Protokoll der Sitzung vom 05.12.2007

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege Groth das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Freimuth, Sie haben es trotzdem geschafft, die zehn Minuten zu füllen. Sie haben hier über bundespolitische Angelegenheiten schwadroniert. Nur zum Haushalt Nordrhein-Westfalen sind Sie uns die Antworten auf unsere Anträge fachpolitischer Natur schuldig geblieben.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Wir haben 20 Einzelpläne. Sie hätten hier zu jedem Einzelplan etwas sagen können. Sie sind die haushalts- und finanzpolitische Sprecherin Ihrer Fraktion. Augenscheinlich sind Sie aber auch verlassen und haben in den eigenen Reihen keinen Rückhalt mehr. Deshalb sitzen Sie hier auch ganz allein.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Angela Freimuth [FDP]: Man hat eben volles Ver- trauen!)

Ich greife trotzdem, Frau Freimuth, ein Wort von Ihnen auf. Sie haben das Wort „Sünde“ gebraucht. Das ist in Ordnung. Ich wollte eigentlich nicht so weit ins Christliche und auch nicht so weit in den Bereich der Bibel gehen. Aber ich nehme das einmal auf. Es ist nicht nur ein Haushalt der Rekorde, sondern auch ein Haushalt der Sünden, den Sie hier gesundbeten wollen. Aber das wird Ihnen nicht gelingen. Es gibt in diesem Hause nämlich noch eine Opposition.

(Beifall von den GRÜNEN)

Mit 51,2 Milliarden € gibt das Land so viel aus wie niemals zuvor. Das ist eine Sünde. Die Steuereinnahmen liegen mit 41,5 Milliarden € ebenfalls auf dem höchsten Niveau aller Zeiten. Das sind nicht 2, das sind nicht 3, das sind nicht 4, das sind auch nicht 5 Milliarden € mehr, als Rot-Grün 2004 hatte, das sind 8 Milliarden € mehr, die Sie einnehmen. 8 Milliarden € mehr haben Sie im Topf. Das ist mehr, als wir haben damals einnehmen können. Trotzdem steigt der Schuldenberg weiter. Wie erklären Sie das der geneigten Öffentlichkeit?

Der Schuldenberg steigt weiter. Bereits heute haben wir über 118 Milliarden € Gesamtverschul

dung. „Ach“, werden Sie einwenden, „damit haben wir gar nichts zu tun.“ Nur: 8 Milliarden € gehen auf das schwarz-gelbe Konto in Ihrer Regierungszeit.

So billig kommen Sie uns aber nicht davon. Sie haben diesen Schuldenberg nicht nur erhöht, sondern Sie sind auch ein Dieb, Sie sind diebisch, Sie haben sich den Wahlerfolg mit Versprechungen ergaunert. Sie haben gegaunert, und wir werden Sie an diesem Arm festhalten.

Sehen wir uns lieber an, was Sie tatsächlich tun. Damals haben Sie bei 110 Milliarden € Schulden Alarm geläutet.

(Angela Freimuth [FDP]: Für die Bezeich- nung, dass ich ein Dieb sei, bitte ich Sie, dass Sie sich entschuldigen! Das ist eine Unverschämtheit! Das ist der Vorwurf einer kriminellen Tat! Ich lasse mich nicht von Ih- nen eines Verbrechens beschimpfen!)

Das müssen Sie jetzt schon hinnehmen: 110 Milliarden € Schulden haben Sie übernommen. Jetzt haben Sie 118 Milliarden € Schulden – mit steigender Tendenz. Trotz einer Mehrwertsteuererhöhung, trotz brummender Konjunktur, die sie aufgrund der rot-grünen Reformpolitik im Bund von uns geerbt haben, trotz höchster Steuereinnahmen aller Zeiten im Bund durch Schwarz und Rot haben Sie den höchsten Schuldenberg und höchste Ausgaben. Was sind Ihre Versprechungen von vorher da wert?

Ich wiederhole das noch einmal, Frau Kollegin: Trotz allem haben Sie kein Konzept, wie Sie da wieder herauskommen. Der Vorsatz heißt doch: Spare in der Zeit, dann hast du etwas in der Not. Haben Sie das schon vergessen? Aber was haben Sie alles versprochen! Keine Angst, ich komme jetzt nicht auf die sozialen Fragen; das machen schon die Fachkolleginnen und Fachkollegen. Ich lege jetzt die haushaltspolitische Messlatte an Ihre Haushaltspolitik.

Erste Sünde – ich habe noch mehr aufgeschrieben und könnte weitere Sünden nennen –: In der Anhörung des Unterausschusses „Personal“ klingelten Ihren Leuten vor Ernüchterung doch nur so die Ohren. Die Vertreter der Berufsverbände haben Sie an Ihre Versprechungen erinnert. 2003 hat der heutige Ministerpräsident, der heute leider nicht hier ist, versprochen, die Kürzung bei der Beamtenbesoldung – Stichwort „Sonderzahlung“ – zurückzunehmen. Stattdessen haben Sie draufgesattelt. Sie haben nicht nur Ihr Versprechen nicht eingehalten, sondern Sie haben auch draufgesattelt. Rot-Grün hatte in diesem Bereich befristet bis 2005 aufgrund der dramatisch wegbrechenden Einnah

men – das konnte damals auch jeder verstehen – bei den Beamten um 450 Millionen € gekürzt. Sie haben versprochen, das sofort zurückzunehmen. Nichts haben Sie gemacht! Sie haben trotz gigantischer Mehreinnahmen nochmals 220 Millionen € bei den Beamten gekürzt. Das ist Ihre Politik.

