Protokoll der Sitzung vom 15.09.2005

Wir brauchen auf der einen Seite sehr wohl hier Strukturen, die aufklären im Sinne der Prävention, die beraten und auffangen, aber wir müssen auf der anderen Seite auch ganz klar darüber reden, was denn die aufenthaltsrechtlichen Rahmenbedingungen sind, damit Frauen überhaupt in die Situation kommen, sich wehren zu können.

Egal, ob wir jetzt über Gewalt gegen Frauen oder über die Gewaltform der Zwangsehe reden: Es sind immer wieder Situationen, in denen sich die Frau individuell die Frage stellt, ob sie sich überhaupt wehren kann oder ob ihr die Abschiebung

droht und ob sie, wenn sie sich wehrt, sozusagen einfach vom Regen in die Traufe kommt. Die Gewalt hier oder die Gewalt da?

Wir müssen diese rechtliche Ebene klar thematisieren und hier zu Änderungen kommen, um den Frauen eine andere Grundlage zu bieten. Also: Der beste Opferschutz ist auf jeden Fall, die Rechte des Opfers auch aufenthaltsrechtlich zu stärken und zu verbessern.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir brauchen aber - das habe ich eben schon gesagt - natürlich auch die anderen Bereiche. Wir brauchen niedrigschwellige Schutzprogramme für Bedrohte und Betroffene. Wir brauchen die Öffnung von jetzt bestehenden Schutzprogrammen genau für diese Zielgruppe. Wir brauchen mehr Öffentlichkeit für die Themen „häusliche Gewalt“ und „Zwangsehen“. Wir brauchen natürlich auch bei der Präventionsarbeit - wie eben schon gesagt - gerade die Einbeziehung von bestehenden Strukturen, also Schule und Jugendarbeit.

In dem Sinne hoffe ich auf eine konstruktive Beratung im Ausschuss. Ich hoffe darauf, dass wir zumindest eine gemeinsame Basis finden, um das auch gemeinsam umsetzen zu können. Denn es ist im Interesse dieser Frauen und damit auch im Interesse des Landes. - Danke.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank. - Für die FDP-Fraktion hat nun Frau Abgeordnete Pieper-von Heiden das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine kleine Einlage: Ich bin froh, dass es uns Frauen noch nicht gelingt, aus Männern Frauen zu machen, Herr Präsident.

Aus voller Überzeugung?

Ja, aus voller Überzeugung.

Nun zurück zu einem sehr ernsten Thema. - Die Zwangsverheiratung ist eine Menschenrechtsverletzung. Sie verstößt eindeutig gegen die deutschen Gesetze und gegen das Menschenrechtsabkommen der Vereinten Nationen. Sie ist daher entschieden zu verurteilen. Es darf nicht akzeptiert werden, dass Migrantinnen ein freies und selbstbestimmtes Leben aufgrund patriarchalisch

traditioneller oder vermeintlich religiöser Gründe verweigert wird.

Die Praxis hat gezeigt, dass die bisherigen rechtlichen Instrumente nicht ausreichen, um die Zwangsheirat wirksam zu bekämpfen und den Opfern von Zwangsheirat angemessenen Schutz zu gewähren.

Die FDP-Landtagsfraktion ist daher der Auffassung, dass der Gesetzesantrag des Bundesrates vom 8. Juli 2005 „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat“, der von FDP-Justizminister Prof. Goll auf den Weg gebracht wurde, unterstützt werden muss.

Im Gegensatz zur antragstellenden Fraktion SPD sind wir nicht der Meinung, dass der badenwürttembergische Gesetzesantrag durch die vom Bundestag im Februar beschlossene Gesetzesinitiative obsolet ist. Vielmehr ist durch die Schaffung eines über die Nötigung hinausgehenden Strafbestandes ein deutliches Signal in der Öffentlichkeit zu setzen, dass die Zwangsheirat entschieden missbilligt wird. Zwangsheirat muss wirksam geahndet werden können. Auch in zivilrechtlicher Hinsicht sind, wie es das Zwangsheiratsbekämpfungsgesetz vorsieht, die Rechte der Opfer zu stärken. Erwähnt seien an dieser Stelle zum Beispiel das Ehe- und Unterhaltsrecht.

