Protokoll der Sitzung vom 15.11.2007

(Beifall von der FDP)

Mit Zustimmung des Präsidenten möchte ich noch einige Zitate anbringen. Herr Jörg Vogelsänger – wenn ich mich recht entsinne, ist er Abgeordneter der SPD im Deutschen Bundestag – erklärt in der

Sitzung des Deutschen Bundestages am 20. September 2007:

„Ich will Fakten dazu beitragen; denn ich bin der festen Überzeugung, dass die Anträge von Grünen und Linken in diesem Bereich nicht zielführend sind... Wir in Deutschland können eine Vorreiterrolle einnehmen und zeigen, dass die Verkehrssicherheit für den Bürger ohne ein generelles Tempolimit auf Autobahnen im besonderen Maße gewährleistet werden kann … Verkehrsbeeinflussungsanlagen sind ideale Lösungen zur Senkung der Unfallrisiken, Verbote sind es nicht.“

Herr Vogelsänger hat es verstanden: Reglementieren hilft nicht, sondern organisieren. Ich darf Herrn Vogelsänger weiter zitieren:

„Die Mehrzahl der Bürger hält sich jedoch nicht an Geschwindigkeitsbegrenzungen. … Es ist jedem freigestellt, sich an die Regelgeschwindigkeit zu halten. Wir brauchen nicht immer neue Gesetze und Verordnungen. Wir müssen die Menschen überzeugen. Ich glaube, das geht nicht mittels eines allgemeinen Tempolimits.“

Recht hat der SPD-Kollege aus dem Deutschen Bundestag.

Wie richtig der Antrag von CDU und FDP ist, zeigt sich auch daran, dass im Bundeshaushalt Mittel für den Bau von Verkehrsbeeinflussungsanlagen bereitgestellt werden und diese sogar aufgestockt werden.

Gerhard Schröder möchte ich gerne auch einmal zitieren, und zwar mit einem Beitrag auf dem letzten Bundesparteitag:

„Wenn auf Parteitagen wieder einmal über für ein Tempolimit von 100 gestimmt wurde, habe ich wenigstens den Mut aufgebracht, um auf der Toilette zu verschwinden.“

Siegmar Gabriel erklärte zum Tempolimit von 130 auf deutschen Autobahnen, dass dieses nur begrenzt dem Klimaschutz nutzen würde: Die Bedeutung für den Klimaschutz ist relativ begrenzt.

Die SPD-Vizechefin Andrea Nahles, der ich es nun wirklich nicht zugetraut hätte, erklärt gegenüber der „Welt online“:

„Ich bedaure allerdings die Entscheidung zum Tempolimit. Wir haben auf den allermeisten Strecken ohnehin ein Tempolimit. Und das ist auch richtig. Sie selber liebe es, auch schon einmal Strecken für schnelle Fahrt zu nutzen.“

(Horst Becker [GRÜNE]: Dann könnt ihr euch ja treffen!)

„Wir brauchen neue Techniken, neue Flotten und alternative Treibstoffe, nicht neue Regeln, sagt sie.“

Zum Schluss darf ich festhalten, dass eine flexible Geschwindigkeitsregelung es ermöglicht, das Tempo an die jeweilige Verkehrssituation und an die jeweiligen Bedingungen anzupassen. Diese Flexibilität erlaubt eine optimale Nutzung unserer Autobahnen. Dies möchten wir den Bürgern ermöglichen. – Ich bedanke mich recht herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.

Herr Kollege, Sie hatten noch ein Versprechen abgegeben, dass Sie noch eine Zwischenfrage beantworten wollten. Möchten Sie das noch?

Wer möchte denn?

Herr Remmel, bitte schön.

Ich weiß nicht, ob es jetzt noch passt. Ich wollte, nachdem Sie am Anfang Ihrer Rede sozusagen Ihre eigenen Empfindungen dargelegt haben, gerne daran anknüpfen und Sie fragen, was Sie denn bezogen auf Ihre eigenen Empfindungen tun würden, wenn Sie als Franzose oder Holländer geboren wären.

Ich würde gerne oft in Deutschland Urlaub machen,

(Beifall und Heiterkeit von CDU und FDP)

weil ich mich da relativ zügiger bewegen könnte. So einfach ist das. -Gibt es weitere Zwischenfragen?

Es liegen keine weiteren Zwischenfragen vor, Herr Kollege Lehne. – Herzlichen Dank für den Redebeitrag.

(Beifall von CDU und FDP – Zuruf von Chris- tof Rasche [FDP])

Herr Kollege Rasche, nach meiner Liste wäre Herr Tüttenberg von der SPD an der Reihe. Insofern möchte ich Herrn Tüttenberg auch bitten, ans Pult zu treten. Da ist er schon. Danach sind Sie dann dran, Herr Kollege Rasche.

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

Nein, der Antragssteller Becker hat als Erster gesprochen, dann die CDU, dann die SPD, dann

die FDP und dann die Landesregierung. Und dann hat sich bisher noch einmal die SPD zu Wort gemeldet. So ist hier die Reihenfolge aufgeschrieben. Wir prüfen das aber gern noch einmal nach, wenn es da einen Kritikpunkt gibt. Wir haben das hier entsprechend der Reihenfolge des Eingangs der Anträge sortiert.

Also, Herr Kollege Tüttenberg, Sie haben jetzt das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte keine Probleme damit, dem Kollegen Rasche den Vortritt zu lassen. Aber so ergibt sich etwas pragmatischer die Möglichkeit von Rede und Gegenrede, die Sie als Replik nutzen können, Herr Kollege Rasche.

