Meine Damen und Herren, Gesamtschulen gehören raus aus dem politischen Streichelzoo und rein ins Fitnessstudio. Wer behauptet, gymnasiales Abitur und Abitur an den Gesamtschulen seien identisch, da Gesamtschüler im Abiturnotendurchschnitt nur um eine Drittelnote schlechter als Gymnasiasten seien, täuscht wider besseren Wissens die Öffentlichkeit. Sie von der Opposition wissen es im Übrigen besser, denn die Leistungen der Zentralprüfungen gehen überhaupt nur zu einem Fünftel in die Gesamtnote ein. Die Gesamtnote besteht zu 80 % aus Vorleistungen, die rein dezentral an den Schulen vergeben wurden und bei denen es keinen direkten Leistungsvergleich von Gesamtschülern und Gymnasiasten gab. Deshalb ist es nur ehrlich und unverzichtbar, die Abweichungen bei der Zentralprüfung auf die Gesamtnote hochzurechnen. Da zeigen sich eklatante Unterschiede: Dort, wo im direkten Leistungsvergleich Gymnasiasten und Gesamtschüler zusammentreffen, sind die Noten der Gymnasias
ten in der Zentralprüfung fast durchgängig besser als ihre Vornoten, die Noten der Gesamtschüler aber nahezu komplett schlechter als ihre Vornoten. So ist das Evaluationsergebnis.
Der Notenbereich, der zu 80 % den Abiturdurchschnitt ausmacht, unterliegt an Gesamtschulen also einem erkennbaren Notenlifting. In der gemeinsamen Zentralprüfung mit Gymnasiasten weichen Gesamtschüler um bis zu drei Punkte, also eine komplette Note, nach unten ab. Besonders deutlich sind die Ergebnisse in den Naturwissenschaften: Die leistungsstärksten Gesamtschüler in Mathematik, also die Beleger eines Leistungskurses Mathematik, haben mehrheitlich – zu 55 % – eine Prüfungsnote erlangt, die schlechter als „ausreichend“ war.
Die Vornoten im Notenbereich mit „befriedigend“ konnten nicht bestätigt werden. Alle Untersuchungen aus dem Jahr 2007 und aus dem Abiturtermin 2008 zeigen: Wenn ein Gymnasiast und ein Gesamtschüler gleich viel wissen, bekommt der Gesamtschüler bei den Vornoten die bessere Abiturnote und damit in den NC-Fächern schneller einen Studienplatz. Diese Ungerechtigkeit müssen wir beseitigen.
Es gibt weitere große strukturelle Unterschiede von Gesamtschulen und Gymnasien. Die Gesamtschüler zeigen ein anderes Fächerwahlverhalten. Sie belegen punkteträchtige Fächer – auch dies zeigen die Evaluationen – häufiger als Gymnasiasten. Die Gymnasiasten wählen überproportional Leistungskurse in Fremdsprachen, Physik und Chemie, Gesamtschüler stürzen sich überproportional auf Erziehungswissenschaften, Kunst und Sport.
Gymnasiasten und Gesamtschüler treten beim Abitur in den Vergleich, nachdem die Schwächsten der Gesamtschüler – 40 % – die Schule längst verlassen haben; denn 40 % der Gesamtschüler scheitern auf dem Weg zum Abitur. Deshalb sage ich Ihnen von der Opposition: Gesamtschuloberstufen sind die selektivste Schulform in unserem allgemeinbildenden Bildungswesen. Keine andere Schulform trennt sich in nur drei Jahren von fast jedem zweiten Schüler.
Wer Selektivität in unserem Bildungswesen aufheben will, muss daher die Gesamtschuloberstufen abschaffen. Allein im letzten Schuljahr haben sich die Gesamtschuloberstufen von 6.000 Schülern ohne Abitur getrennt. Das sind 6.000 Misserfolgserlebnisse in jedem Jahr!
Hören Sie von der Opposition gut zu! – In einem Viertel der Gesamtschulen ist die Wahrscheinlichkeit eines Schülers, zu scheitern, sogar größer als die, das Abitur zu machen. Das ist die traurige Realität, und es ist schon ein Stück aus dem Tollhaus, meine Damen und Herren,
dass gerade die politischen Kräfte, die ansonsten immer für Einheitssysteme eintreten und diese permanent fordern und wie eine Monstranz vor sich hertragen, eine einheitliche und anforderungsgleiche Oberstufe scheuen wie der Teufel das Weihwasser.
Wenn Sie doch immer Einheitssysteme wollen, dann fangen wir doch einmal mit einer gemeinsamen Oberstufe an. Frau Löhrmann hat gestern pragmatische Lösungen gefordert. Ich sage Ihnen: Mehr gemeinsam lernen und dann noch Prüfungen zu gleichen Bedingungen, das wäre doch einmal etwas.
