Protokoll der Sitzung vom 27.01.2016

(Beifall von der FDP)

Denn niemand, egal woher er kommt und wer er ist, hat das Recht, jemanden gegen dessen Willen anzufassen. Darin, dass dieser Satz heute überhaupt noch einer Bekräftigung bedarf, liegt ein Skandal, der weit über die schrecklichen Vorkommnisse hinausreicht. Was muss also geschehen?

Einerseits muss das geschehen, was vielen hier als das Naheliegendste erscheint und was die öffentliche Diskussion beherrscht: Die Straftaten müssen restlos aufgeklärt werden, und die Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Die Frauen müssen das Gefühl haben, von der Justiz ernst genommen zu werden.

Jenseits dieser Forderungen, welche lauthals vorzutragen die wenigsten sich scheuen, herrscht aber viel zu oft Schweigen und Ratlosigkeit. Dieses Schweigen muss gebrochen werden, und zwar nicht nur hier im Parlament, sondern überall. Nach Silvester noch zu sexueller Gewalt zu schweigen, wäre ignorant, wäre undemokratisch, wäre den Opfern gegenüber höhnisch.

(Beifall von der FDP)

Ernsthaft geredet und diskutiert wird viel zu wenig. Es wird geschrien, gepöbelt, gepoltert; es werden Schuldige hergezerrt und Parolen herbeizitiert – am unerträglichsten auch vom Innenminister unseres Landes.

Seit ich diesem Parlament angehöre, habe ich hier schon einiges erlebt. Aber der Auftritt des Ministers in der vergangenen Woche im Frauenausschuss sucht seinesgleichen. Er berichtete in epischer Breite über Technisches, über die Polizei, über dieses und jenes – nur über eines nicht: über die Opfer. Da ließ er dann jegliche Empathie, jegliche Anteilnahme vermissen und trat mit einer Arroganz und Wurstigkeit gegenüber den Abgeordneten auf, dass es mir und mancher Kollegin schwer fiel, ruhig zu bleiben.

Zum Thema „Opfer“ ließ er dann schließlich seinen Abteilungsleiter berichten. Als ich mich in den sozialen Netzwerken, wie es sich für eine Oppositionspolitikerin gehört, an diesem erbärmlichen Verhalten störte, fand er fast unverzüglich die Zeit, meinen Tweet in diesem Ausschuss vorzulesen. Aber nachzufragen, wie es den Opfern gehe, konkrete Maßnahmen anzubieten? Da vermisst meine Fraktion leider noch einiges vonseiten der Landesregierung.

(Beifall von der FDP)

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir haben nachgefragt. Ich habe sehr zeitnah eine Kleine Anfrage dazu gestellt. Meine Fraktion hat nicht nur eine Sondersitzung in diesem Haus beantragt, sondern auch sehr früh konkrete Maßnahmen in einem Entschließungsantrag gefordert.

Ich bekomme inzwischen starke Bauchschmerzen, wenn ich an die nächsten gesellschaftlichen Großereignisse in unserem Land denke. Wie wollen Sie eigentlich die innere Sicherheit während der Tage des Karnevals managen? Sollen die Frauen da zu Hause bleiben? Für alle Bürger in unserem Land hoffe ich sehr, dass der Minister hier souveräner und besser ist als in der letzten Frauenausschusssitzung.

Ich komme noch einmal zum Thema „Opferhilfe“. Die negativen und traurigen Ereignisse während der Silvesternacht haben uns verdeutlicht, dass es wirklich überfällig ist, hierüber zügig zu debattieren und zu einer zufriedenstellenden Lösung zu kommen. Dieses Thema dürfen wir nicht mehr auf die lange Bank schieben. Es ist doch ein Treppenwitz, dass Tierschutzvereine jährlich mehr Geld bekommen als der Weiße Ring für Opferhilfsmaßnahmen.

(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Ich fordere Sie alle hier im Haus auf, an dieser Stelle unserer Entschließung zu folgen. In der Vergangenheit gab es im Frauenausschuss stets heftige Diskussionen beispielsweise zum Genderwahnsinn. Doch bei einem Thema herrschte immer wieder Konsens: beim Thema „Gewalt gegen Frauen“.

Daher fand ich es ausgesprochen schade, dass die Kolleginnen von Rot-Grün hier einen eigenen Antrag gebastelt haben, der uns heute vorliegt. Sehr gerne hätte meine FDP-Fraktion Sie dabei unterstützt. Das wollten Sie aber anscheinend nicht. Daher liegt Ihnen von uns nun ein Entschließungsantrag vor.

Da es uns um die Opfer geht, ist Ihr Antrag in weiten Teilen optimiert. Lassen Sie uns gemeinsam gegen sexuelle Gewalt kämpfen. Das dürfen die vielen verunsicherten Menschen in unserem Land von uns erwarten. An uns Freien Demokraten soll das nicht scheitern. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP und Regina van Dinther [CDU])

Vielen Dank, Frau Schneider. – Für die Piratenfraktion spricht nun Herr Olejak.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vorab eine kurze Anmerkung: Frau Schneider, was diese Sache mit den Entschließungsanträgen betrifft, hege ich die große Hoffnung, dass wir es am Ende der Debatte, nach der Ausschussbehandlung, schaffen,

diese Entschließungsanträge komplett in die Tonne zu kippen und stattdessen einen Änderungsantrag aller Fraktionen im Plenum zu behandeln. Das wäre in meinen Augen ein richtiger Ansatz, statt das direkt am Anfang der Debatte mit extrem verfestigten Positionen ins Leere laufen zu lassen.

Frau Jansen, eine kurze Anmerkung zu der Bezugnahme auf die Leisetreter, die sich in diesem Zusammenhang in Form der Gründung von Bürgerwehren engagieren: Ich möchte es hier ganz einfach einmal so formulieren: Männer, die der Meinung sind, dass Frauen Objekte sind, die man nach Gutdünken behandeln und jetzt vielleicht auch missbrauchen kann, indem man sie als Opfer herhalten lässt, um die eigenen politischen Interessen nach vorne zu bringen, braucht dieses Land nicht.

(Beifall von den PIRATEN und der SPD)

Frau Schneider, zu Ihrem Ansatz, dass die Frauen das Gefühl haben müssen, von der Justiz ernst genommen zu werden, muss ich sagen: Das stimmt schon; aber bezüglich des Sicherheitsgefühls sind wir Piraten sehr, sehr vorsichtig. Ich würde sagen: Die Justiz muss die Belange der Opfer und die Opfer selber ernst nehmen. Das gilt nicht nur für die Justiz, sondern auch die Polizei und das Innenministerium – jedes Ressort dieses Landes – müssen die Opfer ernst nehmen.

(Beifall von den PIRATEN)

Frau Paul, eine kurze Anmerkung dazu, dass die CDU so lange gebraucht hat, um zu reagieren: Wir erinnern uns, dass es, als es um die sexualisierte Gewalt in der Ehe ging, auch bis weit in die 80erJahre gedauert hat, bis die CDU reagierte. Von daher – immerhin. Manche Dinge brauchen eben, wie in diesem Fall, länger. Aber dann kommt doch noch etwas.

Jeder Punkt, der heute hier grob eingebracht worden ist, zeigt in die richtige Richtung. Wie gesagt, ich erweitere das noch einmal, gerade in Bezug auf Silvester – wir haben hier jetzt auch den PUA, das wurde von Ihnen so beschlossen –: Ich werfe hier noch ein, dass ein Deeskalationskonzept das ist, was im Hinblick auf die Opfer und ihre Belange nicht nur in der Silvesternacht, sondern auch bei vielen anderen Veranstaltungen eindeutig fehlte. Bei solchen Großveranstaltungen muss es im Sinne der Prävention von vornherein ein Deeskalationskonzept geben. Das gibt es einfach nicht. Es fehlt ein Deeskalationskonzept; das muss her. – Punkt eins.

Punkt zwei. In der Ausbildung und Fortbildung im Innern – bei der Polizei – ist eine Sensibilisierung der Beamtinnen und Beamten im Umgang mit der Öffentlichkeit und in der Behandlung von Opfern erforderlich. Das muss hier noch mit hinein.