Im nächsten Jahr kommen weitere 230 Millionen € dazu, weil Sie die Besoldungserhöhung nur verspätet durchsetzen und weiterhin auf dem Rücken der Beschäftigten sparen. Das ist Ihre Politik.

Auch der marktradikale Lautsprecher der FDP hat sich 2003 massiv über die Kürzungen der rotgrünen Regierung erregt und sprach, meine Damen und Herren, von einer Missachtung der Dienstherreneigenschaft. Was hat Herr Papke heute dazu zu sagen? Ist er wieder zurückgerudert? Hat er das auch schon vergessen? Oder gibt es den in Ihrer Fraktion gar nicht mehr? Sobald er seine Sachen herausgeblasen hat, ist es wahrscheinlich auch schon wieder nicht so ernst gemeint. Ich nenne das einen haushaltspolitischen Bettvorleger erster Güte.

Der Deutsche Beamtenbund hat es uns vorgerechnet, der Gutachterdienst dieses Hohen Hauses hat es bestätigt: Es sind 2 Milliarden €. Die Beamtenschaft, die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Nordrhein-Westfalen, tragen mit 2 Milliarden € jährlich zur Haushaltskonsolidierung bei.

Zweite Sünde: Auch die Kommunen – zu Ihren Oppositionszeiten angeblich immer von Rot-Grün geplündert – werden massiv zur Kasse gebeten. Mein Kollege Horst Becker hat Ihnen das gerade eindrucksvoll nachgewiesen. Sie nehmen den Kommunen zusätzlich zum Jahr 2004 über 1 Milliarde € weg.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Auch diese Milliarden – 2 Milliarden € bei den Beschäftigten, 1 Milliarde € bei den Kommunen – trotz boomender Konjunktur, trotz Steuermehreinnahmen! Viele Städte – nicht nur die Großstädte – sind am Rande des Ruins; manche sind auch schon einen Schritt weiter.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Gigantisch türmen sich Kassenkredite auf. Erhebliche Zinsrisiken sind da inklusive. Diese Kommunen sparen auch nicht in dieser Zeit, denn sie sind auch jetzt, in dieser guten Phase, in allerhöchster Not. Sie, meine Damen und Herren von Schwarz und Gelb, verschärfen die Lage, statt zu helfen.

Es ist im Übrigen auch volkswirtschaftlicher Wahnsinn, die Schulden des Landes, die langfristig abgesichert werden können, auf die Schultern

der Kommunen zu legen. Es ist schlicht Unsinn, Herr Finanzminister, sich mit sinkender Nettoneuverschuldung zu brüsten und gleichzeitig die Verschuldung der Kommunen zu erhöhen. Volkswirtschaftlich ist das absoluter Unsinn.

Durch derartige Aktionen wird das dramatische Reduzieren staatlicher Aufgaben bewusst von Ihnen in Kauf genommen und vorangetrieben. „Privat vor Staat“! Kümmert euch selbst um eure Kinder, kümmert euch selbst um eure Problemlagen, wir als Land ziehen uns aus der Unterstützung zurück! – Das ist Ihr Regierungsmodell. Das hat Nordrhein-Westfalen allerdings so nicht verdient.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dritte Sünde: Jetzt komme ich zum vermeintlichen Erfolgsmodell Personaleinsatzmanagement. Das ist das Modell „goldener Handschlag“. Es sorgt auf Dauer nur dafür, dass die Besserverdienenden in der Ministerialverwaltung nach Hause geschickt werden können. Damit fehlen dann aber bewährte Kräfte, die nicht ohne Weiteres zu ersetzen sind.

Die Behauptung, es gebe einen großen Ansturm auf die Angebote, erweist sich als sehr einseitige Nachfrage. Mehr als ein Drittel der bewilligten Anträge gehen auf den speziell ausgebildeten Bereich der Finanzverwaltung zurück. Diese deutliche Fokussierung, Herr Finanzminister, auf den Finanzbereich zeigt, dass es Ihnen nicht um Qualität, sondern um Quantität geht. Dies wird zu weiteren Mindereinnahmen beim Land führen und zu weniger Steuergerechtigkeit, die wir heute schon nicht haben. Das haben Sie zu verantworten. Nach Lage der Anträge könnte sich das im nächsten Jahr sogar noch zuspitzen.

Was erzielen Sie daraus an Ergebnissen? Angeblich sollen das 540 Millionen € in 25 Jahren sein. Das sind dann 21,6 Millionen € pro Jahr, die Sie einsparen wollen. Das sind nicht einmal 2.200 €, die der Minister pro Jahr und Stelle spart. 2.200 € pro Jahr und Stelle! Dafür fällt aber die gesamte Arbeitskraft weg. Das ist eine Gesamtersparnis, die etwas mehr als einem Promille bei den gesamten Personalkosten entspricht. Das ist Ihre groß angekündigte Aktion. Das kann jeder besser, Herr Finanzminister.

