Protokoll der Sitzung vom 17.09.2010

(Armin Laschet [CDU]: Antworten Sie doch mal Sarrazin! Der ist doch Sozialdemokrat!)

Denn eines der größten Probleme in der Integrationspolitik ist, dass diese Politik einer ganz unrühmlichen, negativen Konjunktur unterliegt. Erinnern Sie sich an die Rütli-Debatte 2006. Da hatten wir denselben Ausschlag. Ich habe diesen Vorgang noch einmal aus meinem Hängeordner geholt. Die Überschriften – fast die gleichen wie jetzt –: starke Sprüche, mit Multikultigesäusel muss endlich aufgehört werden, wir brauchen mehr Sanktionen, die Leitkulturdebatte.

Ja, und es gab damals – daran will ich Sie erinnern, Herr Laschet – auch andere, die sich in dieser Phase aus den politischen Lagern aufeinander zu bewegt haben. Es gab einen Herrn Schäuble, der in dieser Situation gesagt hat: Der Islam ist ein Teil Deutschlands. – Ein schlichter Satz, aber ein wichtiger Satz, der meint: „Wir akzeptieren diese multikulturelle“

(Zuruf von der CDU)

jawohl, dieses Wort darf man sagen! –, „diese multiethnische und die multireligiöse Gesellschaft.“ Sie ist Fakt, und mit der müssen wir umgehen.

Und es waren Sie als Integrationsminister, der 2006 in dieser aufgeheizten Debatte – ich will Sie an Ihre eigenen Zitate erinnern – in einem Interview der „Berliner Zeitung“ gesagt hat: Aber auch in der Politik in Deutschland haben wir zu spät mir der Integration angefangen. Die Union hat zu spät erkannt, dass wir ein Einwanderungsland sind und eine Einwanderungspolitik brauchen. – Diese Selbstkritik, diese selbstkritische Reflexion, die Sie damals in Ihre eigene Partei hineingebracht haben, waren Handlungsgrundlage für einen Konsens, den es auch hier im Parlament gab. Und von dieser Linie haben Sie sich heute mit Ihrer Rede verabschiedet, und ich bedaure das sehr, Herr Laschet.

(Beifall von den GRÜNEN – Armin Laschet [CDU]: Wo denn? Wo denn?)

Ich bedaure das sehr; denn der Vorwurf, der hier pauschal erhoben wird – da hätten alle geschlafen und man warte nur auf den nächsten Ehrenmord, um dann gemeinsam wieder aufzuwachen –, der stimmt ja nicht.

(Zuruf von der CDU)

Schauen Sie es sich doch mal an – das ist doch auch in Ihrer Amtszeit passiert –, was in den Kommunen gelaufen ist: Integrationskonzepte, Umstellung von Verwaltungsstrukturen, indem in vielen Kommunen Integrationspolitik Chefsache geworden ist, Einrichtung von Stabsstellen bei den Oberbürgermeistern.

Und unser nächstes Ziel ist es, im Landtag gemeinsam ein Integrationsgesetz zu verabschieden, das genau diesen Prozess weiter steuert.

Und – das ist natürlich richtig – wir alle im Landtag müssen uns fragen, warum sich trotz eines bundesweiten Bevölkerungsanteil der Menschen mit Migrationshintergrund von 20 % – in NRW sind wir bei fast 25 % – diese Einwanderungsgesellschaft zum Beispiel nicht in unserem öffentlichen Dienst widerspiegelt, wo nur 2 % bis 2,5 % Angestellte mit Migrationshintergrund arbeiten. Warum klappt das in der Nationalelf überproportional und warum klappt das im öffentlichen Dienst nicht? Warum klappt das nicht bei den Banken und Versicherungen?

(Beifall von den GRÜNEN)

Bei der Polizei – ich will das deutlich sagen – liegt diese Quote durch gezielte Werbemaßnahmen weit höher. Aber auch dort ist sie noch viel zu niedrig.

Damit müssen wir uns beschäftigen. Und da helfen uns irgendwelche dämlichen Sanktionsdebatten bezüglich Integrationsverweigerer überhaupt nicht weiter,

(Beifall von den GRÜNEN und von der LIN- KEN)

denn da sind wir beim Dreh- und Angelpunkt in der Integrationspolitik: und das ist und bleibt die Bildungspolitik. Hier muss sich einiges tun, denn wir haben – und das ist Fakt – ein selektives Bildungssystem, in dem die Menschen mit ihren Schwächen und ihrem Förderungsbedarf nicht ausreichend mitgenommen und gefördert werden. Denn – auch das muss uns als Politikern zu denken geben –: In der Hauptschule ist jeder fünfte Jugendliche einer mit einem ausländischen Pass, am Gymnasium nur jeder zwanzigste. Bei den Migranten haben wir eine doppelt so hohe Schulabbrecherquote. – Das sind die Hausaufgaben, die wir im Parlament machen müssen.

Sprechen wir von einem Defizit, dann handelt es sich dabei um ein Defizit in unserem Bildungssystem, das es nicht schafft, alle mitzunehmen, das zu viele zurücklässt, zu wenige am Bildungserfolg teilhaben lässt. – Das sind die Hausaufgaben, die wir machen müssen. Dafür brauchen wir Herrn Sarrazin weiß Gott nicht.

(Beifall von den GRÜNEN und von der SPD)

Ich will es noch einmal ganz klar sagen: Die wirre These, dass Mehmet dümmer als Max ist, ist Schwachsinn in Tüten. Das hilft in dieser Debatte überhaupt nicht weiter.

Ich will noch einen Vertreter aus einer anderen als unserer Partei zitieren, der das schon sehr früh erkannt hat. Das war Heinz Kühn, der spätere Ministerpräsident. Schon 1979 hat er als erster Integrationsbeauftragter der damaligen Bundesregierung in seinem ersten Bericht genau dies gesagt:

(Armin Laschet [CDU]: Aber keiner hat auf ihn gehört!)

Unser Bildungssystem muss versuchen, diese Menschen zu besseren Bildungsabschlüssen zu bringen. – Seit 1979 sind viele Jahre vergangen.

Diese Regierung wird – das ist in der Regierungserklärung und in der Debatte deutlich geworden – genau dieses Thema angehen und Schritt für Schritt für mehr Bildungsgerechtigkeit sorgen. Eine Bildungsgerechtigkeit ist die beste Integrationspolitik für dieses Land. Dafür brauchen wir Ihre Rede nicht, Herr Laschet, dafür brauchen wir auch Herrn Sarrazin nicht.

(Beifall von den GRÜNEN und von der SPD)

Das war Frau Abgeordnete Düker für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Hafke das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin über die Debattenkultur hier im Hause schon überrascht. Ich habe in dieser Debatte extrem viel Unkonkretes gehört und eigentlich nur Vorwürfe von links nach rechts. Ich finde eine solche Debatte unheimlich schwierig, wenn man nicht anfängt, die Gesamtthematik zu diskutieren. Wir haben in NordrheinWestfalen und Deutschland insgesamt, glaube ich, viel Gutes in der Integration erreicht. Man muss aber auch Probleme benennen, um sie hinterher lösen zu können.

Ich darf einmal bei Ihnen von der rot-grünen Minderheitsregierung anfangen. Herr Minister, Sie müssen liefern. Sie können nicht einfach nur irgendwelche plakativen Forderungen aufstellen, sondern Sie müssen uns aufzeigen, wohin Sie gehen wollen.

(Beifall von der FDP)

Herr Minister, Sie haben eben keinen einzigen konkreten Vorschlag unterbreitet. Sie haben gesagt, Sie wollen ein Integrationsgesetz auf den Weg bringen. Was soll denn dort drinstehen? Schwarz-Gelb hat wenigstens den Mut zu sagen, dass es Probleme gibt und dass wir anfangen müssen. Schwarz-Gelb hat auch erkannt, wo die Probleme sind.

In der Bildungspolitik gibt es Probleme. Wir müssen bei den Kleinsten und bei den jungen Menschen anfangen, um die Probleme zu lösen. Wir müssen die Sprachförderung verbessern. Deswegen haben wir doch verbindliche Sprachtests vorgeschrieben.

Wir haben versucht, dort die ersten Probleme zu lösen. Ich erwarte heute auch von Ihnen, dass Sie hier zum ersten Mal einen konkreten Vorschlag bringen. Das haben Sie meines Erachtens noch nicht gemacht.

(Beifall von der FDP)

Herr Atalan, wenn Sie hier solche meines Erachtens einfachen Reden halten, lösen Sie keines der Probleme, die Sie benannt haben. Herr Laschet hat es angesprochen: Sie regieren in Berlin. Berlin ist, glaube ich, die Stadt mit den größten Integrationsproblemen in Deutschland. Von diesem Rednerpult aus dann einfach nur zu kritisieren, ist etwas einfach. Ich wünsche mir konkrete Lösungsvorschläge.