Dass über Verkehrspolitik einmal zu einem solch frühen Zeitpunkt, nämlich bereits mittags, im Plenum beraten werden kann, ist zweifellos als außergewöhnlich selten einzustufen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Insofern bin ich schon vor diesem Hintergrund den sozialdemokratischen Delegierten auf dem Bundesparteitag in Hamburg dankbar, dass sie mit ihrem Beschluss zur ökologischen Ökonomie – das war die Überschrift – mit unter anderem dem Aspekt eines Tempolimits von 130 km/h auf Autobahnen etwas bewirkt haben, was weder der Verkehrsminister noch die christlichen und liberalen Verkehrspolitiker bisher haben bewirken können, nämlich dass Verkehrspolitik hier einmal eine so herausragende Rolle im Tagesablauf des Parlaments spielt.

Im Übrigen finde ich es auch in der Sache interessant, dass die Landtagsmehrheit thematische Anleihen bei der Opposition nimmt, um die Unterschiede – übrigens auch in der Methodik – an einer wichtigen Schnittstelle zwischen Verkehrspolitik und Umweltpolitik deutlich werden zu lassen.

Es ist keine stichhaltige und belastbare Argumentation, wenn Sie anführen, in Deutschland gebe es bereits einen sehr hohen Prozentsatz an tempolimitierten Streckenabschnitten, und auch die Verkehrsunfälle seien kontinuierlich rückläufig.

Denn erstens geht es hier im Landtag um Nordrhein-Westfalen, und dazu liegt keine aktuelle Statistik vor.

Zweitens. Fällt Ihnen denn nicht auf, dass zwischen dem Trend auf der einen Seite zu höherer Temposensibilität bzw. zur stärkeren Ausstattung von Strecken mit Tempolimit und auf der anderen Seite zu rückläufigen Unfallzahlen vielleicht ein

kausaler Zusammenhang besteht? – Wenn nicht, dann sollten Sie erst recht unserem Antrag auf Verdichtung der Datenbasis zustimmen; denn dieses Material könnte auch Ihre Entscheidung noch einmal überprüfbar machen.

Glauben Sie denn ernsthaft, dass beispielsweise sehr moderne, aber dünn besiedelte Länder wie Schweden oder Finnland Tempolimits einfach nur aus ideologischer Verblendetheit beschließen oder dass es dort vielleicht an etwas anderem liegt, an Unfällen mit Elchen oder an anderen Aspekten?

Wir Sozialdemokraten haben gerade mit der sehr lebendigen und kontroversen Diskussion auf unserem Bundesparteitag und allen Diskussionen, die ihr vorangegangen und nachgefolgt sind, dokumentiert, dass wir, weil wir diese Frage für wichtig halten, sie sehr ernsthaft abwägen und dass wir uns auf dem Weg zu einem von vielen für wichtig und richtig gehaltenen Ziel vorrangig von nachprüfbaren Fakten leiten lassen. Wir wollen und brauchen Fakten gerade aus NRW, bevor wir in und für NRW Entscheidungen treffen.

Warum wehren Sie sich denn gegen eine seriöse Informationsbasis als Grundlage einer Entscheidung für Nordrhein-Westfalen? Wie wollen Sie denn entscheiden, wenn Sie nicht wissen, wie viele Autobahnkilometer es in NRW ohne allgemeine Tempobegrenzung gibt, wie viele schwerwiegende Unfälle auf genau diesen Streckenabschnitten passieren,

(Horst Becker [GRÜNE]: 900! Die Zahl ken- ne ich auswendig!)

wie viele Menschen dabei bedauerlicherweise getötet oder verletzt worden sind, wie viele ausländische Lastkraftwagenfahrer, die vielleicht in Deutschland Urlaub machen, aber in ihren Heimatländern Tempofreiheit gar nicht kennen, in solche Unfälle verwickelt waren, bei denen eine Geschwindigkeitsübertretung der Grund für den Unfall war?

Wir verlangen von Ihnen nicht, dass Sie das Tempolimit von 130 km/h beschließen. Allerdings verlangen wir von Ihnen, dass Sie, bevor Sie das rundheraus ablehnen, auch Ihrerseits die Landesregierung zur Herausgabe der entscheidungserheblichen Informationen auffordern.

(Beifall von der SPD)

Wenn Sie dem nicht beitreten, dann geraten Sie in den Verdacht, dass Sie eine althergebrachte, nicht mehr zukunftstaugliche und erst recht für Nordrhein-Westfalen lebensferne Ideologie auf dem Feld der Verkehrspolitik ausleben, wo Prag

matismus besonders wichtig ist. Dann nämlich legen Sie Ihre eigenen Scheuklappen nicht nur nicht ab, sondern wollen sie per Beschluss auch noch anderen anlegen.

(Beifall von der SPD)

Insofern scheint mir dieser Antrag der Fraktionen von CDU und FDP eher ein Ablenkungsmanöver zu sein, und zwar davon, dass Sie entgegen Ihren sehr großspurigen Ankündigungen vor der Wahl die Mittel für den Landesstraßenneubau gegenüber den Ansätzen von Rot-Grün heruntergefahren haben. Ferner wollen Sie davon ablenken, dass sich Ihre Stauauflösungsversprechen selbst aufgelöst haben, allerdings nicht in Luft, sondern eher in CO2. Wenn Sie den ÖPNV weiterhin ideologisch zusammenstutzen, dann erledigt sich Ihre Tempofreiheit ohnehin von selbst, nämlich im Dauerstau.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Angela Freimuth)