Protokoll der Sitzung vom 28.08.2008

Eine Differenz von 0,28 Punkten ist aus unserer Sicht eine minimale Differenz.

(Widerspruch von Ralf Witzel [FDP])

Herr Witzel, hören Sie auf, dazwischenzureden.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Wider- spruch von der CDU)

Ich sagen Ihnen noch etwas: Indem Sie ständig mit den Vornoten anfangen, blenden Sie aus, dass es neben dem Zentralabitur, das wir übrigens im Jahr 2004 eingeführt haben,

(Beifall von der SPD)

zwei weitere Messindikatoren gibt, um festzustellen, wie es um die Transparenz der Ergebnisse im System bestellt ist. Herr Witzel, Sie wissen es: Das sind die Lernstandserhebungen, die sowohl in der Grundschule als auch in den weiterführenden Schulen durchgeführt werden. Anhand der Lernstandserhebungen ist bereits festzustellen, wie die Leistungsstände der Schülerinnen und Schüler sind. Nur wird im Gegensatz zum Zentralabitur bei den Lernstandserhebungen der Standorttyp der Schule berücksichtigt. Der Sozialraum der Schule spielt eine Rolle und wird mit beachtet. Das geschieht beim Zentralabitur nicht.

Nein, es kommt viel schlimmer: Dieses Zentralabitur wird von der Schulministerin dieses Landes bei den Gesamtschulen bewusst als „Abitur light“ bezeichnet. Mit welcher Begründung wird bei gleicher Aufgabenstellung das Abitur bei den Gesamtschulen als „Abitur light“ bezeichnet? Das kann man keinem Menschen erklären.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Nach der Rede von Herrn Witzel erwarte ich von der Schulministerin des Landes NordrheinWestfalen eine eindeutige Aussage zu den Oberstufen und der Zukunft der Oberstufe an den Gesamtschulen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Ich möchte wissen, was hier in Nordrhein-Westfalen damit passieren soll.

Ich sage Ihnen noch etwas: 9.000 Schülerinnen und Schüler haben in diesem Jahr an den Gesamtschulen ihr Abitur gemacht.

(Ralf Witzel [FDP]: 6.000, die es nicht ge- macht haben!)

Herr Witzel, hören Sie endlich auf! Es gibt auch Schüler, die in Klasse 12 mit der Fachhochschulreife abschließen. An den Gesamtschulen gibt es unterschiedliche Abschlüsse.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

9.000 Schüler, das sind 7 % der 52 % der Studienberechtigten, die wir durch den Bildungsmonitor ermittelt bekommen haben. Frau Ministerin, damit landen wir in Nordrhein-Westfalen auf Platz 5 und erreichen die Forderung des Bildungsrates nach 50 % Studienberechtigter. Wollen Sie das einfach riskieren und sagen, dass wir das nicht brauchen und abschaffen müssen, dass wir sie außen vor lassen und ausblenden?

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wie gehen Sie mit den 9.000 jungen Menschen und den 15.000 Eltern um, die ihre Kinder gar nicht mehr an Gesamtschulen anmelden, weil Sie eine Salamitaktik, einen Feldzug, eine Kampagne gegen die Gesamtschulen fahren? Wie gehen Sie mit diesen Menschen in Nordrhein-Westfalen um?

Empörung hat bei mir ein Satz der Ministerin hervorgerufen – ich zitiere von ihrem Sprechzettel für die Schuljahrespressekonferenz –: Ich kann das häufig vorgebrachte Argument einer schwierigeren Sozialstruktur der Schülerinnen und Schüler an der Gesamtschule nicht mehr hören. – Das finde ich wirklich schäbig, eine Frechheit, und das wird den Menschen auch nicht gerecht.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Eine Frechheit ist das! – Marc Jan Eumann [SPD]: Ein Skan- dal!)

Eine Stunde vorher diskutieren wir über einen Integrationsbericht – und dann kommt dieses Zitat von Ihrem Sprechzettel, wohl wissend, dass das Land Nordrhein-Westfalen gerade einen Integrationsbericht eingebracht hat, dass wir uns alle um Integration kümmern wollen. Aber Sie blenden Sozialräume und soziale Bedingungen völlig aus und sagen: Ich kann es einfach nicht mehr hören.

Ich zitiere aus der „WAZ“ von heute. Ein Journalist stellt eine Frage, die ich völlig berechtigt finde:

An Gesamtschulen finden Sie doch viel mehr Schüler mit problematischem Hintergrund. Und die werden trotzdem zum Abitur gebracht.

Und Sie antworten:

Ist es nicht ein Vorurteil, dass Schüler aus anderen sozialen Zusammenhängen später in der Oberstufe schlechter sein müssen?

