Protokoll der Sitzung vom 15.09.2005

Ich möchte mich nun damit auseinander setzen, worum es im Augenblick tatsächlich geht, um einmal von der virtuellen Diskussion abzusehen. Es liegen konkrete Vorschläge auf dem Tisch. Ein Gesetzentwurf der FDP zur Reform des Einkommensteuerrechts mit der Einführung eines Stufentarifs ist bereits in den Deutschen Bundestag eingebracht worden. Diese Vorschläge sind nach wie vor gültig. Die Spitzen von CDU und FDP haben klar verabredet, dass sie nach der Bundestagswahl zum 1. Januar 2007 ein Steuerreformkonzept umsetzen wollen, das einen Stufentarif mit drei Steuersätzen - aus Sicht der FDP 15 %, 25 % und 35 % - beinhaltet.

Meine Damen und Herren, wir tun das, weil wir in Deutschland wieder die Chance auf Arbeitsplätze und Investitionen erhöhen und schaffen wollen. Das deutsche Steuerrecht - das ist mehr oder weniger unstreitig - steht wie kein anderes in der Welt für Komplexität, Unübersichtlichkeit, überhöhte Steuersätze und verfestigte Besitzstände. Es wirkt leistungshemmend und lenkt die wirt

schaftliche Leistungsfähigkeit der Menschen fehl. Für in- und ausländische Investoren stellt es ein gravierendes Investitionshindernis dar. Seine Unübersichtlichkeit führt zudem zu Ungerechtigkeit, fehlender Akzeptanz und noch dazu zu Demotivation bei Bürgerinnen und Bürgern, Arbeitnehmern und Unternehmern.

Das bestehende Steuerrecht, das wir im Augenblick in der Bundesrepublik haben, ist nicht transparent und nicht effizient. Es ist auch nicht wettbewerbsfähig und nicht gerecht. Das bestehende deutsche Steuerrecht ist ein echter Standortnachteil für Deutschland. Daran ändern auch die kleineren „Reförmchen“ nichts, weil Sie von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit den vorgelegten Reformansätze oder Reförmchen lediglich versucht haben, an den Symptomen herumzudrehen, aber nicht wirklich den Ursachen entgegengetreten sind.

Das gegenwärtige Einkommensteuerrecht und das gegenwärtige Unternehmensbesteuerungsrecht sind nicht mehr reformfähig. Deswegen werben wir als FDP bereits seit 1994 für ein grundlegend anderes Modell der Besteuerung. Wir wollen ein einfaches und gerechtes Steuersystem mit niedrigeren Steuersätzen und einer Nettoentlastung für die Bürgerinnen und Bürger.

(Beifall von der FDP)

Was heißt das? - Wir wollen ein steuerfreies Jahreseinkommen von 7.700 € pro Person in einer Familie. Das heißt, eine vierköpfige Familie, zwei Erwachsene, zwei Kinder, wird erst bei einem Jahreseinkommen von mehr als 38.000 € den allerersten Cent Einkommensteuer bezahlen.

(Beifall von der CDU)

Das ist ein ganz wichtiger und ein echter Schritt zur Entlastung der Familien.

(Beifall von FDP und CDU)

Meine Damen und Herren, bis zu einem Einkommen von 15.000 € pro Person wollen wir einen Steuersatz von 15 %, für den Bereich zwischen 15.000 € und 40.000 € einen Steuersatz von 25 % und darüber hinaus einen Steuersatz von 35 %. Die Bemessungsgrundlage wird durch den Abbau von Ausnahmetatbeständen verbreitert. Unsere Gegenfinanzierungsvorschläge dazu können Sie detailliert im Internet nachlesen. detailliert

Wir wollen, dass der gültige Steuersatz auch tatsächlich gezahlt wird und nicht nur auf dem Papier steht. Das ist der eigentliche Punkt und nicht die ganze Sozialneiddebatte, die uns SPD, Grüne und SED beziehungsweise PDS beziehungsweise

Linkspartei - oder wie auch immer sich diese Gruppierung nennt - immer aufzwingen wollen.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Michael Vesper)

Der Sachverständigenrat unterstützt diese Pläne. Er bestätigt den dringenden Handlungsbedarf in fast allen Punkten. Denn es ist absehbar, dass unsere Nachbarländer ebenfalls die Steuersätze senken wollen. Wir müssen Deutschland wieder wettbewerbsfähig machen. Wir müssen Deutschland wieder eine Perspektive geben. Wir müssen den Menschen, die keine bezahlte Beschäftigung haben, wieder die Chance auf einen Arbeitsplatz eröffnen.

Meine Damen und Herren, deswegen haben wir als FDP dazu ein konsequentes und klares Steuerreformkonzept vorgelegt. Das steht am kommenden Sonntag neben vielen anderen Reformvorschlägen, die tatsächlich eine Perspektive für Arbeit und Beschäftigung in Deutschland eröffnen, zur Wahl. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank. - Für die Landesregierung hat jetzt Herr Finanzminister Dr. Linssen das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Löhrmann hat in seltener Offenheit kundgetan, weshalb dieser Antrag gestellt worden ist: natürlich weil wir am Sonntag Bundestagswahl haben.

(Manfred Kuhmichel [CDU]: So ist das!)

