Ich will noch einen ganz anderen Aspekt beleuchten, der womöglich bei der bisherigen Betrachtung etwas zu kurz gekommen ist:
Insbesondere in schwierigen Situationen wird es immer unwahrscheinlicher, dass es zu stabilen Mehrheitsbildungen kommt – es sei denn, dass man als idealtypisch die Zusammenarbeit zwischen den jeweils größeren bzw. größten Fraktionen in einer kommunalen Vertretungskörperschaft auswählt.
Denn ansonsten würden Kleinst- und Splitterparteien, die über keinen Rückhalt in der Wählerschaft verfügen, als Zünglein an der Waage jeweils Partikularinteressen in den kommunalen Vertretungskörperschaften in den Mittelpunkt der Erwägungen stellen können und insoweit überproportional bezogen auf ihr tatsächliches Gewicht dann an der politischen Willensbildung beteiligt sein.
Ich kann Ihnen nur eines sagen – das sage ich aus voller Überzeugung auch und gerade vor dem Hintergrund, dass es in meiner Heimatstadt eine gut funktionierende Große Koalition gibt –: Liebe Kolleginnen und Kollegen, es darf nicht der kommunalpolitische Normalfall sein, dass es in den Kommunen unseres Landes zu Großen Koalitionen kommt. Das halte ich für die Demokratie auch nicht für zuträglich.
Vor diesem Hintergrund haben wir im Jahre 2009 nach der seinerzeitigen Wahl in der damaligen Wahlperiode als SPD-Landtagsfraktion erste Überlegungen angestellt, wie man sich mit dem Phänomen auseinandersetzen kann. Es war uns sehr schnell klar, dass eine einfachgesetzliche Regelung, und zwar auch in Kenntnis der herrschenden Rechtsprechung, nicht ausreichen würde, wenn man künftig Klarheit schaffen will und wenn man auch der grundlegenden Bedeutung einer solchen Entscheidung Rechnung tragen will.
Deshalb wollen wir hier heute in zweiter und morgen in dritter Lesung auch eine Verfassungsänderung mit diesem Inhalt, also die Festlegung einer Sperrklausel unmittelbar in der Verfassung, begründen, weil wir meinen: Das ist erstens dem Thema angemessen
Meine Damen und Herren, bitte führen Sie sich die Presseberichterstattung zu dem Thema noch einmal vor Augen. Es hat ja zunächst durchaus sehr kritische Stimmen gegeben. Wir haben uns ganz bewusst bei diesem Vorhaben – insbesondere als SPDLandtagsfraktion – die notwendige Zeit genommen. Wir haben seinerzeit anderthalb Jahre darauf verwandt, das bei Herrn Prof. Dr. Bogumil in Auftrag gegebene Gutachten hinterher auszuwerten und uns zu überlegen, ob dieses Gutachten – wir haben mit externen Experten gesprochen und viele Gespräche auch mit kommunalpolitisch Verantwortlichen geführt – den tatsächlichen Zustand widerspiegelt.
Wir haben seinerzeit keine Mehrheit in diesem Hause – selbst für eine einfachgesetzliche Änderung – gefunden. Aber das hieß nicht, dass wir das Verfahren aus den Augen verloren haben. Ich bin sehr erfreut darüber, dass sich jetzt hier im Hohen Haus eine Zweidrittelmehrheit für eine verfassungsrechtliche Änderung und eine Verankerung an dieser Stelle findet. Wir nehmen für uns in Anspruch, dass wir das mit der gehörigen Sorgfalt und ohne überbordende Eile gemacht haben.
Ich verweise in dem Zusammenhang auch noch auf das von uns in Auftrag gegebene Gutachten der Anwaltskanzlei Redeker Sellner Dahs. Das war ein ergebnisoffenes Gutachten zu der Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer Festschreibung in der Landesverfassung des Landes NordrheinWestfalen. Herr Prof. Dr. Roth kommt in diesem Gutachten zu dem Ergebnis, dass die Festschreibung einer solchen Klausel in der Landesverfassung verfassungsgemäß ist.