Man könnte vermuten, für den Finanzminister und die Landesregierung sei es bedeutsamer, dass durch den einstweiligen Ruhestand der Regierungsvizepräsidenten freie Stellen geschaffen werden. Ich vermute – es könnte zumindest vermutet werden –, dass schon einige darauf warten, diese Stellen wieder zu besetzen.

Vierte Sünde: Durch die Bekämpfung der Steuerhinterziehung sind deutliche Mehreinnahmen zu erzielen. Das tun Sie aber auch nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Was machen Sie? Fast 5 % der Betriebsprüfer/innen sollen im nächsten Jahr wegfallen. Sie verschärfen die Situation also auch noch. Nachdem kurzzeitig die Sollstärke von 3.555 Personen erreicht wurde, werden allein im nächsten Jahr 165 Stellen in dem Bereich wegfallen. Sie entfernen sich also zunehmend von dem Ziel, das die Deutsche Steuer-Gewerkschaft ausgegeben hat, nämlich 4.500 Menschen in diesem Bereich arbeiten zu lassen. Sie reden immer davon, dass wir nicht so viel mehr Geld ins Säckel bekämen, wie wir mehr einstellten, weil ein Grenznutzen erreicht sei. Der Grenznutzen ist noch lange nicht erreicht. Es gibt einen sehr weiten Weg.

Deshalb schlagen wir Ihnen für das nächste Jahr vor, Betriebsprüfer einzustellen und das in den Folgejahren aufzubauen, damit die Steuern gerecht eingenommen werden und damit mehr Steuern eingenommen werden.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Es ist nicht weiter hinzunehmen, dass auf der einen Seite wichtige soziale Ausgaben nicht mehr getätigt und gleichzeitig die der Öffentlichkeit zustehenden Steuereinnahmen nicht vereinnahmt werden können.

Noch eine Sünde, noch eine Baustelle, die Sie im Einzelplan 20 hinterlassen: Sie haben zwar erkannt, dass Ihr ursprünglicher Haushaltsentwurf ein absolutes Desaster bei den Destinatären des Glückspiels gewesen wäre. Aber auch in Ihrer Ergänzung springen Sie deutlich zu kurz. Die Stiftung „Umwelt und Entwicklung“ steht weiterhin am Rand des Ruins. Sie hätte schon im nächsten Jahr – in 2008 – Insolvenz anmelden müssen, wenn in der Ergänzung nicht deutlich nachgebessert worden wäre. Die Fraktionen von FDP und CDU haben mit ihrer Beschlussfassung im letzten Jahr also wichtiges zivilgesellschaftliches Engagement zerstört. Lautsprecher und Chefideologe Papke konnte gerade noch gestoppt werden.

Meine Damen und Herren, die finanzielle Basis der Stiftung ist im Ländervergleich aber weiterhin lächerlich. Gerade einmal 200.000 € können in 2008 noch vergeben werden. Die Ankündigungen von Laschet und Rüttgers laufen auch hier absolut ins Leere. Das ehrenamtliche und zivilgesellschaftliche Engagement wird nicht gefördert, sondern gestutzt. „Privat vor Staat“ heißt in diesem Zusammenhang: Sollen die Ehrenamtlichen doch

ackern. Was geht uns das im Lande an? – Die Opposition, meine Damen und Herren, sieht das jedenfalls anders.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das ist Ihre Haltung überall dort, wo es um das Ehrenamt geht. Im Sport ist es genauso.

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich komme zum Schluss. – Fazit: Der Haushalt der Rekorde wirft dieses Land weiter zurück. Er bringt es nicht nach vorne. Er ist das dramatische Zeugnis gigantischer Wahllügen. Die Menschen in Nordrhein-Westfalen werden aber wach. Sie erinnern sich an Ihre Versprechungen. Seien Sie sicher: Wir werden Ihnen all Ihre Versprechungen erneut servieren. Sie sind als laute Konsolidierer gestartet und in den Niederungen der Realpolitik gestrandet. – Vielen Dank.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Groth. Sie haben in Ihrer Rede eine Wortwahl getroffen, die wir anhand des Protokolls überprüfen werden. Vor allen Dingen müssen wir überprüfen, ob Sie damit jemanden konkret und wen Sie gegebenenfalls gemeint haben. Dann kommen wir im Präsidium auf diese Angelegenheit zurück. – Als nächster Redner steht der Finanzminister unseres Landes bereit, Herr Dr. Linssen. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist das Dilemma dieser Debatte, dass wir sowohl den Einzelplan 12 als auch den Einzelplan 20 beraten und sich natürlich jeder Redner aus diesen beiden Etats das heraussucht, wozu er gerne sprechen möchte. Ich möchte versuchen, mich in dieser Runde im Wesentlichen auf den Einzelplan 12 zu konzentrieren.

(Martin Börschel [SPD]: Das kann ich mir denken!)