Meine Damen und Herren, ich möchte einige Punkte auflisten, bei denen Integration sehr gut funktioniert. Sie wurden hier noch nicht erwähnt.

Ich habe in einem Bericht gelesen, dass in Deutschland 88.000 selbstständige türkische Unternehmer 380.000 Mitarbeiter beschäftigen. Wir haben 587.000 Selbstständige mit Migrationshintergrund. Das sind 2,5 Millionen Jobs, die Menschen mit Migrationshintergrund geschaffen haben. Das heißt: Wir haben große Perspektiven und Chancen, wenn wir Zuwanderungspolitik und Integrationspolitik richtig anfangen.

Deshalb möchte ich einen Vorschlag, den Stefan Romberg eben eingebracht hat, konkretisieren: Wir können Integration nur vernünftig und über Perspektiven hinbekommen, wenn wir in der Bildungspolitik anfangen. Schwarz-Gelb hat schon vorgeliefert. Das müssen wir noch ausbauen.

Wir sollten deswegen über den Bereich der frühkindlichen Betreuung und Erziehung ausführlicher diskutieren. Wir sollten über eine Migrationspolitik für alle Kinder im Sinne eines Miteinanders diskutieren. Wir sollten schauen, dass möglichst vielen Kindern ein Kindergartenbesuch ermöglicht und ihnen gegebenenfalls ein Bildungsgutschein für ein kostenfreies Kindergartenjahr zur Verfügung gestellt wird, und zwar nicht am Ende der Kindergartenzeit, sondern vielleicht schon am Anfang oder zwischendrin, um ihnen eine Chance zu eröffnen, früh an Bildung teilzuhaben, damit sie an unserer Gesellschaft von vornherein partizipieren können.

Sprache ist der Schlüssel zu allem. Darüber haben wir heute sehr wenig diskutiert, sondern nur sehr viele Vorwürfe erhoben. Ich würde mir wünschen, dass wir dieses Thema später vertiefen. Bildung ist der Schlüssel! – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP sowie vereinzelt von der CDU)

Das war der Abgeordnete Hafke für die Fraktion der FDP. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion Die Linke Frau Abgeordnete Dr. Butterwegge das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Danke. – Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte, die hier geführt wird, und insbesondere der Redebeitrag von Herrn Laschet waren die Höhe des Populismus und heuchlerisch.

(Beifall von der LINKEN)

Meine zentrale These lautet: Die Migrationspolitik der vergangenen Jahrzehnte und die Integrationsdebatten, die geführt worden sind und die wir heute wieder führen – insbesondere die Art und Weise, wie sie die rechtskonservativen Parteien geführt haben – und die daraus abgeleiteten Forderungen haben den fruchtbaren Boden für die große Resonanz bereitet, auf den Sarrazins Thesen in der Bevölkerung jetzt fallen.

(Beifall von der LINKEN – Armin Laschet [CDU]: Das ist doch ein Linker!)

Das möchte ich begründen. Lassen Sie uns die Migrationspolitik der vergangenen Jahrzehnte anschauen. Das ist eine Migrationspolitik, die spaltet, den roten Teppich für Zuwanderer ausrollt, die uns nützen, die Abschottungspolitik gegen Zuwanderer praktiziert, die uns ausnützen. – Ich zitiere Günter Beckstein.

Diese spaltende und ökonomisierende Art der Migrationsdebatte ist der Kern des Problems. Ihre Partei fördert die Elitenmigration und wehrt die Elendsmigration ab.

(Armin Laschet [CDU]: Das war ein rot- grünes Gesetz!)

Ein Beispiel: Die Neuzuwanderung soll vor allem auf Hochqualifizierte ausgerichtet werden. Das sind jene, die unser Wirtschaftsstandort braucht. Gegenüber den Flüchtlingen und den Asylsuchenden, gegenüber denjenigen, die unsere Hilfe brauchen, wird Abschottungspolitik, wird Restriktionspolitik praktiziert.

(Beifall von der LINKEN)

Diese Menschen speisen wir mit Sachleistungen, mit Lebensmittelgutscheinen ab. Ich kann RotGrün davon leider nicht ausnehmen, denn auch NRW schiebt diese Menschen – wie zuletzt vor einigen Wochen die Roma – in den Kosovo ab.