Wir haben diese Gutachten öffentlich gemacht und einer öffentlichen Diskussion an der Stelle durchaus den Vorzug gegeben. Wir freuen uns darüber, dass auch ein weiteres Gutachten, das Gegenstand der Beratungen geworden ist, zu einem vergleichbaren Ergebnis kommt.
Wir haben insbesondere nach der nochmaligen Beauftragung von Herrn Prof. Dr. Bogumil die sichere Erkenntnis, dass das, wenn wir jetzt hier nichts tun, ein fortschreitender Prozess wird, der die Funktionsfähigkeit unserer kommunalen Vertretungskörperschaften nicht nur gefährdet, sondern massiv beeinträchtigt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Diejenigen, die das in offensichtlicher Unkenntnis der tatsächlichen Fakten nicht wahrhaben wollen, sollten sich wirklich noch einmal mit den Voraussetzungen auseinandersetzen.
Ich will jetzt auf ein, zwei verfassungsrechtliche Fragen insbesondere eingehen, nachdem wir durch das,
was die Praktiker in der Anhörung beigetragen haben, sehr intensiv in unserer Ansicht bestätigt worden sind.
Ich will an erster Stelle anführen, dass wir uns natürlich mit der Frage, ob es andere verfassungsrechtlich gesehen weniger einschneidende Möglichkeiten gibt, den Mangel zu beheben, auseinandergesetzt haben. Ich kann nur sagen: An der Stelle ist zum Beispiel eine Verkleinerung von Räten und Kreistagen nicht das Mittel der Wahl, weil dadurch diejenigen, die da ehrenamtlich tätig wären, ja noch viel intensiver in Anspruch genommen würden und dies der hohen Fachlichkeit der dort gestellten Aufgaben auch nicht entspricht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Mit der zweiten Frage betreten wir – ich bin mit dem Ausdruck normalerweise etwas vorsichtig, aber sage es jetzt trotzdem – verfassungsrechtliches Neuland. Die zweite juristisch vor allen Dingen interessierende Frage ist die, welche Bedeutung Art. 28 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz für eine verfassungsrechtlich verankerte Sperrklausel hat.
Ich bin der Überzeugung, dass man über diese Frage mit Fug und Recht auch juristisch gut diskutieren kann. Aber nach meiner festen Überzeugung ist der verfassungsändernde Gesetzgeber des Landes Nordrhein-Westfalen unter keinem Gesichtspunkt daran gehindert, eine kommunale Sperrklausel in die Landesverfassung aufzunehmen.
Ich gehe davon aus, dass es gewiss keine schrankenlose Verfassungsautonomie der Länder gibt. Aber die Homogenitätsklausel des Art. 28 Abs. 1 setzt die Verfassungsautonomie von Ländern geradezu voraus. Meines Erachtens kann und muss der Bund nur für das, was für ihn unabdingbare Grundlage der Art und Form seiner politischen Existenz ist, seinen Gliederungen etwas vorschreiben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Nach unserer Auffassung muss der Art. 28 Abs. 1 so interpretiert werden, dass die Verfassungsautonomie der Länder nicht unterlaufen wird. Homogenität heißt nicht Konformität, wie einer der Sachverständigen uns in der Anhörung zutreffend versichert hat. Es wäre ein Fehlschluss, die Rechtsprechung zu der einfachgesetzlichen Sperrklausel jetzt eins zu eins auf die aktuell zu entscheidende Frage anlegen zu wollen. Ich denke, das würde geradezu die Verfassungsautonomie unserer Bundesländer infrage stellen.
Wenn Sie mich genau fragen – im Art. 28 steht ja auch etwas zur kommunalen Selbstverwaltung –, würde ich mich sogar dazu verpflichtet sehen, an der Stelle die Funktionsfähigkeit der Organe der kommunalen Selbstverwaltung sicherzustellen. Das ist ein Verfassungsauftrag, der gleichwertig neben dem anderen Gebot der Gleichheit der Wahl steht.
