Protokoll der Sitzung vom 15.09.2005

Ich will für meine Fraktion feststellen: Wir sind der Auffassung und sehen uns darin auch durch wissenschaftliche Untersuchungen bestätigt, dass vor dem zweiten Lebensjahr immer häufiger atypische Betreuungsbedürfnisse bestehen, also ein Platz nicht durchgehend, sondern möglicherweise

an wechselnden Tagen oder auch nur einige Stunden in Anspruch genommen werden soll.

Ich sehe hier Zustimmung seitens der Fraktion der SPD. Deshalb will ich mal fragen, warum in altersgemischten Gruppen nur Ganztagsplätze belegt werden können. Ich habe in der vergangenen Legislaturperiode eine Anfrage gestellt, ob es nicht die Möglichkeit gibt, dort nur stundenweise oder halbtags einen Platz in Anspruch zu nehmen. Seitens der alten Landesregierung wurde gesagt: Nein, das widerspricht der Lebenswirklichkeit. - Jetzt sehe ich hier Zustimmung.

(Beifall von der FDP)

Ich hätte mir gewünscht, dass diese Einsicht etwas früher gekommen wäre.

(Britta Altenkamp [SPD]: Das widerspricht der Wirklichkeit, was Sie da sagen!)

- Na, na, na. Ich habe die Drucksache noch ganz gut im Kopf. Sie ist auch auf meiner Webseite für jeden einsehbar. Ich würde empfehlen, dass wir die Sachen zu den Akten legen, das war ja auch die alte Regierung.

Richtig ist jedenfalls, dass wir vor dem zweiten Lebensjahr eine flexiblere Form der Betreuung brauchen. Die kann durch Tagespflege sehr gut geleistet werden. Nicht alle Kinder brauchen eine institutionelle Kinderbetreuung.

(Beifall von FDP und CDU)

Ab dem zweiten Lebensjahr verhält es sich anders, übrigens auch deshalb - Frau Asch, ich spreche jetzt besonders Sie an, weil Sie einen Rechtsanspruch für Kinder ab dem ersten Lebensjahr eingefordert haben -, weil dann auch das Erziehungsgeld ausläuft. Damit ist auch eine andere rechtliche Würdigung geboten.

Deshalb sage ich ganz klar: Der Ansatz der Fraktion der SPD und auch der der Landesregierung scheinen mir hier eher gerechtfertigt zu sein. Danach wird nämlich der zweite Geburtstag als Bezugspunkt genommen. Für meine Fraktion will ich erklären: Wir können uns auf mittlere Sicht einen Rechtsanspruch ab dem zweiten Geburtstag vorstellen, wie das von der SPD/FDP-Regierung in Rheinland-Pfalz bereits gesetzlich vorgesehen ist. Das wird auch aus finanziellen Gründen nicht sofort gehen. Auf mittlere Sicht könnte das im Rahmen eines Bausteinkonzeptes aber eine Ergänzung sein, um die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben zu verbessern.

Der dritte Punkt, den ich ansprechen will: Was passiert hier nun konkret? Ich stelle mir die Frage,

weshalb dieser Antrag seitens der SPD überhaupt erforderlich ist.

Die Koalition hat doch gesagt, dass Familienzentren entstehen sollen und dass an vielen Kindertageseinrichtungen Tagespflegezentren eingerichtet werden sollen. Das ist doch eine Ankündigung, die jetzt gerade in der Phase der Konkretisierung ist. Wenn ich das richtig sehe, gibt es im Oktober im Ministerium einen Workshop zum Thema Familienzentren. Dort sollen Gespräche mit den Experten geführt werden. Das ist längst auf dem Weg. Da bedarf es also nicht der Aufforderung durch die SPD.

Auch bezüglich der Umwandlung von nicht benötigten Kindergartenplätzen für unter Dreijährige hat es ja eine Veränderung der rechtlichen Grundlage gegeben. Die Budgetvereinbarung ist flexibilisiert worden. Auch hier muss ich der SPD leider noch mal zumuten, einen Blick zurückzuwerfen, weil hier zu Unrecht dargestellt wird, es bestehe Einvernehmen, dass die frei werdenden Kapazitäten im Kindergartenbereich für unter Dreijährige zur Verfügung gestellt werden können.