Die FDP hat 2004 wie die CDU bereits zuvor 2001 in ihrem Petersberger Schulprogramm deshalb beschlossen, Gesamtschuloberstufen perspektivisch abzuschaffen. Wir wollen Gesamtschülern helfen,
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Ihre Hilfe haben die Gesamtschulen erkannt! – Zuruf von den GRÜNEN: Ihnen ist nicht mehr zu helfen!)
indem wir die vorhandenen Ressourcen auf die Förderung leistungsschwacher Schüler in der Sekundarstufe I an Gesamtschulen konzentrieren. Damit wäre insbesondere dem Wohl von Gesamtschülern mehr geholfen.
Diese Position findet auch die volle Unterstützung im Bericht des Landesrechnungshofs aus dem Jahr 2005. Der Landesrechnungshof kritisiert dort, dass aufgrund der hohen Misserfolgsquote an den Gesamtschuloberstufen oftmals Minisysteme mit einem enormen Ressourcenaufwand vorgehalten werden.
Aktuell erreicht die Mehrzahl der Gesamtschuloberstufen in Nordrhein-Westfalen, nämlich 53 %, im Abiturjahrgang nicht mehr die vorgeschriebenen 42 Schüler.
Ich will mit einem letzten Vorurteil aufräumen: Befürworter der Gesamtschule verweisen gerne darauf, dass Gesamtschulen eine wichtige Funktion haben, Kinder sozial zu integrieren und ein wertvolles Schulangebot für Kinder mit Migrationshintergrund zu sein. Das gilt in der Oberstufe ausweislich der amtlichen Statistiken und wissenschaftlichen Evaluationen, die sich endlich im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit befinden, eben nicht. Die Mehrzahl der Migrantenkinder schafft das Abitur am Gymnasium. In Gesamtschuloberstufen scheitert die Mehrzahl.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie haben keine Ahnung. Gehen Sie doch einmal hin und schauen Sie sich das an!)
Die Hälfte der türkischen Jugendlichen schafft das Abitur am Gymnasium, an Gesamtschulen scheitern zwei Drittel.
Deshalb ist es so erkenntnisreich, dass bei der Abiturevaluation Gymnasien gleicher Struktur in Bezug zu Gesamtschulen gesetzt und vergleichbar gemacht worden sind. Ein Sechstel der Gymnasien in Nordrhein-Westfalen hat eine mit Gesamtschulen absolut vergleichbare Struktur.
Es zeigt sich: Während an Gesamtschulen 40 % scheitern und das Abitur nicht bestehen, sind es an Gymnasien nur 26 %.
Die Leistungsunterschiede bei einer identischen Schülerschaft sind also systembedingt. Deshalb empfehle ich Ihnen sehr dringend: Rücken Sie von Ihren Vorstellungen eines Einheitssystems ab und orientieren Sie sich stattdessen stärker an den Erkenntnissen, die uns John F. Kennedy hinterlassen hat. Denken Sie an sein Kredo: Wir helfen den Schwachen nicht dadurch, dass wir die Starken schwächen.
Lassen Sie uns deshalb die Gesamtschüler so unterstützen, wie es die Schulministerin vorschlägt, nämlich mit entsprechenden Fördermaßnahmen,
Damit bin ich bei meiner allerletzten Bemerkung, Herr Präsident: Sie kennen aus der Zeit Ihrer rotgrünen Regierungsverantwortung seit dem Jahr 2000 die Unterschiede im Abitur. Sie haben unter Rot-Grün im Jahr 2000 festgestellt, dass ein Drittel der Abiturnoten an Gesamtschulen zu gut vergeben worden ist. Sie haben nicht gehandelt. Es ist richtig, dass diese Landesregierung die Probleme jetzt anpackt.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Witzel, ich glaube, Sie begleitet ein Trauma.
Seit frühester Kindheit müssen Sie irgendwie Gesamtschulen hassen. Anders kann ich mir Ihre Ausführungen nicht erklären.
Herr Kaiser, ich vermute, Sie waren während der Sommerpause zwei Monate in Urlaub. Anders kann ich Ihre Rede zum Zentralabitur 2008 nicht einordnen.
Ich möchte klar und deutlich sagen, um was es uns heute in der Aktuellen Stunde geht: Man muss feststellen, dass das Abitur 2008 ein Pannenabitur war, wie es in der Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen einmalig ist.
Es geht dabei nicht um die Leistungen der Schülerinnen und Schüler, die ausgezeichnet sind, und die Leistungen der Lehrerinnen und Lehrer, die ebenfalls ausgezeichnet sind, sondern es geht schlicht und einfach um das Krisenmanagement bei diesem Abitur. Das war das zentrale Problem, nicht die erbrachten Leistungen, über die wir uns genauso freuen wie die Landesregierung. Das ist gut für die Schülerinnen und Schüler.
Ich komme jetzt auf die aktuelle Debatte zu Gesamtschulen und Gymnasien zurück, den eigentlichen Kernpunkt der heutigen Diskussion. Ich stelle fest: Die Gesamtschulen und Gymnasien haben
Nach wie vor muss ich aber auch feststellen, dass Gesamtschulen und Gymnasien unterschiedliche Startchancen auf dem Weg zum Abitur haben. Das kann man nicht leugnen.