Protokoll der Sitzung vom 16.03.2016

Herr Körfges, vielen Dank für die Frage. Ich freue mich, dass Sie mir gut zuhören und es nicht mehr abwarten können, die Meinung der FDP in dieser Frage kennenzulernen.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Ja oder nein?)

Ich habe es gerade gesagt. Wir gehen der Sache auf den Grund. Wir fragen: Liegt es am Personal? Liegt es am Vollzugsdefizit?

Ich teile die Einschätzung, dass die Schleierfahndung einen erheblichen Grundrechtseingriff mit sich bringt. Aber natürlich müssen wir das im Ausschuss prüfen. Und wenn sich herausstellen sollte, dass es Rechtslücken gibt, die Täter nutzen und die Polizeibeamte an ihrer Arbeit hindern, dann müssen wir das natürlich auch überprüfen. Aber bisher – und das sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit – ist dieser Beweis für mich – auch durch die CDU nicht – noch nicht erbracht worden. Dieser Beweis ist noch nicht geführt.

(Beifall von der FDP – Zuruf von der SPD: Das ist die Verschleierung der FDP!)

Welchen Mehrwert hat das? – Herr Körfges, hören Sie mir doch bitte weiter zu. – Welchen Mehrwert soll das haben? – Da bin ich ja eher bei Ihnen als bei der CDU.

(Zurufe von der SPD)

Welchen Mehrwert soll die Schleierfahndung denn haben?

Bedenken gibt es reichlich. Die EU-Kommission steht dem Ganzen skeptisch gegenüber, weil man darin auch verdeckte Grenzkontrollen vermutet. Ja, damals wurden auch verfassungsrechtliche Bedenken genannt. Die muss man auch ernst nehmen, auch deshalb, weil dann in der polizeilichen Praxis vor allem ausländisch aussehende Personen kontrolliert würden und somit Verhältnismäßigkeit und Gleichheitsgrundsatz fragwürdig tangiert würden.

Fakt ist auch – das gehört auch dazu: Außer Bremen, Berlin und Nordrhein-Westfalen haben alle anderen Länder entsprechende Rechtsgrundlagen.

Wir sollten die Debatte im Ausschuss führen; wir werden uns das sehr genau anschauen. Ich freue mich auf die weitere Debatte. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und Werner Jostmeier [CDU])

Vielen Dank, Herr Kollege Lürbke. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Schatz.

Vielen Dank, Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist mal wieder typisch, dass die CDU jetzt hier die Schleierfahndung in Bezug zum Wohnungseinbruchsdiebstahl bringt. Gerade in der Debatte zu TOP 2 hat sie im Prinzip schon gesagt, was genau das Ziel ist, vor allem mit Blick auf ausländische Tätergruppen.

Ich frage mich dabei, ehrlich gesagt, ob Sie sich damit nicht selbst ins eigene Bein geschossen haben. Ich möchte erläutern, warum.

Nehmen wir den typischen osteuropäischen Bandeneinbrecher, von dem immer so viel gesprochen wird, der aus Belgien nach NRW kommt, um hier einzubrechen. Wie wird der wohl kommen? – Zu Fuß? – Ich vermute mal nein. Mit dem Zug? – Vielleicht. Das sieht aber bestimmt lustig aus, wenn er mit einer großen blauen IKEA-Tasche im Zug sitzt und die Tatbeute nach Belgien bringt. Also wird es vermutlich das Auto sein. Typischerweise kommt er mit dem Auto hierhin.

Werte CDU, ich kann Sie beruhigen. Wenn es Ihnen im Rahmen der Schleierfahndung darum geht, in die Kfz schauen zu können, gibt es so etwas Ähnliches bereits: Werfen Sie einen Blick in die Straßenverkehrsordnung, und zwar in § 36 Abs. 5. Dort steht:

„Polizeibeamte dürfen Verkehrsteilnehmer zur Verkehrskontrolle einschließlich der Kontrolle der Verkehrstüchtigkeit und Verkehrserhebung anhalten.“

Weiter heißt es:

„Die Verkehrsteilnehmer haben die Anweisungen der Polizeibeamten zu befolgen.“

Das heißt für die Praxis: Mit dieser Vorschrift kann ich völlig rechtmäßig und verhältnismäßig in jedes Auto hineinschauen. Das ist überhaupt kein Problem.

