Protokoll der Sitzung vom 08.06.2016

Die Mobile Beratung bietet dabei Hilfe zur Selbsthilfe für Kommunen, für lokale Bündnisse, für Verbände, für Vereine und auch für Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker. Sie vermittelt Wissen über rechtsextreme Vorkommnisse und sie unterstützt beim Engagement gegen Rechtsextremismus.

Wir finden, diese Arbeit hat sich bewährt. Denn die Mobile Beratung schätzt die Lage vor Ort und die Handlungsmöglichkeiten in der Regel sehr gut ein. Sie erarbeitet gemeinsam mit Menschen, die sich engagieren wollen, Strategien, und die Fragen dazu haben.

Wie gehe ich damit um, wenn plötzlich eine rechtsextremistische Demonstration angemeldet wird? Wie gehe ich mit der Hetze gegen Moscheebauten um? Wie gehe ich mit einem Schüler um, der plötzlich rechtsextremistische Äußerungen im Unterricht tätigt? – In all diesen Fragen berät die Mobile Beratung bedarfsgerecht und handlungsorientiert.

Sie ist aktuell vor allem immer wieder gefragt, wenn es um Konflikte vor Ort zum Thema Flüchtlingsunterkünfte geht. Hier kann die Mobile Beratung kontaktiert werden, und hier hilft sie auch dabei, Gegenstrategien zu entwickeln. Deshalb haben wir mit dem Haushalt 2016 die Mobile Beratung mit insgesamt 250.000 € weiter gestärkt.

Der dritte Punkt ist die Stärkung der Opferberatung und der Perspektive der Betroffenen. Opfer und Betroffene rechtsextremer und rassistischer Gewalt und deren Angehörige aber auch die Zeugen benötigen weitere und bessere Unterstützung. Ein Betroffener rechtsextremer und rassistischer Gewalt hat erlebt, dass er psychisch oder körperlich angegriffen worden ist. Viele fühlen sich danach hilflos, viele fühlen sich danach handlungsunfähig, viele Menschen fühlen sich danach alleingelassen.

Bei der Opferberatung haben sie Raum zum vertraulichen Gespräch. Sie können sich öffnen, erfahren Hilfe und überwinden ihre Ängste. Ihnen wird geglaubt, und sie werden mit ihren Sorgen und Ängsten wahrgenommen, und sie werden vor allem auch ernst genommen. Ihnen kann therapeutische Hilfe vermittelt und direkt gegeben werden. Man erfährt, welche juristische Hilfe man hier in Anspruch nehmen kann.

Das Land fordert deshalb schon seit dem Jahr 2011 zwei Opferberatungsstellen in Nordrhein-Westfalen mit jährlich insgesamt 500.000 €.

Es hat sich aber gezeigt, dass hier ein vermehrter Beratungsbedarf besteht, weil nun vor allem Geflüchtete massiv bedroht werden. Auch Menschen, die sich ehrenamtlich für geflüchtete Menschen engagieren, stehen im Fokus von Rechtsextremen. Sie werden Opfer von Angriffen und von Bedrohung, und sie brauchen deshalb Hilfe.

Deshalb hat auch hier die Landesregierung die jährliche Förderung um insgesamt 70.000 € erhöht.

Der vierte Punkt, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die Verstetigung der Arbeit der Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus. Um den Vernetzungsprozess und die Umsetzung des Handlungskonzepts gestalten zu können, bedarf es auch entsprechender Strukturen. Denn es gibt vor Ort und auf Landesebene viele, die sich bereits engagieren. Aber effektiv wird dieses Engagement erst, wenn sich die Akteure absprechen, wenn sie an einem Strang ziehen und wenn sie in eine Richtung

gehen. Aber diese Vernetzung erfolgt nicht von allein, sie braucht professionelle Strukturen, die das organisieren. Auf Landesebene ist das die Landeskoordinierungsstelle. Diese lädt zu Sitzungen der Träger ein, sie spricht Themen ab, sie organisiert Fortbildung, sie fördert Projekte und macht noch ganz viel mehr.

Mit dem Haushalt 2016 wurden deshalb Mittel zur Verstetigung der Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus zur Verfügung gestellt. Ganz konkret haben wir vier befristete Stellen in unbefristete Stellen umgewandelt. Damit bestehen endlich auf Dauer angelegte Strukturen, die wir unbedingt benötigen.

Denn wie alle Studien über Rechtsextremismus zeigen, ist die Auseinandersetzungen mit dem Thema ein dauerhaftes, und sie ist ein langfristiges Erfordernis. Das haben wir erkannt, und deshalb fordern wir diese Stellen endlich auch langfristig, um damit ganz deutlich zu machen, dass Rassismus und Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen keinen Platz haben, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Ver- einzelt Beifall von den PIRATEN)

Aber wie geht es jetzt weiter? Das Integrierte Handlungskonzept ist zunächst auf eine Laufzeit von drei Jahren angelegt. Danach wird die Landesregierung die Umsetzung bilanzieren, und auf der Basis dieser Ergebnisse soll das Handlungskonzept dann weiterentwickelt werden.

