Protokoll der Sitzung vom 19.12.2007

Die Aufnahme bestimmter Branchen in das Entsendegesetz halte ich grundsätzlich für sachgerecht. Im Falle des Postmindestlohns können wir allerdings nicht ausschließen, dass es den Tarifparteien mehr um den Schutz eines Monopolisten vor lästiger Konkurrenz denn um die Abwehr von Dumpinglöhnen aus anderen Bereichen geht.

Herr Schmeltzer, da können Sie sagen, was Sie wollen: Allzu deutlich ist der Zusammenhang zwischen dem Mehrwertsteuerprivileg der Post, dem Übergewicht der Post im Arbeitgeberlager und der Höhe des Lohnabschlusses. Vor diesem Hintergrund habe ich volles Verständnis für die Landesregierung, sich im Bundesrat der Stimme zu enthalten.

Eines lassen Sie mich noch sagen: In der Mindestlohndebatte steht für die CDU eines völlig außer Frage: Wer vollbeschäftigt und normal ausgebildet ist, muss von seinem Lohn leben können. Das geht aber nicht, wie Sie das wollen, mit staatlich verordneten Mindestlöhnen, weil gerade geringer qualifizierte Menschen dann schlicht und ergreifend keine Beschäftigung mehr haben. Wenn es auch mit Tarifverträgen nicht gehen sollte, dann müssen wir über Kombilohnmodelle, wie das Karl-Josef Laumann bereits getan hat, oder über die Einführung einer negativen Einkommensteuer nachdenken, wie es in einigen Industriestaaten bereits erfolgreich praktiziert wird.

Meines Wissens hat der Bund Katholischer Unternehmer für diese Situation ein Konzept vorgelegt, nach dem der Bürger wie bisher ab einem Einkommen oberhalb der steuerlichen Grund- und Pauschalfreibeträge Steuern bezahlt. Im Falle der längeren Arbeitslosigkeit oder bei echter Bedürftigkeit bekäme er nun eine staatliche Transferzahlung als negative Einkommensteuer, die das Arbeitslosengeld II bei Erwerbsfähigkeit und die Sozialhilfe bei Erwerbsunfähigkeit ablösen würde.

Ich meine, es wäre sinnvoller, über solche Modelle nachzudenken, als sich in ökonomisch sinnlo

sen Debatten über flächendeckende Mindestlöhne mittels einer Umfunktionierung des Entsendegesetzes zu verkämpfen. Herr Schmeltzer, das ist ein Punkt, den wir einmal in der Diskussion vertiefen könnten. Das würde den Menschen wirklich helfen. Was Sie hier tun, hilft niemandem. Deswegen können wir dem Antrag nicht zustimmen. – Danke schön.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Weisbrich. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Steffens das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Laumann, Herr Schmeltzer wird gleich noch darauf eingehen, welche Allgemeinverbindlichkeitserklärungen es in Nordrhein-Westfalen unter Minister Schartau und unter Rot-Grün im Bund gegeben hat. Ich weiß nicht, wer Ihr Berater und Ihr Informant ist. Ich habe den Eindruck, dass Sie immer leere Blätter zitieren. Vielleicht müssen Sie diese Blätter einmal umdrehen. Auf der anderen Seite stehen dann all die Gewerbe, wozu es Allgemeinverbindlichkeitserklärungen gegeben hat. Sie setzen hier immer wieder Gerüchte in die Welt.

Herr Kleff, Sie sagen, man hätte es unter RotGrün nicht getan. Das Gleiche gilt für Sie: Sie können vom Kollegen Schmeltzer bestimmt einmal eine Kopie bekommen, damit Sie sich an dieser Stelle ein bisschen fort- und weiterbilden.

Die derzeitige Niedriglohnentwicklung ist in den letzten drei Jahren rasant vorangeschritten. Das heißt, es ist jetzt ein Handeln notwendig, wie es vor zehn Jahren in der Form und in der Dimension, in der es heute notwendig ist, noch gar nicht notwendig gewesen ist.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vor zehn Jahren gab es kaum Personen, die sich von ihrem Vollzeitarbeitslohn nicht selber ernähren konnten. Sie sind jetzt in der Verantwortung. Herr Laumann, Sie sagen, wir enthalten uns der Stimme; das sei keine Ablehnung. Wenn alle Minister in allen Bundesländern die gleiche Haltung hätten wie Sie und sagen würden, man stimme nur nicht zu, dann würde dieser Gesetzentwurf den Bundesrat nicht positiv passieren.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Genauso ist es!)

Sie verlassen sich darauf, dass ein sozialdemokratisch geführtes Bundesland die Zustimmung sichert, weil Sie nicht in der Lage sind, eine Mehr

heit für die Menschen in Nordrhein-Westfalen hinzubekommen!

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das ist ein Armutszeugnis ohnegleichen. Ich bitte Sie, den Kopf nicht weiter in den Sand zu stecken und sich nicht darauf zu verlassen, dass andere die Arbeit für Sie tun. Ihre Fraktion muss hier klar Farbe bekennen und sagen, ob sie etwas für die Menschen im Land tun will, ob sie sich an die Seite von Angela Merkel stellen will der ob sie lieber mit der FDP die Menschen für einen Niedrigstlohn arbeiten lassen will. Das müssen Sie hier entscheiden.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Haben Sie endlich den Mut und stehen Sie zu dem, was Ihr Minister im Land NordrheinWestfalen gesagt hat, was der richtige Weg ist! Der richtige Weg ist, im Bundesrat dem Gesetzentwurf zuzustimmen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Steffens. – Jetzt hat der fraktionslose Abgeordnete Sagel das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Präsident! Ich bin ja schon etwas länger in diesem Parlament.

