Protokoll der Sitzung vom 13.03.2008

Übrigens besagt die einschlägige Studie der Hans-Böckler-Stiftung, dass es keinen Beleg dafür gibt, gegen den verbreiteten Trend vollzeitbeschäftigte Stammarbeiter durch Leiharbeiter wirklich zu ersetzen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: In welcher Welt leben Sie eigentlich?)

Ich will betonen, dass sich die FDP selbstverständlich dafür einsetzt, dass möglichst viele reguläre, sozialversicherungspflichtige Jobs bestehen bleiben und weitere entstehen.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

Seitens der Politik können wir dafür nur die günstigen Rahmenbedingungen schaffen. Neben Anreizen zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Nordrhein-Westfalen gehören dazu auch eine gute Schul- und Berufsausbildung sowie lebenslanges Lernen durch Fort- und Weiterbildung.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

Gut ausgebildete Mitarbeiter können durch entsprechende Leistungen entscheidend zum Wirtschaftswachstum und somit auch zur Schaffung neuer Arbeitsplätze beitragen.

Die SPD will die gelungenen Formen bei der Zeitarbeit zurückdrehen, obwohl sie vielen Menschen neue Arbeitsmarktchancen gebracht haben. Das machen wir nicht mit, denn das würde den Arbeitnehmern schaden. – Danke schön.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

Vielen Dank, Herr Dr. Romberg. Das war zeitlich gesehen eine Punktlandung. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht dann Frau Steffens.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Jetzt kommt wie- der ein sachlicher Wortbeitrag!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde auf den kleinen Disput, der hier eben vom Redepult mit der SPD-Fraktion stattgefunden hat, nicht eingehen. Das können Sie gleich noch machen. Das war kaum noch verständlich. Sosehr ich die Aufregung verstehe, glaube ich nicht, dass das der Sache dient. Mit seinem letzten Satz hat der Kollege Romberg eigentlich alles gesagt, was er sagen wollte: Alles, was für die Arbeitgeber gut ist, will er weiterhin. – Das ist die einzige Botschaft,

die an jeder Stelle durchgekommen ist. Deswegen braucht man die Aufregung darüber an der Stelle gar nicht lautstark in den Raum stellen. Die Botschaft war klar.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich will hierfür einige Belege bringen: Herr Romberg, Sie haben gesagt, es sei toll, weil wir einen Zuwachs in der Zeitarbeitsbranche hätten. Es sei verdammt gut für die Menschen, dadurch die Chance auf einen Arbeitsplatz zu finden. Es sei besser, bei der Zeitarbeit zu arbeiten, als gar nicht zu arbeiten. – An der Stelle gibt es, glaube ich, noch eine breite Übereinstimmung, wo Zeitarbeit die Brücke aus der Arbeitslosigkeit in den ersten Arbeitsmarkt schlägt. In sehr wenigen, eingeschränkten Fällen kann Zeitarbeit Menschen wirklich wieder in den ersten Arbeitsmarkt führen.

Aber seit der Flexibilisierung der Zeitarbeit erleben wir doch in ganz anderem Maße, dass reguläre feste Arbeitsverhältnisse abgebaut und durch Zeitarbeitskräfte ersetzt werden. Sie werden vielleicht nicht in dem Maße wie wir solche Zuschriften bekommen, weil die Menschen von ihnen in dieser Beziehung nichts erwarten; aber gerade aus dem Krankenhaussektor und aus anderen Bereichen bekommen wir Zuschriften, dass komplette Bereiche in Form von Tochtergesellschaften und ähnlichem ausgegliedert und mit Zeitarbeitsfirmen reguläre Arbeitsplätze besetzt werden und die Menschen hinterher 30 bis 50 % weniger verdienen als vorher. Bei manchen Branchen sind es sogar 60 %. Angesichts dessen können Sie doch nicht sagen, dass diese Arbeit für die Menschen besser ist als keine Arbeit.

(Beifall von den GRÜNEN – Rainer Schmelt- zer [SPD]: Richtig!)

Diese Menschen hatten vorher nämlich eine Arbeit, die gut war und entsprechend entlohnt wurde. Jetzt bekommen sie für dieselbe Arbeit weniger Lohn. Das ist nicht besser. Das ist ein Problem dieses Gesetzes und dieser Regelung.

(Beifall von den GRÜNEN)

An der Stelle können Sie die Augen verschließen und behaupten, alles für die Arbeitgeber in diesem Land zu tun. Aber das ist weder an den Menschen dran noch gut für sie.

(Lebhafter Widerspruch von Dr. Stefan Romberg [FDP])

Brüllen Sie nicht dazwischen, melden Sie sich zu Wort, wenn Sie eine Zwischenfrage stellen wollen. Sie wissen, dass ich Zwischenfragen zulasse. Aber das Dazwischenbrüllen finde ich an

der Stelle auch für diejenigen oben auf der Tribüne wenig ergiebig.