Ich gehe jetzt nicht auf den Punkt ein, dass Demographiegewinne gemäß einem alten Kabinettsbeschluss aus den GTK-Betriebskosten abgeschöpft werden sollten. Darauf will ich jetzt gar nicht eingehen. Ich will stattdessen auf einen konkreten Fall zu sprechen kommen. Ich erinnere mich noch sehr gut - im zuständigen Ausschuss wurde sogar darüber berichtet -, dass in Langenfeld genau das beantragt worden war. Nach Budgetvereinbarungen sollten nicht benötigte Kindergartenplätze für unter Dreijährige zur Verfügung gestellt werden. Frau Asch erinnert sich aus ihrer Tätigkeit beim Landschaftsverband Rheinland vielleicht auch noch daran.

Was ist passiert? - Nichts! Das Ministerium hat gemauert und das nicht genehmigt. Es hat erst umfangreicher Korrespondenz - auch ich habe da übrigens korrespondiert - mit der Vorgängerministerin und Berichten in den Ausschüssen bedurft, bis es dort überhaupt zu einer Genehmigung kam. Insofern begrüße ich es sehr, dass die neue Landesregierung die Budgetvereinbarung in diesen Punkten flexibilisiert und den politischen Willen bekräftigt hat, die 89.000 Kindergartenplätze, die bis 2010 entfallen, hier zur Verfügung zu stellen.

(Beifall von FDP und CDU)

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Sie sind herzlich eingeladen, den Prozess, den die neue Landesregierung entschieden eingeleitet hat, zu begleiten. Der Aufforderungen,

die Sie mit Ihrem Antrag vorgelegt haben, hätte es dazu aber nicht bedurft. - Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Lindner. - Jetzt spricht Herr Minister Laschet für die Landesregierung.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit ihrem Antrag fordert die SPD wie schon so häufig in dieser Woche letztlich nichts anderes als das, was sie in ihrer Regierungszeit nicht auf die Beine gebracht hat.

Ich stimme mit Ihnen überein, dass der Ausbau der Zahl der Plätze für die unter Dreijährigen eine zentrale Aufgabe der Politik ist, aber ich stelle fest: Sie hätten dieses Angebot in Ihrer Regierungszeit längst ausbauen können. Wir haben einen Deckungsgrad von 2,8 %. Das ist Ihre miserable Schlussbilanz in diesem Punkt. Diesen ersten Punkt sollte man sich anschauen, bevor man solche Anträge schreibt.

Zum Zweiten, der Legendenbildung von Frau Hack, wer den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz durchgesetzt hat. Sie können nicht allen Ernstes behaupten, dass das durch Ihre Landesregierung entschieden wurde. Es war die Regierung Helmut Kohl zu Beginn der 90er-Jahre. Sie hat etwas aufgeholt, was in diesem Land nötig war. Es gehört zur Redlichkeit, dass man das sagt, wenn man hier ans Rednerpult tritt.

Die Antwort der neuen Landesregierung ist klar: Wir wollen die unbefriedigende Situation, die wir vorgefunden haben, verbessern, um für mehr unter Dreijährige Betreuung zu ermöglichen. Sie wissen, dass wir infolge des Geburtenrückgangs sehr viele Kindergartenplätze in den nächsten Jahren nicht mehr benötigen. In der Koalitionsvereinbarung ist zum Ersten festgelegt, dass diese Plätze mit der Schaffung unserer Familienzentren für die unter Dreijährigen genutzt werden sollen. Zum Zweiten soll den Kommunen die Möglichkeit gegeben werden, dort, wo Bau- und Betriebsstandards das behindern, im Gespräch mit den Kirchen, den Trägerverbänden und anderen zu agieren, damit dieser bürokratische Wust, der zurzeit besteht, verschwindet und es kindgerecht ermöglicht wird, Betreuungsplätze zu schaffen. Auch das wird eine Aufgabe der neuen Landesregierung sein.

Zu dieser Versorgungsstruktur gehört auch, dass man nicht nur in den klassischen Kategorien denkt. Wir möchten durchaus sowohl betriebliche

als auch private Förder- und Betreuungsangebote ermuntern. Ich werde in den nächsten Tagen dabei sein, wenn in Aachen eine private Kindertageseinrichtung eröffnet. Ein Betrieb schafft diese, weil er den Frauen, die bei ihm beschäftigt sind, Betreuungsmöglichkeiten bieten will. Ich werde in diese Einrichtung hineingehen und noch einmal ausdrücklich dazu ermutigen.

