Protokoll der Sitzung vom 16.03.2016

Sie haben es angesprochen, Herr Kruse – ich sehe ihn jetzt gar nicht –, aber Bremen und NordrheinWestfalen sind nicht die einzigen Bundesländer, die die Schleierfahndung nicht haben – nein, Berlin hat sie mittlerweile wieder abgeschafft.

Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Ich halte die Schleierfahndung für äußerst bedenklich. Gerade zu einem Zeitpunkt, zu dem Tausende von Menschen hier bei uns Zuflucht und Schutz suchen, wollen Sie die gesetzlichen Möglichkeiten deutlich erweitern. Sie vermitteln damit das Bild, als würden mit der Flüchtlingszuwanderung scharenweise Straftäter in unser Land eindringen und eine Gefahr für die innere Sicherheit darstellen. Das ist doch mitnichten so – das wissen wir doch alle.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den PIRATEN)

Sie setzen – das wissen wir auch –, meine Damen und Herren der CDU-Fraktion, doch nur einen Beschluss Ihres Bundesvorstandes aus der sogenannten Mainzer Erklärung vom Januar nach den Ereignissen in Köln um, auf dessen Basis Sie jetzt die Schleierfahndung als Gefahrenprävention einführen wollen.

Ich sage Ihnen hier, meine Damen und Herren der CDU-Fraktion: Auch mit einer Schleierfahndung wären die Vorfälle in Köln nicht zu verhindern gewesen. Das wissen wir doch sicherlich alle.

Eines haben Sie in Ihrem Antrag, Herr Kruse, nicht erwähnt: In Bayern wurden für die sogenannte Schleierfahndung im letzten Jahr 500 Schleierfahnder zusätzlich eingesetzt. Einen Hinweis darauf und damit verbunden eigentlich auch die entsprechende Forderung für Nordrhein-Westfalen vermisse ich in Ihrem Antrag.

Wir stärken die innere Sicherheit in Nordrhein-Westfahlen mit unserem 15-Punkte-Maßnahmenpaket,

das im Nachtragshaushalt vorgesehen ist. Dadurch schaffen wir 806 zusätzliche Stellen bei der Polizei und der Justiz. Wenn Sie das weiterhin unterstützen wollen, dann sollten Sie dem beitreten und dem zustimmen. Das haben Sie gestern im Unterausschuss Personal nicht gemacht und stellen sich damit gegen die Stärkung der inneren Sicherheit in NordrheinWestfalen.

Vor diesem Hintergrund, liebe Kolleginnen und Kollegen, nehme ich eines vorweg – wir werden der Überweisung in den Innenausschuss gleich zustimmen und dort weiter beraten –, mache für die SPDFraktion eines klar und will einige Wegmarken skizzieren:

Erstens. Wir haben in Nordrhein-Westfalen bereits eine bewährte und effektive Rechtsgrundlage für Personen- und Fahrzeugkontrollen, beispielsweise das Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen. Wir haben hier in Nordrhein-Westfalen keine Rechtslücken.

Zweitens. Was verdachtsunabhängige Personenkontrollen anbelangt, welche unabhängig vom Anlass, vom Ereignis und Ort vorgenommen werden, so haben die Europäische Union, namhafte Verfassungsrechtler, und unsere Rechtsprechung sehr unterschiedliche Standpunkte entwickelt. Dabei ist die Schleierfahndung gerade hinsichtlich ihrer Verfassungsmäßigkeit und des Datenschutzes nicht als vergleichsweise geringfügiger Eingriff zu bagatellisieren, so, wie Sie es in Ihrem Antrag formuliert haben.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Hier bestehen zum Teil erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken.

Und drittens: Eine Schleierfahndung so nach dem bajuwarischen Vorbild – wie Sie es hier bezeichnen – befördert doch geradezu das Stigma des Generalverdachts bei jeder Personenüberprüfung aufgrund der kulturellen bzw. ethnischen Zugehörigkeit.

Ein Mehr an Verunsicherung führt unweigerlich zu weniger gefühlter und ebenso tatsächlicher Sicherheit.

Viertens. Die Menschen in unserem Land haben einen Anspruch darauf, dass Maßnahmen einerseits konsequent, andererseits schonend und verhältnismäßig sind und damit wirklich zu mehr Sicherheit führen.

Mit solchen Maßnahmen wollen wir den Menschen hierzulande nicht die Sicherheit versprechen. Ich freue mich auf die weitere Beratung in unserem Innenausschuss. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Danke, Herr Kollege Dahm. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Schäffer.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gerade schon sehr intensiv über das Thema „Einbruchskriminalität“ diskutiert, auch über grenzüberschreitende Kriminalität, die wir hier zu verzeichnen haben. Dem setzt die nordrhein-westfälische Polizei das Projekt MOTIV entgegen; sie hat da ein sehr wirksames Konzept entwickelt. Deshalb gibt es aus meiner Sicht keinen Anlass für die Schleierfahndung, sondern es gibt ziemlich viele gute Gründe, die dagegensprechen, sie einzuführen.

Zum einen ist es ein erheblicher Grundrechtseingriff in die Privatsphäre aller Bürgerinnen und Bürger, die kontrolliert werden. Es wird quasi jede und jeder unter Generalverdacht gestellt, wenn anlasslose Kontrollen möglich werden.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation – wir haben gerade darüber gesprochen –, dass subjektiv ein Gefühl der Verunsicherung in der Bevölkerung besteht, stellt sich für die Politik die Frage – da sehe ich uns alle in der Verantwortung, auch die Fraktionen der Opposition –: Wie schaffen wir es, das Vertrauen in unsere Behörden, in die Polizei, in die Justiz, also in unseren Rechtsstaat, wieder zu stärken? – Unser Rechtsstaat funktioniert; darüber haben wir vorhin lange und ausführlich diskutiert.

Ich glaube, wir stärken das Vertrauen in den Rechtsstaat nicht, indem wir jetzt anlasslose Kontrollen ermöglichen, sodass jede und jeder befürchten muss, immer und überall kontrolliert zu werden. Ganz im Gegenteil!

(Beifall von den GRÜNEN und Christian Dahm [SPD])

Zum anderen muss man auch darüber reden: Wie personalintensiv ist denn eigentlich die Schleierfahndung? Sie schreiben ja in Ihrem Antrag, wie viele Polizeibeamtinnen und -beamte in Bayern damit beschäftigt sind. Natürlich ist das personalintensiv. Folgerichtig wäre es eigentlich, wenn Sie mit Ihrem Antrag zusätzliche Polizeibeamtinnen und -beamte für diese Aufgabe fordern würden, wenn wir nicht Prioritäten bei der Polizeiarbeit verschieben wollen, was ich, ehrlich gesagt, falsch fände. Dazu sehe ich auch keinen Anlass. Das tun Sie aber nicht.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Weil die Schleierfahndung so personalintensiv ist, müssen Sie Kriterien festlegen: Wer wird denn eigentlich kontrolliert? Wenn jede und jeder immer kontrolliert werden kann, stellt sich die Frage der Kriterien; das hat auch mein Kollege schon angespro

chen. Das birgt natürlich die Gefahr von Diskriminierungen. Ja, natürlich! Denn Sie müssen sich überlegen: Welche Gruppen mit welchen bestimmten Merkmalen kontrolliere ich, wenn ich nicht jeden kontrollieren will? Da kommen wir in eine Diskussion, die durchaus diskriminierungsanfällig ist und die wir Grüne hochproblematisch finden.

Man muss auch noch einmal sagen, dass man bei gewissen Anhaltspunkten heute schon Personenkontrollen durchführen kann. Das wird auch gemacht.

Insofern halte ich für die Grünen noch einmal fest: Die Schleierfahndung ist zum einen nicht verhältnismäßig, weil die Erfolge keinen Grundrechtseingriff rechtfertigen. Zum anderen besteht kein Bedarf dafür, weil die heutige Gesetzesgrundlage schon Personenkontrollen ermöglicht.

