollen, doch ein bisschen schief von der Seite angesehen, ob das denn so gut für die Kinder sein könnte. Wir müssen ganz entschieden sagen, dass zur Wahlfreiheit und zur Entideologisierung der Familienpolitik gehört, beide Lebensentwürfe als

gleichwertig und gleich förderungsbedürftig anzuerkennen.

Wenn sich aber dann die Frage stellt, wie öffentliche Ressourcen verwendet werden, müssen wir auch in den Blick nehmen, was bislang schon für Familien geleistet wird. Da ist es mitnichten so, dass wir gegenwärtig ein Übergewicht etwa an Investitionen der öffentlichen Hand in die Infrastruktur hätten,

(Zuruf von Andrea Asch [GRÜNE])

sondern wir haben ganz im Gegenteil einen überwiegenden Anteil von öffentlichen Geldern, die als Geldleistungen oder über die Form von Steuererleichterungen an die Eltern gegeben werden.

(Beifall von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Es ist im Übrigen nicht so, dass die Frau, die zu Hause bleibt, keinerlei öffentliche Förderung erfahren würde.

(Britta Altenkamp [SPD]: Genau!)

Ganz im Gegenteil. Das Ehegattensplitting und die beitragsfreie Mitversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung

(Britta Altenkamp [SPD]: Gut, Herr Lindner!)

sind heute wesentliche und mit Milliardenbeträgen dotierte Förderungsmaßnahmen für Familien, die sich für einen erziehenden und einen verdienenden Elternteil entscheiden.

(Britta Altenkamp [SPD]: Jetzt blinkt er schon! Jetzt gucken wir mal, wo er abbiegt!)

Im Übrigen ist die Frage der Wahlfreiheit in Deutschland mit denjenigen zu diskutieren, die es betrifft, ob sie glauben, gegenwärtig Wahlfreiheit zu haben, und was sie brauchen, um ihre Wahlfreiheit dann auch zu leben.

Dazu gibt es ja Untersuchungen. Wenn sich in Deutschland 70 % der nicht erwerbstätigen Frauen mit Kindern bis zu zwölf Jahren die Aufnahme einer Erwerbsarbeit wünschen und lediglich 23 % der Mütter nicht freiwillig erwerbstätig sind, wenn 89 % der Mütter von kleinen Kindern und 75 % der Mütter von Kindergartenkindern als Grund für die Nichterwerbstätigkeit angeben, keine bedarfsgerechten Betreuungsangebote zu finden, dann müssen wir eindeutig in Wahrnehmung der Wünsche der Eltern unseren Fokus auf den bedarfsgerechten Ausbau der Betreuungsinfrastruktur setzen. Das wollen wir tun. Das ist die Position der FDP im Deutschen Bundestag und auch hier.

Die Diskussion über das Betreuungsgeld – damit bin ich beim Stichwort – ist aber keine Diskussion,

die in den Landtag gehört. Es ist eine familienpolitische Leistung des Bundes und nicht des Landes. Deshalb greift Ihr Antrag zu kurz. Notwendig wäre es gewesen, gerade im Sinne dessen, was ich über die Wahlfreiheit der Eltern berichtet habe, in den Blick zu nehmen, was in der Landespolitik passiert und welche Auswirkungen andere Entscheidungen auf Familien haben.

Von Frau Meurer ist wortreich beklagt worden, dass Familien finanziell durchaus gefördert werden müssen und gerade Familien mit schmalem Geldbeutel einer Förderung bedürfen. Da muss ich Sie, Frau Meurer, fragen: Wie finden Sie dann, dass Ihre Sozialdemokraten in Berlin die Mehrwertsteuer um drei Punkte erhöht haben? – Davon werden insbesondere Geringverdienerfamilien getroffen. Wir als Koalition, Union wie FDP, haben im Bundesrat bei der Mehrwertsteuererhöhung mit Nein votiert,

(Ursula Meurer [SPD]: Sie geben das doch an die Familien weiter!)

gerade, weil es eine Gerechtigkeitslücke bei den Familien mit schmalem Geldbeutel gibt. Sie in Berlin haben dafür den größten Umfaller in der Geschichte der Bundesrepublik riskiert, vor der Wahl zu sagen, Merkel-Steuer, das wird teuer, und nach der Wahl die Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte zu erhöhen.

(Britta Altenkamp [SPD]: Wer hält hier die Hand auf? Ich lache mich kaputt! – Zuruf von Ursula Meurer [SPD])

Ich mache eine zweite Bemerkung dazu, um auf die Landespolitik zurückkommen: Wer hat hier die Ausgangsbilanz, die ich geschildert habe, dass Familien sich Sorgen um die Betreuungsangebote machen, mit zu verantworten? – Das waren doch Sie, weil Sie bundesweit Nordrhein-Westfalen in die Schlusslichtposition bei öffentlich geförderten Betreuungsangeboten manövriert haben.

(Britta Altenkamp [SPD]: Schon wieder falsch!)

2,8 % – das muss man doch einmal etwas anders intonieren: Noch nicht einmal für drei von hundert Kindern im Alter von unter drei Jahren standen Betreuungsplätze zur Verfügung. Das war Ihre Bilanz.

Jetzt wollen Sie hier familienpolitisch Farbe bekennen, ohne für das, was Sie hinterlassen haben, Verantwortung zu übernehmen. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Diesen kleinen Versuch, eine bundespolitische Debatte in den Landtag zu zoomen, werden wir nicht unterstüt

zen. Deshalb wird dieser Antrag hier auch keine Mehrheit finden.