Außerdem müssen Schule und Sozialarbeit, Polizei und Justiz weiterhin für das Thema sensibilisiert werden. Auch Ärztinnen und Ärzte sollten, wie Sie von der SPD es fordern, in die Lage versetzt werden, Opfern von Zwangsheirat helfen zu können. Die bedeutsame Arbeit der Beratungsstellen, der Frauen- und Mädchenhäuser sowie anderer Institutionen, die sich den Opfern von Zwangsheirat annehmen, ist zu unterstützen. Wichtig ist es auch, den Präventionsgedanken nach vorne zu bringen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD, all das, was ich bisher vorgetragen habe, ist im Prinzip eine Zusammenfassung, denn dieses wichtige Thema ist im Landtag Nordrhein-Westfalen nicht neu. Neben leidenschaftlichen Debatten sowohl im Plenum als auch in den Ausschüssen fand am 15. Februar 2005 eine Expertenanhörung statt, und im Anschluss kamen die Mitglieder des Frauenausschusses überein, eine gemeinsame Entschließung zu erarbeiten. Wie den Mitgliedern des Frauenausschusses bekannt sein dürfte, war es aus Zeitgründen keiner Fraktion gelungen, einen konkreten Vorschlag bis zum Ende der 13. Wahlperiode zu unterbreiten, auch der SPD nicht.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Das stimmt nicht! - Zuruf von der SPD: Wir hatten einen!)

Großes Erstaunen möchte ich insofern hinsichtlich des Alleingangs der Sozialdemokraten sowie hinsichtlich des Zeitpunkts dieses Antrages zum Ausdruck bringen.

(Zuruf von der SPD: Was ist daran neu? Wir hatten einen!)

Auch die Grünen bringen noch schnell einen Entschließungsantrag zum Thema mit ein. Ein Schelm, wer dabei denkt, dass dies etwas mit der Wahl am kommenden Sonntag zu tun haben könnte.

Ich finde es nicht richtig, dass gemeinsame Absprachen mir nichts, dir nichts über Bord geworfen werden, und ich setze mich ausdrücklich dafür ein, dass eine Entschließung erarbeitet wird, die alle Fraktionen tragen. Ich bitte dabei um Ihre Unterstützung. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank. - Für die Landesregierung hat der Frauenminister, Herr Minister Laschet, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über ein Thema, das lange Zeit nicht öffentlich diskutiert wurde. Viel zu lange haben wir die Augen davor verschlossen, dass in unserer Mitte junge Menschen leben, denen eine freie Partnerwahl und ebenso ein selbstbestimmtes Leben versagt werden.

Wir haben viel zu lange mit zweierlei Maß gemessen und toleriert, dass durch körperlichen und psychischen Zwang hauptsächlich junge Frauen und Mädchen, aber vereinzelt auch junge Männer, zur Eingehung einer Ehe gezwungen und dadurch unsere Gesetze und das Menschenrechtsabkommen der Vereinten Nationen verletzt werden.

Die Betroffenen haben es oft nicht gewagt, sich gegen eine Zwangsehe zu wehren bzw. sich ihrer zu entziehen. Sie fürchteten Racheakte oder psychische und physische Gewalthandlungen der Familie.

Aber auch ein unsicherer Aufenthaltsstatus - Frau Steffens hat es erwähnt -, fehlende Sprachkenntnisse, die Unkenntnis ihrer Rechte oder fehlendes Einkommen sind häufig der Grund dafür, dass die Betroffenen nicht in die Öffentlichkeit treten, um

Schutz und Hilfe zu suchen. Manche werden sich Jahre später erst bewusst, welchem Zwang sie ausgesetzt waren; denn viele werden von Geburt an dazu erzogen, den Wünschen der Eltern sowie der ganzen Familie respektvoll zu begegnen und ihre eigenen Bedürfnisse dem Wohl und der Ehre der Familie unterzuordnen.

Daneben - ich bin froh, dass das in der Debatte deutlich geworden ist, auch bei der Rednerin der SPD - gibt es die Form der arrangierten Eheschließung. Das müssen wir sorgsam auseinander halten, denn das ist etwas, was bei uns vor wenigen Jahrzehnten durchaus noch üblich war.

(Zuruf von der SPD: Gibt es immer noch!)