(Beifall von CDU und FDP)

Dazu gehören auch Tagesmütter und -väter. Diese erhalten durch die zum 1. Oktober erfolgende Änderung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes einen neuen Status.

Sie sollen in den Familienzentren, die wir schaffen wollen, wo die Betreuung der unter Dreijährigen, die Vermittlung von Tagesmüttern und Tagesvätern und Familienberatung zusammengeführt werden sollen, tätig werden können und viel individueller als alle Vorschriften, die man landesweit verbindlich festlegt, dem Betreuungsnotstand abhelfen, den wir fast mit 2,8 % haben.

Dazu ist allerdings eine fachliche Beratung, Begleitung und weitere Qualifizierung erforderlich. Wir wollen die Betreuungsinfrastruktur eben nicht nur quantitativ ausbauen, sondern wir wollen auch den Bildungsauftrag, den diese Einrichtungen haben, stärker in den Blick rücken. Jedes Ergebnis von Pisa sagt Ihnen doch, dass man bei der frühkindlichen Bildung anfangen muss und nicht erst in der Schule.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Michael Vesper)

Deshalb greift - da muss ich Frau Asch völlig Recht geben - der SPD-Antrag viel zu kurz. Man kann den Landtag doch nicht allen Ernstes ein Programm bis 2010 beschließen lassen, in dem es nur um Zahlen geht und in dem so gut wie keine Silbe über Qualität von Bildung, über frühkindliche Bildung und über alles das, was da inhaltlich passieren soll, steht. Insofern ist das, was Sie vorlegen, ein Schauantrag.

(Beifall von CDU und FDP)

Er wird den Kindern nicht gerecht, er wird dem Bildungsanspruch nicht gerecht. Dieser Stil wird sich mit der neuen Landesregierung ändern.

(Beifall von CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, ein letzter Punkt, an dem der Antrag zu kurz greift: Sie reden nur über die Zweijährigen, aber nicht über die Kinder ab vier Monaten. Auch für die sollten wir das schaffen. Ich weiß, dass ein Rechtsanspruch da nicht finanzierbar ist. Aber wenn man es nicht einmal

mehr als Ziel formuliert, wenn man nicht einmal darüber spricht, sondern nur ganz strikt Grenzen festlegt, wird man der Situation ebenfalls nicht gerecht.

Ich denke, dass der Zuschnitt des neuen Ministeriums - Familie, Frauen und Generationen werden diese Aufgabe zusammen schultern; wenn man das nicht auseinander reißt, wird der besondere Beitrag auch der Bildung und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstrichen - die Möglichkeit eröffnet, diese Familienzentren mit Leben zu erfüllen.

Wir wollen bis zum Jahre 2010 das Betreuungsangebot auf 20 % ausweiten. Zu den zurzeit vorhandenen 37.826 Plätzen hat das Land nach Abstimmung mit den Trägerverbänden die Voraussetzungen für weitere 16.500 Plätze geschaffen. Dies konnte durch die schon erwähnte Flexibilisierung der Budgetvereinbarungen erreicht werden - ebenfalls mit einem Programm aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds.

Insofern habe ich bei diesen Themen nur die schlichte Bitte an die SPD: Lassen Sie Symbolanträge! Lassen Sie uns über Substanz reden! Es ist in diesem Land lange genug Symbolpolitik gemacht worden.

(Beifall von der CDU)

Wir wollen die Qualität verbessern. Und dazu lade ich Sie herzlich ein.

(Beifall von der CDU - Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Die Kopftuchgeschichte ist auch Symbolpolitik!)

Vielen Dank. - Als Nächste hat sich Frau Abgeordnete Altenkamp von der SPD-Fraktion zu Wort gemeldet.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich bei den vielen Ankündigungen, die ich in den letzten Wochen von der neuen Landesregierung gehört habe, unterscheiden wollte zwischen Symbolen und substanziellen Ideen, wie dieses Land verändert oder nach vorne gebracht werden sollte, ginge das wahrscheinlich 5:0 für Symbolpolitik aus. Also werfen Sie uns hier bitte nicht vor, Symbolpolitik zu machen.

(Beifall von der SPD - Widerspruch von der FDP)

Wenn Sie die Flexibilisierung oder auch das Sozialfondsprogramm ansprechen, dann tun Sie nicht

so, als wenn Sie das erfunden hätten, sondern seien Sie wenigstens so ehrlich und geben zu, dass das Dinge sind, die die alte Landesregierung auf den Weg gebracht hat,

(Beifall von der SPD)