(Unruhe bei der CDU)

Das, was Arbeitsminister Laumann hier gerade abgeliefert hat, war eine der größten Lachnummern, die ich in den letzten Jahren in diesem Landtag erlebt habe.

(Zurufe von der CDU)

Sie lassen sich doch von der FDP am Nasenring durch die Arena führen! So sieht das doch aus.

Wenn man hört, was der gute Dr. Romberg heute zum Besten gegeben hat, muss man sich wirklich die Frage stellen, ob die FDP erst zufrieden ist, wenn die Unternehmenssteuern auf Null gesenkt worden sind und die Arbeitenden umsonst arbeiten.

(Zuruf von der FDP: Absurd!)

Das scheint doch wohl das Ergebnis dessen zu sein, was Sie politisch wollen.

(Zuruf von der FDP: Sie haben nicht zuge- hört, Herr Kollege!)

Ich habe sehr genau zugehört – im Gegensatz zu Ihnen, der Sie die ganze Zeit draußen waren!

(Zurufe von der FDP)

Ich habe sehr genau gehört, was der Kollege Romberg hier zum Besten gegeben hat. Das war so viel Unsinn, wie ich selten gehört habe. Aber wie gesagt: Getoppt wurde das heute tatsächlich noch vom Arbeitsminister. Herr Laumann, dass die Landesregierung völlig unfähig ist, eine Entscheidung zu treffen, und sich im Bundesrat enthalten will, sagt alles über die Politik, die Sie hier machen.

Es muss ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt werden, um das Phänomen „Armut trotz Arbeit“ zum bekämpfen. Das ist ganz klar! Es arbeiten bereits 36 % der Vollzeitbeschäftigten im Niedriglohnsektor, und es werden – es ist völlig richtig, was heute von den Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von den Grünen gesagt worden ist – immer mehr. 24 % bekommen prekäre Löhne und 12 % erhalten gar Armutslöhne. Das ist die Realität, und davon sind gegenwärtig rund 3,8 Millionen Menschen in der Bundesrepublik betroffen. So sieht die Situation mittlerweile aus! Dieser Zustand ist unannehmbar.

Ein gesetzlicher Mindestlohn würde verhindern, dass Menschen zu Hungerlöhnen arbeiten müssen, mit denen sie ihre Existenz nicht sichern können. Mit einer Festlegung der Löhne ausschließlich durch die Tarifparteien ist dieses Ziel gegenwärtig nicht zu erreichen. In den vergangenen Jahren haben sich Arbeitsmarktsegmente herausgebildet, in denen es keine Tarifbindung gibt oder in denen die Durchsetzungsmacht der Gewerkschaften nicht mehr zur Aushandlung armutssicherer Löhne ausreicht. Zudem unterlaufen immer mehr Unternehmen aus tarifgebundenen Branchen geltende Tarifverträge. Auch das ist die Realität.

Diese Entwicklung befördert die Ausweitung von niedrig entlohnter Beschäftigung. Nur mit Hilfe der gesetzlichen Festlegung eines Mindestlohns ließen sich gegenwärtig Arbeitslöhne vermeiden. Ein gesetzlicher Mindestlohn wäre eine einfache und einheitliche politische und moralische Orientierungsgröße für eine Untergrenze bei der Entlohnung jeglicher Beschäftigung.

Dabei käme ein Mindestlohn auch den Unternehmen zugute, da sie vor sogenanntem Lohndumping geschützt würden: Dadurch, dass alle Unternehmen den gleichen Lohn zahlen müssten, würden ruinöse Unterbietungswettbewerbe verhindert. Hinzu kommt, dass die Menschen mehr Geld für den privaten Konsum zur Verfügung hätten, sodass – in den letzten Jahren hatten wir ja reale Einkommenssenkungen – durch einen Mindest

lohn auch die dringend notwendige Binnennachfrage angekurbelt würde.

Herr Kollege, Ihre Redezeit!

Ich fasse zusammen, was aus meiner Sicht und aus der Sicht der Linken notwendig wäre. Ein Mindestlohngesetz wäre erforderlich. Es müsste festlegen, dass in den Branchen, in denen tariflich vereinbarte Mindestentgelte über dem gesetzlichen Mindestlohn liegen, diese Tarife den allgemeinverbindlichen Mindestlohn für die jeweilige Branche bilden. Der Einstieg in den gesetzlichen Mindestlohn müsste mit einem Betrag von mindestens 8 € geschehen. Dieser Betrag wäre dann schrittweise zu erhöhen. Das wäre aus meiner Sicht der wesentliche Punkt.

Was Sie hier machen, geht völlig an der Realität vorbei. Und, wie gesagt: Eine größere Lachnummer habe ich hier im Landtag selten erlebt.

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Sagel. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Abgeordnete Schmeltzer das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Man muss einmal daran erinnern, dass nicht immer, wenn der Arbeitsminister sagt, dass etwas die Wahrheit sei, das auch die Wahrheit ist.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Herr Minister Laumann, weil ich Ihre Reaktion mittlerweile kenne, habe ich die Liste natürlich wieder mitgebracht.

(Minister Karl-Josef Laumann: Das ist ja gut!)

Darauf sind – ich habe es gar nicht genau gezählt – rund 20 Allgemeinverbindlichkeitserklärungen allein während der Ministerschaft von Harald Schartau.

(Minister Karl-Josef Laumann: Da ist was dazugekommen!)

Herr Minister, vor wenigen Monaten haben Sie noch gesagt, Sie hätten ein leeres Blatt vorgefunden. Jetzt gestehen Sie ein, dass Harald Schartau Allgemeinverbindlichkeitserklärungen gemacht hat. Sie eiern schon wieder herum! Ich lese Ihnen das jetzt – ich habe ja noch drei Minuten, das reicht – einmal vor:

(Beifall von der SPD)