Ich kann den Innenraum in Augenschein nehmen. Allein schon aus Eigensicherungsgründen – ich denke, das versteht sich von selbst – muss ich prüfen, ob irgendwelche Sachen auf dem Sitz sind usw. Ich kann unter den Wagen und unter die Motorhaube schauen, alleine schon, weil eventuell Veränderungen durch den Besitzer vorgenommen wurden, die die Betriebssicherheit und die Zulassung gefährden könnten. Das muss ich alles überprüfen können. Es gibt Kollegen, die machen das. Die haben da richtig Ahnung von, die haben daran richtig Spaß.

Und ich kann gerade bei Lkw und Kleintransportern, um die es hier hauptsächlich gehen dürfte, auf die Ladefläche schauen; denn ich muss die Ladungssicherheit kontrollieren können.

Jetzt gibt es so gut wie keinen Ort mehr an diesem Fahrzeug, den ich nicht hätte überprüfen können. Es gibt hier keine Regelungslücke. Hinzu kommen die

schon erwähnten weiteren Vorschriften. Wir brauchen also keine Schleierfahndung.

Wenn sich bei diesen Durchsuchungen ein Verdacht ergibt, dann darf ich selbstverständlich auch weitere Durchsuchungen durchführen, und zwar sämtlicher Insassen, die im Auto sind, und im gesamten Fahrzeug.

Aber unabhängig davon ist die Befugnis auch im Ganzen abzulehnen, denn die Wirksamkeit ist bisher in keiner Weise empirisch nachgewiesen. Eine Wirksamkeit wird zwar immer behauptet, aber ob es wirklich etwas bringt, ob es einen deutlichen Mehrwert im Verhältnis zum Grundrechtseingriff bringt, ist bisher nicht nachgewiesen worden. Von daher ist es schon dem Grunde nach abzulehnen.

Die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift will ich hier gar nicht weiter thematisieren. Das wurde von den Vorrednern alles benannt.

Dann gibt es noch die Gefahr des sogenannten Racial Profiling, wenn Kontrollen völlig anlassunabhängig erlaubt werden. Auch das ist bisher noch nicht untersucht worden, vor allem auch nicht in NRW. Ich habe gehört, dass es hier einmal eine Anfrage gegeben hat, das Thema „Racial Profiling“ zu untersuchen; das ist abgelehnt worden. Es wäre interessant, das hier entsprechend zu untersuchen.

Generell widerspricht eine derartige Vorschrift meinem grundsätzlichen Verständnis von freiheitlicher und rechtsstaatlicher Demokratie. Ich bin der Meinung: Wer keinen Verdacht in dieser Demokratie erregt, der muss auch nicht damit rechnen, durch den Staat in seiner Freiheit beeinträchtigt zu werden. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schatz. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Jäger das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Kruse konnte offensichtlich nicht weiter an der Debatte teilnehmen; ist auch nicht schlimm.

(Zuruf von der CDU: Er hat eine Besucher- gruppe, Herr Jäger!)

Ja. Nur hat er zu Beginn von der katastrophalen Kriminalitätsstatistik in Nordrhein-Westfalen gesprochen. Ich möchte die Zahlen aus dem Tagesordnungspunkt 2 wiederholen. Entwicklung der Kriminalität in Nordrhein-Westfalen seit 2010: Gewalttaten minus 10 %, Jugendkriminalität minus 30 %, Taten gegen das Leben minus 15 %, Vergewaltigungen

und sexuelle Nötigungen minus 20 %, Körperverletzung minus 5 %, Einbrüche in Nordrhein-Westfalen seit 2010 plus 39,2 %, bundesweit plus 37,8 %. – So viel dazu, meine Damen und Herren.

