Protokoll der Sitzung vom 08.06.2016

(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN)

Also: Sie wollen alle Gesetze befristen und dann für den Fall ihrer Verlängerung wieder eine umfangreiche Begründung, das gesamte Gesetzesverfahren und – gut zuhören! – alle Sozialleistungen auf den Prüfstand stellen. Das wollen Sie. Das ist Bürokratie. Das ist ideologisch motivierte Bürokratie.

Herr Abgeordneter, die Redezeit.

Ich komme zum Schluss. – In Wahrheit geht es Ihnen nicht um die Bürokratie selbst, sondern um Standards die abgesenkt werden sollen, Standards übrigens, die Sie bei Ihrer Klientel gern erhalten bei den freien Berufen, für die die Schutzwälle nicht hoch genug sein können.

Meine Damen und Herren, ich stelle fest: Das, was Sie mit diesem Entschließungsantrag vorlegen, ist der alte gelbe ideologische Ansatz. Der MagentaLack beginnt zu bröckeln.

(Lachen von Ralf Witzel [FDP])

Heraus kommt die alte FDP von Witzel und Papke aus den Jahren 2005 bis 2010.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Becker. – Für die Piraten spricht der Kollege Dr. Paul. Bitte schön.

(Ralf Witzel [FDP]: Schöne freie Rede war das! Hatte auch nichts mit Landespolitik zu tun!)

Vielen Dank. – Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Die Forderung nach einem Bürokratiekostenabbau wird seit vielen Jahren in den politischen Sonntagsreden als Thema immer wieder bemüht.

In der Theorie klingt das alles erst einmal schön und einleuchtend, praktisch sieht die Sache jedoch ganz anders aus. Denn Normen, Standards und Regeln sind Teil einer jeden demokratisch legitimierten Verwaltung. Ohne sie würden unsere staatliche Ordnung und der Rechtsstaat nicht funktionieren. Ob und welcher Teil der Bürokratie abgebaut werden kann, ist politisch höchst umstritten – und das zu Recht.

Meine Damen und Herren, mein Altgriechisch ist sehr schlecht. Ich versuche es trotzdem einmal. „Bürokratie“ heißt ja so etwas wie Herrschen vom Büro aus.

(Heiterkeit von Martin Börschel [SPD])

Es gibt allerdings eine Verfahrensweise, wie wir das tatsächlich verschlanken könnten, wie wir die Kommunikation zwischen Bürgern, Unternehmen und der öffentlichen Verwaltung noch viel einfacher und müheloser gestalten könnten als bisher, nämlich digital und durch E-Government. Genauso bequem wie beispielsweise das Onlineshopping lassen sich Verwaltungsprozesse am PC oder am Smartphone durchführen. Das Beste daran ist: Der Aufwand für alle Beteiligten sinkt, und zwar ohne dass etwa Sozial- und Umweltstandards gesenkt werden.

Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rüße zulassen?

Im Moment nicht, danke.

(Martin Börschel [SPD]: Der kann aber be- stimmt Altgriechisch!)

Doch leider liegt Deutschland – das ist nicht NRWspezifisch – gerade beim E-Government, dem Mekka der Bürokratieverschlankung, deutlich und weit zurück. Nach einer Studie der EU-Kommission liegt Deutschland bei der digitalen öffentlichen Verwaltung auf Platz 18 in Europa – und das als Hightech-Land. Nach einer aktuellen Umfrage unter Behördenleitern stellt die Digitalisierung sogar eine größere Herausforderung für die Verwaltung dar als die jetzt zu uns kommenden Flüchtlinge.

Die öffentliche Verwaltung hat ihre Hausaufgaben beim E-Government also noch längst nicht gemacht. Auch das sich derzeit in der Beratungsphase befindliche E-Government-Gesetz NRW wird daran nur wenig ändern können, denn es fehlen verbindliche Vorgaben insbesondere für die Kommunen.

Meine Damen und Herren, während auf der einen Seite Potenziale nicht genutzt werden, gibt es auf der anderen Seite Themen, bei denen ich vor einem Abbau von Standards nur warnen kann.

Auf Seite 141 der Großen Anfrage wird aufgelistet, von welchen Regeln sich Kommunen durch eine Ausnahmegenehmigung haben befreien lassen. Mit Abstand am häufigsten wurde beantragt und bewilligt, dass die Kommunen bei der Auftragsvergabe nach § 20 des Korruptionsbekämpfungsgesetzes vom Vieraugenprinzip befreit werden. Das kann doch nicht wahr sein!

Im Übrigen darf die Verwaltung seit dem Jahr 2009 Bauaufträge bis zu 1 Million € ohne eine öffentliche Ausschreibung vergeben. Klar beschleunigt und verschlankt das die Auftragsvergabe; aber das öffnet ebenso Tür und Tor für einen unlauteren Wettbewerb. Klar ist doch, dass gerade die Vergabe öffentlicher Aufträge zu den besonders korruptionsanfälligen Bereichen gehört.

Diesen Umstand kritisieren nicht nur wir Piraten, sondern auch Transparency International. Bürokratieabbau bei der Korruptionsbekämpfung, das kann und darf nicht sein.

(Beifall von den PIRATEN)

Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion hat in der Einleitung ihrer Großen Anfrage selbst geschrieben, welche Politikfelder angeblich zu bürokratisch seien und damit auf die Agenda gehörten, unter anderem das Arbeitsrecht. Wir wissen, wenn es nach den Freiheitsvorstellungen der FDP geht, können wir gleich neue Formen der Sklaverei einführen.

(Heiterkeit und Beifall von den PIRATEN – Zu- rufe von der CDU: Oh!)

Zu bürokratisch seien auch das Sozial- und das Umweltrecht. Wir können dem nur entgegnen: Eine Absenkung der Sozial- und Umweltstandards wird es mit uns Piraten nicht geben.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Beim Entschließungsantrag, der jetzt noch vorgelegt wurde, schaue man sich nur mal den Beschlussteil an. Da gibt es drei Punkte.

Punkt 1. Bürgerwirtschaft und öffentliche Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen endlich konsequent von unnötigen bürokratischen Vorschriften und Prozeduren befreien. – Da ich mir vorstellen kann, was sich die FDP unter „unnötig“ vorstellt, werden wir diesen Entschließungsantrag ablehnen.

Zu Punkt 2, der Einführung eines unabhängigen Gesetzes-TÜVs: Das ist eine Regelung der Regelung – Herr Becker hat es gerade schon gesagt –, also Bürokratie hoch zwei. Das ist ein Widerspruch in sich.

3. Unwirksame Gesetze zu streichen und damit mehr Handlungsfreiheit in allen Bereichen für Bürger und Wirtschaft ermöglichen.

Es fehlt ein Punkt 4 im Entschließungsantrag, dann könnten wir uns vielleicht wohlwollend enthalten: Das wäre der Antrag auf einen unverbindlichen Betatest. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Witzel, es steht überhaupt nicht infrage, dass das Parlament ein Recht auf Auskunft gegenüber der Landesregierung hat. Ich will nur an der einen oder anderen Stelle die Sinnhaftigkeit zwar nicht hinterfragen, aber vielleicht mal mit Ihnen diskutieren. – Das als Vorbemerkung.

Ich habe Ihre Große Anfrage aufmerksam gelesen und bin über einige Passagen gestolpert, verwundert und auch irritiert. Einige möchte ich zitieren.

Zunächst einmal ist ziemlich martialisch die Rede vom Bürokratiewust, in dem NRW zu ersticken drohe. Als Nächstes kommt der Vorwurf der ideologischen Überfrachtung.

(Ralf Witzel [FDP]: Natürlich!)

Später wird es dann noch konkreter: Die FDP will Standards beschränken für mehr Freiheit und mehr Demokratie.

(Beifall von der FDP)

Es fällt der Begriff der Parallelbürokratie. Dann ist da die Bürokratielastigkeit genannt im Arbeitsrecht, Sozialrecht und Umweltrecht.

(Ralf Witzel [FDP]: Ist doch so!)

Lieber Kollege Witzel, je weiter man Ihre Vorbemerkungen zu dieser Großen Anfrage liest, desto mehr wird klar: Es geht gar nicht um die Sache selbst. Es geht nicht um den Abbau unnötiger Bürokratie, wo wir übrigens beieinander wären. Ihre Große Anfrage 16 ist bloße Parteipolitik. Das ist lupenreines Wahlprogramm. Das ist – die Kollegen haben es schon gesagt – „Privat vor Staat“. Ich sage ganz offen: Ich weiß nicht, wie so eine Große Anfrage möglicherweise über den Schreibtisch eines Fraktionsvorsitzenden geht, ohne dass mal jemand die Frage stellt, ob das nicht vielleicht doch ein bisschen zu offensichtlich Parteipolitik ist.

Die Große Anfrage 16 hat übrigens eine achtseitige Vorbemerkung.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Der Vorbemerkung folgen 287 Fragen zum Thema „Bürokratieabbau“. Mit Erlaubnis des Präsidenten möchte ich die Geschäftsordnung des Landtages zitieren. § 89 Abs. 1 Satz 2 lautet:

„Sie“

gemeint sind Große Anfragen –

„müssen kurz, sachlich und bestimmt gefasst sein und können mit einer kurzen Begründung versehen werden.“