kosten. Man sieht im zweiten Teil des Konzeptes geradezu die Flipcharts, den Moderatorenkoffer und die Pinnwand und erkennt deutlich, wie man das hier zusammengetragen hat. Aber insgesamt ist das Ganze ein Konzept ohne neue konzeptionelle Gedanken geblieben – und vor allen Dingen ein kostenfreies Konzept.
Frau Kampmann, Sie können einem fast leidtun, dass die Frau Ministerpräsidentin Sie heute zur Unterrichtung ins Rennen schickt; denn die Entwicklung des Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen ist kein Ruhmesblatt für die nordrhein-westfälische Landesregierung. Ich glaube sogar im Gegenteil: Da lässt eine Regierung Probleme wachsen und wird erst dann aus ihrem Dämmerzustand wach, wenn die Probleme ihr massiv auf die Füße fallen. So ist es im Moment.
Schauen wir uns die Entwicklung des Extremismus in Nordrhein-Westfalen einmal auf der Zeitschiene an. Im Jahr 2010 verzeichnete der Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen landesweit 2.890 Straftaten der politisch motivierten Kriminalität von rechts außen. Fünf Jahre später waren es 4.437. Das heißt: In der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung hat sich die Zahl der rechts motivierten Straftaten um 54 % erhöht.
Aber es ist ein Problem, wie die Landesregierung mit so etwas umgeht und wie man das präventiv verhindern kann.
Im Bereich der rechtsextrem motivierten Gewaltkriminalität sieht die Bilanz noch schlimmer aus. Wir haben zwar immer noch keinen Verfassungsschutzbericht 2015. Aber in dem Verfassungsschutzbericht 2014 heißt es auf Seite 28:
„Die Anzahl der Gewaltdelikte durch rechtsmotivierte Straftäter ist mit 370 Straftaten gegenüber dem Vorjahr um 178 Straftaten (92,7 %) gestiegen und hat im 10-Jahresvergleich den höchsten Stand erreicht.“
Die Zahl der rechtsradikal motivierten Gewalttaten ist in Nordrhein-Westfalen also um 138 % gestiegen. Übrigens, in Klammern: rechtsradikal motivierte Gewalttaten, nicht rechte Gewalt. Rechts und rechtsradikal ist genauso unterschiedlich wie links und linksradikal.
Meine Damen und Herren, was mich allerdings bei der Vorstellung des Integrierten Handlungskonzeptes der Landesregierung etwas irritiert, ist der Umstand, dass Sie das Thema „Rechtsextremismus“ einseitig betrachten. Zur Wahrheit gehört, dass in diesem Land nicht nur der Rechtsextremismus wächst, sondern dass inzwischen verfassungsfeindliche Bestrebungen jeglicher Couleur Hochkonjunktur haben.
Die negativen Beispiele aus der Stadt Leipzig, die negativen Bilder von hohem Polizeieinsatz, kommen übrigens keineswegs daher, dass die Legida in Leipzig so groß wäre. Sie ist sogar relativ klein. Weil es in Leipzig aber gleichzeitig eine sehr große antifaschistische Szene gibt, die sich jedes Mal auf eine unmittelbare Auseinandersetzung einlässt, ist eine so hohe Polizeipräsenz nötig. Das heißt: Extremismus muss man von mehreren Seiten sehen. Gerade das Aufeinanderprallen führt zu Radikalisierung.
(Daniel Düngel [PIRATEN]: Ja! Genau! Sehr gut! Völlig überraschend! – Stefan Zimkeit [SPD]: Jetzt kommt die Gleichsetzung! Nichts gelernt!)
Und dazu haben wir von der Landesregierung noch nichts gehört. Da macht der Innenminister lieber Klamauk und Presseaktionen.
Nur ein paar kleine Beispiele: Die Zahl der Salafisten in Nordrhein-Westfalen hat sich seit dem Amtsantritt von Minister Jäger von 500 auf 2.700 mehr als verfünffacht.
(Stefan Zimkeit [SPD]: Herr Laschet hat ge- sagt, die Gefahr komme von rechts! Aber das gilt wohl nicht mehr!)
600 von ihnen gelten nach Angaben des Verfassungsschutzes als gewaltorientiert und 150 als besonders risikobehaftet.
Beim Linksextremismus sieht es keinen Deut besser aus. Auch die Zahl der Linksextremisten ist um fast 40 % angestiegen.
(Torsten Sommer [PIRATEN]: Wie viele Morde durch Linksextremisten gab es denn? Wie viele? Keinen einzigen! Unsäglich!)
Aber auch die Ausländerkriminalität politisch motivierter Art wie der türkischen Grauen Wölfe ist stark angestiegen – um sage und schreibe 311,7 %.
Vor diesem Hintergrund frage ich: Muss man nicht integrierte Handlungskonzepte für Extremismusbekämpfung breiter und umfassender sehen?
Frau Ministerin, bei einer Einschätzung Ihres Berichtes folgen wir Ihnen gern. Die Bekämpfung des Rassismus und Extremismus ist in der Tat kein Thema nur eines Politiksachbereichs. Eine ganze Reihe von politischen Handlungsfeldern werden in Ihrem Konzept angesprochen. Ich kann nicht auf alle eingehen; aber einige seien doch erwähnt.
Da ist vor allem der Bereich der Bildung zu nennen. In den Schulen muss eine wertegebundene Bildung vermittelt werden. In den Schulen muss übrigens auch die Schulsozialarbeit gestärkt werden.
Ja. – Und sie muss so finanziert werden, dass es anders geht, als Sie es mit Ihren Konzepten machen. Das ist das Entscheidende.
(Beifall von der CDU – Michael Hübner [SPD]: Jetzt einmal ein Wort zur Bundespolitik! – Torsten Sommer [PIRATEN]: Das ist die Ver- antwortung des Bundes!)
In Bezug auf Bildung muss in einem umfassenden Sinne einer Erziehung und Humanität klar sein, dass Bildung nicht nur etwas ist, was sich auf Qualifikationen bezieht. Da sind wir uns wahrscheinlich alle einig.
Dazu gehört auch der Religionsunterricht der christlichen Konfessionen. Aber genau dieser Religionsunterricht fällt zunehmend aus, nicht zuletzt an Berufskollegs, wo er oft das einzige Refugium nicht anwendungsbezogener Bildung ist.
Dazu gehört auch ein islamischer Religionsunterricht, der sich an den besten Traditionen dieser Religion orientiert und von qualifizierten Lehrenden ausgeübt wird.
Dazu gehören die kulturelle Integration von Kindern, woher auch immer sie kommen, und ihre Beheimatung über Wissen, Gestaltung und Kultur – nicht
Mit den Kindern ist die Bildungsaufgabe ja nicht abgeschlossen. Wir brauchen auch für die Erwachsenen Orte und Foren, wo die politische Debatte geführt wird, wo die Information erfolgt und wo durch Kenntnis diffuse Ängste in diskutierbare Besorgnisse umgewandelt werden können. Dass dabei auch die Einrichtungen, Organisationen und Vereine der Kultur und des Sports ihren wichtigen Beitrag leisten, wird zu Recht erwähnt.
Frau Ministerin, mich hat erstaunt, dass Sie als Familienministerin den Bereich der frühkindlichen Erziehung nicht angesprochen haben. Der erste und einzige Integrationsminister dieses Landes, Armin Laschet, hat die Entwicklung der Familienzentren vorangetrieben, die eine niederschwellige Ansprache und Beratung der Eltern erlauben.
Da gibt es solche Modelle, die für einen anderen Politikbereich wie den Bereich des Kindermissbrauchs greifen – etwa das sogenannte Dormagener Modell. Dort werden seit 2006 Kontakt- und Hilfsangebote nach skandinavischem Modell schon im Kleinkindalter angeboten; das beginnt also sehr früh. Wo sind solche Ansätze, die zwar von manchen Kommunen übernommen wurden, aber an deren landesweiter Einführung Minister Laschet durch den Regierungswechsel 2010 gehindert wurde?
In der Sozialarbeit sind für uns die angekündigten Kooperationen verschiedener Träger und Initiativen wichtig. Spezialprogramme wie die Beratungsstelle HAYAT mit dem Deradikalisierungsprogramm verdienen Unterstützung, in der Justiz so etwas wie das Violence Prevention Network, im Strafvollzug und andere mehr. Solche Initiativen werden angesprochen, und wir finden es auch gut, dass Sie die im Handlungskonzept ausdrücklich als etwas erwähnen, was sich nicht allein auf Regierungshandeln beschränkt, sondern wodurch eine Vernetzung verschiedener Initiativen möglich gemacht werden soll.
Viele Ihrer Ministerkollegen, Frau Ministerin Kampmann, sind angesprochen. Ich hoffe, dass in diesen Häusern das Handlungskonzept nicht nur als Werbebroschüre liegenbleibt, sondern dass das Prinzip des gemeinsamen Auftretens gegen Rechtsradikalismus in allen Häusern seinen Wert behält. Wir werden auf jeden Fall unbeirrt nachfragen, was aus den wenn auch nicht bezifferten Ansätzen wirklich geworden ist.