Wir haben es in der Tat, und das bezieht sich insbesondere auf die Entwicklung bei den Einbrüchen, nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern bundesweit mit einer Entwicklung zu tun, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Anstieg in den letzten Jahren im Wesentlichen durch mobile Täter, die grenzüberschreitend sehr professionell agieren, zu begründen ist. Insbesondere kommen diese Täter, verantwortlich für den zunehmenden Anstieg seit dem Jahr 2009, aus Südosteuropa. Das gehört zur Transparenz und Ehrlichkeit dazu.

Die Erkenntnisse der Ermittler belegen, dass diese Täter Straftaten überregional begehen. Sie sind sehr mobil, sie handeln überwiegend gemeinschaftlich, agieren in überörtlichen Bandenstrukturen und sind in Tatvorbereitung und Tatausführung hochprofessionell.

Diese Täter sind insbesondere für Tatserien verantwortlich, hinterlassen wenig Spuren und erzielen eine höhere Beute, Herr Schatz, als örtliche Täter sie in der Regel erzielen können.

Wir stellen uns diesem Problem übrigens nicht nur in Nordrhein-Westfalen. Es ist immer wieder Thema in der Innenministerkonferenz, mit möglichst abgestimmten Konzepten vorzugehen. Zu diesen abgestimmten Konzepten gehört auch das nordrheinwestfälische Konzept, das unter dem Namen MOTIV firmiert. MOTIV ist erfolgreich. Knapp 800 dieser Intensivtäter konnten identifiziert werden. 500 von ihnen waren oder sind zurzeit in Haft. Diese Zahlen sprechen für dieses Projekt. Man muss aber auch klar und deutlich sagen: Es ist nur ein einziger Baustein für eine überregionale und grenzüberschreitende Bekämpfung der Kriminalität.

Meine Damen und Herren, die CDU hat recht, wenn sie sagt, dass das Instrument der Schleierfahndung unserer Polizei nicht zur Verfügung steht. Das ist richtig. Das ist aber aus guten Gründen so. Eine völlig anlasslose Überprüfung – und nichts anderes ist die Schleierfahndung: ein wahlloses Herausgreifen und Überprüfen von Personen, ein Durchsuchen dieser Personen ohne einen einzigen Anhaltspunkt, dass sie auch nur im Verdacht stehen, eine Straftat begangen zu haben – ist mit unserer Auffassung eines Rechtsstaates und der Grundrechte, die dort verankert sind, eigentlich nicht vereinbar, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN – Dirk Schatz [PIRATEN]: Das ist Willkür!)

Vor allem ist es ausschließlich dem Zufall überlassen, ob eine solche Kontrolle überhaupt zum Erfolg

führt. Dieser Zufall bindet allerdings in erheblichem Maße Personal der Polizei, das dann bei Kontrollen auf der Straße fehlen würde, an Brennpunkten, wo wir die Polizei brauchen, da, wo sie präsent sein sollte, insbesondere dort, wo es darum geht, bestimmte Tätertypen, beispielsweise bestimmte Fahrzeugtypen, grundsätzlich zu überprüfen.

Fakt ist auch: Die Schleierfahndung ist in keinem anderen Bundesland die Lösung der Probleme, wie Sie es hier darzustellen versuchen. Ich habe gerade die Entwicklung der Einbruchszahlen seit 2010 deutlich gemacht: in Nordrhein-Westfalen plus 39,2 % und bundesweit plus 37,8 %, obwohl einige Bundesländer über das Instrument der Schleierfahndung verfügen.

(Gregor Golland [CDU]: Wie sind denn die Aufklärungsquoten im Vergleich?)

Das macht deutlich, dass das kein Allheilmittel ist, sondern ganz im Gegenteil einen tiefen Grundrechtseingriff darstellt, der Polizei an einer Stelle bindet, obwohl wir sie an anderen Stellen gut gebrauchen könnten. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/11307 an den Innenausschuss. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer für diese Überweisungsempfehlung ist, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Stimmt jemand dagegen – oder enthält sich? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf: