Ich finde es nicht nur legitim, sondern geradezu geboten, sich darüber Gedanken zu machen, ob bei Menschen, die zu einer Geldstrafe verurteilt wurden und diese nicht gezahlt haben, das Mittel der Wahl immer das Einsperren sein muss und ob es hier nicht wirklich Alternativen gibt. Diese Frage finde ich nicht nur legitim. Es ist auch geboten, sich darüber Gedanken zu machen. Deswegen unterstützen wir die richtige Forderung, einen Vollstreckungsstopp für Ersatzfreiheitsstrafen zu prüfen sowie gemeinnützige Arbeit als Alternative zur Ersatzfreiheitsstrafe flächendeckend, nachhaltig und subsidiär zu fördern.
Sie haben zweitens den offenen Vollzug angesprochen. Ich finde, es ist eine Unterstellung, wenn Sie sagen, Rot-Grün fordere den offenen Vollzug für alle. Darum geht es überhaupt nicht.
Der offene Vollzug entlastet den geschlossenen Vollzug nicht nur, sondern führt auch zu besseren Resozialisierungsergebnissen. Das ist empirisch bewiesen. Deswegen finde ich es richtig, hier sehr genau zu prüfen und Vollzugsplanungen zu entwerfen, die den offenen Vollzug für sehr viel mehr Gefangene möglich machen. Wir wissen, dass diejenigen, die im offenen Vollzug waren, nach ihrer Haftentlassung wesentlich bessere Resozialisierungsbedingungen haben als diejenigen, die aus dem geschlossenen Vollzug kommen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als am 1. Januar 2008 das Jugendstrafvollzugsgesetz in Nordrhein-Westfalen in Kraft getreten ist, haben wir innerhalb einer Abfolge zahlreicher baulicher, personeller und konzeptioneller Maßnahmen für den Strafvollzug – für den Erwachsenenstrafvollzug wie für den Jugendstrafvollzug – einen weiteren großen Schritt nach vorne getan.
Dem Gesetz vorangegangen waren eine Anfang 2006 von mir in Auftrag gegebene Studie zu Gewalt unter Gefangenen sowie die Arbeiten der Werthebach-Kommission zur Gewaltprävention im Strafvollzug. Für die wertvollen Grundlagen, die so geschaffen wurden, gilt dem Kriminologischen Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen und den Mitgliedern der Werthebach-Kommission unser aufrichtiger Dank.
Es gibt in Nordrhein-Westfalen nunmehr einen modernen, am Gedanken der Erziehung ausgerichteten Jugendstrafvollzug. Dem neuen Jugendstrafvollzugsgesetz entsprechend gibt es in der Regel Einzelunterbringung von Gefangenen. Notgemeinschaften sind abgeschafft. Der erzieherische Gedanke wird mit Konsequenz verfolgt.
Meine Damen und Herren, seit Bestehen dieser Landesregierung hat der Strafvollzug, und zwar der Erwachsenen- wie der Jugendstrafvollzug, Aufmerksamkeit erhalten, ein Investitionsvolumen
erfahren und eine Modernisierung durchlebt – er durchlebt sie noch – wie in der Geschichte dieses Landes seit 40 Jahren nicht. Die Strafvollzugspolitik dieser Landesregierung ist ein voller Erfolg.
Und was macht die SPD? Sie sucht – wie immer nicht genussfähig – nach Haaren in der Suppe, findet aber keine. Wie so oft, meine Damen und Herren, laufen Sie der Wirklichkeit hinterher.
Ihre Vorstellung, immer mehr Gefangene in den offenen Vollzug zu schicken, wiederholen Sie ständig. Die hohen Zahlen beim offenen Vollzug in Nordrhein-Westfalen kennen Sie so gut wie ich. Es wäre nicht schlecht, wenn Sie die Realität als Ausgangspunkt von Anträgen nähmen. Sie haben nie erläutert, wie Sie der Bevölkerung klarmachen wollen, dass sich Gefangene frei außerhalb der Justizvollzugsanstalten bewegen sollen, die aus guten Gründen, weil nämlich weitere Straftaten von ihnen zu befürchten sind, hinter deren Mauern untergebracht sind.