Vielleicht ist das ein Vorurteil, Frau Ministerin. „Aber wie kommen die in die Oberstufe hinein?“ frage ich Sie. Das ist doch die zentrale Frage!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Welchen Zugang schaffen Sie für Schüler aus schwierigen Sozialräumen? Das ist die Frage, die Sie beantworten müssen. Da bin ich auf Ihre Antwort gespannt.

(Vorsitz: Vizepräsident Edgar Moron)

Wenn Sie sagen: „Wir fördern ja in der Grundschule“ – das haben Sie auch in dem Interview gesagt –, dann frage ich mich, was die Schüler des Abiturjahrgangs 2008 von der Förderung in der Grundschule haben, die Sie immer als individuelle Förderung verkaufen, die aber nirgendwo stattfindet – jedenfalls für uns nicht wahrnehmbar.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Eine Frage noch: Warum kommt diese Attacke gegen die Gesamtschulen? Dazu sage ich Ihnen eines: Das ist ein pures Ablenkungsmanöver von Ihrer chaotischen Politik vor der Sommerpause.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Sie kommen aus der Sommerpause heraus, Sie sind politisch angeschlagen. Und was macht man, wenn man politisch angeschlagen ist? Man sucht sich ein anderes Opfer. Das Opfer waren in diesem Fall die Gesamtschulen des Landes Nordrhein-Westfalen. Ich finde es verantwortungslos, 220.000 Schülerinnen und Schüler und 18.000 Lehrerinnen und Lehrer derart zu diffamieren. – Danke.

(Anhaltender Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schäfer. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält Frau Beer das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen heute ernsthaft und ohne Aufregung miteinander reden, wenn wir wirklich eine positive Entwicklung für die Schülerinnen und Schüler in diesem Land wollen. Deswegen ist es auch so fatal, Frau Ministerin, dass Sie sich in Ihrer Auftaktpressekonferenz offensichtlich vor einen ideologischen Karren haben spannen lassen und Polemik gegen eine Schulform ausgebracht haben. Wir haben

von Ihnen erwartet, dass Sie Antworten auf die Fragen geben, die die Schulen wirklich bewegen: Was wird mit den vermaledeiten Kopfnoten? Was passiert, wenn der Fonds „Kein Kind ohne Mahlzeit“ ausläuft? Was wird mit den Fachlehrkräftestellen, die nicht besetzt sind? Was ist mit den Schulleitungsstellen, die nicht besetzt sind? – Aber Sie betreiben pure Ideologie.

Das wird auch nicht dadurch geheilt, dass Sie, Frau Ministerin, in der „WAZ“ heute mit den Worten zitiert werden: „Ich liebe alle Schulformen so wie eine Mutter ihre Kinder: alle gleich“.

(Zurufe von der SPD: Ui! – Unruhe von GRÜNEN und SPD)

Ich fände es besser, von der Ministerin zu hören: Ich liebe alle Schülerinnen und Schüler. – Das ist die Botschaft, die wir von Ihnen haben wollen!

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Frau Ministerin, mal von Mutter zu Mutter gesprochen: Kinder müssen motiviert und nicht beschämt und ungerecht behandelt werden, wenn sie Ihnen wirklich am Herzen liegen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Dass Sie genau die Schülerinnen und Schüler und die Lehrkräfte der Gesamtschulen mit Ihrer Pressekonferenz in der letzten Woche vor den Kopf gestoßen haben, das ist allerdings Fakt. Die Kolleg(inn)en fühlen sich diffamiert, die Schüler/-innen fühlen sich in ihren Leistungen entwertet und die Eltern sind ebenfalls entrüstet und aufgebracht. Das ist nur ein Beispiel für die Empörung und auch die Enttäuschung über Sie, die durch das Land geht. Ich meine den Artikel in der heutigen „WAZ“, in dem sich Gesamtschüler/-innen aus Dortmund-Nord zu Wort melden, die sehr genau wissen, welche Chancen ihnen gerade die Gesamtschule gegeben hat, Chancen, die sie am Gymnasium niemals gehabt hätten.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Absurd wird Ihre Inszenierung vor allen Dingen dadurch, dass auf der einen Seite das Zentralabitur über den grünen Klee gelobt und verkündet wird, Gesamtschüler/-innen würden ein „Abi light“ ablegen, und die Ministerin heute in der „WAZ“ Krokodilstränen vergießt und sagt: „In der öffentlichen Wahrnehmung ist das Gesamtschulabitur leider weniger wert.“ Dabei sind es doch Sie, die genau diesen Eindruck herbeiführen. Das ist fahrlässig!

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Nur einen Punkt finde ich in dem Interview in der heutigen „WAZ“ gelungen, nämlich dass Sie, Frau Ministerin, offensichtlich den Kollegen Witzel mit seiner Anti-Gesamtschul-Schreierei als „Rumpelstilzchen“ bezeichnen.

(Heiterkeit von Ralf Witzel [FDP])