Protokoll der Sitzung vom 15.09.2005

Aber diese Aktuelle Stunde war so überflüssig wie ein Kropf. Ich kann mich an den Artikel im „Focus“ vom Anfang dieser Woche erinnern. Darin steht: „Es läuft nicht so ganz rund.“ - Den Eindruck habe ich heute auch. - Danke schön.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das Wort hat nun Frau Beer von Bündnis 90/Die Grünen.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Über den Sinn dieser Aktuellen Stunde hat Kollegin Schäfer schon eindringlich gesprochen. Ich frage mich, Herr Kaiser, welchen aktuellen Anlass es wirklich gibt, um das Parlament heute Morgen mit diesem Klein-Klein zu belästigen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD - Lachen von der FDP)

Ich habe allerdings noch eine zweite Interpretationsmöglichkeit neben dem bereits vorgebrachten Argument, es handele sich um eine weitere Wahlkampfveranstaltung für Schwarz-Gelb. Diese zweite Begründung finde ich sehr viel interessanter.

Ich glaube, dass Sie mit dem Thema dieser Aktuellen Stunde einen Offenbarungseid in Sachen „schwarz-gelbe Sandkastenspiele zur Einstellung von Lehrerinnen und Lehrern“ leisten.

(Lachen von CDU und FDP)

Wir erleben doch heute die ersten Distanzierungsversuche, sich aus den vollmundigen Versprechen und der Koalitionslyrik zu schleichen.

(Klaus Kaiser [CDU]: Wie bitte?)

Sie deuten in der Formulierung bereits an, dass die Fachlehrerbedarfe in vielen Fällen nicht ausreichend durch den Lehrernachwuchs gedeckt werden könnten. Die Ministerin hat jedoch in der Debatte um den integrierten naturwissenschaftlichen Unterricht unverdrossen genau diese Karte gespielt und den Schulen mehr Fachlehrerinnen und Fachlehrer in den verschiedenen Naturwissenschaften versprochen.

Unverdrossen und offensichtlich frei von jeglicher schulischer Kenntnis und Erfahrung wurden und werden von der FDP Tiraden gegen fachfremden Unterricht geführt. Herr Witzel gefiel sich in der letzten Sitzung des Schulausschusses mit seiner Zwischenrufspolemik zu den sogenannten NichtErfüllern.

Dabei spricht selbst Herr Meidinger vom Philologenverband angesichts von 10.000 bundesweit fehlenden Lehrerinnen und Lehrern inzwischen von den Chancen durch Seiteneinsteiger.

Die Ministerin hat auf die schnell enttäuschte Erwartung der Schulen nach mehr Fachlehrern im Rahmen der 1.000-Stellen-Kampagne im Fernsehen mit dem Spruch reagiert: „Ein Lehrer ist ein Lehrer.“ Unbeantwortet ist auch die Frage, woher Sie die Lehrerinnen und Lehrer für die Koalitionsaussagen wie unter anderem „Englisch ab der ersten Klasse“, „vorgezogene Einschulung“, „mehr Ganztag“, „kleinere Klassen“ und „Stellenreserve“ nehmen wollen.

Sie wissen hoffentlich nach den ausführlich geführten Debatten und Berechnungen, die Ihnen schon mehrfach vorgehalten worden sind, dass Sie last but not least mehr als viermal 4.000 zusätzliche Stellen realisieren müssen, um alle Planungen und Versprechen einzulösen.

Die im Rahmen des „Düsseldorfer Signals“ vereinbarte Mehrarbeit muss auch ab 2008 zurückgegeben werden. Bitte rechnen Sie diese Stellen mit ein.

Das alles spielt sich vor dem Hintergrund der anlaufenden Pensionierungswelle ab. Ich habe Ihnen die Frage zur aktuellen Lage schon einmal gestellt. Auch darauf habe ich noch immer keine Antwort erhalten. Ist für das Jahr 2005 der gesamte Einstellungsbedarf durch das Ausscheiden aus Alters- und Krankheitsgründen mit knapp 2.400 Einstellungen wirklich gedeckt?

Damit erinnere noch einmal an den durchschnittlichen prognostizierten Grundeinstellungsbedarf von 2006 bis 2010 von 7.000 Stellen, um die Zahl der Lehrerinnen und Lehrer im System zu erhalten.

Aber vielleicht ist das alles Schnee von gestern, sodass wir uns endlich einer differenzierten und gründlichen Debatte um die kurz-, mittel- und langfristigen Perspektiven der Unterrichtsversorgung zuwenden können. Genau das liegt im Interesse der Grünen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die OECD hat uns gerade wiederum vorgelegt, dass wir uns in Deutschland zwar langsam in Sachen „Bildungsinvestitionen“ verbessern, aber die schon jetzt erfolgreichen OECD-Bildungsländer schreiten noch dynamischer voran. Ich zitiere aus den Briefing-Notes der OECD vom 13. September 2005 zur Vorlage der Bildungsindikatoren „Education at a Glance 2005“:

„Im Primar- und Sekundarbereich stiegen die Ausgaben pro Schüler zwischen 1995 und 2002 in den OECD-Staaten durchschnittlich um 26 %, viele Staaten haben sinkende Schülerzahlen genutzt, um die Ausgaben pro Schüler zu erhöhen. In Deutschland betrug der Anstieg 4 %.“

Wer international Anschluss halten will und sogar aufholen muss, der muss sich darüber im Klaren sein, dass auch bei sinkenden Schülerzahlen der Einstellungsbedarf nicht absinken kann und darf. Es gibt also keine Entspannung beim Lehrerbedarf, auch nicht mittelfristig. Deswegen ist es völlig daneben, die Grundschulen in den Wettbewerb ums Überleben mit dem Ziel zu schicken, um zu klären, welche Schulen geschlossen werden sollen. Dahinter steckt doch nichts anderes als die Zahl der Lehrerinnen und Lehrer zu kürzen.