Ich bestehe darauf, dass nur diejenigen, aber auch alle diejenigen in den offenen Vollzug gehören, die dafür geeignet sind, denen eine positive Prognose erstellt worden ist und die keine Gefahr für die Bevölkerung darstellen. Das ist in Nordrhein-Westfalen gewährleistet. Auf dieser Handhabung beruht der gute Erfolg des offenen Vollzuges in Nordrhein-Westfalen.
Erläutern sollten Sie auch, wieso Sie die Einführung eines Personalbedarfsberechnungssystems fordern, wo doch in Ihrer Regierungszeit so spärlich mit Personal umgegangen wurde. Ich darf Sie daran erinnern, dass die neue Landesregierung, die neue Koalition für eine massive Personalaufstockung im Vollzug gesorgt haben.
Seit 2005 haben wir rund 500 neue Stellen geschaffen und kw-Vermerke gestrichen. Gleichzeitig bildet die Justizvollzugsschule mit einer Stärke von rund 300 Anwärtern jährlich Rekordjahrgänge aus. Eine große Rolle spielen die Fachdienste. Allein im Jahre 2007 sind es 49 Stellen für Sozialarbeiter, Psychologen und Pädagogen.
Meine Damen und Herren, ein guter Koch bietet seinen Gästen mehr als Brot und Wasser. Das gilt auch für die Behandlung von jugendlichen Straftä
tern. Die Landesregierung hat in der vorangegangenen Debatte deutlich gemacht, dass wir ein umfassendes Konzept zur Bekämpfung der Jugendkriminalität verfolgen. Wir bieten Opferschutz und Hilfe für Jugendliche aus einer Hand. Wer an diesen Maximen ernsthaft interessiert ist, den fordere ich auf, sich offen und ohne Scheuklappen an der Diskussion zu beteiligen. Das sind wir den Opfern und den jungen Menschen schuldig.
Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 14/5775 an den Rechtsausschuss. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer ist für diese Überweisung? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung einstimmig angenommen.
Ich eröffne die Beratung und erteile Frau Löhrmann von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bitte schön, Frau Löhrmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn das üblich wäre, hätte ich diesen Antrag gerne auf lila Papier gedruckt. Denn die Farbe Lila steht nicht nur für die Frauenbewegung und die Katholische Kirche, sondern auch für den Spruch: Der letzte Versuch. Es ist für uns der letzte Versuch, ein Angebot, pragmatisch mit der Gestaltung unserer Schullandschaft weiterzumachen und weiterzukommen, weil uns die sehr am Herzen liegt. Betrachten Sie dies bitte gedanklich als ein sehr gut gemeintes Angebot an Sie für die politische Auseinandersetzung!
Wir Grünen haben für diesen Ansatz, pragmatische Wege zu gehen, einen sehr prominenten und in der Gesellschaft hoch angesehenen Politiker, den höchsten Repräsentanten unseres Staates, Bundespräsident Köhler, an unserer Seite. Ich zitiere:
„Schon heute ist zu beobachten, dass dort, wo sich die Schulstruktur aufgrund sinkender Schülerzahlen ausdünnt, die Bereitschaft zu pragmatischen Lösungen wächst. Wo zugunsten der Kinder und damit der Zukunft gehandelt werden muss, sollten ideologische Vorbehalte … an Bedeutung verlieren.“
Genau das ist Kern dieses Antrags, und deswegen kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, dass Sie von CDU und FDP sich auf Dauer der Aussage des von Ihnen gewählten und, wie gesagt, sich großer Beliebtheit erfreuenden Bundespräsidenten entziehen können.
Wichtige Vorbemerkung: Immer mehr Abgeordnete von CDU und FDP – auch wenn Sie das noch nicht immer offen zugeben –, vor allem die, die das vor Ort mitkriegen, nehmen wahr, dass es so nicht weitergehen kann: mit unserem arg zerklüfteten Bildungssystem. Ich bin überzeugter denn je, immer wieder bestärkt durch die Auseinandersetzungen mit dem, was in anderen Bundesländern, aber insbesondere auch in anderen Ländern im europäischen Vergleich, möglich ist, dass wir hier Innovationen und Veränderung brauchen.
Deswegen war es so schön, dass Kollegin Beer gestern den Innovationsminister danach gefragt hat, der sich ein bisschen auf die Reise gemacht hat, darüber nachzudenken, heute nicht da ist und sich auch im Plenum systematisch einer Antwort an das Parlament und die Öffentlichkeit entzieht. Herr Lindner ist immerhin noch anwesend. Möglicherweise wird von ihm mal deutlicher gemacht, wohin sich das Ganze aus Sicht der FDP bewegen könnte.
Wir als Grüne meinen – ich will die Eckpunkte noch mal nennen –, dass unsere Kommunen mehr Verantwortung und mehr Freiheit für den gesamten Schulbereich bekommen sollten. Das ist aus unserer Sicht zukunftsfähige Bildungspolitik.
Innere und äußere Schulangelegenheiten müssen zusammengeführt werden. Das gebieten ganzheitliche Lernprozesse, und das gebietet etwa die Erfahrung insbesondere mit der offenen Ganztagsschule. Denn die klassische Trennung, das eine ist das Lehren und Lernen und das andere ist das Drumherum, stimmt nicht mehr, weil Lernprozesse ganzheitlicher sind. Welcher Satz bringt das besser auf den Punkt als ein afrikanisches Sprichwort: „Es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen“? Das hat perspektivisch sogar etwas mit Strafvollzug und anderen Dingen zu tun und mit dem, was wir tun sollten, dem vorzubeugen.
Das heißt aber auch: Eigenverantwortung und Autonomie nicht nur für die Städte und Gemeinden, sondern auch für die Schulen, pädagogische Freiheit für die Schulen. Das Land sollte den Rahmen setzen, und die Schulen sollten die Freiheit haben, das auszugestalten, um die Ziele zu erreichen. Gute Schulen – das habe ich auch schon in der letzten Legislaturperiode gesagt – können nicht von Düsseldorf aus verordnet werden; sie werden vor Ort gemacht.
Natürlich – das betone ich ausdrücklich – verbinden wir mit diesem Antrag auch ein bekanntes Ziel unserer Partei, das – nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in anderen Parteien – immer mehr an Zustimmung gewinnt: Unser zerklüftetes Schulsystem darf so nicht aufrechterhalten werden, und wir brauchen pragmatische Wege zu längerem gemeinsamen Lernen. Das wollen wir den Kommunen ermöglichen. Dabei setzen wir auf Horstmar und Schöppingen, auf die Gemeinden, die zum Flaggschiff für eine kommunale Bewegung geworden sind – der Konsens entsteht vor Ort offenbar leichter als im Landtag –, die eine Gemeinschaftsschule gründen wollten.
Wir haben schon gesagt: Das ist klar, dass die das jetzt machen, aber es ist doch absurd, dass die nicht so weit gehen können, wie sie wollen. Wäre unser Antrag Gesetzeslage, hätten die Kommunen gar keinen Antrag mehr stellen zu brauchen. Das ist nämlich auch Bürokratieabbau pur, den wir Ihnen damit vorschlagen.
Also: Freiheit und Verantwortung für die Kommunen, für regionale Schullandschaften, für regionale Bildungslandschaften, Schulstruktur vor Ort entwickeln – das ist die Herausforderung, das ist die Revolution, die wir in dem Bereich brauchen. Dieser Revolution, diesem Ansatz zu Freiheit und Verantwortung, können Sie heute folgen. Dass Sie als Erster aufjaulen, Herr Witzel, zeigt mal wieder, dass Sie der allergrößte Blockierer bei dieser Fragestellung sind.
Wir werden das durchsetzen, wenn nicht jetzt, dann in Zukunft. Es wird so kommen, da können Sie versuchen, zu blockieren, so viel Sie wollen. – Herzlichen Dank.