Das haben wir im Übrigen früher auch gemacht. Natürlich haben wir solche Bühnen genutzt, um bestimmte Themen noch einmal zu verstärken. Sie möchten gern eine bestimmte Facette aus dem großen Gebiet des Steuerrechts unter die Lupe genommen haben.

(Zurufe von Sylvia Löhrmann [GRÜNE] und Manfred Kuhmichel [CDU])

Natürlich verbinden Sie damit die Absicht, möglichst vom Thema Arbeitslosigkeit abzulenken. Das kann man sehr deutlich erkennen.

(Beifall von der CDU)

Wir haben verschiedene große Baustellen. Die Antworten auf die vielen Fragen, die die Menschen haben, werden sicherlich auch darüber entscheiden, wie das Wahlergebnis aussieht.

Ich glaube, dass die Menschen kein Vertrauen mehr in die Politik haben, wie sie in diesem Staat

in Berlin in den letzten sieben Jahren betrieben worden ist.

(Beifall von CDU und FDP)

Sie haben kein Vertrauen in die Sozialsysteme und ihre Dauerhaftigkeit, weil sie wissen: Alles ist höchstens für ein halbes Jahr gültig. Danach sind sie wieder der Unsicherheit unterworfen.

Sie haben kein Vertrauen in die Arbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung. Sie haben kein Vertrauen in die Finanzpolitik. Sie haben auch kein Vertrauen in die Steuerpolitik, wie sie in den letzten Jahren praktiziert worden ist.

Das Beispiel der Körperschaftsteuerreform tut Ihnen weh. Das weiß ich. Sie ist 2001 in Kraft getreten. Das ist sicherlich eines der unangenehmsten Kapitel für Sie. Das hat auch dazu geführt, dass Lafontaine Sie - zu Recht - permanent der sozialen Ungerechtigkeit zeiht, weil Sie körperschaftsteuerzahlende Betriebe in einem Maße bevorzugt haben, dass der Staat zum auszahlenden Staat geworden ist anstatt zum Staat, der Steuern einnimmt - jedenfalls in diesem Bereich.

(Beifall von der CDU)

Am meisten hat mir der Beitrag von Frau Löhrmann imponiert, als sie betonte, wir würden mit Herrn Kirchhof in einer nicht mehr menschlichen Art und Weist umgehen.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Das ist doch so!)

Da kommen mir fast die Tränen. Frau Löhrmann, vielleicht erinnern Sie sich an diejenigen, die die Kampagne gegen Herrn Kirchhof gestartet haben.

(Monika Düker [GRÜNE]: Es gibt gar keine Kampagne!)

Wie gehen sie mit ihm um? Vielleicht erinnern Sie sich an Michael Müller - das ist mir gerade eingefallen, während Sie vorgetragen haben. Er hat erklärt, Paul Kirchhof sei ein Neokonservativer so wie die Amerikaner, die den Irak-Krieg begonnen hätten. Das ist die letzte Unverschämtheit.

(Beifall von CDU und FDP)

So versucht man, Menschen fertig zu machen.

Dann haben Sie entschuldigend hinzugefügt: Wir haben ja vielleicht auch nicht alles richtig gemacht. - Sie haben das meiste falsch gemacht. Auch in Ihrer Regierungszeit in NordrheinWestfalen.

(Beifall von CDU und FDP - Widerspruch von SPD und GRÜNEN)

Mir sind drei Punkte aus Ihrer Rede besonders im Gedächtnis geblieben. Sie haben vor allen Dingen Tränen vergossen über das arme Land, das unter einer Kirchhofschen Steuerreform, die jetzt gar nicht ansteht, sicherlich leiden wird.

(Zurufe von der SPD: Oh! - Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Liebe Kolleginnen und Kollegen der früheren Regierung, wer dieses Desaster an Finanzen in diesem Land angerichtet hat, der hat für Monate, wenn nicht für Jahre den Anspruch verloren, überhaupt noch über Finanzpolitik zu reden.

(Anhaltender Beifall von CDU und FDP - Gi- sela Walsken [SPD]: Das hätten Sie gern! - Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD] - Weitere Zurufe)

Wenn sich die Fraktionsvorsitzende der SPD in den letzten Monaten hingestellt hat - gestern hat sie es wieder getan - und so tut, als ob die Schulden dieses Landes die Schulden der neuen Regierung sind, dann leiden Sie an Gedächtnisschwund, Frau Kraft; das muss ich Ihnen wirklich sagen.

(Beifall von CDU und FDP - Gisela Walsken [SPD]: So einfach ist das! - Zuruf von Hanne- lore Kraft [SPD])

Sind Sie in den letzten 39 Jahren eigentlich nicht dabei gewesen?

(Zurufe von Hannelore Kraft [SPD] und von Gisela Walsken [SPD])

Zumindest in den letzten Jahren waren Sie als Ministerin tätig. Sie haben doch jedes Jahr mitgemacht: Einmal wurden 6,7 Milliarden € Neuverschuldung eingegangen, dann 6,8 Milliarden € Neuverschuldung. Jetzt betonen Sie, dass die 7,3 Milliarden € Neuverschuldung aus unserem Nachtragshaushalt unsere Schulden seien. Wo sind Sie denn eigentlich? Nicht einmal 5 % des Volumens dieses Nachtragshaushalts werden von dieser Regierung verursacht worden sein. Der Rest ist das Aufarbeiten der Vergangenheit, in der die Einnahmen zu hoch und die Ausgaben zu niedrig angesetzt worden sind.