Lassen Sie mich auch noch einmal auf die Höhe der Sperrklausel zurückkommen, bevor ich zum Ende meiner Rede komme. Wir hätten als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sicherlich eine Sperrklausel in Höhe von 3 % vorgezogen, sind allerdings nach intensiver Abwägung und auch nach Diskussionen mit denjenigen, die mit uns diesen Gesetzentwurf tragen, dazu gekommen, dass 2,5 % insbesondere wegen der bestehenden natürlichen Sperrklausel in einigen Bereichen unserer kommunalen Landschaft die Höhe einer Sperrklausel sind, die juristisch zu vertreten ist und die auch juristisch durchsetzbar ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Denn auch da ergäbe sich eine Ungleichbehandlung, bezogen auf die Bedeutung einer Stimme bei der Kommunalwahl, wenn man nicht die Relation zwischen natürlichen Sperrklauseln und der von uns angenommenen Sperrklausel herstellen würde.
Insgesamt, liebe Kolleginnen und Kollegen, bin ich froh darüber, dass wir uns in Sachlichkeit diesem Thema angenommen haben. Wir wollen und werden Sorge dafür tragen, dass es in Zukunft wieder einfacher möglich wird, vor Ort politische Verantwortung für die Allgemeinheit wahrzunehmen.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Nicht die Summierung von Partikularinteressen bildet das Allgemeinwohl und die allgemeinen Interessen ab; es kommt darauf an, dass handlungsfähige kommunale Vertretungskörperschaften und ihre Organe tatsächlich den Willen der Mehrheit der Bevölkerung widerspiegeln. Dem dient unser Gesetzentwurf. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir reden heute in der Tat über die Einführung der Sperrklausel. Veranlassung dafür war, wie soeben auch vom Kollegen Körfges erwähnt, die Entscheidung des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichthofs vom 6. Juli 1999, in der die 5-%-Klausel damals als verfassungswidrig erkannt worden ist.
Meine Damen und Herren, derselbe Verfassungsgerichtshof hat aber in der Ausführung zu diesem Urteil auch deutlich gemacht, dass es grundsätzlich zusätzlich sein kann, eine Sperrklausel einzuführen, und zwar insbesondere dann, wenn die Funktionsfähigkeit der kommunalen Vertretungen nicht mehr gegeben ist.
Darüber kann man in der Tat rechtlich und intensiv streiten. Ich spreche jetzt insbesondere die Piraten noch einmal an, die in den Vorberatungen immer wieder deutlich gemacht haben, dass Funktionsunfähigkeit für sie bedeutet, dass Räte grundsätzlich keinerlei Beschlüsse mehr fassen. Das ist aber ein falscher Ansatz.
Denn Maßstab für diese Überlegung ist das Leitbild des ehrenamtlich tätigen Kommunalpolitikers, der neben seinen vollschichtigen beruflichen Tätigkeiten noch kommunalpolitische Arbeit leisten können muss, und nicht der Ansatz dessen, dass jemand quasi voll erwerbstätig oder voll umfänglich kommunalpolitisch tätig ist.
Was heißt das konkret, meine Damen und Herren? Wir haben über 20.000 ehrenamtliche Kommunalpolitiker hier in Nordrhein-Westfalen, die tagtäglich darum bemüht sind, die Dinge vor Ort zu regeln, BPläne zu beschließen, Satzungen abzufassen, mit den Bürgern in Kommunikation zu treten. Deshalb will ich durchaus noch einmal erwähnen, weil den Piraten dieses Thema anscheinend nicht so ganz zugänglich ist, was Ratsarbeit heute eigentlich bedeutet.
Ratsarbeit bedeutet nicht nur, Herr Kollege, dass man in den Räten vor Ort tätig wird. Es bedeutet Ausschusstätigkeit. Es bedeutet natürlich die Vor- und Nachbereitung der entsprechenden Sitzungen. Das sind die Abstimmungsgespräche, die man allseits zu führen hat. Es geht also um die Vermittlung von Entscheidungsprozessen oder der Entscheidung selbst gegenüber seinen Mitstreitern, aber vor allen Dingen auch gegenüber dem vorpolitischen Raum – und das alles, meine Damen und Herren und liebe Piraten, neben der vollschichtigen Tätigkeit, die man auszufüllen hat.
Ich glaube, das macht schon sehr deutlich, dass die Funktionsfähigkeit der kommunalen Vertretungen, insbesondere der größeren kommunalen Vertretungen, hier an ihre Grenzen geraten ist.
Dazu haben wir entsprechende Feststellungen getroffen. Wenn wir uns die letzten vier Kommunalwahlen ansehen, dann stellen wir fest, dass im Jahre 2014 in 22 Räte 86 Mandatsträger in 43 Zweiergruppen gesandt worden sind. Bei 22 Räten waren es 64 Einzelmandatsträger.
Herr Kollege Nettelstroth, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Bei den Piraten würde Ihnen gerne Herr Kollege Herrmann eine Zwischenfrage stellen.
Vielen Dank, Herr Nettelstroth, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Zu Ihren gerade gemachten Ausführungen, was die Ratsarbeit betrifft: Wollen Sie damit ausdrücken, dass eigentlich Ratsarbeit für Einzelbewerber grundsätzlich nicht geeignet ist?
Lieber Herr Kollege, wenn Sie noch ein bisschen gewartet hätten, wäre ich gleich genau auf dieses Problem gekommen, weil ich sehr genau weiß, dass Sie darauf herumreiten.
Ich sage Ihnen so viel dazu: Es ist äußerst schwierig, als Einzelbewerber die komplette Ratsarbeit zu leisten. Ein Beleg dafür ist, dass sich Ihre Kollegen vor Ort, die als Einzelkämpfer tätig sind, Partner suchen, um gemeinschaftlich diesen Weg zu gehen. Wie gesagt, werde ich darauf gleich noch zu sprechen kommen.
Meine Damen und Herren, bei den Kreistagen sieht es ähnlich aus. In 28 Kreistagen haben wir 112 Mandatsträger, die sich ebenfalls in 56 Zweiergruppen zusammengefunden haben, und letztendlich 23 Kreistage mit 39 Einzelmandatsträgern. Die Folge davon ist das, was der Kollege Körfges angesprochen hat: lange Sitzungen und erschwerte Verantwortungsbildung, da Koalitionsbildung immer
Dadurch entsteht genau der Trend, von dem der Kollege eben sprach, nämlich der Trend zu Großen Koalitionen, weil nur noch diese in der Lage sind, die entsprechenden Entscheidungen innerhalb verantwortungsvoller Zeit mit breiter Mehrheit zu tragen.
Zudem, meine Damen und Herren, müssen wir auch feststellen, dass sich die kommunalpolitischen Rahmenbedingungen in den letzten Jahrzehnten verändert haben. Sie sind nämlich erheblich schwieriger geworden. Die Kollegen aus dem kommunalpolitischen Ausschuss wissen sehr wohl, dass sich insbesondere die finanziellen Spielräume in vielen Kommunen, die Haushaltssicherungskommunen oder gar Stärkungspaktkommunen sind, gegen null bewegen.
Das führt natürlich dazu, dass man verstärkt darüber diskutieren muss, öffentliche Angebote entsprechend zurückzuführen, dass man teils unpopuläre Entscheidungen treffen muss, indem man lieb gewonnene Einrichtungen vielleicht auch einstellen muss. Das setzt natürlich voraus, dass man dennoch versucht, diese Verantwortung, die man vor Ort hat, wahrzunehmen. Das fällt zunehmend schwerer, wenn insbesondere eine Vielzahl von Einzelbewerbern da ist, die nur aus ganz partikulären Interessen heraus gewählt worden sind und nur das Ziel haben, genau dieses partikuläre Interessenmoment auch weiterzutragen und entsprechend umgesetzt zu bekommen.