(Lachen von Dr. Gerhard Papke [FDP])

Gerade umgekehrt besteht die Notwendigkeit, uns darum zu kümmern, das Schulangebot vor Ort - auch bei weniger Schülerinnen und Schülern - zu erhalten und seine Qualität zu fördern. Ich wiederhole, was die OECD sagt: Viele Staaten haben sinkende Schülerzahlen in solcher Weise genutzt, um die Ausgaben pro Schüler zu erhöhen.

Zu den für die Grünen interessanten Themen gehört auch, dass wir die Fragen nicht allein quantitativ betrachten, sondern es muss gleichzeitig um die Reform der Lehrerbildung gehen.

Wir können nicht dabei stehen bleiben, Zahlen bei den Einstellungen abzuhaken. Es muss darum

gehen, mit welcher Qualifikation, mit welcher professionellen Haltung und mit welcher Einstellung zu Schülerinnen und Schülern Menschen den Beruf der Lehrerin beziehungsweise des Lehrers ergreifen. Dabei ist es wichtig, dass wir wirksame Instrumente entwickeln, die vermeiden helfen, dass Menschen den Beruf ergreifen, die das den Schülerinnen und Schülern, den Eltern, ihren potenziellen Kolleginnen und Kollegen und - ganz wichtig - auch sich selbst besser nicht antun sollten.

Ich weiß das sehr genau - sowohl als langjährige Elternvertreterin als auch aus meiner Beschäftigung in der Lehreraus- und -fortbildung. - Danke schön.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Danke schön, Frau Beer. - Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Sommer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Guten Morgen. Die Presse der vergangenen Tage macht zu Recht auf ein wichtiges Problem aufmerksam: Schon heute besteht ein großer Bedarf an Lehrkräften für bestimmte Schulformen und Fächer. Er wird sich in den kommenden Jahren sogar noch weiter verstärken. Dieser Lehrermangel ist allerdings - Frau Pieper-von Heiden hat darauf hingewiesen - nicht über Nacht entstanden. Die Ursachen liegen etliche Jahre zurück. Denn der Zeitraum von der Entscheidung für die Aufnahme eines Lehramtsstudiums bis zum Bestehen der zweiten Staatsprüfung umfasst je nach Lehramt mindestens sechs Jahre, in der Regel sogar länger.

Wenn wir also feststellen, dass uns heute und in den nächsten Jahren zu wenige Lehrkräfte an Hauptschulen, an Berufskollegs und für das Fach Mathematik zur Verfügung stehen, dann reden wir auch von Fehlentscheidungen seit Mitte der 90erJahre. Damit meine ich nicht nur gesellschaftliche Entwicklungen, die wir zukünftig korrigieren müssen. Ich meine vor allem politische Entscheidungen, die die neue Landesregierung nicht zu verantworten hat.

In diesem Zusammenhang müssen wir uns folgende Fragen stellen: Warum ist die Hauptschule als Einsatzort in den vergangenen Jahren immer unattraktiver geworden?

(Beifall von CDU und FDP)

Warum hat die Schule an sich einen so massiven Ansehensverlust erlitten? Warum entscheiden sich immer weniger junge Leute für den Beruf der Lehrerin oder des Lehrers? Warum haben Mathematik sowie die naturwissenschaftlichen und technischen Fächer bei der Studienwahl einen so geringen Stellenwert?

Ich frage weiter: Warum werden junge Leute von einer Wahl des Lehramtsstudiums abgehalten? Welchen Anteil daran hat die Einstellungspolitik der letzten Jahre? Wie hoch ist der Einfluss der Lehrerausbildungsreform der letzten Legislaturperiode gewesen?

Meine Damen und Herren, wir werden darauf eine Antwort geben. Wir werden die Sache rund machen.

(Beifall von CDU und FDP)

Zudem ist festzustellen: Die gesellschaftliche Wertschätzung von Bildung und Erziehung lässt zu wünschen übrig. Sie motiviert junge Leute nicht. Medien, gesellschaftliche Gruppen, aber auch - und das bedauere ich sehr - Teile der Elternschaft bringen der Schule und dem Lehrerberuf zu wenig Wertschätzung entgegen.

Klagen und Ursachenbeschreibung sind zwar erlaubt, helfen aber den Kindern und Jugendlichen nicht weiter, die in den kommenden Jahren unsere Schulen besuchen werden. Und diese Schülerinnen und Schüler haben ebenso wie die Eltern ein Recht auf Antworten.

Nicht alles von dem, was ich Ihnen im Folgenden sage, ist neu. Das ist auch nicht schlimm. Wir denken aber - das hat mir der Beitrag insbesondere von Frau Schäfer gezeigt -: Es ist ein gemeinsames Tun, es ist ein gemeinsames Ringen. Wir müssen hier meiner Meinung nach noch einen deutlicheren Akzent setzen. Wir müssen mehr tun als zuvor:

1. Attraktivitätssteigerung des mathematischnaturwissenschaftlich-technischen Bereichs,

2. Errichtung eines Weiterbildungsprogramms zum Erwerb eines dritten Unterrichtsfaches,

3. Gewinnen von Grundschullehrkräften für die Hauptschule in stärkerem Maße als bisher,

4. Erweiterung des Seiteneinsteigerpotenzials,

5. zielgenaue Werbung um Lehrernachwuchs,

6. konsequente Ausnutzung der Stellen für den Vorbereitungsdienst.

Ich danke Ihnen.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke, Frau Ministerin Sommer. - Als Nächste hat Frau Hendricks von der SPD-Fraktion das Wort.