Der Überweisung an den Ausschuss werden wir natürlich zustimmen, aber ich kann hier schon ankündigen, genauso wie es die SPD getan hat, dass wir diesen Antrag nicht mittragen können und dagegenstimmen werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Lürbke das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben eben schon intensiv über das Thema diskutiert. Für uns Freie Demokraten ist klar: Ja, wir brauchen mehr Kontrolldruck auf unseren Autobahnen, auf unseren Zufahrtsstraßen – ich habe es bereits ausgeführt –; ansonsten wird es ungleich schwieriger, potenzielle Gefährder – Einbrecher, Drogenschmuggler, die Bankautomatenbande, Diebesbanden – tatsächlich aufzuspüren.

Auch wir sind der Ansicht: Es kann nicht sein, dass unser Innenminister die gute Verkehrsinfrastruktur in Nordrhein-Westfalen als Grund für die hohe Zahl an Straftaten nennt, sie aber dann den Tätern als Tatinfrastruktur ohne ausreichende Kontrolle überlässt.

Um den Kontrolldruck ist es in Nordrhein-Westfalen offensichtlich nicht gut bestellt. Die entscheidende Frage ist: Woran liegt das? Meine Kleinen Anfragen und Anfragen im Innenausschuss haben ergeben, dass wesentliche Bausteine des Konzeptes MOTIV, Herr Minister, mangels Personals gar nicht umgesetzt werden. Herr Minister, jetzt schütteln Sie den Kopf. Aber Sie mussten mir doch selbst im Innenausschuss darlegen – ich habe es eben erwähnt –, dass in Köln beispielsweise nur ein einzelner Schwerpunkteinsatz pro Halbjahr stattfindet, und das in einer Einbruchshochburg wie Köln. An der Stelle scheitert es schon am Personal.

(Zuruf von Minister Ralf Jäger)

Auch dass die Einsatztrupps der Autobahnpolizei sehr schwach besetzt sind, haben Sie mir schwarz auf weiß in Antworten auf Anfragen darlegen müssen.

(Beifall von der FDP und Daniel Sieveke [CDU])

Meine Damen und Herren, das ist für die Bewertung der Frage nicht unerheblich. Liegt fehlender Kontrolldruck an fehlendem Personal oder an einer fehlenden Rechtsgrundlage für eine Schleierfahndung? Das müssen wir uns im Ausschuss genauer anschauen.

Ich habe da so meine Vermutung; denn wir haben bereits heute verschiedene Rechtsgrundlagen – das Polizeigesetz, die Straßenverkehrsordnung oder auch die Strafprozessordnung –, nach denen die Polizei Personenkontrollen oder allgemeine Verkehrskontrollen, Überprüfungen von Fahrzeugen durchführen kann.

Befugnisse zu anlassabhängigen Kontrollen bestehen in Nordrhein-Westfalen. Bei Verdacht auf Mitführung von Drogen können Sie heute schon kontrollieren. Sie können Schwerpunktkontrollen aufbauen, verdächtige Fahrzeuge rauswinken.

Herr Minister, würden Sie Ihre Hausaufgaben machen und die Einsatztrupps der Autobahnpolizei auch personell gut aufstellen, dann hätten wir vielleicht nicht diese Debatte über die Schleierfahndung.

Deswegen sage ich ganz deutlich: Wer schon heute nicht ausreichend Personal für verdachtsabhängige Kontrollen einsetzt, dem hilft dann per se auch keine anlasslose Kontrollmöglichkeit.

Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Körfges zulassen?

Ja, gerne.

Herr Kollege Lürbke, mir ist bis jetzt noch ein bisschen verborgen geblieben, wie Ihre Meinung zum Thema „Schleierfahndung“ ist. Würden Sie die Meinung der FDP-Generalsekretärin Frau Beer teilen, dass Schleierfahndung ein unzulässiger Eingriff in die bürgerlichen Rechte und die bürgerlichen Freiheiten ist?

(Marcel Hafke [FDP]: Lassen Sie ihn doch erst mal ausreden!)

Er redet jetzt schon ein bisschen länger und hat zu dem eigentlichen Thema noch keine Meinung geäußert.

Herr Kollege Körfges, die Frage ist angekommen, sie ist klar formuliert, und jetzt wird Herr Kollege Lürbke sie beantworten.

Herr Körfges, vielen Dank für die Frage. Ich freue mich, dass Sie mir gut zuhören und es nicht mehr abwarten können, die Meinung der FDP in dieser Frage kennenzulernen.