Alle Fraktionen haben sich darauf verständigt, heute keine Aussprache durchzuführen, sondern die Überweisung des Antrags Drucksache 16/10782 zu empfehlen, und zwar an den Integrationsausschuss – federführend –, an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend sowie an den Ausschuss für Frauen, Gleichstellung und Emanzipation. Die abschließende Aussprache und Abstimmung soll nach Vorlage der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses erfolgen.
Wer für diese Überweisungsempfehlung ist, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin für die antragstellende CDU-Fraktion Frau Kollegin Scharrenbach das Wort. Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dann wollen wir einmal sehen, ob sich die aufgeregte Debattenlage auch bei diesem Antrag fortsetzt.
Lassen Sie mich wie folgt einsteigen: 2016 wird ein Jahr der Integration werden müssen. Auch wenn sich die Kommunen unverändert mit Fragen der Unterbringung beschäftigen, so richtet sich der Blick der kommunalen Räte und Kreistage doch zunehmend dahin, wie wir die Menschen, die zu uns gekommen sind, sinnvoll in Ausbildung, Schule, Studium und damit natürlich auch in unsere Gesellschaft eingliedern können.
Sie wissen, dass der Deutsche Landkreistag erst vor kurzem diese Forderung per Beschlusslage unterstützt hat, die wir von der CDU-Landtagsfraktion heute erheben. Auch der nordrhein-westfälische Landkreistag hat dies getan. Der Städte- und Gemeindebund unseres Landes trägt diese Forderung auch mit.
Von 215.000 gemeldeten erwerbsfähigen Personen aus den acht Nicht-EU-Asylzugangsländern leben heute 50 % in 33 von 402 Kreisen bundesweit. Das verdeutlicht ein Problem, mit dem wir uns hier bisher noch nicht ausführlich beschäftigt haben. Sie wissen aus den vielen Debatten, die wir hier geführt haben, dass die Integration von zugewanderten Menschen insbesondere eine Aufgabenstellung von Ehrenamtlichen – von Frauen und Männern, von Jugendlichen und Älteren ist, die sich intensiv damit auseinandersetzen, die Hilfestellung leisten, wo es nur geht.
Sie wissen, dass auch die Lehrerinnen und Lehrer sowie die Erzieherinnen und Erzieher vehement versuchen, die Kinder und Jugendlichen in unser Schulsystem zu bekommen und ihnen Bildung zu vermitteln und dabei nach und nach an Grenzen stoßen. Zum Teil ist die Überforderungsgrenze bereits erreicht.
Deshalb ist es aus unserer Sicht erforderlich, darüber nachzudenken, wie wir denn die asylsuchenden Menschen auf unsere Städte und Gemeinden verteilen. Sie wissen das auch aus Ihren Kommunen: Insbesondere dann, wenn Asylsuchende anerkannt werden, wechseln sie oftmals ihren Wohnsitz und schlagen dabei die Richtung ein in Großstädte wie beispielsweise Köln, aber auch entlang der gesamten Ruhrschiene. Dadurch werden Problemlagen, die schon heute dort bestehen, noch einmal verschärft.
In der Debatte wurden gerade schon die Städte Duisburg und Dortmund angesprochen, die immer noch versuchen, die hohen Zuwandererzahlen aus Rumänien und Bulgarien sinnvoll zu integrieren. Auch das muss dabei in den Blick genommen werden. Deswegen haben wir nicht nur gesagt: „Bitte lassen Sie uns als Landtag Nordrhein-Westfalen die Initiativen für Wohnsitzauflagen der Bundesregierung unterstützen“, sondern auch: Lassen Sie uns gemeinsam nach Alternativen dafür suchen, wie wir die Menschen sinnvoller verteilen und so die Hauptzuzugsstädte zu einer Entlastung führen können.
Wir wissen, dass der Europäische Gerichtshof sehr hohe Anforderungen gestellt hat, was migrations- und integrationspolitische Erwägungen im Zusammenhang mit Wohnsitzauflagen anbelangt. Die Gründe müssen hinreichend schwerwiegend sein und an konkrete Sachverhalte anknüpfen. Ich bin mir jedoch sicher, dass die Städte und Gemeinden – ob sie nun kreisangehörig oder kreisfrei sind – jede Menge Gründe dafür aufzählen können,
Ein Grund dafür ist sicherlich, dass die anerkannten Asylbewerber unter das System der Kosten der Unterkunft fallen. Gerade die Zuzugsstädte sind in besonderem Maße belastet, wenn sie diese Kosten tragen müssen. Deswegen müssen wir aus finanzpolitischer Sicht, aber auch aus einer integrationspolitischen Perspektive heraus sowie zur Entlastung der Ehrenamtlichen zu einer Wohnsitzauflage für anerkannte Asylsuchende kommen. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin für den sehr ruhigen Vortrag sehr dankbar. Es macht deutlich: Ihr Antrag greift ein Thema auf, welches nicht völlig neu ist. Sie schreiben in Ihrem Antrag auch, dass unser Parteivorsitzender dieses Thema schon einmal angesprochen hat. Ihrer Einschätzung nach muss es geprüft werden. Sie haben richtigerweise die Institutionen benannt, die hier herangezogen werden können. Aber: Man kann das Ganze eben nicht so ohne Weiteres realisieren. Von daher hat der Antrag an der einen oder anderen Stelle noch Insuffizienzen.
Ich habe die Debatte heute nahezu den ganzen Tag verfolgt. Mir ist dabei aufgefallen – Herr Stamp, da habe ich Ihre Erregung gerade überhaupt nicht nachvollziehen können –, dass hier Themen in einer Art und Weise besetzt werden, die völlig unwürdig und zumindest für die Seite der Sozialdemokratie nicht akzeptabel ist. Da wird von der „Einwanderung in Sozialsysteme“ geredet. Das findet sich übrigens wörtlich in Ihrem Antrag wieder. Da weiß ich ganz genau, wessen Geistes Kind solche Formulierungen sind.
Hier wird in einer unerträglichen Art und Weise über Bodycams fabuliert, obwohl jeder weiß, dass wir das Ganze noch prüfen. Es wird über ein „Zuweisungschaos“ bei Flüchtlingen gesprochen, obwohl Sie wissen, dass wir darüber letzte Woche sehr eindringlich und sehr intensiv sowohl im kommunalpolitischen Ausschuss als auch im innenpolitischen Ausschuss diskutiert haben.
Jetzt kommt es zum Thema „Wohnsitzauflage für anerkannte Asylbewerber“, – als ob damit irgendein neues Konzept vorliegen würde. Ich will Ihnen sagen – und da bin ich einer Meinung mit dem, was ich heute Morgen im Kommentar der „Marler Zeitung“ gelesen habe –: Was heute den ganzen Nachmittag von Ihnen hier durchgezogen wurde, das ist Populismus pur!
Mit Erlaubnis des Präsidenten will ich mal die Bauer-Presse zum Thema „Populismus pur“ zitieren. Das ist ein Verlag aus Marl, der eigentlich nicht dafür bekannt ist, dass er der Sozialdemokratie sehr nahesteht. Ich halte den Kommentar für sehr treffend. Er sortiert noch einmal ein, welche Themen heute Nachmittag durch Sie alle belastet worden sind:
Was haben sexuelle Gewalt gegen Frauen, Diebstahl und Raub an Silvester in Köln mit der Sicherheitslage in einer der schönsten Städte in Westfalen, Oer-Erkenschwick, zu tun? Antwort: Nichts. Wer dennoch, wie der CDU-Landtagsabgeordnete und Kollege Josef Hovenjürgen, die Exzesse mit nachts geschlossenen Polizeiwachen in Provinzstädtchen in Verbindung bringt, schürt bewusst, was er doch mit Krokodilstränen beweint – eine Verunsicherung von Bürgern.
Ich wollte zum Ende hin noch versuchen, Ihnen nahezubringen, darüber vielleicht bei der einen oder anderen Themensetzung für die nächsten Wochen nachzudenken. Ich weiß, dass das Auditorium weitgehend leer ist.
Vielen Dank, lieber Kollege Hübner. – Mich würde interessieren, ob Sie sich auch noch inhaltlich zu der Antragslage äußern.
Frau Scharrenbach, wenn Sie mir zugehört haben: Ich bin am Anfang sehr intensiv darauf eingegangen. Ich habe Sie auch gelobt, dass Sie das Ganze erstens sehr sachlich vorgetragen haben und zweitens die richtigen juristischen Fragen gestellt haben, die es abzuwägen gilt. Drittens haben Sie in Ihrem mündlichen Vortrag festgestellt, dass das heute bereits möglich ist.
Ich habe Ihnen jetzt Populismus vorgeworfen, weil das alles an einem Tag hier im Plenum aufs Tapet gebracht worden ist, unter anderem durch Ihre Fraktion. Das ist der Punkt, den ich gern setzen wollte,
Ich sage noch einmal: Das Thema ist durchsetzbar, es ist gestaltbar – aber es ist eben nicht ohne Weiteres gestaltbar. Von daher haben Sie uns bei dem Tagesordnungspunkt ein Stück weit an der Seite, aber wir werden nicht vergessen, dass Sie heute jedes innenpolitische Thema auf populistische Art und Weise zu besetzen versucht haben. Das hatte zuletzt noch der Wortbeitrag von Herrn Stamp deutlich gemacht. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Danke, Herr Kollege Hübner. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Frau Kollegin Düker das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn der Vortrag hier bislang sehr sachlich verlaufen ist, so wird aus unserer Sicht in dem Antrag der CDU der dritte Schritt vorweggenommen, Frau Scharrenbach. Davor müsste man eigentlich zunächst zwei andere Schritte klären.
Grundsätzlich können wir Wohnsitzauflagen nach nationalem Recht erteilen. Aber es gibt ja auch noch ein europäisches Recht. Hier wird es schon etwas schwieriger. Denn wir müssen hier erst integrationspolitische Gründe erläutern und vortragen – die haben Sie in Ihrem Antrag aus meiner Sicht nicht hinlänglich dargestellt; die Hürde ist sehr hoch –, warum wir hier die nach Art. 26 der Genfer Flüchtlingskonvention garantierte Freizügigkeit für anerkannte Flüchtlinge einschränken wollen.
Es gibt schon einen Ausschluss, warum man das nicht so einfach kann: Eine Einschränkung ist nicht mit der Begründung „ungerechte Verteilung der Soziallasten“ möglich. Das hat das Bundesverwaltungsgericht 2008 ausdrücklich entschieden, dass dies eben nicht mit der GFK vereinbar ist.
Wenn Sie hier die Kosten der Unterkunft anführen, ist das richtig. Wir wollen deswegen in Form einer Integrationsoffensive, die es jetzt geben muss, genau an dieser Stelle weiterkommen. Wir wollen, dass der Bund die Kosten der Unterkunft übernehmen muss. Doch wir können das aber nicht – das ist so; so ist die Rechtsprechung – als Grund anführen, um hier solche Auflagen zu erteilen.
Weiterhin hat das Bundesverwaltungsgericht den Europäischen Gerichtshof zu der Frage angerufen – das Verfahren ist nach wie vor anhängig –, inwieweit eine Einschränkung auch nach Art. 33 der Asylqualifikationsrichtlinie für subsidiär Geschützte möglich ist. Denn nach unserer nationalen Rechtslage gibt es das schon für subsidiär Geschützte.
heit im Sinne von Art. 33 Anerkennungsrichtlinie darstellt, und für den Fall, dass eine solche Einschränkung vorliegt, ob diese durch das Ziel einer angemessenen Verteilung öffentlicher Sozialhilfelasten bzw. – die Frage werfen Sie auch auf – durch migrations- oder integrationspolitische Gründe wie die Vermeidung sozialer Brennpunkte gerechtfertigt sein kann. Genau diese Fragestellung liegt derzeit beim EuGH zur Entscheidung vor, wie gesagt, für den Bereich der subsidiär Geschützten. Je nachdem, wie der EuGH diese Frage beantwortet, würde das erst recht auch für die anerkannten Flüchtlinge gelten.
Nach allem, was ich darüber gelesen habe, wie sich hier der Generalanwalt einlässt, ist nicht unbedingt ausgemacht – vielmehr ist es eher unwahrscheinlich –, dass hier mir nichts dir nichts vom EuGH für uns als Bundesrepublik Deutschland eine Möglichkeit eröffnet wird, aus diesen sehr niedrigschwellig formulierten integrationspolitischen Gründen heraus eine nationale Wohnsitzauflage zu erteilen. Das ist der erste Schritt. Ich finde, da sollte man erst einmal die Entscheidung abwarten, bevor wir hier etwas Neues in die Welt setzen, wovon auch noch keiner richtig weiß, ob das überhaupt Bestand hat.
Jetzt kommt der zweite Punkt. Diese Frage haben Sie auch nicht beantwortet. Meine nächste Frage wäre: Wer entscheidet das? Und vor allen Dingen: Wer kontrolliert das? Ob der Vollzug einer solchen Auflage – unter Umständen durch Ausländerbehörden, kommunale Behörden oder Landesbehörden – in der derzeitigen Situation im Verhältnis den gewünschten Effekt zeitigt, ist für mich eine Frage, die noch nicht entschieden ist.
Wenn diese Fragen entschieden sind, dann kann man auf dieser Grundlage klären, inwieweit wir im Rahmen des möglichen nationalen Spielraums unter integrationspolitischen Aspekten tatsächlich sinnvoll eine Verteilung vornehmen können.