Hier sollten wir uns nicht überheblich über andere Kulturen setzen. Für uns ist wichtig: Der Heiratskandidat oder die Heiratskandidatin haben das letzte und entscheidende Wort. Aber es gibt einen Unterschied zwischen der arrangierten Ehe und der Zwangsehe.

Ich stelle in diesem neuen Ministerium fest - der Herr Präsident hat mich als Frauenminister aufgerufen -, dass die Abteilungen Integration und Frauen, die jetzt zusammengefasst sind und beide ihre Ideen zu diesem Thema vortragen, sich sehr gut ergänzen können; denn es hat mit beidem zu tun: mit dem Respekt für andere Kulturen auf der einen Seite und der Einhaltung unserer verfassungsrechtlichen Mindeststandards auf der anderen Seite.

Das ist auch das Ziel unserer Integrationspolitik. Integration ja, aber auf der Basis des Grundgesetzes, auf der Basis unserer Werteordnung. Deshalb können unter keinen Umständen Zwangsheirat, Gewalt gegen Frauen in diesem Land akzeptiert werden.

Deshalb enthält der Antrag, den Frau RuffHändelkes begründet hat, viele Positionen, die von der Landesregierung geteilt werden.

(Beifall von der SPD)

Ärztinnen und Ärzte müssen in die Lage versetzt werden, von Zwangsheirat Betroffenen und Bedrohten Hilfsmöglichkeiten aufzuzeigen. Zwangsheirat geht häufig einher mit häuslicher und sexualisierter Gewalt, die sich vielfach auch in Krankheitsbildern manifestiert.

Migranten-Selbsthilfeorganisationen und religiöse Gemeinschaften müssen als Verbündete gewonnen werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zwischen der deutschen Gesellschaft und den Migrantenorganisationen sollte kein Gegensatz sein, sondern dies sind unsere Verbündeten.

So sehr man manchmal über die boulevardmäßige Berichterstattung von Hürriyet auch besorgt sein kann, begrüße ich es doch, dass dort jetzt eine Kampagne gegen häusliche Gewalt gestartet wird. Ich selbst werde in Köln an einer dieser Aktionen teilnehmen, um zu würdigen, dass eine Zeitung so etwas macht; denn wir brauchen möglichst große Koalitionen bei diesem Thema.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Berichte und Informationen der Mitarbeiter des Projekts gegen Zwangsheirat und ehrbezogene Gewalt an Frauen und Mädchen, das den Aufbau von Netzwerken, Öffentlichkeitsarbeit und Unterstützung von Selbsthilfegruppen in erster Linie in Köln beinhaltet, sollen ebenfalls in das Handlungskonzept einfließen. Ich denke aber, dass über die Vorschläge der SPD-Fraktion hinaus weitere Überlegungen angestellt werden sollten. Das Thema Zwangsheirat sollte in die Integrationskurse des Bundes, des Sozialtrainings des Landes sowie der Migrantenerstberatung einbezogen werden. Wir sollten über die Errichtung einer Opferhotline nachdenken, und es sollten nicht nur zivil- und aufenthaltsrechtliche Regelungen, sondern auch jugendhilferechtliche Bestimmungen auf den Prüfstand gestellt werden.

Wir haben unmittelbar nach der erwähnten Bundesratsinitiative des Landes Baden-Württemberg in unserem Haus mit der Erarbeitung eines Handlungskonzeptes begonnen. Ich muss Ihnen sagen, dass ich noch keine abschließende Meinung zu dieser Strafrechtsfrage habe.

Die durch das 37. Strafrechtsänderungsgesetz erfolgte Aufnahme der Zwangsheirat als Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall der Nötigung reicht aus meiner Sicht nicht aus. Ob aber ein eindeutiger neuer Tatbestand, wie ihn Baden-Württemberg vorschlägt, rechtlich so gestaltbar ist oder ob wir dadurch nicht neue Probleme schaffen, wollen wir untersuchen.

Herr Minister, ihre Redezeit ist beendet.

Ich denke jedenfalls, dass Baden-Württemberg Recht hat mit den Verbesserungen im Ehe- und Unterhaltsrecht.

Die Redezeit geht zu Ende. - Ich denke, dass wir das Spiel „Wer ist der Erste mit Anträgen?“ bei