Wir verstehen es also als ein flexibles Konzept. Neuere Entwicklungen und Erfordernisse versuchen wir immer im Blick zu behalten. Wir werden eine jährliche Tagung mit zivilgesellschaftlichen Akteuren durchführen. Wir werden auch einen jährlichen Bericht der Landesregierung zum Stand der Umsetzung abgeben. Die interministerielle Arbeitsgruppe, die bisher gearbeitet hat, wird auch bis zum Ende der Umsetzung dieses Konzepts weiterarbeiten.

Bevor ich gleich zum Schluss komme, möchte ich mich an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich bedanken, und zwar vor allem bei den Menschen, die sich tagtäglich in Nordrhein-Westfalen für eine demokratische und für eine offene Gesellschaft engagieren,

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Ver- einzelt Beifall von der CDU und den PIRATEN – Beifall von Christof Rasche [FDP])

und zwar – das muss man leider auch dazusagen – trotz der persönlichen Anfeindungen und Drohungen, denen viele von ihnen ausgesetzt sind. Es beschämt mich ehrlich gesagt, dass ich sagen muss, dass ein solches Engagement inzwischen Mut verlangt. Gerade deswegen verdienen diese Menschen unsere allergrößte Anerkennung. Deshalb danke,

dass Sie sich jeden Tag für Solidarität und Menschlichkeit in unserer Gesellschaft engagieren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Ver- einzelt Beifall von der CDU)

Zivilgesellschaftliche Initiativen und Organisationen, meine sehr verehrten Damen und Herren, bilden das Herzstück der Prävention gegen Rechtsextremismus und Rassismus. Bündnisse, Initiativen, Vereine, Freunde, Kollegen und Nachbarn – eigentlich sind alle gefragt, wenn es darum geht, unsere demokratischen Werte mit Zivilcourage zu verteidigen. Engagierte Menschen vor Ort zeigen das Gesicht einer vielfältigen und offenen Gesellschaft, wenn sie gegen Rechtsextremismus und Rassismus auf die Straße gehen.

Diese Menschen in ihrem Engagement zu unterstützen und ihnen auch die Handlungsbedingungen zu ermöglichen, ist eine wesentliche Aufgabe des Staates, der wir mit diesem Handlungskonzept nachkommen möchten.

Und bei allen notwendigen Diskussionen brauchen wir diesen klaren Grundkonsens unserer Demokratie, nämlich eine klare gemeinsame Haltung gegenüber Rechtsextremismus und Rassismus.

Deshalb geht von diesem Handlungskonzept auch ein starkes Signal aus: nämlich gegen diejenigen, die Schießbefehle auf Flüchtlinge fordern und sich nicht davor scheuen, offen gegen Migranten zu hetzen, gegen diejenigen, die Asylbewerberunterkünfte anzünden ohne Rücksicht auf das Leben von Familien und Kindern, und gegen diejenigen, die glauben, sie könnten mit einfachen Lösungen für ihre menschenverachtenden Ideen begeistern.

Ich möchte, dass es keine Rolle mehr spielt, welche Hautfarbe Kinder auf Schokoladenverpackungen haben.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ich möchte, dass es keine Rolle mehr spielt, in welchem Land die Eltern meines Nachbarn geboren wurden.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ich möchte, dass Vielfalt in diesem Land als etwas Bereicherndes begriffen wird, als etwas, das uns als Gesellschaft stark macht und das uns gemeinsam voranbringt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dieses Handlungskonzept liefert nicht alle Antworten auf das, was uns gerade bewegt, und es wird auch nicht alle Probleme gleichzeitig lösen. Aber es ist ein wichtiger Meilenstein im präventiven Engagement gegen Rechtsextremismus und Rassismus, der für

den solidarischen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft steht und der damit für uns alle unverzichtbar ist. – Ich danke Ihnen ganz herzlich für Ihr Zuhören und freue mich auf die Debatte.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Ver- einzelt Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Vielen Dank, Frau Ministerin Kampmann für die Unterrichtung. – Ich eröffne die Aussprache. Für die CDU-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Prof. Dr. Dr. Sternberg das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vor anderthalb Wochen, am 29. Mai, hat Nordrhein-Westfalen einen traurigen Jahrestag begangen: Vor 23 Jahren kamen bei einem Brandanschlag in Solingen fünf Menschen türkischer Abstammung ums Leben, 17 weitere erlitten schwere Verletzungen. Bei den Tätern handelte es sich um junge Männer aus der Neonazi-Szene. Der Anschlag war damals der Höhepunkt einer Welle fremdenfeindlicher rassistischer Anschläge auf Menschen ausländischer Herkunft in Deutschland.

