Protokoll der Sitzung vom 24.01.2008

(Zuruf von der CDU: Das stimmt doch gar nicht!)

Das hat er gerade gesagt.

Frau Schäfer, Sie hätten meine Aussage falsch verstanden, wenn Sie sie dahin gehend interpretiert hätten.

(Zuruf von Ute Schäfer [SPD])

Dass von rund 7.000 Schulen in NordrheinWestfalen auch mal eine wird schließen müssen, ist doch ein ganz natürlicher Prozess.

(Ute Schäfer [SPD]: Aha!)

Wir haben in den letzten Jahren – das war auch zu Zeiten Ihrer Regierungsverantwortung so – zum Beispiel in Essen ein Gymnasium geschlossen, weil es entsprechende Veränderungen in der Bevölkerung gab. Es kommen immer mal neue Schulen hinzu und andere verschwinden. Ich wollte nur sagen, Frau Schäfer – das ist auch deutlich

geworden –, dass, solange die Lehreranzahl im System konstant bleibt, ein demografischer Rückgang bei den Schülerzahlen nicht der Grund sein kann, warum Schulen schließen oder es weniger Klassen gibt. Bei gleichbleibender Lehrerzahl kann das Ergebnis nur sein, dass Klassen kleiner werden.

Ich beantworte Ihre Frage gerne anhand eines konkreten Beispiels; dazu habe ich mir die landesweiten Durchschnittszahlen für die jetzigen Klassengrößen besorgt. Die jetzige Jahrgangsgröße an Gymnasien beträgt im landesweiten Schnitt 104,

(Ute Schäfer [SPD]: Klassengröße?)

bei einem Rückgang der Schülerzahlen um 10 % in der nächsten Legislaturperiode sind es 94 pro Jahrgang. Wo ist da das Problem?

Die Realschulen haben heute pro Jahrgang 98 Schüler, das sind in der nächsten Legislaturperiode 88 pro Jahrgang. Die Hauptschulen – zugegeben die kleinsten Systeme – haben heute im statistischen Durchschnitt 55 Schüler pro Jahrgang. Bei 10 % weniger wären es 50. Jetzt sagen Sie mir, woraus, wenn die Lehrerzahlen konstant bleiben, ein Handlungsdruck erwächst. Das ist für mich nicht erkennbar.

Ich möchte eine letzte Anmerkung machen, weil sehr viel über die Frage des richtigen Freiheitsverständnisses gesprochen worden ist. Frau Löhrmann, halten Sie das, was Sie hier vorgetragen haben, noch für glaubwürdig? Sie haben vor wenigen Wochen gesagt: Es ist böse, wenn man Schulen vor Ort erlaubt, in Übereinstimmung mit ihren Gremien samstags Unterricht anzubieten.

(Ute Schäfer [SPD]: Das ist ja nicht zu fas- sen!)

Das soll man nicht dürfen. Das muss der Staat reglementieren.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Reden Sie mal lieber über die Kopfnoten!)

Als wir Ihnen gesagt haben, dass Schulen mit ihren Gremien vor Ort – mit allen Akteuren in der Schulkonferenz – entscheiden sollen, wer ihre personelle Leitung ist und die Schule vertritt, haben Sie erwidert: Nein, das sollen lieber die Parteien in Hinterzimmern entscheiden.

(Beifall von FDP und CDU)

Als wir Ihnen das Mindener Modell für eine neue Lehrerarbeitszeit vorgestellt haben,

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Das ist Dema- gogie, Herr Witzel!)

haben Sie gesagt: Das ist hochproblematisch; es gibt ja große Unterschiede im Land. – Ich sage Ihnen, Frau Löhrmann: Wir brauchen Schulautonomie und mehr Freiheit da, wo es Sinn macht – in finanziellen Belangen, bei der organisatorischen Steuerung und selbstverständlich auch bei Personalfragen.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Das entschei- den Sie?)

Es gibt allerdings ein Spannungsverhältnis von Freiheit und Verantwortung. Wir handeln mit der vorschulischen Sprachförderung im Sinne der Kinder. Zehntausenden von Jugendlichen, die bei Ihnen ohne Perspektive waren, eröffnen wir neue Lebenschancen. Das ist keine Freiheitsveranstaltung, sondern da gibt es Zwang. Sie müssen nämlich zur Sprachförderung, und trotzdem ist die Maßnahme richtig.

Ich kenne schon den nächsten Antrag der Grünen, der heißt: Freiheit total, Abschaffung der allgemeinen Schulpflicht und Freiheit für Analphabetismus für alle. – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU – Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Das wird ja immer schlimmer mit dem Witzel!)

Danke schön, Herr Witzel. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Frau Beer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe nicht die Zeit, die Gestörten aus den Regierungsfraktionen wieder aufzubauen,

(Beifall von den GRÜNEN)

die durch die Farbenlehre der Ministerin beschädigt worden sind – Frau Pieper-von Heiden und Herrn Solf. Aber, Herr Witzel, nach Ihrem Beitrag, den Sie gerade abgeliefert haben, hätten Sie heute ganz in Lila kommen müssen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ich will der Ministerin – und bitte Sie an der Stelle, vielleicht noch einmal Blickkontakt aufzunehmen – drei Fragen stellen:

Erstens. Frau Sommer, es kann doch nicht sein, dass Sie uns sagen: Der Rahmen für die Schulentwicklung und die Qualität ist das gegliederte Schulsystem. Ich habe es so verstanden: Rahmen für die Qualitätsentwicklung sind die Standards.

Das ist doch auf der KMK-Ebene vereinbart worden. Was machen Sie hier eigentlich? Lösen Sie sich gerade von der Standardvorgabe und sagen uns: „Nur das gegliederte Schulsystem ist uns heilig, ansonsten geht es um gar nichts“? Das war für eine Schulministerin schon eine ganz heikle Aussage.

(Beifall von den GRÜNEN – Sylvia Löhr- mann [GRÜNE]: Das war eine Sechs!)

Das Zweite: Frau Löhrmann sitzt zufällig mit Herrn Fend in einer Kommission. Dort unterhalten Sie sich ganz intensiv. Wenn Sie noch einmal zusammenkommen sollten, sollten Sie sich die Studie ein bisschen näher erläutern lassen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie sagt nämlich nicht das, was Sie hier ausgeführt haben, sondern es heißt: Den Gesamtschulen gelingt es, solange sie die Kinder zusammenhalten können, sehr gut; wenn es aber an die Übergangsentscheidungen geht, dann wird es kritisch. Genau das ist die Systemfrage, die sich an der Stelle stellt.

Bemühen Sie doch auch bitte nicht McKinsey. McKinsey hat erfolgreiche Schulsysteme untersucht, und wir gehörten nicht dazu.

(Beifall von den GRÜNEN)

Alle erfolgreichen Schulsysteme haben die Schulstrukturfrage nämlich selbst geregelt.

Was die Grünen mit ihrem Antrag wollen, das wird in der Aachener Erklärung des Städtetages ganz deutlich formuliert. Ich will auch noch einmal dessen stellvertretenden Präsidenten zitieren, der gesagt hat:

„Die Städte kennen wegen ihrer Bürgernähe die örtlichen Verhältnisse am besten. Deshalb brauchen die kommunalen Schulträger größere Spielräume bei der Suche nach den jeweils passgenauen Lösungen. So sollte die Bildung von flexiblen Schulverbünden erleichtert werden, in denen Grundschulen, aber auch weiterführende Schulen zusammenarbeiten und ein möglichst präzise auf den örtlichen Bedarf zugeschnittenes Bildungsangebot entwickeln können.“

Das ist die Voraussetzung für Chancengleichheit und Leistungsentwicklung in diesem System.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Witzel sagt immer: Bei unserem Schulsystem ist alles bestens; durch das Schulgesetz hat sich nichts zum Schlechteren verändert, gerade auf

der kommunalen Ebene nicht. Ich nenne Ihnen ein Beispiel, Herr Witzel – hören Sie ganz genau zu –, was sich durch die Aufhebung der Grundschulbezirke jetzt schon im Land abzeichnet. Die „Neue Westfälische“ hat am 08.01.2008 darüber berichtet und sagt:

(Ralf Witzel [FDP]: Mehr Wettbewerb!)

„Klar ist: Verlierende Schulen liegen häufig in einem von Zuwanderung oder anderen sozialen Problemen mitgeprägten Wohnumfeld. In den Städten Bielefeld und Paderborn verzeichnen einige Schulen annähernd 50 % weniger Anmeldungen als vor Aufhebung der Schulbezirke.“

Das liegt nicht an weniger Kindern; denn der Dezernent für die Grundschulen führt aus, da sei gegen Schulen entschieden worden, deren Lehrer hervorragende pädagogische Arbeit leisteten. Sie hätten besonders ausgefeilte Förderkonzepte erarbeitet und die Individualisierung des Lernens im Unterricht hervorragend umgesetzt. Das habe sich auch bei den Lernstandserhebungen ausgezahlt.

Trotzdem gibt es jetzt diese sozialen Fliehkräfte; denn die Freiheit, die Sie vertreten, ist nur die Freiheit der Privilegierten und nicht die Freiheit für alle.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)