Was den Menschen in diesem Land darüber hinaus überhaupt nicht hilft ist, dass mittlerweile 10 % der Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen aufstockend Leistungen nach dem SGB II beziehen müssen. Die Tendenz ist steigend. 10 % hat die IAB-Studie 2006/2007 erfasst. Wahrscheinlich sind wir jetzt bei 20 %.

Bei manchen Zeitarbeitsfirmen ist das so. Aus Sicht der Arbeitnehmer gibt es unter den Zeitarbeitsfirmen gute und schlechte Firmen, nämlich gute Firmen, die gar keine Aufstocker haben, weil sie die Menschen zu Tariflöhnen beschäftigen. Wir haben aber auch Unternehmen, die die 20Prozent-Quote haben. Schauen Sie sich das einmal ganz genau an. In einer Ausschussberatung können wir einmal über die schwarzen Schafe reden. Es kann aber nicht sein, dass es Unternehmen gibt, die sich in ganz hohem Maße Beschäftigte mit staatlichen Transferleistungen substituiert heranholen. Davor können auch Sie nicht die Augen verschließen.

Ich habe gerade erlebt, dass die CDU anders als sonst die Augen nicht völlig verschließt, sondern das Problem als solches erkennt. An der Stelle wird sie auf Bundesebene auch von der SPD getrieben. Das reicht aber noch nicht aus.

Hierzu gab es eine Diskussion im Deutschen Bundestag im Dezember letzten Jahres aufgrund eines Antrags der Linken und eines Änderungsantrags von uns. Die Koalitionsfraktionen haben nichts gemacht, außer zu sagen, wir werden zu gegebener Zeit etwas tun. Ich habe das Bundestagsprotokoll aufmerksam gelesen. Das Land ist nicht die Ebene, die handelt. Ich finde es richtig, dass man von hier antreibt, aber letztendlich muss man auf Bundesebene zügig zu Änderungen kommen.

(Beifall von den GRÜNEN und Rüdiger Sa- gel [fraktionslos])

Denn eines ist klar: Die Löhne werden dadurch gedrückt – das kann man überall mitbekommen –, die Stammbelegschaften werden ersetzt – im Krankenhausbereich müssten Sie sich mit den Beschäftigten unterhalten können – und die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich. Ganz problematisch finde ich die Gründung von Tochtergesellschaften. Dieser Entwicklung muss man ganz massiv entgegentreten, weil dies auch von sehr seriösen Unternehmen betrieben wird, dass sie sich mittels Tochtergesellschaften einen schlanken Fuß machen und dadurch die Beschäftigten schlechter stellen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Von daher müssen wir viele Aufgaben angehen. Ich finde, dass der Antrag der SPD-Fraktion in die richtige Richtung geht. An der einen oder anderen Stelle müssen wir noch über die Formulierung reden, weil er sehr kurz gefasst ist und damit einige Punkte verkürzt.

Wir fordern nach wie vor, dass man die Ausnahmeregelungen, die bei der Einführung des EqualPay-Systems anstatt der Befristung getroffen worden sind, deutlich eingrenzt, weil damit Tür und Tor für einen Missbrauch geöffnet wird. Wir sind der Auffassung, dass wir starke Tarifverträge brauchen und dass wir diese durch die Aufnahme einer entsprechenden Regelung ins Arbeitnehmerentsendegesetz schützen können. Das wollen wir auf jeden Fall. Es gibt viele andere Punkte, an denen wir im Detail klären müssen, wie und wo man das machen kann.

Ich sage ganz klar: Die Brücke in den ersten Arbeitsmarkt will ich nicht versperren, aber ich bin demgegenüber sehr skeptisch, weil es an vielen Stellen tatsächlich nur eine Brücke in die dauerhafte Zeitarbeit ist. Das will ich ausschließen. Ich finde, Menschen die aus der Arbeitslosigkeit kommen, sollen wirklich herauskommen und nicht durch Lohndumping in eine mindestens genauso schlechte Schleife geschickt werden. Hiergegen müssen wir vorgehen. Wir müssen uns aber sehr genau ansehen, was die guten Beispiele sind, wo und in welchen Bereichen es funktioniert und wo nicht. Klar muss sein: Jede richtige, feste, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist besser. Wir müssen die Unternehmen mehr bestärken und motivieren, Beschäftigte fest einzustellen.

Der Fall Nokia muss eine Konsequenz haben. Es geht aber nicht nur um Nokia, sondern es betrifft mehr als eine Million Beschäftigte in diesem Land. Für die alle muss man ein Stück mehr Sicherheit schaffen. Deswegen freue ich mich auf die Ausschussberatung. Ich hoffe, dass sich zumindest CDU, SPD und wir uns ein Stück näherkommen werden. Wo die FDP steht, das haben wir erlebt. Das ist schade für die Menschen in diesem Land, aber das ist so.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Steffens. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Laumann.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Landesregierung teilt

die Empörung über die Entscheidung von Nokia, den Standort Bochum zu schließen. Inhalt und Art der Entscheidung sind nicht zu akzeptieren. Ich behaupte auch, dass solche Entscheidungen erheblich mit dem Verdruss in unserer Gesellschaft zu tun haben, den wir alle spüren.

(Beifall von der CDU)

Ich behaupte auch, dass diese Entscheidungen am Ende den politischen Rattenfängern in die Hände spielen. Von dieser Stelle appelliere ich noch einmal an Nokia: Ziehen Sie sich bei der Umsetzung der Entscheidung nicht auf das rechtlich unbedingt Erforderliche zurück. Nehmen Sie auch die Leiharbeitnehmer mit in den Blick.

(Beifall von CDU und Thomas Eiskirch [SPD])

Die heutige Debatte zum Thema Leiharbeit weist allerdings weit über die Werkschließung von Nokia in Bochum hinaus. Diese Debatte müssen wir differenziert führen, wie das ja auch getan worden ist. Man darf, so finde ich, die positiven Aspekte der Zeitarbeit als ein notwendiges Instrument für mehr Flexibilität der Unternehmen und als Brücke in Beschäftigung für viele Menschen nicht verschweigen.

Am Anfang der Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes stand damals, etwas dagegen zu tun, dass in Deutschland die Zeitarbeitsbranche unterentwickelt ist, mit einer Liberalisierung der Vorschriften mehr Beschäftigung zu organisieren und Arbeitgebern mehr Flexibilität im Personalmanagement zu ermöglichen. Das waren die Ziele der Reform der Arbeitnehmerüberlassung. Im Übrigen, sehr geehrter Herr Schmelzer, möchte ich darauf hinweisen, dass dieses Gesetz die Unterschrift eines der profiliertesten SPD-Politiker aus Nordrhein-Westfalen trägt.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Dazu habe ich doch etwas gesagt!)

Arbeitsmarktpolitisch spielt vor allem eine Rolle, dass Leiharbeit für arbeitslose Menschen oft die einzige Brücke in Arbeit darstellt.

Aus dem aktuellen Bericht der Bundesagentur für Arbeit geht hervor, dass 67 % der neu abgeschlossenen Zeitarbeitsverhältnisse im ersten Halbjahr 2007 mit Personen abgeschlossen wurden, die unmittelbar davor keine Beschäftigung ausgeübt haben. Von den aus der Nichterwerbstätigkeit kommenden Beschäftigten in der Zeitarbeit war jeder fünfte länger als ein Jahr ohne Beschäftigung, jeder zehnte war zuvor noch gar nicht beschäftigt.

Über Klebeeffekte schaffen nach einer Studie der IAB 15 % der Beschäftigten den Sprung in entleihende Unternehmen. Dazu kommen noch Einstellungen aufgrund eigener Suchaktivitäten der Beschäftigten in den Leiharbeitsunternehmen. Beschäftigte bekommen dort näher und besser mit, wenn Arbeitgeber neue Mitarbeiter suchen.

Die Einstellungschancen verbessern sich, wenn man sich aus einer Beschäftigung heraus bewirbt. Das IAB zitiert Quoten von 30 bis 40 % der Leiharbeitnehmer, die auf diese und andere Weise einen neuen Arbeitsplatz finden. Wenn wir das zu den 15 % addieren, die in den Entleihunternehmen fest angestellt werden, kommen durch die Brückenfunktion der Zeitarbeit Menschen, die vorher arbeitslos waren, in ein Beschäftigungsverhältnis, wie wir es sicherlich alle am liebsten haben, nämlich in eine unbefristete Arbeit in einer Firma, in einer Belegschaft.

(Beifall von CDU und FDP)

Ich bin sehr stolz darauf, dass wir in NordrheinWestfalen mit einer eigenen Zeitarbeitsfirma, nämlich START – sie ist die größte Zeitarbeitsfirma in Nordrhein-Westfalen –, deutlich über den Durchschnittsquoten liegen. START Zeitarbeit ist eine große Zeitarbeitsfirma, die oberhalb der Zeitarbeitstarife zahlt. Wir haben recht gute Klebeeffekte, wodurch Menschen in den ersten Arbeitsmarkt kommen. Sie wissen, dass die START Zeitarbeit in Nordrhein-Westfalen so organisiert ist, dass die Sozialpartner mit in den Aufsichtsgremien sitzen.

Weil die beste Bewerbung die Praxis ist, ist Zeitarbeit besser als Arbeitslosigkeit. Wer seine Fähigkeiten beweisen kann und Wissen in unterschiedlichen Unternehmen sammelt, steigert seine Chancen, durch Leistung einen Arbeitgeber zu überzeugen und eingestellt zu werden.