Die damalige Landesregierung hat seinerzeit übrigens ein hektisches Sofortprogramm von 18 Millionen DM, immerhin mehr als 2 Millionen €, für die politische Bildung aufgelegt, die allerdings innerhalb eines knappes Jahres auszugeben waren. So geht offensichtlich Prävention gegen Rechtsradikalismus nicht, denn sie braucht einen verlässlichen Rahmen.

Wir stehen heute, 23 Jahre später, vor keineswegs geringeren Problemen. Wir sehen uns erneut mit der dramatischen Zunahme von Anschlägen konfrontiert. Nach Auskunft des Innenministers hat sich die Zahl der Angriffe auf Asyl- und Flüchtlingsunterkünfte in unserem Land im Jahr 2015 mehr als verachtfacht: Von 25 Übergriffen im Jahr 2014 sind sie auf 214 im vergangenen Jahr gestiegen, darunter alleine 28 Gewaltdelikte wie Körperverletzung oder Brandstiftung.

Woher kommt das? – Ich vermute, viele Menschen in diesem Land haben diffuse Ängste und Gefühle von Unsicherheit. Weil Ängste gerne aufgegriffen werden, haben es die leicht, die vorgeben, auf komplexe Fragen einfache Antworten zu haben. Und von solchen Vereinfachern und Demagogen wird ein Generalverdacht geschürt gegen alles, was fremd und unbekannt ist: gegen Muslime und Flüchtlinge, gegen Zuwanderer und Ausländer. Dies geschieht zugleich vor einer bewundernswerten Welle von Hilfsbereitschaft und Engagement in diesem Land.

Ich selbst habe in anderer Funktion in den vergangenen Wochen erlebt, was an Hass und Feindschaft, an Wut und Beschimpfung auch in diesem Land

möglich ist. Wer einmal von Ihnen einen sogenannten Shitstorm erlebt hat, bekommt Zweifel an der Tragfähigkeit des Grundkonsenses in unserer Gesellschaft. Wie dick ist eigentlich der Firnis der Übereinkunft, demokratischer und menschlicher Grundstandards? Was wird da vor allem via Internet hochgespült? Was ist da alles möglich geworden?

Ich denke, wir erlauben hier eine Brutalisierung auch der öffentlichen Kommunikation, der wir uns stellen müssen, und bei der wir fragen müssen, wie wir dagegen antreten können.

Das Internet funktioniert dabei als Brandbeschleuniger. Im Netz findet wirklich auch jede noch so abwegige Behauptung und Meinung ihren Platz. Das Netz hat alles für alle: Fehlinformationen jeder Art. Und bis heute ist es noch nicht gelungen, Hetze und Demagogie zu verhindern, wie das für die klassischen Medien strafbewehrter Standard ist. Jeder gute Wirt schmeißt Hetzer aus seinem Laden. Wann werden wir soweit sein, dass auch die Lokale des Internets soweit sind, dass man das machen kann?

(Beifall von der CDU und der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Hinzu kommt, dass diejenigen, die sich über das Netz informieren, auf ihrem Account in den Suchmaschinen immer mehr von diesem Zeug angeboten bekommen, weil das lernende, personalisierte Systeme sind, die durch die Art der Algorithmen die jeweils ähnlichen Seiten hochranken, übrigens ein Problem der Selbstbestätigung von solchen Gruppen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, und vor diesem Hintergrund wird jetzt nach vier Jahren endlich eine Ankündigung des Koalitionsvertrags wahrgemacht und das Integrierte Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus und Rassismus vorgelegt. Das ist sicherlich ein später, aber auch richtiger Schritt in eine richtige Richtung:

Konsequentes Einschreiten gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Rechtsextremismus ist eine Notwendigkeit und das eindeutig über alle Parteigrenzen hinweg. Alle demokratischen Kräfte ziehen hier an einem Strang. Und das gilt natürlich auch und besonders für die CDU, die schließlich nicht zuletzt aus einem Widerstand und aus einer Ablehnung gegen den Nationalsozialismus heraus entstanden ist.

Ich glaube, wir fühlen uns dieser Aufgabe auch in besonderer Weise verpflichtet.

(Beifall von der CDU)

Aber was liegt da nun als Handlungskonzept vor? – Da sieht man, wie sich alle Ministerien Gedanken gemacht haben und überlegt haben: „Was können wir aus unserem Haus beisteuern? Was kann man tun?“ – allerdings unter einer Vorgabe: Es darf nichts

kosten. Man sieht im zweiten Teil des Konzeptes geradezu die Flipcharts, den Moderatorenkoffer und die Pinnwand und erkennt deutlich, wie man das hier zusammengetragen hat. Aber insgesamt ist das Ganze ein Konzept ohne neue konzeptionelle Gedanken geblieben – und vor allen Dingen ein kostenfreies Konzept.