(Beifall von den PIRATEN)

Wenn wir uns das Ganze noch einmal im Gesamten angucken – großartig –: Da sind ein Antrag der re

gierungstragenden Fraktionen und ein Antrag des fraktionslosen Abgeordneten Schwerd. Sie sollen an den Ausschuss für Frauen, Gleichstellung und Emanzipation – federführend – überwiesen werden. Das ist ein Aspekt, der bedeutet, dass man von dort aus interfraktionell und interdisziplinär etwas anschieben kann. Wir würden uns wünschen, dass von vornherein nicht nur das Innenministerium Erkenntnisse daraus ziehen könnte, die einzubeziehen sind, sondern dass mehr oder weniger von Anfang an auch das Integrationsministerium daran beteiligt ist. Herr Minister Schmeltzer, das Integrationsministerium wird dabei nach wie vor zu wenig hereingeholt. Auch da können wir zusehen, dass wir eine deutliche Verbesserung hinbekommen.

Ganz ehrlich: Ich freue mich auf die Behandlungen im Ausschuss und danke Ihnen im Vorfeld.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die SPD-Fraktion hat noch einmal Frau Kollegin Jansen um das Wort gebeten, das sie selbstverständlich auch bekommt.

Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte nur noch ganz kurz auf zwei Punkte eingehen. Wir haben in unserem Antrag das Ziel formuliert, Gewaltschutzkonzepte in Flüchtlingseinrichtungen zu etablieren, da Mädchen und Frauen gerade dort oftmals sehr bedrängt werden, auch aufgrund der räumlichen Situation. Genauso wichtig ist uns – das haben wir auch aufgenommen –, dass geflüchtete Menschen umfassend über die in Deutschland grundgesetzlich verankerte Gleichberechtigung von Mann und Frau aufgeklärt werden müssen. Das ist völlig richtig.

Deswegen ist mir, liebe Kollegin Scharrenbach, der Punkt, den Sie unter II angeführt haben, besonders wichtig:

„Die Gründe für die sexuellen Übergriffe in einem solchen Ausmaß müssen genau analysiert werden. Erst dann kann man spezielle Maßnahmen zur Verhinderung von sexualisierter Gewalt durch eine besondere Gruppe von zugewanderten Männern ergreifen.“

Ich glaube, dass dieser Satz in die Irre führt, denn dann haben wir genau das Problem der Ethnisierung von Gewalt und der Zuschreibung von sexueller Gewalt an bestimmte Männer- oder Tätergruppen, und genau das wollen wir nicht. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Wenn Sie noch einen kleinen Moment bleiben: Vor Ende Ihrer Rede hatte Frau Kol

legin Scharrenbach den Wunsch geäußert, Ihnen eine Zwischenfrage zu stellen. Ich vermute, Sie lassen sie zu?

Frau Kollegin, bitte.

Frau Jansen, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Diese genaue Analyse der Vorkommnisse mit Ableitung spezieller Maßnahmen ist, offen gesagt, aus dem Bericht des Innenministeriums von letzter Woche übernommen. Wenn Sie also dem Bericht des Innenministeriums an dieser Stelle widersprechen wollen, können Sie das jetzt gern tun.

(Zurufe von der SPD: Wo ist die Frage?)

Auch ich sehe das Fragezeichen im momentan noch nicht, Frau Kollegin.

(Heiterkeit)

Oder ich sehe eines, aber …

Möchten Sie dem Innenminister damit widersprechen?

Vielen Dank für die Frage, Frau Kollegin Scharrenbach. Ich möchte dem Innenminister an dieser Stelle selbstverständlich nicht widersprechen. Aber der Zusammenhang, den Sie in Ihrem Feststellungskatalog hergestellt haben, wobei Sie als letzten Punkt die Maßgabe wählen, dass man zunächst einmal gucken muss, warum es in einer bestimmten Gruppe zugewanderter Menschen eigentlich Gewalt gibt, scheint uns hier völlig fehl am Platz zu sein. – Danke.

Frau Kollegin Jansen, noch einmal danke. – Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Steffens zu uns.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit,